Sechste Szene


[302] Wald.

Apollo, wilde Tiere.


EIN LÖWE. Ich bin Ihnen unendlich verbunden, Herr Schäfer; Sie haben mit Ihrer vortrefflichen Kunst so lange an mir gezähmt, bis es Ihnen doch gelungen ist, etwas Bildung in mich hineinzubringen.

LEOPARD. Ich bin auch gesittet und spüre ein ordentliches Verlangen nach den Künsten in mir, so wie nach guter Gesellschaft.

TIGER. Wenn man mir jetzt eine Pension gäbe, würde ich mich nur wenig mit Würgen beschäftigen.

APOLLO. Ich freue mich, wenn ich Ihnen habe nützlich sein können.


Die Tiere gehn ab.

Aulicus und Myrtill.


AULICUS. Herr Schäfer, Ihr habt da viele Lasterhafte gebessert, wollt Ihr nicht auch an uns den Versuch machen?

APOLLO. An meinem Beistande soll's nicht fehlen.

MYRTILL. Dauert die Operation aber lange? denn ich habe nicht viel Zeit übrig.

APOLLO. Nachdem eure Herzen verhärtet sind.

AULICUS. Nun, nur immer frisch dran, wir müssen doch wohl von der Kultur etwas abbekommen. Ich will mich nicht von solchem Rhinozeros beschämen lassen.

APOLLO. Kommt denn und hört meine Lieder.


Sie gehn ab.

Der Vorhang fällt.


PIERROT. Auf diese Lieder wär ich wohl begierig.

SCÄVOLA. Sie würden uns gar zu weich machen, und darum ist es wohl besser, daß wir sie nicht hören.

Pierrot. Je nun, es ist ein ganz guter Kniff, sich aus der Affäre zu ziehn, daß man sie hinter der Szene spielen läßt.


Musik

[302] Allegro

In welcher Trunkenheit jauchzt unser Geist, wenn es ihm einst vergönnt ist, tausend wechselnde, bunte, schwebende, tanzende Gestalten zu erblicken, die stets erneut und verjüngt in ihm aufsteigen. Angerührt, angelacht von tausendfältiger Liebe wickelt die Seele sich in Lieder von allen Farben und jubelt himmelan, daß das träge alltägliche Leben sie lange nicht wiederfindet.

Wie ein goldner Funke ein Feuerwerk anzündet, daß sich alle Räder glühend drehn, und alle Sterne in ihren Kreisen funkeln, die Flamme freiwillig die verschlungenen Linien durchläuft, und alles in buntflammende Bewegung treibt, daß das trunkene Auge staunend sich ergötzt, und den Strudel der wechselnden farbigen Flammen mit Entzücken betrachtet: so ist es mit den wankenden, glänzenden Bildern, die die Freude uns vorführt. Ach! was war es, wenn es vorüber ist? Oder wenn du es mit kunstrichterlichem Auge siehst? Laß dem magischen Feuer seinen Lauf, die wunderliche Stickerei nimmt sich nur auf einem dunkeln Nachtgrunde aus; beim hellen Tageslicht würde sie nüchtern und verlegen mit allen ihren Farben kokettieren.

Wißt ihr denn, was ihr wollt, die ihr in allen Dingen den Zusammenhang sucht? Wenn der goldne Wein im Glase blinkt, und der gute Geist von dort in euch hineinsteigt; wenn ihr Leben und Seele in doppelter Wirkung empfindet, und alle Schleusen eures Wesens geöffnet sind, durch die das zurückgehaltene Entzücken mächtiglich hinbraust; wenn dann die letzten Tiefen, in die noch kein Ton drang, widerklingen; wenn alles sich in eine Melodie gesellt, und in der Luft verwandte Geister unsichtbare Tänze feiern – was denkt ihr da, und was vermögt ihr da zu ordnen? Ihr genießt euch selbst und die harmonische Verwirrung.

Ja, könnten wir in dieser Fülle nur immer schwelgen, müßten wir nicht auch im Wahnsinn nüchtern und mäßig sein, um das Holdseligste, Törichtste, Weiseste in uns selbst nicht zu vernichten durch Überfülle. Doch heilig seien mir jene Stunden, in denen ich von der Ambrosia nippen durfte; nie will ich sie in der Erinnerung schmähn, um ihrer wert zu bleiben.[303]

Quelle:
Ludwig Tieck: Werke in vier Bänden. Band 2, München 1963, S. 302-304.
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