Viertes Kapitel

[968] Franz blieb länger in Florenz, als er sich vorgenommen hatte, sein neuer Freund Castellani ward krank, und Sternbald war gutherzig genug, ihm Gesellschaft zu leisten, da jener zu Florenz fast ganz fremde war. Er konnte den Bitten seiner jungen Frau, der freundlichen Lenore, sich nicht widersetzen, und da er in Florenz für seine Kunst noch genug zu lernen fand, so gereute ihn auch dieser Abschub nicht.

Es ereignete sich außerdem noch ein sonderbarer Vorfall. Es fügte sich oft, daß er bei seinen Besuchen seinen Freund nicht sprechen konnte, Lenore war dann allein, und noch ehe er es bemerken konnte, war er an sie gefesselt. Er kam bald nur, um sie zu sehen. Lenore schien gegen Franz sehr gefällig, ihre schalkhaften Augen sahen ihn immer lustig an, ihr mutwilliges Gespräch war immer belebt. An einem Morgen entdeckte sie ihm unverhohlen, daß Castellani nicht mit ihr verheiratet sei, sie reise, sie lebe nur mit ihm, in Turin habe sie ihn kennengelernt, und er sei ihr damals liebenswürdig vorgekommen. Franz war sehr verlegen, was er antworten solle; ihn entzückte der leichte, flatterhafte Sinn dieses Weibes, obgleich er ihn verdammen mußte, ihre Gestalt, ihre Freundlichkeit gegen ihn. Sie sahen sich öfter und waren bald einverstanden; Franz machte sich Vorwürfe, aber er war zu schwach, dies Band wieder zu zerreißen.

Es gelang ihm, mit einem Maler in Florenz in Bekanntschaft zu geraten, der niemand anders war, als Franz Rustici, der damals in dieser Stadt und Italien in großem Ansehn stand. Dieser verschaffte ihm ein Bild zu malen, und schien an Sternbald Anteil zu nehmen. Sie sahen sich öfter, und Franz ward in Rusticis Freundschaft aufgenommen.

Dieser Maler war ein lustiger, offener Mann, der ernst sein konnte, wenn er wollte, aber immer für leichten Scherz Zeit genug übrigbehielt. Franz besuchte ihn oft, um von ihm zu lernen und sich an seinen sinnreichen Gesprächen zu ergötzen. Rustici war ein angesehener Mann in Florenz, aus einer guten Familie, der bei Andrea Verocchio und dem berühmten Leonard da Vinci seine Kunst erlernt hatte. Franz bewunderte den großen Ausdruck an seinen Bildern, die wohlüberdachte Komposition.

Nachdem sich beide oft gesehen hatten, sagte Rustici an einem Tage zu Sternbald: »Mein lieber deutscher Freund, besucht mich am künftigen Sonnabend in meinem Garten vor dem Tore, wir wollen dort lustig miteinander sein, wie es sich für Künstler[968] ziemt. Wir machen oft eine fröhliche Gesellschaft zusammen, zu der der Maler Andrea gehört, den Ihr kennt, und den man immer del Sarto von seinem Vater her zu nennen pflegt; dieser wird auch dort sein. Die Reihe, einen Schmaus zu geben, ist nun an mich gekommen, Ihr mögt auch Eure Geliebte mitbringen, denn wir wollen tanzen, lachen und scherzen.«

»Wenn ich nun keine habe, die ich mitbringen kann«, antwortete Franz.

»Oh, mein Freund«, sagte der Florentiner, »ich würde Euch für keinen guten Künstler halten, wenn es Euch daran fehlen sollte. Die Liebe ist die halbe Malerei, sie gehört mit zu den Lehrmeistern in der Kunst. Vergeßt mich nicht, und seid in meiner Gesellschaft recht fröhlich.«

Franz verließ ihn. Castellani war nach Genua gereist, um dort einen Arzt, seinen Freund, zu sehen, seine Geliebte war in Florenz zurückgeblieben. Franz bat um ihre Gesellschaft auf den kommenden Schmaus, die sie ihm auch zusagte, da sie sich wenig um die Reden der Leute kümmerte.

Der Tag des Festes war gekommen. Lenore hatte ihren schönsten Putz angelegt, und war liebenswürdiger, als gewöhnlich. Franz war zufrieden, daß sie Aufmerksamkeit und Flüstern erregte, als er sie durch die Straßen der Stadt führte. Sie schien sich auch an seiner Seite zu gefallen, denn Franz war jetzt in der blühendsten Periode seines Lebens, sein Ansehn war munter, sein Auge feurig, seine Wangen rot, sein Schritt und Gang edel, beinahe stolz. Er hatte die Demut und Schüchternheit fast ganz abgelegt, die ihn bis dahin immer noch als einen Fremden kennbar machte. Er geriet nun nicht mehr so, wie sonst, in Verlegenheit, wenn ein Maler seine Arbeiten lobte, weil er sich auch daran mehr gewöhnt hatte.

Sternbald fand schon einen Teil der Gesellschaft versammelt, die ganz aus jungen Männern und Mädchen oder schönen Weibern bestand. Er grüßte den Meister Andrea freundlich, der ihn schon kannte, und der ihm mit seiner gewöhnlichen leichtsinnigen und doch blöden Art dankte. Man erwartete den Wirt, von dem sein Schüler Bandinelli erzählte, daß er nur noch ein fertiges Gemälde in der Stadt nach dem Eigentümer gebracht habe, und eine ansehnliche Summe dafür empfangen werde.

Der Garten war anmutig mit Blumengängen geschmückt, mit schönen grünen Rasenplätzen dazwischen und dunkeln, schattigen Gängen. Das Wetter war schön, ein erfrischender Wind spielte durch die laue Luft, und erregte ein stetes Flüstern in den[969] bewegten Bäumen. Die großen Blumen dufteten, alle Gesichter waren fröhlich.

Francesco Rustici kam endlich, nachdem man ihn lange erwartet hatte, er näherte sich der Gesellschaft freundlich, und hatte das kleine Körbchen in der Hand, in dem er immer seine Barschaft zu tragen pflegte. Er grüßte alle höflich, und bewillkommte Franz vorzüglich freundschaftlich. Andrea ging aufgeräumt auf ihn zu, und sagte: »Nun, Freund, du hast noch vorher ein ansehnliches Geschäft abgemacht, lege deinen Schatz ab, der dir zur Last fällt, vergiß deine Malereien, und sei nun ganz mit uns fröhlich.«

Francesco warf lachend den leeren Korb ins Gebüsch, und rief aus: »Oh, mein Freund, heute fallen mir keine Geldsummen zur Last, ich habe nichts mehr.«

»Du bist nicht bezahlt worden?« rief Andrea aus, »ja, ich kenne die vornehmen und reichen Leute, die es gar nicht wissen und nicht zu begreifen scheinen, in welche Not ein armer Künstler geraten kann, der ihnen nun endlich seine fertige Arbeit bringt, und doch mit leeren Händen wieder zurückgehen muß. Ich bin manchmal schon so böse geworden, daß ich Pinsel und Palette nachher in den Winkel warf und die ganze Malereikunst verfluchte. Sei nicht böse darüber, Francesco, du mußt dich ein paar unnütze Gänge nicht verdrießen lassen.«

»Er ist bezahlt«, sagte ein junger Mann, der mit dem Maler gekommen war.

»Und wo hat er denn sein Geld gelassen?« fragte Andrea verwundert.

»Ihr kennt ja seine Art«, fuhr jener fort, »wie er keinen Armen vor sich sehen kann, ohne ihn zu beschenken, wenn er Geld bei sich hat. Kaum sahen sie ihn daher heute aus dem Palast kommen und seinen bekannten Korb an seinem Arm, als ihm auch alle Bettler folgen, die mit seiner Gutherzigkeit bekannt sind. Er gab jedem reichlich, und nahm es nicht übel, daß einige darunter waren, denen er erst gestern gegeben hatte; als ich es ihm heimlich sagte, antwortete er lachend: ›Mein Freund, sie wollen aber heute wieder essen.‹ Ein alter Mann stand von der Seite und sah dem Austeilen zu, er heftete die Augen aufmerksam auf den Korb, und seufzte für sich: ›Ach Gott, wenn ich doch nur das Geld hätte, das in diesem Korbe ist!‹ Francesco hatte es unvermuteterweise gehört. Er geht auf den Alten zu, und frägt, ob es ihn glücklich machen würde? ›Oh, mich und meine Familie‹, ruft jener, ›aber seid nicht böse, ich dachte nicht, daß Ihr es[970] hören würdet.‹ – Sogleich kehrt mein launiger Francesco den ganzen Korb um, und schüttet ihn dem alten Bettler in seine lederne Mütze, geht davon, ohne auch nur den Dank abzuwarten.«

»Ihr seid ein edler Mann!« rief Sternbald aus.

»Oh, Ihr irrt«, sagte der Maler, »es ist gar nichts Besonderes, ich kann den Armen nicht sehen, es jammert mich, und so gebe ich ihm wenigstens, da ich nicht mehr tun kann. Bei diesem Alten fiel mir ein, wie manche unnütze Ausgaben ich in meinem Leben schon gemacht hätte, wie wenig ich aufopfre, wenn ich mir eine Tapete oder ein kostbares Hausgerät versage. Ich dachte: ›Wenn du nun kein Geld bekommen, wenn du das Gemälde gar nicht gemalt hättest?‹ Ich sah Kinder und seine alte zerlumpte Gattin in Gedanken vor mir, die mit so heißer Sehnsucht seine Rückkehr erwarteten.«

»Aber wenn du so handeln willst«, sagte Andrea, »so kannst du deinem Geben gar keinen Einhalt tun.«

»Das ist es eben, was mich betrübt«, fuhr Rustici fort, »daß ich meine Gutherzigkeit einschränken muß, daß alles, was wir an Wohltaten tun können, nichts ist, weil wir nicht immer, weil wir nicht alles geben können. Es ist eine sonderbare Fügung des Schicksals, daß Überfluß und Pracht und drückender Mangel dicht nebeneinander bestehen müssen, die Armut auf Erden kann niemals aufgehoben werden, und wenn alle Menschen gleich wären, müßten sie alle betteln, und keiner könnte geben. Das allein tröstet mich auch oft darüber, wenn mir einfällt, daß ich mich bei meiner Kunst wohl befinde, indessen andre, die weit härtere Arbeiten tun, die weit fleißiger sind, Mangel leiden müssen. Hier ist auf Erden See und Weltmeer, hier strömen große Flüsse, dort leiden die heißen Ebenen, die wenigen Pflanzen ersterben aus Mangel am nötigen Wasser. Einer soll gar nicht dem andern nützen, jedes Wesen in der Natur ist um sein selbst willen da. – Doch, wir müssen über das Gespräch nicht unsers Gastmahls vergessen.«

Er versammelte hierauf die Gesellschaft. Ein schöner Knabe ging mit einem Korbe voll großer Blumenkränze herum, jeder mußte einen davon nehmen und ihn sich auf die Stirn drücken. Nun setzte man sich um einen runden Tisch, der auf einem schattigen kühlen Platze im Garten gedeckt war, an allen Orten standen schöne Blumen, die Speisen wurden aufgetragen. Die Gesellschaft nahm sich sehr malerisch aus, mit den großen, vollen, bunten Kränzen, jeder saß bei seiner Geliebten, Wein ward herumgegeben, aus den Gebüschen erschallten Instrumente von unsichtbaren Musikanten.[971]

Rustici stand auf, und nahm ein volles Glas: »Nun zuerst«, rief er aus, »dem Stolze von Toskana, dem größten Manne, den das florentinische Vaterland hervorgebracht hat, dem großen Michael Agnolo Buonarotti!« – Alle stießen an, alle ließen ihr »Er lebe!« ertönen.

»Schade«, sagte Andrea, »daß unser wahnsinniger Camillo uns verlassen hat, und jetzt in Rom herumwandert, er würde uns eine Rede halten, die sich gut zu dieser Gelegenheit schickt.«

Muntere Trompeten ertönten zu den Gesundheiten, und Flöten mit Waldhörnern gemischt klangen, wenn sie schwiegen, vom entfernten Ende des Gartens. Die Schönen wurden erheitert, sie legten nun auch den Schleier ab, sie lösten die Locken aus ihren Fesseln, der Busen war bloß. Franz sagte: »Nur ein Künstler kann die Welt und ihre Freuden auf die wahre und edelste Art genießen, er hat das große Geheimnis erfunden, alles in Gold zu verwandeln. In Italien ist es, wo die Wollust die Vögel zum Singen antreibt, wo jeder kühle Baumschatten Liebe duftet, wo es dem Bache in den Mund gelegt ist, von Wonne zu rieseln und zu scherzen. In der Fremde, im Norden ist die Freude selbst eine Klage, man wagt dort nicht, den vorüberschwebenden Engel bei seinem großen goldenen Flügel herunterzuziehen.«

Ein Mädchen gegenüber nahm den Blumenstrauß von der weißen Brust, und warf ihn Franzen nach den Augen, indem sie ausrief: »Ihr solltet ein Dichter sein, Freund, und kein Maler, dann solltet Ihr lieben, und Euch täglich in einem neuen Sonette hören lassen.«

»Nehmt mich zu Eurem Geliebten an«, rief Sternbald aus, »so mögt Ihr mich vielleicht begeistern. Diese Blumen will ich als ein Andenken an Eure Schönheit aufbewahren.«

»Sie welken«, sagte jene, »der liebliche Brunnquell, aus dem ihr Duft emporsteigt, versiegt, sie fallen zusammen, sie lassen die Häupter sinken, und freilich vergeht alles so, was schön genannt wird.«

Franz war von der wundervollen Versammlung, von den Blumen, den schönen Mädchen, Musik und Wein begeistert, er stand auf und sang:


»Warum Klagen, daß die Blume sinkt

Und in Asche bald zerfällt:

Daß mir heut ein lüstern Auge winkt

Und das Alter diesen Glanz entstellt.
[972]

Ihm mit allen Kräften nachzuringen,

Fest zu halten unsrer Schönen Hand –

Ja, die Liebe leiht die mächtgen Schwingen

Von Vergänglichkeit, sie knüpft das Band.


Sagt, was wäre Glück, was Liebe?

Keiner betete zu ihr

Wenn sie ewig bei uns bliebe,

Schönheit angefesselt hier.


Aber wenn auch keine Trennung droht,

Eifersucht und Ungetreue schweigen,

Alle sich der Liebe neigen,

Fürchten gleich Geliebte keinen Tod –


Ach! Vergänglichkeit knüpft schon die Ketten,

Denen kein Entrinnen möglich bleibt,

Lieb und Treue können hier nicht retten,

Wenn die harte Zeit Gesetze schreibt.


Darum geizen wir nach Küssen,

Beugen Schönen unser Knie,

Winke, Lippen, Lächeln grüßen

Allzuoft zur Freude nie.«


Als er geendigt hatte, schämte er sich seines Rausches, und Rustici rief aus: »Seht, meine Landsleute, da einen Deutschen, der uns Italiener beschämt! Er wird uns alle unsre Schönen abtrünnig machen.«

Andrea sagte: »Ein Glück, daß ich noch Bräutigam bin, für meine Frau würd ich sehr besorgt sein. Aber seht ihn nur an, jetzt sitzt er so ernsthaft da, als wenn er auf eine Leichenrede dächte. Mir fällt dabei mein Lehrer Piero di Cosimo ein, der immer von so vielen recht trübseligen Gedanken beunruhigt wurde, der sich vor dem Tode über alle Maßen fürchtete, der sich unter sonderbaren Phantomen abängstigte, und sich doch wieder an recht reizenden, ja ich möchte beinahe sagen, leichtfertigen Phantasieen ergötzte.«

Rustici sagte: »Er war gewiß eins der seltsamsten Gemüter, die noch auf Erden gelebt haben, seine Bilder sind zart und vom Geiste der Wollust und Lieblichkeit beseelt, und er saß, gleich einem Gefangenen, in sich selber eingeschlossen, seine Hand nur[973] ragte aus dem Kerker hervor, und hatte keinen Teil an seinem übrigen Menschen. Seine Kunst lustwandelte auf grüner Wiese, indem seine Phantasie den Tod herbeirief, und tolle, schwermütige Maskeraden erfand.«

Das Gespräch der Maler ward hier unterbrochen, denn die Mädchen und jungen Leute sprachen von allerhand lustigen Neuigkeiten aus der Stadt, wodurch die Sprechenden überstimmt wurden. Das lebhafte Mädchen, das Laura hieß, erzählte von einigen Nachbarinnen aus der Stadt überaus fröhliche Geschichten, die keiner als Franz anstößig fand. Er saß ihren schwarzen Augen gegenüber, die ihn unablässig verfolgten, bei jeder lebhaften Bewegung, wenn sie sich vorüberbog, machte sie den schönsten Busen sichtbarer, ihre Arme wurden ganz frei, und zeigten die weißeste Rundung. – Lenore ward etwas eifersüchtig, und entblößte ihre Arme, um sie mit denen ihrer Gegnerin zu vergleichen, die übrigen Mädchen lachten.

Andrea und Francesco hatten sich abseits unter einen Baum gesetzt, und führten ein ernsthaftes Gespräch; beide waren von Wein begeistert. »Du verstehst mich nicht«, sagte Rustici mit vielem Eifer, »der Sinn dafür ist dir verschlossen, ich gebe aber darum doch meine Bemühungen nicht auf. Glaube nur, mein Bester, daß zu allen großen Dingen eine Offenbarung gehört, wenn sie sich unsern Sinnen mitteilen sollen, ein Gast muß plötzlich herabsteigen, der unsern Geist mit seinem fremden Einfluß durchdringt. So ist es auch mit der erhabenen Kunst der Alchimie beschaffen.«

»Es ist und bleibt immer unbegreiflich«, sagte der langsamere Andrea, »daß du durch Zeichen und wunderbare, unverständliche Verbindungen so viel ausrichten willst.«

»Laß mich nur erst zum Ende kommen«, eiferte Francesco, »so sind diese Verbindungen nicht mehr wunderbar, so erscheint alles einfach und klar vor unsern Augen. Die anscheinende Verwirrung muß uns nur nicht abschrecken, es ist die Ordnung selbst, die in diesen Buchstaben, in diesen unverständlichen Hieroglyphen uns gleichsam stammelnd oder wie aus der Ferne anredet. Treten wir nur dreist näher hinzu, so wird jede Silbe deutlicher, und wir verwundern uns denn nur darüber, daß wir uns vorher verwundern konnten. Ein guter Geist hat dem Sternbald eingegeben, zu sagen, daß sich alles unter der Hand des Künstlers in Gold verwandle. Wie schwierig ist der Anfang zu jeglicher Kunst! Und wird nicht alles in dieser Welt verwandelt und aus unkenntlichen Massen zu fremdartigen Massen erzogen? Warum[974] soll es mit den Metallen anders sein? Schweben nicht über die ganze Natur wohltätige Geister, die nur Seltsamkeiten aushauchen, nur in einer Atmosphäre von Unbegreiflichkeiten leben, und so wie der Mensch alles sich gleich oder ähnlich macht, sie ebenso alle Elemente umher, wenn sie noch so feindselig sind, noch so träge in der Alltäglichkeit sich herumbewegen, anrühren und in Wunder umschaffen. An diese Geister müssen wir glauben, um auf sie zu wirken; du mußt der Begeisterung beim Malen vertrauen, und du weißt nicht, was sie ist, woher sie kömmt, die Geisteratmosphäre umweht dich und es geschieht: – mit unserm innerlichen Seelenothem müssen wir jene Geisterwelt herbeisaugen, unser Herz muß sie magnetisch an sich reißen, und siehe, sie muß ihrer Natur nach, durch ihre bloße Gegenwart das unbegreifliche Wunder wirken.«

Andrea wollte etwas antworten, als die Trompeten laut ertönten, und ihr sonderbares Gespräch unterbrachen. »Ihr seid«, sagte die schalkhafte Laura, »sehr ernsthaft geworden.«

»Verzeiht«, antwortete der freundliche Rustici, »ich kann meine Natur nicht immer ganz beherrschen, und alle süßen Töne der Instrumente und der Sängerin ziehen sie zur Melancholie. Ich habe mich oft gefragt: woher? warum? aber ich kann mir selber keine Rechenschaft geben.«

»Ihr werdet vielleicht dadurch an trübselige Gegenstände erinnert«, sagte Laura.

»Nein, das ist es nicht«, fuhr der Maler fort, »sondern mir ist im Gegenteil innerlich dann sehr wohl, meine Freude, die wie ein gefangener Adler in Ketten gesessen hat, schlägt nun mit einem Male die muntern, tapfern Schwingen auseinander. Ich fühle, wie die Kette zerreißt, die mich noch an der Erde hielt, über die Wolken hinaus, über die Bergspitzen hinüber, der Sonne entgegen mein Flug gewendet. Aber nun verlieren sich unter mir die Farben, und die Abwechselungen und Absonderungen der bunten Welt. Ich bin frei, aber die Freiheit genügt mir nicht, ich kehre zurück und reiße mich von neuem empor. Es ist, als wenn Stimmen mich erinnerten, daß ich schon einst viel glücklicher gewesen sei, und daß ich auf dieses Glück von neuem hoffen müsse. Die Musik ist es nicht selbst, die so zu mir spricht, aber ich höre sie wie abgebrochene Laute aus einer ehemaligen verlornen Welt, die ganz und durchaus nur Musik war, die nicht Teile, Abgesonderheit hatte, sondern wie ein einziger Wohllaut, lauter Biegsamkeit und Glück dahinschwebte, und meinen Geist auf ihren weichen Schwanenfedern trug, statt daß er auch jetzt noch[975] auf den süßesten Tönen wie auf Steinen liegt, und sein Unglück fühlt und beklagt.«

»So ist Euch nicht zu helfen, phantastischer lieber Maler und Freund«, sagte Laura lachend, indem sie ihm die weiße Hand reichte, die er ehrerbietig küßte. Dann drehte sie sich von ihm, und sprach im Getümmel der übrigen Mädchen umher, sie hatten beschlossen, daß sie nun, da es kühl geworden war, einen muntern Tanz aufführen wollten, wie ihn die fröhlichen Landleute in Italien zu tanzen pflegen.

Der Tanz ging vor sich, aber Sternbald und Lenore blieben zurück, weil er es nicht wagen mochte, diese leichten, schnellen und ihm ungewöhnlichen Bewegungen mitzumachen, um die übrigen nicht durch seine Ungeschicklichkeit zu verwirren. Laura tanzte von allen am zierlichsten, ohne alle Bemühung gelangen ihr die schwierigsten Stellungen und die schnellsten Veränderungen. Franz ergötzte sich an den leichten, flatternden Gewändern, an den schön verschlungenen Figuren. Die zierlichsten Füße schwebten, trippelten und sprangen auf und ab, im Schwunge des Rocks ward das leichte, wohlgeformte Bein sichtbar, weiße Arme und Busen, üppige Hüften, die das Gewand deckte und verriet, zogen das Auge nach sich, und verwirrten es in dem fröhlichen Tumult. Laura und einige andre junge Mädchen waren ausgelassen, wenn sie im Sprunge in den Arm ihres Tänzers flogen, hob dieser sie im Schwunge hoch, und in der Luft schwebend sangen sie Stellen aus Liebesliedern in die Musik hinein.

Der wilde, bacchantische Taumel war beschlossen, ein andrer Tanz, der Zärtlichkeit ausdrückte, wurde angeordnet, auch Lenore und Sternbald schlossen sich dem Reihen an. – Eine sanfte Musik erklang, die Paare umschlangen sich und schwebten hinauf und hinab, die Hände und Arme begegneten sich wieder, und Busen an Busen geschmiegt, begann eine neue Wendung. Da sah man die verführerischsten Stellungen knüpfen, alle Gelenke wurden biegsamer, Franz war wie in Trunkenheit verloren. Die Luft duftete ihnen Wonne und Freude entgegen, wie auf den Wellen der Musik schwebte er an Lauras oder Lenorens Arm einher, in jedem tanzenden Gesicht kam ihm ein schalkhafter Engel entgegen, der ihm Entzücken predigte. Er drückte Lauras Hand, die seine Zärtlichkeit erwiderte.

Man ruhte im Schatten der Bäume aus. Knaben gaben kühlende, wohlschmeckende Früchte herum, die Schönen lagerten sich im Grase. Andrea war vom Tanz erhitzt und sagte: »Seht, mein Freund Sternbald, so müßt ihr Deutsche erst nach Italien[976] kommen, um zu lernen, was schön sei, hier erst offenbart sich euch Natur und Kunst. In eurem trüben Norden ist es der Imagination unmöglich, ihre Flügel auszudehnen und das Edle zu empfinden.«

»Mein Lehrmeister, Albrecht Dürer«, sagte Franz, »den Ihr doch für einen großen Mann erkennen müßt, ist nicht hier gewesen.«

Andrea sagte: »Wie sehr wünschen aber auch alle Kunstfreunde, daß er sich möchte hierherbemüht haben, um erst einzusehn, wie viel er ist, und dann zu lernen, was er mit seinem großen Talente ausrichten könne. So aber, wie er ist, ist er merkwürdig genug, doch ohne Bedeutung für die Kunst, der Italiener mit weit geringerem Talente wird doch immer den Sieg über ihn davontragen.«

»Ihr seid unbillig«, fuhr Sternbald auf, »ja undankbar, denn ohne ihn, ohne seine Erfindungen würden sich manche Eurer Gemälde ohne Figuren behelfen müssen.«

»Ihr müßt nicht heftig werden«, sagte der lindernde Francesco, »wahr ist es, Dürer ist Andreas hülfreicher Freund, und vielleicht verlästert er ihn eben darum, weil er sich der Dienste zu gut bewußt ist, die jener ihm geleistet hat. Aber wir wollen lieber ein Gespräch abbrechen, das Euch nur erhitzt.«

Die Musik lärmte dazwischen, Andrea, der wenig streitsüchtig war, gab seine Meinung auf, die Tänze fingen von neuem an. Es wurde Abend: manche von der Gesellschaft gingen nach Hause, einigen wurden von ihren Dienern Pferde gebracht. Rustici ließ eins der schönsten Pferde in den Garten kommen, und setzte sich hinauf, indem er durch die Baumgänge ritt, die mutwillige Laura ließ sich zu ihm hinaufheben, und in einem leichten Galopp ritt sie hin und her, indem sie vor dem Maler saß, der sie mit seinen Armen festhielt. Franz bewunderte das schöne Gemälde, er glaubte den Raub der Dejanire vor sich zu sehn, der Kranz in ihren Haaren schwankte und drohte herabzufallen, leicht saß sie oben, und doch von einer kleinen Ängstlichkeit beunruhigt, die sie noch schöner machte: das Pferd hob sich majestätisch, auf seine Beute stolz. Zwei Trompeten bliesen einen mutigen Marsch, die prächtigen Töne begleiteten die Bewegungen des Rosses; und der gewandte und starke Rustici saß wie ein Gott oben.

Die zurückgebliebenen Freunde führte Francesco nun nach einem andern Teile seines Gartens. Hier war ein runder Zirkel von Bäumen, und Festons und Girlanden von allerhand Blumen[977] hingen in den Zweigen und schaukelten im Abendwinde, farbige Lampen brannten dazwischen, dämmernde Lauben waren in den Baumnischen angelegt. Wein und Früchte wurden genossen: die zärtlichen Paare saßen nebeneinander, Musik ermunterte sie, ihr Liebesgespräch zu führen.

Quelle:
Ludwig Tieck: Werke in vier Bänden, Band 1, München 1963, S. 968-978.
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