Siebente Szene

[21] LENI. N ... no! Mein Huat!


Sie hebt ihn auf und putzt ihn ab.


MARIANN. Kumm zu mir her!

LENI sich trotzig nähernd. Is ja wahr! Was braucht er denn mit mein Sach a so umgeh und glei mit'n Fuaß stössen! Sie ist langsam zu Mariann herangekommen und richtet an ihrem Hut. Mariann sieht sie bekümmert an.

MARIANN gütig. Madl, is dir recht schlecht ganga?

LENI. Wenn d' Leut so ordinär san! Was geht's denn überhaupts de Leut o?

MARIANN. Net dös! Ob's dir in da Stadt drin schlecht ganga is?

LENI. Besser scho als wia do, wenn s' oan nachlaffa und schrei'n ...[21]

MARIANN müde. Du redst allaweil vo dem! Geh, sitz di her zu mir!

LENI. Warum denn?

MARIANN. Weil i red'n muaß mit dir, schau!

LENI setzt sich zögernd auf den Stuhl neben Mariann.

MARIANN faßt sie bei der Hand. Madl, was hoscht mir denn g'macht?

LENI schmollend. Jetzt schimpf mi net du aa!

MARIANN. I schimpf di net. Helf'n möcht i dir, daß d' wieder rechtschaff'n werst ...

LENI schnupft auf und schaut zur Seite, dann trotzig. I hab no neamd nix g'stohl'n ...

MARIANN. Du muaßt wieder zu da Reinlichkeit kemma und arbet'n und dei Brot redli verdeana.

LENI. Dös ko neamd sag'n, daß i was g'numma hab.

MARIANN streichelt ihr die Hand. Du vastehst mi scho, Madl. Un du derbarmst mi ja so viel! Wenn i di o'schau, ziagt's mir's Herz z'samm ...

LENI die Achseln rückend. N ... no!

MARIANN. I siech di vor meiner, wia's d' no dös kloane Schuldeandl warst ... und wenn i aa net all's vasteh, was d' to host ... i hab koan Zorn über di ... na, g'wiß net, Madl ... grad Mitleid.

LENI halb weinerlich. Was host d' denn allaweil?

MARIANN. Weil i Tag und Nacht denk'n muaß, wia du so weit kemma bist ... Kleine Pause. Gel, des hat di so ausanand bracht, wia di der sell in Stich hat lass'n ...

LENI lebhafter. Der Schuft!

MARIANN. Und wia'r a dir dei Geld g'numma hat.

LENI. Der gemeine Mensch! Ausspuckend. Pfui Teifi!

MARIANN. Aba schau, wenn di dös aa recht runterkümmert hat, nacha ...

LENI lebhaft unterbrechend. Überhaupt's g'hört er ins Zuchthaus, und dös hat mir a feiner Herr g'sagt, der wo sie auskennt auf de Gerichtssach'n. Hochdeutsch nachahmend. Indem es ein Betrug ist, hat er g'sagt.

MARIANN. Freili muaß dös a schlechta Mensch g'wes'n sei, aba ...

LENI. Weil er mir mei Sparkassabüachl g'nomma hat, damit[22] daß er's aufhebt, und weil's uns mitanand g'hört, hat er g'sagt, wann mir heiret'n.

MARIANN streichelt ihr wieder gütig die Hand. Hast dir was derspart g'habt, Madl?

LENI. Dreiadachz'g Mark und zwanz'g Pfenning san's g'wesen, und i hab's unterschreib'n müass'n, daß eahm dös Geld g'hört, weil's überall so is, hat er g'sagt, wann ma heiret.

MARIANN. Da bist d' arm dro g'wesen.

LENI. Und ... und nacha hat er 's Geld rausg'numma und is durchbrennt. Wieder hochdeutsch. Und das ist ein schwerer Betrug, hat der Herr g'sagt ... nach dem Gesetze.

MARIANN. Aba schau, wann di dös aa recht runterkümmert hat ... dös, was d' nacha to host, hat nix besser g'macht.

LENI. Weil mi überhaupt's nix mehr g'freut hot.

MARIANN. Hättst d' no richtig weiter g'arbet, da hättst ehnder drauf vergess'n.

LENI. Zu was soll ma denn arbet'n, wenn oan' 's Geld auf de Weis g'numma werd?

MARIANN. Oder waarst d' hoamganga!

LENI. Was hätt i denn dahoam to?

MARIANN. Muaß jetzt aa sei ... Leni schaut verdrossen zu Boden. Aba no, was vorbei is, könna mir nimma anderst macha, und du muaßt halt tracht'n, daß jetzt wieda all's recht werd.

LENI. Geh, fangst d' scho wieda o!

MARIANN. I hab nimma viel Zeit, und mir müass'n do über dös red'n.

LENI schmollend. Da soll ma hoam geh, wenn ma nix als wia g'schimpft werd.

MARIANN. Koa unrecht's Wort kriagst d' von mir.

LENI. Ja ... und d' Leut laff'n oan' nach, als wann i was g'stohl'n hätt. Überhaupt's, was geht's denn de o?

MARIANN. Fang net wieda von dem o!

LENI. Na! De geht's alle mitanand nix o! Was brauch'n mir de Nama geb'n und a so nachi schrei'n?

MARIANN. Moanst d' net, für uns is no ärger g'wesen? ... Leni schweigt trotzig und schnupft auf. Für dein brav'n Vata, der si seiner Lebtag g'schund'n und plagt hat, und hat nia nix Unrecht's to?

LENI. Für was braucht er denn nacha mein Huat so umanand[23] schmeiß'n?

MARIANN stützt müde den Kopf mit der Hand und schaut vor sich hin.


Kleine Pause.


LENI. I hab'n aa zahl'n müass'n ...


Kleine Pause.


MARIANN. Host du über dös nachdenkt, was jetzt sei werd?

LENI. N ... na.

MARIANN. Was d' jetzt o'fanga willst?

LENI. I waar net hoam kemma, wenn i net müass'n hätt ...

MARIANN. Daß d' nimma in d' Stadt nei derfst, dös muaßt d' do selber wiss'n?

LENI. Halt auf a paar Jahr net.

MARIANN dringend. Deiner Lebtag nimma, Madl; dös muaß aus sei, und du derfst koan Gedank'n mehr an dös hamm. Es handelt sie um dös, daß du g'sund werst! Daß d' wieder sauber werst!

LENI weinerlich. Gel, na sagst d', du schimpfst net.

MARIANN wieder milder. Wia mir de Botschaft von deiner Straf' kriagt hamm, bin i krank wor'n, und siehgst scho, wia'r i dro bin.

LENI weinerlich. Du werst scho wieder g'sund.

MARIANN. Na, dös wer i nimmer. Aber i sag's net desweg'n, daß i dir's vorhalt. I hab an Vata bitt, er soll di dahoam lass'n, wenn i nimmer da bin.

LENI sieht zur Seite und schweigt.

MARIANN. Und di bitt i, daß d' dahoam bleibst und brav werst. Dös muaßt ma auf d' Hand vasprech'n.

LENI. Anderne, wo's viel ärger treib'n, san net g'straft wor'n.

MARIANN dringender. Madl, vasprich mir's ... es is ja bloß weg'n deiner ...

LENI. I ko aba de Bauernarbet gar it.

MARIANN. De lernt si scho, wenn ma den recht'n Fleiß dazua hat, und da Vata geht dir scho an d' Hand.

LENI. Du host aba selber allaweil g'sagt, daß i z' schwach bin dazua.

MARIANN seufzend. I wollt, i hätt's nia g'sagt! ... Dringend. Siehgst denn net, daß d' wieder rechtschaff'n wern muaßt? Bleib dahoam, arbet, vergiß all's, was amal unsauber g'wesen is ... da ... gib mir d' Hand drauf!s


Sie hält ihre Hand hin. Leni legt die ihrige zögernd hinein. Sie sieht dabei zu Boden und schnupft ein paarmal auf.


MARIANN. Halt dei Versprech'n ... vielleicht werd's no recht![24]

LENI. J ... ja.

MARIANN zärtlich. Ruck näher her zu mir!

LENI. I bin ja do!

MARIANN. Ganz her!

LENI rückt mit ihrem Stuhl ein paarmal vor, so daß sie nun dicht bei Mariann sitzt.

MARIANN nimmt sie bei der Hand, sehr gütig. Woaßt d' no, wia's d' den erst'n Winta in d' Schul ganga bist, nach Prittlbach, und du bist so a kloana Zwazzel g'wesen ... und amal hat's so g'sturmt und g'schneit, daß i Angst kriagt hab, und i bin dir entgeg'n ganga, und beim Leitner bist d' hinter an Holzschupf'n g'stand'n und hast grad g'woant. Und da hab i g'sagt: Lenerl, tuast di fürcht'n? Und du host g'sagt: Jetzt nimma, weil i bei dir bin. Woaßt d' dös no?

LENI. Dös is scho so lang her!

MARIANN. Aba g'sagt hast d'as, und heut kunnt'st d'as wieder sag'n.

LENI verständnislos. Was?

MARIANN. Daß d' di nimmer fürchst, weil's d' bei mir bist.

LENI. I fürcht mi ja net. Kleine Pause.


Mariann streichelt in Gedanken verloren Lenis Hand. Dann spricht sie wieder leise und gütig.


MARIANN. Und woaßt d' no, wia dei Schulkameradin, de kloane Kramerlis'l, g'storb'n is, und i bin mit dir ins Haus nüber, und d' Lis'l is in Sarg drinna g'leg'n. Woaßt d' dös no?

LENI. Geh, was du für alte G'schicht'n daher bringst! ...

MARIANN. Und da hab i dir verzählt, daß d' Lis'l jetzt nimma in d' Schul geht, sondern als a Engel singa derf, und da host du g'sagt: »Dös möcht i aa.«

LENI ganz teilnahmslos. So?

MARIANN. I bin so derschrock'n, weil i mir ei'bild't hab, wia dös waar, wann du so im Sarg drinna liegetst mit an wachsgelb'n G'sichtl ... Verloren vor sich hinblickend. Selbigs Mal waar mir dös als des größte Unglück fürkemma ... I hab wohl net g'wußt, daß so was des beste Glück sei kunnt ...

LENI. Was für a Glück?

MARIANN sich besinnend. Na ... na, Madl! I wünsch dir nix Schlecht's. Muaßt d'aba oft z'ruck denk'n an Kinderzeit'n und an dei alte Muatta ...

LENI. I denk scho dro ...[25]

MARIANN. Woaßt d'as no, wia'r i dir 's erstmal Pfüad Good g'sagt hab? 's erstmal, wia's d' furt bist ... und ... i hab dir an Seg'n geb'n? ... Sie führt ihre Hand an Lenis Stirne und macht ihr mit dem Daumen das Zeichen des Kreuzes auf Stirne, Mund und Brust, dabei die Worte sprechend. Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes – Amen! Leni blickt stumpfsinnig zur Seite. Da bedeckt Mariann ihr Gesicht mit der Hand und fängt lautlos und bitterlich zu weinen an.


Vorhang.
[26]

Quelle:
Ludwig Thoma: Gesammelte Werke in sechs Bänden. Band 2, München 1968, S. 21-27.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Magdalena
Magdalena. Ein Volksstück in 3 Aufzügen

Buchempfehlung

Suttner, Bertha von

Memoiren

Memoiren

»Was mich einigermaßen berechtigt, meine Erlebnisse mitzuteilen, ist der Umstand, daß ich mit vielen interessanten und hervorragenden Zeitgenossen zusammengetroffen und daß meine Anteilnahme an einer Bewegung, die sich allmählich zu historischer Tragweite herausgewachsen hat, mir manchen Einblick in das politische Getriebe unserer Zeit gewährte und daß ich im ganzen also wirklich Mitteilenswertes zu sagen habe.« B.v.S.

530 Seiten, 24.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon