Interview mit sich selbst

[151] »Herr Panter lassen bitten!« sagte der Diener.

Ich trat näher.

Die hohe Tür zum Arbeitszimmer des Meisters öffnete sich, der Diener schlug die Portiere zurück – ich ging hinein, die Tür schloß sich hinter mir.

Da saß der Meister massig am Schreibtisch: ein fast dick zu nennender Mann, er trug ein gepflegtes Cäsarenprofil zur Schau, an dem nur die Doppelkinne etwas störten. Borstig stachen die Haare in die Luft, in den blanken Knopfaugen lag wohlig-zufriedenes Behagen. Er erhob sich.

»Ich begrüße Sie, junger Mann«, sagte er zu mir. »Nehmen Sie Platz und erörtern Sie mir Ihren merkwürdigen Brief!«

Befangen setzte ich mich.

»Sie fragen mich da«, sagte der Meister und legte seine dicke Hand mit den blankpolierten Nagelschildchen so, daß ich sie sehen mußte, »ob ich Ihnen einen Rat für Ihre Zukunft zu geben vermag. Sie fügen hinzu, Sie seien von dem hohen Streben nach einem Ideal durchdrungen. Sie stießen sich am Leben, das Ihnen kantig erscheine – das war Ihr Wort –, und Sie wollten sich bei mir Rats holen. Nun, junger Mann, der kann Ihnen werden!«

Ich verbeugte mich dankend.

»Zunächst«, sprach der Meister, »was sind Sie von Beruf?«

»Ich bin gar nichts«, sagte ich und schämte mich.

»Hm –« machte der Meister und wiegte bedenklich das Haupt. »Wozu brauchen Sie da noch Rat? Nun, immerhin . . . ich bin zu Ihrer Verfügung.«

»Meister«, sagte ich und faßte mir ein Herz, »lehren Sie mich, wie man zu Erfolg kommt. Wie haben Sie Erfolg gehabt? Diesen Erfolg?« Und ich wies auf das komfortabel hergerichtete Gemach: Bücher mit goldverzierten Pergamentrücken standen in wuchtigen Regalen, eine bronzene Stehlampe strahlte behaglich gedämpftes Licht aus, und der breit ausladende Aschbecher, der vor mir stand, war aus schwarzgeädertem Marmor. »Woher das alles?« sagte ich fragend.

Der Meister lächelte seltsam.

»Erfolg? Sie wollen wissen, wie ich Erfolg gehabt habe, junger Mann? Junger, junger Brausekopf! Nun: ich habe mich gebeugt.«

»Nie täte ich das. Nie!« sagte ich emphatisch.

»Sie müssen es tun«, sagte er. »Sie werden es tun. Was taten Sie im Krieg?«

»Ich war«, sagte ich und sah auf meine Stiefelspitzen, »Schipper.«

»Falsch!« sagte er. »Wären Sie ein tüchtiger Kerl und lebensklug, so hätten Sie anderswo sitzen müssen: in einer Presseabteilung, bei[151] der politischen Polizei, was weiß ich. Wissen Sie, was ein Kompromiß ist? Können Sie Konzessionen machen?«

»Niemals!« rief ich.

»Sie müssen sie machen. Sie werden sie machen. Sehen Sie mich an: ich bin die nahrhafte Frucht der Kompromisse. Man muß im Leben vorwärtskommen, junger Freund!«

»Aber die Wahrheit? Aber die Ideale?« rief ich lauter, als schicklich war. »Aber das, wofür zu leben sich verlohnt? Noch bin ich ein Stürmer und Dränger, und das will ich bleiben! Mord Mord heißen, auch wenn eine Fahne darüber weht, einen Streber einen Streber, auch wenn er Geheimer Regierungsrat ist, eine Clique eine Clique, und stände eine ganze Stadt dahinter! Das ist es, was ich will! Helfen Sie mir! Weisen Sie mir den Weg, wie ich meine Pläne verwirklichen kann, zu meinem Heile, und, wie ich glaube, zum Heile der Menschen!«

Ich hatte mich in Begeisterung gesprochen; meine Wangen glühten, meine Lippen waren geöffnet und zitterten leise.

Der Meister lächelte. Der große Meister Peter Panter lächelte.

»Mein lieber junger Freund«, hob er an, »hören Sie mir genau zu. Auch ich begreife Ihre edle Gesinnung, die Ihnen alle Ehre macht. Auch ich wünsche, daß die Menschheit so edel wäre, wie Sie sie machen möchten. Auch ich bin, ich kann es wohl sagen, ein Vertreter des Guten, Wahren und Schönen. Ich liebe das Gute, Wahre und Schöne, ja, ich verehre es. Aber, mein lieber junger Freund, hart im Raume stoßen sich die Sachen! Man muß mit der Realität rechnen, sich klug beugen, wenns not tut . . . «

»Ich mag mich nicht beugen«, unterbrach ich ihn trotzig.

»Sie werden sich beugen. Sie müssen sich beugen. Eines Tages werden Sie auch Ihrerseits Geld verdienen wollen, und Sie beugen sich. Es ist so leicht. Es ist so süß; ein kleines Nachgeben, ein leichtes Wiegen des Kopfes, ein winziges Verleugnen der Grundsätzchen, und Sie sind ein beliebter, angesehener, überall freundlich aufgenommener junger Mann! Wollen Sie das?«

Ich schüttelte verächtlich den Kopf.

»Aber, aber!« begütigte der Meister. »Bedenken Sie, was Sie machen! Sie werden heiraten wollen, eine Familie gründen, einen Hausstand – und Sie werden sich beugen. Was haben Sie und alle andern von diesen Prinzipien, von diesem starren Festhalten an der Wahrheit oder was Sie so nennen! Da sehen Sie hingegen: was kostet es mich denn? Ich bin freundlich zu allen Leuten, ich sage zu allem Ja, wo Sie vielleicht entrüstet Nein sagen würden, und ich kann schweigen. Schweigen kostet gar nichts. Schweigen ist die Perle in der Krone der menschlichen Künste. Schweigen Sie!«

»Ich muß sprechen!« sagte ich laut.

»Sie müssen nicht. I, wer wird denn müssen! Schweigen Sie,[152] beugen Sie sich! Beugen Sie sich vor dem Geld und beugen Sie sich vor dem Ruhm, beugen Sie sich vor der Macht – vor der zu allererst – und beugen Sie sich vor den Frauen – und was wird Ihr Lohn sein?«

Er lehnte sich zurück und lächelte satt.

»Ich lebe«, fuhr er fort, »wie Sie sehen, auf gutem Fuß, und ich bin recht zufrieden. In meinem Haus verkehren Priester und Ärzte, Offiziere und Künstler – und keinem tue ich je etwas in meinen Schriften zuleide, und jeder bekommt eine gute Flasche Rotwein. Glauben Sie, ich sehe nicht, was dahintersteckt? Aber es kümmert mich nicht. Sie lesen meine Werke, sie kaufen meine Bücher – was will ich mehr? Bin ich angestellt, ihnen die Wahrheit zu sagen, die unbequeme, harte Wahrheit?«

»Wir alle sind angestellt, den Menschen die Wahrheit zu sagen!« sagte ich.

»Ich nicht«, sagte der Meister, »ich nicht. Ich habe diese Anstellung gekündigt, und seitdem geht es mir sehr gut. Und seitdem habe ich was ich brauche, mehr als ich brauche; meine Tochter heiratet demnächst einen Fabrikbesitzer. Ja.«

»Soll ich heiraten?« fragte ich.

»Die, die Sie lieben, nicht – denn ich ahne: sie hat kein Geld. Heiraten Sie die Tochter eines reichen Mannes; Raum ist in der kleinsten Villa – aber eine Villa muß es sein. Rauchen Sie?«

»Nein«, sagte ich, »ich rauche nicht. Ich . . . «

»Rauchen Sie!« sagte er freundlich. »Es dämpft ab. Und hören Sie auf mich, der ich oben auf der Leiter stehe, die Sie zu besteigen im Begriff sind. Der Erfolg ist alles. Sie erwerben ihn durch viererlei: durch den Kompromiß, durch Schweigen; durch Zuhören und durch Schmeichelei bei den alten Leuten. Verstehn Sie das, dann sind Sie ein gemachter Mann! Und es ist so angenehm, ein gemachter Mann zu sein!«

Er strahlte fett und sah aus wie ein Mime nach dem Applaus.

Ich erhob mich und blickte ihn fragend und erhitzt an.

»Sie werden mir heute noch widersprechen«, sagte Peter Panter. »In dreißig Jahren tun Sie es nicht mehr. Sorgen Sie, daß es dann nicht zu spät ist! Gehaben Sie sich wohl, und lassen Sie es sich gut gehn!«

Ich nahm die dargebotene Hand und stürzte hinaus.


Drinnen saß der Meister an seinem prunkvollen Diplomatenschreibtisch und schüttelte lächelnd den Kopf. »Diese jungen Leute«, sagte er. »Das will mit dem Kopf durch die Wand und schlauer sein als unsereiner. Nun, jede Erfahrung muß jeder an sich selbst machen! Aber nun will ich ein wenig Tee trinken! Franz!«

Und er schellte.

[153] Draußen aber am Gitter stand ich, die gußeiserne Türklinke des Parktors in der Hand, von Haß geschüttelt, von Wut verzerrt, ohnmächtig, giftig-böse und im Innern fühlend, daß der andre zum mindesten für sich recht hatte.

Und ich sagte: »Ein ekelhafter Kerl.«


  • [154] · Peter Panter
    Berliner Tageblatt, 03.09.1919, Nr. 414, wieder in: Lerne Lachen.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 10, Reinbek bei Hamburg 1975.
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