Dritte Szene

[15] MARIANN demütig. Ja, Hochwürden.

KÖCKENBERGER. Sie müssen einsehen, daß die Güter dieser Welt nichts sind im Vergleich zu dem Schatze, den es zu erringen gilt.

MARIANN. Mir liegt gor nix dro, daß i sterb'n muaß.

KÖCKENBERGER. Wie?

MARIANN. I sag, daß i gern sterbat, wenn i ...

KÖCKENBERGER eindringlich. Sie verstehen mich immer noch nicht. Sie sollen sagen, daß Ihre Seele nach jenen Herrlichkeiten dürstet.

MARIANN. Es is bloß weg'n oan ...

KÖCKENBERGER unterbricht sie. Sie sollen mit einer wahren Ungeduld behaftet sein, dorthin zu gelangen.

MARIANN die Hände faltend. Ja ... Hochwürden.

KÖCKENBERGER. Denn nur so kommt man in den Zustand der heilsamsten Reue, und man soll sich auch ein Bild machen von der schrecklichen Pein, die den Unbußfertigen erwartet. Mariann nickt ehrfürchtig, Köckenberger rückt eifrig auf dem Stuhle hin und her. Diese ist über alle menschliche Vorstellung entsetzlich, und selbst der heftigste Schmerz, den man etwa hier erleiden muß, gibt uns keinen Begriff von jenen Qualen.[15]

MARIANN. Ja – Hochwürden.

KÖCKENBERGER. Jene Unglücklichen hören nichts als Heulen und Wehklagen; sie sehen nichts als Feuer, sie fühlen nichts als Feuer; sie befinden sich in einem Ozean von brennendem Pech.


Er nimmt die Brille ab und putzt sie.


MARIANN. Derfat i Eahna net was frag'n?

KÖCKENBERGER. Fragen? Was wollen Sie fragen?

MARIANN. Ob S' mir koan Trost net wiss'n in a Sach, de mi recht bekümmert. Es is weg'n unsern Kind.

KÖCKENBERGER. Eine Tochter?

MARIANN. Ja. Hamm S' g'wiß scho was g'hört? Köckenberger zuckt die Achseln. Und lauter Schlecht's.

KÖCKENBERGER. Man hat mir erzählt, daß sie in der Großstadt untergegangen ist.

MARIANN. Untergegangen? Schweigt und blickt vor sich hin. Es is hart, an dös glaab'n. Für a Muatta gar z' hart.

KÖCKENBERGER. Es mag wohl bitter sein, aber in Ihrer Lage sollten Sie nicht mehr daran denken.

MARIANN. Net dro denk'n! Wenn's Nacht werd und staad, hör i 's Madl ruaf'n, grad so, wia's als a Kind nach meiner g'schriean hat, i sollt eahm helf'n, und i moa, i muaß auf und zu ihr geh.

KÖCKENBERGER etwas unruhig. Ja – – ja.

MARIANN. Wissen S', Hochwürden: wenn ma'r a Kind aufziagt, de Angst bleibt in oan.

KÖCKENBERGER. Das ist begreiflich, aber ich möchte Ihretwegen, daß wir uns zu jenen andern Dingen wenden.

MARIANN. Derf i 's Eahna net verzähl'n? Vielleicht sehg'n Sie do an Ausweg.

KÖCKENBERGER beunruhigt. N – ja ...

MARIANN. Sie san do a studierter Herr, bal S' aa no jung san.

KÖCKENBERGER. Wenn es Sie erleichtert: in Gottes Namen; aber wir hätten unsere Gedanken auf Besseres richten können ... und ...

MARIANN ohne auf ihn zu hören. Leni hoaßt s', Magdalena. Und is als Kind recht liab g'wen und guat zum hab'n. Daß s' in der Schul net recht weiter kumma is, des sell is wahr.

KÖCKENBERGER. Und habt Ihr sie zur Frömmigkeit angehalten?

MARIANN. Wia's der Brauch is bei uns, und is nix übersehg'n wor'n. Freili, wia s' herg'wachs'n is, hat s' koa Freud zu da[16] Bauernarbet g'habt; sie is ihr z' hart g'wen.

KÖCKENBERGER. Das ist es eben.

MARIANN demütig. Wie moanen S', Hochwürden?

KÖCKENBERGER. Der Müßiggang ist die Quelle schlechter Begierden, sagt der heilige Bernhard.

MARIANN. Sie is viel krank g'wesen von jung auf. Köckenberger zuckt die Achseln. Mir hamm s' zua'r a Nahterin in d' Lehr geb'n, und da hat sie si recht g'schickt zoagt, und späterszeit'n hat sie durchaus in d' Stadt nei' woll'n, weil halt da der Verdeanst größer waar.

KÖCKENBERGER uninteressiert. M – mh.

MARIANN. Und da is sie etliche Jahr drin g'wes'n, und mir hamm des Beste glaabt. Aba nacha hat sie an Mensch'n kenna g'lernt, der hat ihr's Heirat'n versprocha und hat s' um ihre paar Grosch'n bracht und hat s' verlass'n.

KÖCKENBERGER wie oben. M – hm.

MARIANN. Und nacha – – ja nacha muaß sie völlig an Verstand verlor'n hamm.

KÖCKENBERGER. Und hat sich der Sünde ergeben?

MARIANN. Is ins Unglück kemma – ja.

KÖCKENBERGER. Sie ist vom Gericht gestraft worden?

MARIANN leise. Ja. Am Johannistag hat uns d' Nachbarin d' Zeitung bracht. Da is drin g'standen.

KÖCKENBERGER. Das sind die Folgen.

MARIANN. Glaab'n Sie net, Hochwürden, daß mir s' wieder z'recht bring'n?

KÖCKENBERGER. Ich weiß nur, daß Unlauterkeit eine Hauptstraße ist zum ewigen Untergange.

MARIANN. Weil i mir denk, unser Herrgott ko net so schnell ferti sei mit an Mensch'n, und es müaßt eahm selber 's Herz weh toa, wann er siecht, daß so a G'schöpf nimmer in d' Höh derf.

KÖCKENBERGER unmutig. Liebe Frau, ich kann Ihnen da gar nichts sagen. Wirklich nicht. Vor allem nichts, was Ihnen ein Trost wäre.

MARIANN. Und i hätt'n braucht, wenn dös arme Madl jetzt daher kummt.

KÖCKENBERGER aufmerksam geworden. Wer kommt?

MARIANN. Ja, Hochwürden ... dös is uns aa no aufg'setzt. D'[17] Leni werd heut no herbracht.

KÖCKENBERGER aufstehend. Heute? Jetzt? Mariann nickt. Köckenberger nimmt seinen Hut.

KÖCKENBERGER. Dann muß ich freilich gehen, und ich will lieber ein anderes Mal nachschauen.

MARIANN. Weil d' Leni kummt?

KÖCKENBERGER. Es ist mit meinem Kleide nicht vereinbar, und ich weiß auch wirklich nicht ... Er ist zur Türe gegangen. Also ein anderes Mal. Ab.


Quelle:
Ludwig Thoma: Gesammelte Werke in sechs Bänden. Band 2, München 1968, S. 15-18.
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