[207] Es ist ein bekanntes Sprichwort: daß auch Bücher, größere wie kleinere, ihre Schicksale haben. So waren es nur unvermutete Hindernisse, Störungen und Zufälle, welche veranlaßten, daß gegenwärtige Novelle nicht schon vor vielen Jahren den Lesern mitgeteilt wurde. Der Plan zu dieser Erzählung ist geradezu einer meiner frühesten Entwürfe, denn er entstand schon im Frühjahr 1795. Der Wunsch, klare und bestimmte Ausschnitte unsers echten deutschen Lebens, seiner Verhältnisse und Aussichten wahrhaft zu zeichnen, regte sich lebhaft in mir. Cervantes' Novellen hatten mich schon damals begeistert. Manche andere Entwürfe wurden ausgeführt, und drängten diese Novelle, welche meine früheste war, und den Anlaß zu den spätern gab, zurück. Erst im Jahre 1811 begann ich die Ausarbeitung, die jetzt sich mehr ausdehnte und bunter ausfiel, als es im ersten Entwurfe lag. Rasch schritt ich vor, und damals, wenn das Werk geendigt worden, war mancher Gedanke über Zünfte, Bürgerlichkeit und dergleichen mehr an der Tagesordnung; vieles gewissermaßen neu und noch unbesprochen. Die Ruhe aber fand sich nicht, um die Aufgabe zu vollenden, doch wurde schon im Jahre 1819 das, was geschrieben war, der Presse übergeben, und ich hoffte, mit dem Sommer meinem befreundeten Verleger das ganze Werk dessen Druck er sogleich begann, übersenden zu können. Diese Erfüllung ist aber jetzt erst eingetreten, und so bietet sich nun die Erfindung, so früh begonnen, so oft verzögert und so spät vollendet, dem Wohlwollen des Lesers.
Ein ähnliches Schicksal traf »den Aufruhr in den Cevennen«. Er wäre jetzt statt dieses Werkes erschienen, wenn mich nicht diese Laune aus meiner Jugend zu lebhaft angeregt hätte, sie fortzusetzen und zu beschließen. Da zu jenem unterbrochenen Werke längst alles vorbereitet ist, so darf ich hoffen, auch dies dem Publikum nächstens übergeben zu können.
Wenn die jüngere ungestüme Welt mich jetzt so oft aufruft und schilt, ich soll lernen, erfahren, mitgehen, verstehen und fassen,[207] und ich werfe einmal Blicke in diese Produkte meiner neuesten und frischesten Zeitgenossen, so kann ich mich des Lächelns nicht erwehren, weil so viele großen Entdeckungen und Wahrheiten schon längst in meinen Schriften, zum Teil den frühesten, stehen. Ich darf mir wohl das Zeugnis geben, daß ich immerdar forsche und mehr lerne, je älter ich werde; aber – wie Goethe auch schon einmal das veraltete Sprichwort auf sich anwendet – man soll oft erfahren und über das erstaunen, als über wichtige Entdeckung, was man schon längst an den Schuhsohlen abgelaufen hat. – Oberflächliche Allseitigkeit war mir immer verhaßt. Nur in seinem wahren Beruf kann der Mensch stark sein, irgendwo muß er ganz zu Hause sein und fest stehen; ich aber glaube nicht, daß ich mir willkührlich meine Kreise zu enge gezogen habe.
Es ist wohl nicht unbillig, von Rezensierenden, die mich tiefsinnig tadeln wollen, zu erwarten, daß sie meine Schriften gelesen haben. Da ich die Form der Novelle auch dazu geeignet halte, manches in konventioneller oder echter Sitte und Moral Hergebrachte überschreiten zu dürfen (wodurch sie auch vom Roman und dem Drama sich bestimmt unterscheidet), so mache ich in dieser Beziehung nur auf jene Andeutung aufmerksam, welche die Vorrede zum eilften Bande meiner gesammelten Schriften beschließt.
Dresden, im April-Monat.
L. Tieck
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Ausgewählte Ausgaben von
Der junge Tischlermeister
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