Erster Akt


[277] Skaramuz. Der Poet.


SKARAMUZ. Nein, Herr Poet, sagt, was Ihr wollt, redet, was Ihr mögt, denkt und wendet ein, soviel es Euch nur möglich ist, so bin ich doch fest entschlossen, auf nichts zu hören, nichts zu überlegen, sondern auf meinem Willen zu bestehn, und damit Punktum!

POET. Lieber Skaramuz.

SKARAMUZ. Ich höre nichts. Da, mein Herr Poet, seht, wie ich mir die Ohren zuhalte.

POET. Aber das Stück –

SKARAMUZ. Was Stückt! ich bin auch ein Stück, und ich habe auch das Recht, mitzusprechen. Oder denkt Ihr, daß ich keinen Willen habe? Meint ihr Poeten, die Herren Schauspieler wären immer gezwungen, das zu tun, was ihr ihnen befehlt? O mein Herr, die Zeiten ändern sich manchmal plötzlich.

POET. Aber die Zuschauer –

SKARAMUZ. Also, weil es Zuschauer in der Welt gibt, soll ich unglücklich sein? Ei, welcher schöne Schluß!

POET. Freund, Ihr müßt mich notwendig anhören.

SKARAMUZ. Wenn ich muß: gut. Hier sitz ich; nun redet einmal wie ein verständiger Mensch, wenn Euch das möglich ist. Er setzt sich auf die Erde.

POET. Wertgeschätzter Herr Skaramuz! Dieselben sind beim hiesigen Theater zu einem gewissen bestimmten Rollenfach engagiert, Sie sind mit einem Worte, um mich kurz auszudrücken, der Skaramuz. Es ist auch nimmermehr zu leugnen daß Sie es in diesem Fache so ziemlich weit gebracht haben, und kein Mensch auf der Welt ist mehr geneigt als ich, Ihren Talenten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen; aber, mein Teuerster, deswegen sind Sie noch nimmermehr ein tragischer Schauspieler; Sie sind deswegen noch nicht imstande, einen edlen Charakter darzustellen.[277]

SKARAMUZ. Sapperlot! das wär ich nicht imstande? Mein Seel, so edel, wie Sie ihn nimmermehr sollen schreiben können. Wenn es ausgemacht ist (wie es denn in unsern Tagen ausgemacht ist), daß eine edle Rolle einen ursprünglich edlen Menschen, Mann oder Herrn, zur Darstellung erfordert, so halte ich Ihre Äußerung für eine persönliche Beleidigung, und ich fodre hiemit die ganze Welt auf, groß und klein, mich an Edelmut zu übertreffen.

SCÄVOLA einer von den Zuschauern. Oh, Herr Skaramuz, mit Ihnen nimmt man es noch auf.

SKARAMUZ. Wieso? Ei, wie das? Ich muß gestehn, ich erstaune über diese Unverschämtheit.

SCÄVOLA. Nein, mein Herr, das haben Sie gar nicht Ursach. Ich bin für mein Geld hier, Herr Skaramuz, und da kann ich hier denken, was ich will.

SKARAMUZ. Die Gedankenfreiheit ist Ihnen unbenommen, aber das Sprechen ist Ihnen untersagt.

SCÄVOLA. Wenn Sie sprechen dürfen, wird es mir auch noch immer erlaubt sein.

SKARAMUZ. Und was haben Sie denn Edles getan?

SCÄVOLA. Ich habe vorgestern für meinen liederlichen Neffen Schulden bezahlt.

SKARAMUZ. Und ich habe gestern den Souffleur geschont, indem ich eine ganze Szene ausließ.

SCÄVOLA. Ich war vorige Woche bei Tisch bei guter Laune, und verschenkte einen ganzen Taler an Almosen.

SKARAMUZ. Ich zankte mich vorgestern mit dem Schneider, der mich mahnte, und behielt das letzte Wort.

SCÄVOLA. Vor acht Tagen habe ich einen besoffenen Menschen nach Hause gebracht.

SKARAMUZ. Dieser Besoffene war ich, mein Herr; aber ich hatte mich auf das Wohl unsres Landesherrn betrunken.

SCÄVOLA. Ich bekenne mich für überwunden.

SKARAMUZ. Und dafür sind Sie nun so undankbar, und kommen her, und wollen mir meinen Edelmut schmälern?

SCÄVOLA. Ich bitte um Verzeihung, Herr Skaramuz.


Pierrot stürzt herein.


POET. Was willst du, Pierrot?

PIERROT. Was ich will? Ich will heute nicht spielen, durchaus nicht![278]

POET. Aber warum nicht?

PIERROT. Warum? Weil ich auch endlich einmal einen Zuschauer abgeben will; ich bin lange genug Komödiant gewesen.


Wagemann, der Direktor, kommt herein.


POET. Gut, daß Sie kommen, Herr Directeur, hier ist alles in der größten Verwirrung.

WAGEMANN. Wieso?

POET. Pierrot will heute nicht spielen, sondern Zuschauer sein, und Herr Skaramuz will in meinem Stücke durchaus nichts anders, als den Apollo agieren.

SKARAMUZ. Und mit Recht, Herr Directeur; ich habe die Narren lange genug gespielt, so daß ich es nun wohl auch einmal mit den Klugen versuchen kann.

WAGEMANN. Sie sind zu strenge, Herr Poet, Sie müssen den armen Leuten etwas mehr Freiheit lassen; man muß ihnen ein bißchen durch die Finger sehn.

POET. Doch das Schauspiel, die Kunst –

WAGEMANN. Je, das fügt sich ja doch. Sehn Sie, ich denke so: bezahlt haben die Zuschauer nun einmal, und damit ist das Wichtigste geschehn.

PIERROT. Adieu, Herr Poet, ich mische mich unter die verehrungswürdigen Zuschauer. Ich will einmal über die Lampen hinweg den berühmten Sprung vom Felsen Leukate in das Parterre hineintun, um zu sehen, ob ich entweder sterbe, oder von einem Narren zu einem Zuschauer kuriert werde.


Lebe wohl du alte Liebe,

Jetzt beginnt ein neues Leben,

Und mit sehr vernünftgem Streben

Fühl ich andre Herzenstriebe.


Keine Lampe soll mich schrecken,

Kein Souffleur hält mich zurück,

Nein, ich will das ruhge Glück

Eines Auditoris schmecken.


Nun empfangt mich, wilde Wogen,

Du, Theater, fahre hin,

Zu dem herrlichsten Gewinn

Fühl ich mich hinabgezogen.


Er springt ins Parterre.
[279]

Wo bin ich? o Himmel!

Ich atme noch immer?

O Wunder! ich stehe

Hier unten? die Schimmer

Der Lichter sind dort? –

Ihr seht mich, ihr Götter!

Von Leuten umgeben;

Stolz rag ich hervor!

Wem dank ich dies Leben?

Dies bessere Leben?

DIE ZUSCHAUER.

Herr Pierrot ist zum

Zuschauer aufgenommen!

Zuschauer Pierrot sei willkommen!

Sei gegrüßt, du großer Mann!

PIERROT.

Meint ihr mich, ihr Wohlgebornen?

Nehmt ihr mich zum Bruder an?

O mein Dank soll nicht ermüden,

Weil mein Busen atmen kann.

GRÜNHELM ein Zuschauer. Herrlich! herrlich! bei meiner Seele herrlich! Aber, um nicht eins ins andre zu reden, so möchte ich zur Abwechselung gern einmal mitspielen, das würde mir in der Seele wohltun.


Ich zittre nur, ich stottre nur,

Und kann es doch nicht lassen,

Ich fühl's, ich geh auf falscher Spur

Und dennoch muß ich spaßen.


Er steigt zum Theater hinauf.


Und somit, Herr Skaramuz, überlaßt mir nur gutwillig Eure komische Rolle, und Ihr mögt dann, wie gesagt, den Apollo übernehmen.

SKARAMUZ. Ich stehe zu Befehl; wenn ich Ihnen mit meiner ganzen Eigentümlichkeit aufwarten kann, so haben Sie zu gebieten.

GRÜNHELM. Allzu gütig, allzu gütig, nur ganz gehorsamst zu bitten.

POET. Aber was soll denn aus meinem vortrefflichen Schauspiele werden?

PIERROT zu den Zuschauern um ihn. Meine Herren, unterstützen Sie des Skaramuz' Gesuch; ich versichre Sie, ich schwöre es Ihnen zu, er wird den Apollo herrlich machen.[280]

ZUSCHAUER. Skaramuz soll den Apollo spielen, und zwar auf lautes Begehren.

POET. Nun gut, ich wasche meine Hände, ob sie mir gleich gebunden sind; das Publikum mag alles zu verantworten haben.

PUBLIKUM. Wir getrauen es uns zu verantworten.

POET. Ich bin im größten Elende – ach freilich, ist es die Bestimmung unserer Kunst, gänzlich mißverstanden und travestiert zu werden, und leider gefallen wir dann am meisten. Das Urteil, das an dem Marsyas vollzogen wurde, wird zur Vergeltung jetzt nur zu oft an der Poesie ausgeübt. Ich weiß mich vor Schmerzen nicht zu lassen. Herr Grünhelm, Sie übernehmen also das Lustigmachen?

GRÜNHELM. Allerdings, mein Herr Poet, und ich will ganz gewiß meinen Mann stehn.

POET. Wie wollen Sie's denn anfangen?

GRÜNHELM. Herr, ich habe selber lange als ein Mann gedient, der sich damit abgibt, sich amüsieren zu lassen, ich meine als Zuschauer, darum weiß ich auch genau, was gefällt. Die Leute da unten wollen nämlich unterhalten sein; das ist im Grunde der einzige Grund, warum sie so still und ruhig dastehn.

POET. Gut! aber wie wollen Sie es denn machen?

GRÜNHELM. Sehn Sie, auf den guten Willen der Zuschauer kömmt freilich das meiste an, das weiß ich so gut, wie Sie; die wahre Kunst ist daher die, diesen guten Willen so recht emporzubringen, ich meine nämlich, daß die Gutherzigkeit oben bleibt.

POET. Nun freilich, aber eben die Mittel –

GRÜNHELM. Nun, das ist ja meine Sorge, Herr Poet, darum haben Sie sich ja gar nicht zu kümmern. Singt.


Der Vogelfänger bin ich ja, u.s.w.

ZUSCHAUER. Bravo! Bravo!

GRÜNHELM. Nun? Sehn Sie mein Herr, das ist nur eins von meinen Mitteln. – Sind Sie nicht ziemlich gut amüsiert meine Herren?

ZUSCHAUER. Exzellent! o ganz überaus vortrefflich!

GRÜNHELM. Haben Sie eine Sehnsucht nach etwas Verständigem?

ZUSCHAUER. Nein, nein; aber nachher wollen wir ein wenig gerührt sein.[281]

GRÜNHELM. Nur Geduld, es kann ja nicht alles in einem Haufen kommen. Vermissen Sie also wohl den ordentlichen Apollo?

ZUSCHAUER. Nicht im mindesten.

GRÜNHELM. Nun Herr Poet, was haben Sie also gegen den liebwertesten Skaramuz?

POET. Nicht das mindeste mehr, ich bin überführt. Geht ab.

ZUSCHAUER. Wir wollen aber auch nicht lauter Possen haben.

SKARAMUZ. Je behüt uns Gott vor solcher Sünde! Was wäre ich für ein Apollo, wenn ich das litte oder zugäbe? Nein, meine Herren, ernsthafte Sachen die Fülle, Sachen zum Nachdenken, damit doch auch der Verstand in einige Übung kömmt.


Ein Bote tritt auf.


SKARAMUZ. Was gibt's?

BOTE.

O mächtger Gott, der du mit deinem Witze

Von fernher triffst, der du die Leier schlägst,

Du, dem Homer noch manchen Namen gibt,

Die ich nicht all aus Eile nennen kann,

Ich komme dir zu sagen, daß dein Feind,

Den sonst die Sterblichen Apoll genannt,

(Weil sie in schnöder Unerfahrenheit

Die Tage ihres irdschen Daseins lebten),

Daß dieser, o Gebieter, fortgeflohn,

Und, wie man sagt, zu dieser Frist beim König

Admet der Schafe Hürden still bewahrt;

Dort übt er einsam leichte Hirtenlieder,

Und zähmt, wie uns Mythologie berichtet,

Die wilden Bären, Löwen, Panther, Tiger,

Und was ihm sonst noch vor die Fäuste kömmt,

Mit himmlischer Gewalt der Harmonie,

Die er dem silbern Saitenspiel entlockt.

SKARAMUZ. Dort mag er bleiben, und sich also auf die Idylle applizieren; daß er sich aber nur nimmermehr innerhalb der Grenzen dieses Theaters betreffen läßt, sonst soll er mit seinem Kopfe diesen Frevel büßen; – zum Überfluß mag noch ein Steckbrief in die Zeitungen gerückt werden. Geht ab.

BOTE. Dein Wille soll vollzogen werden.

SCÄVOLA. Ob es wohl eine Tragödie wird?

PIERROT. Nein, meine Herren, wir Schauspieler haben uns alle die Hand darauf gegeben, daß keiner von uns sterben will;[282] folglich geht's nimmermehr durch, wenn es auch der Dichter im Sinn haben sollte.

SCÄVOLA. Es ist auch besser so, denn ich bin mit einem gar zu zärtlichen Gemüt behaftet.

PIERROT. Zum Henker, Herr, unsereins ist auch nicht von Stahl und Eisen. Ich habe die Ehre, Ihnen zu versichern, daß ich ungemein fein empfinde; hol doch der Teufel das ungebildete Wesen!

SCÄVOLA. Das sag ich auch immer, denn warum sind wir wohl sonst Menschen?

PIERROT. Und sogar Zuschauer?

SCÄVOLA. Ei freilich hat das Ding sehr viel auf sich; so ein Zuschauer ist gleichsam das Höchste, was man werden kann.

PIERROT. Freilich! Sind wir denn nicht mehr, als alle die Kaiser und Fürsten, die dort nur vorgestellt werden?

SCÄVOLA. Eben darum müssen wir uns auch ganz gewaltig in der Bildung erhalten.

PIERROT. Hochmut will Zwang haben.

SKARAMUZ. Aber tausend Element! wo bleibt denn, ins Henkers Namen, mein Parnaß?

GRÜNHELM. Es ist auch wahr, ich will ihn den Augenblick schicken. Ab.

WAGEMANN. Nun ist ja wohl alles in Ordnung. Adieu, Herr Skaramuz.

SKARAMUZ. Ergebenster, bitte der Frau Gemahlin meine gehorsamste Empfehlung zu machen. Der Directeur geht ab. Vier Statisten bringen den Parnaß herein. Nur da hingestellt – so – etwas hier weiter her, damit ich den Souffleur besser hören kann. Er steigt hinauf und setzt sich. Recht schön sitzt es sich hier. – Wieviel trägt mir aber der Berg ein? Wer weiß mir das zu sagen? – Der Schatzmeister soll kommen.

SCHATZMEISTER tritt auf.

SKARAMUZ. Was trägt mir der Berg jährlich?

SCHATZMEISTER. Unter Dero Vorweser war der Kastalische Quell die einzige Einnahme.

SKARAMUZ. Was war das für ein Quell? Ein Gesundbrunnen etwa? ein Sauer- oder Schwefelbrunnen? Wurde er viel verschickt? Wie teuer verkaufte man die Flasche?

SCHATZMEISTER. Er wurde selten verschickt, und das wenige[283] wurde verschenkt. Fast niemand wollte das Wasser gut finden; Ihr Vorweser, der ci-devant Apollon mochte es gern.

SKARAMUZ. Und weiter nichts? Hängt kein Vorwerk mit dem Berge zusammen, kein Wiesenwachs? Was hab ich an Vieh, an Gänsen, Hühnern und dergleichen einzunehmen?

SCHATZMEISTER. Von allen diesem weiß ich nichts.

SKARAMUZ. O so muß ich notwendig meine Grundstücke verbessern; da mag der Henker Euer Apoll sein, wenn so ein magres Einkommen bei der Stelle ist. – Und auch keine Zehnden?

SCHATZMEISTER. Nichts von dieser Art.

SKARAMUZ. Es sind doch etwa nicht noch gar Schulden auf dem Berg.

SCHATZMEISTER. Nein, Ihro Majestät.

SKARAMUZ. Nun, das ist gut. So müßt Ihr, Schatzmeister, aber gleich Geld aufnehmen, der Kreditor hat die erste Hypothek. – Steht der Parnaß in der Feuerkasse?

SCHATZMEISTER. O ja.

SKARAMUZ. So sind wir also vor Unglück gesichert. – Eine Brauerei und ein Backhaus soll da unten zu meinen Füßen angelegt werden.

SCHATZMEISTER. Ganz wohl.

SKARAMUZ. Die Gemein Weiden werden abgestellt; mit dem Pegasus und allem übrigen Vieh, das mir gehört, wird die Stallfütterung eingeführt.

SCHATZMEISTER. Ganz wohl.

SKARAMUZ. Ihr werdet die Bücher darüber gelesen haben, es ist von ausgemachtem Nutzen. – Die Zuschauer haben doch die Komödie bezahlt?

SCHATZMEISTER. Ja, Ihro Exzellenz.

SKARAMUZ. Ich erlasse ein strenges Verbot, daß alle Freibillets aufhören sollen.

SCHATZMEISTER. Das sind aber alles ganz neue Einrichtungen, mein König, von denen Griechenland nichts wußte.

SKARAMUZ. Was Griechenland! Wir leben jetzt gottlob in bessern Zeiten. – Apropos, gut, daß ich daran denke. Du sagtest mir vorher vom Kastalischen Brunnen; aus dem Dinge muß ein Gesundbrunnen gemacht werden.

SCHATZMEISTER. Wie ist das möglich?

SKARAMUZ. Die Möglichkeit ist meine Sorge; genug, daß ich viel Geld dafür einnehmen werde; denn ich will den Leuten[284] weismachen lassen, daß sie sich alle Gebrechen der Seele und des Leibes mit diesem Wasser heilen können – aber- umsonst ist der Tod.

SCHATZMEISTER. Ihr Vorgänger kannte keine einzige Münzsorte.

SKARAMUZ. Das war auch ein Narr, und ein Mensch, der, wenn man ihn beim Lichte besieht, in die fabelhaften Zeiten fällt. Jetzt aber hat die Aufklärung um sich gegriffen und ich regiere. – Laßt mir einmal die Musen kommen.


Schatzmeister ab.

Die Neun Musen treten auf, und verneigen sich.


SKARAMUZ mit leichtem Kopfnicken. Freut mich, die wertgeschätzten Mademoisells kennenzulernen. Hoffe, wir sollen uns immer gut vertragen. Sie wohnen nun bei mir auf dem Parnaß zur Miete; wenn Sie ausziehn wollen, müssen Sie mir ein Vierteljahr vorher aufkündigen. – Wie heißen Sie denn, mein schönes Kind.

MELPOMENE. Ich bin Melpomene.

SKARAMUZ. Sie sehn so bekümmert aus.

MELPOMENE. Ach, Herr Apollo! ich bin aus einem sehr guten Hause. Mein Vater war Hofrat, und der Edle ließ mir eine unvergleichliche Erziehung zukommen. Ach! wie war ich in meiner guten Eltern Hause glücklich, und wie bestrebte ich mich, eine gute zärtliche Tochter zu sein! Ich hatte auch einen Geliebten, aber dieser verließ mich aus Stolz, weil er sich hatte adeln lassen; meine Eltern starben nachher vor Kummer. Ein guter Mensch, unser Hausdoktor, nahm sich zwar meiner an, aber er war zu arm, als daß er mich hätte heiraten können, und so bin ich denn aus Desparation unter die Musen gegangen. Hab ich nun nicht ein Recht, traurig zu sein?

SKARAMUZ. Ja wohl, mein Kind, aber ich will als ein Vater für Sie sorgen.

SCÄVOLA zu einem andern. Nun seht doch um Gottes willen, wie mir da schon die Tränen aus den Augen laufen.

DER ANDERE. Ei Gevatter, so schont Euch doch zum fünften Akt.

SKARAMUZ. Und wer sind Sie, schönes Kind?

THALIA. Danke der gütigen Nachfrage, mein Herr; mit meinem Taufnamen heiße ich Thalia, ich habe lange bei den wertgeschätzten[285] Eltern dieser guten Person gedient, und da will ich auch jetzt nicht von ihr lassen, sondern bin ihr sogar bis unter die Musen gefolgt.

SKARAMUZ. Warte den letzten Akt ab, so kann deine Treue unmöglich unbelohnt bleiben. – Wo ist mein Stallmeister?


Der Stallmeister kömmt.


SKARAMUZ. Den Pegasus, ich will spazierenreiten. – Stallmeister ab, und kommt sogleich mit einem aufgezäumten Esel zurück. Hilf mir.

STALLMEISTER. In welchem Silbenmaße wollen sich Ihre Gnaden heut erlustigen?

SKARAMUZ. O Narr, ich will eine schlichte vernünftige Prosa reiten. Denkst du, daß ich mich vom alcäischen Vers will zerstoßen lassen, oder gar in den verfluchten Proceleusmatikern den Hals brechen? Nein, ich liebe Vernunft und Ordnung.

STALLMEISTER. Ihr Vorfahr flog immer in der Luft.

SKARAMUZ. Redet mir von dem Kerl nicht mehr; das muß ja ein rechter Hans Narr, ein rechter exzentrischer Esel gewesen sein. In der Luft zu fliegen! Nein, die Luft hat keine Balken, ich lobe mir die Erde. – Adieu, meine Freunde! ich will nur eine kleine Abhandlung über den Nutzen der Familiengemälde reiten, und bin gleich wieder da. Er reitet langsam fort.


Der Vorhang fällt.


SCÄVOLA. Das war nun nämlich die Einleitung.

PIERROT. So ein erster Akt ist immer zum Verständnis notwendig.

DER ANDERE zu Scävola. In dem Stück liegt viel Moral.

SCÄVOLA. Gewiß, ich fange schon an, besser zu werden.

PIERROT. Die Musik!


Orchester

Adagio. As Moll


Wie alles forteilt! Wie in dieser Sterblichkeit so gar nichts standhält! Womit willst du das Leben des Menschen vergleichen? Mit dem Schatten? Mit der Wolke? Ach! beide sind[286] immer noch zuverlässiger, als dieser Hauch, der uns jetzt beseelt, und im nächsten Augenblicke verschwunden ist.

So erfüllt jetzt der schmeichelnde Ton der Musik die Luft, und jede Luftwelle erzittert vor Freude, und doch darf nur der Finger innehalten, so verstummen alle diese beredten Geister, so fällt das glänzende Gebäude zusammen, und keine Spur aller der Kristalle und funkelnden Regenbogen bleibt zurück, die sich jetzt so majestätisch auf und nieder bewegen. Wenn nicht alles vergänglich wäre, o was fänden wir dann noch zu klagen Ursach?

Das Lachen schweigt, die Begebenheiten des Stücks laufen zu Ende, der Vorhang fällt endlich zum letztenmal, die Zuschauer gehn nach Hause. Einmal kommen sie dann nicht wieder, sie sind fortgegangen, niemand kann sagen, wohin; niemand kann sie erfragen, keiner betritt die schreckliche, grauenvolle Wüste, der jemals wiederkäme. Ach du schwaches, leichtzerbrechliches Menschenleben! Ich will dich immer als ein Kunstwerk betrachten, das mich ergötzt und das einen Schluß haben muß, damit es ein Kunstwerk sein und mich ergötzen könne. Dann bin ich stets zufrieden, dann bin ich von gemeiner Freude und von dem lastenden Trübsinne gleich weit entfernt. O daß nur alle Freunde mit mir bleiben, bis ich selber nicht mehr bin, daß sie kein Seufzer und keine Träne vergebens suchen darf.

Quelle:
Ludwig Tieck: Werke in vier Bänden. Band 2, München 1963, S. 277-287.
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