Der Gerichtsdiener

[122] Die Verhandlungen vor den Strafgerichten sind in Deutschland öffentlich. So? Da gehen Sie einmal nach Moabit und versuchen Sie die Probe aufs Exempel. Da sitzt vor jeder Tür ein bissiger Höllenhund und belfert. Und im Gerichtssaale wirft er Sie zwar nicht heraus, aber er gibt doch deutlich zu erkennen, daß eigentlich er hier Recht spricht . . .

Natürlich sind es kleine Unteroffiziere mit einem dreckigen Gehalt. Aber statt etwas dafür zu tun, daß es besser wird, schlagen sie sich auf die Seite ihrer Brotgeber – die übrigens so viel Kulanz gar nicht verlangen – und behandeln die Zuhörer, wie sich nur Deutsche behandeln lassen.

Einer steht im Zuschauerraum auf, weil ihm vermutlich die Beine eingeschlafen sind – schon ist jener da und befiehlt: »Setzen!« Was sind das alles für Dummheiten! Er soll lieber aufpassen, daß nicht so oft das Schild: ›Zuschauerraum ist überfüllt!‹ an den Türen klebt, auch wenns leer ist, statt sich Übergriffe zu erlauben, die man nicht nur wörtlich beantworten sollte.

Eine Kleinigkeit – gewiß. Aber die ganze Indolenz, der ganze Stumpfsinn des Publikums zeigt sich hier, wo ein paar gehörige Zurückweisungen gegen einen genügen würden, um die ganze Gattung in Räson zu bekommen.

Jedes Volk hat die Subalternen, die es verdient. Diese hier verdienten – sagen wir . . . ein andres Volk.


  • · anonym
    Vorwärts, 18.10.1913.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 1, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 122.
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