|
[240] Eines Tages – das war ungefähr acht Jahre, nachdem die Schwerindustrie ihr Geld in den »Berliner Lokalanzeiger« gesteckt hatte – beschloß ein großes Konsortium edler Menschenfreunde, diese Zeitung für pazifistische Betrebungen anzukaufen, und es entspannen sich lebhafte Verhandlungen mit dem Verlag, die dann auch zum Abschluß führten. Der neue Herr fragte an, zu welchem Termin die Redakteure ihren Posten verlassen wollten – aber da kam er schön an! »Wir haben schon so viele Schwenkungen mitgemacht«, wandten die Herren ein. »Auf eine mehr oder weniger kommts auch nicht an! Wir bleiben.«
Und so geschahs, und nun spielten sich auf der neuen alten Redaktion folgende Szenen ab:
»Telegramm aus Amerongen – Seine Majestät, pardon, der Exkaiser ist leicht unpäßlich! Holzbock? Wo ist Holzbock?«
»Lärmen Sie doch nicht so! Der Exkaiser kann uns leid tun; sagen Sie lieber: Was ist mit der Großnichte von Bebel? Kriege ich nun das Bild oder kriege ichs nicht?«
»Wir bringen nicht nur ihr Bild, wir bringen auch einen Leitartikel von ihr. Die Frau kann zwar nicht schreiben, aber das haben unsre Leitartikler schließlich auch nie gekonnt. Vergessen Sie übrigens nicht: morgen ist der fünfte Jahrestag von Liebknechts Ermordung – einen flammenden[240] Artikel und Erinnerung an den edeln Verblichenen . . . Holzbock! Wo ist Holzbock?«
»Der ist nicht da. Er interviewt Radekn – hier, den Anfang haben wir schon: ›Ich stehe nicht an, vor coram publico zu erklären . . . «‹
»Herr Meyer! Herr Meyer! Wollen Sie entlassen werden? Dann sagen Sies. Was soll uns der siebenundzwanzigste Januar? He? Was soll er uns? Diese lächerlichen Anachronismen lassen Sie besser weg. Sie – Sie – Monarchist! Nur die Völkerversöhnung auf republikanischer Grundlage . . . Sie, was wird aber doch, wenn die Nationalen die Oberhand bekommen? Es sieht fast so aus. Und dann? Und dann? Wo ist Holzbock? Dann sitzen wir am Ende in der Opposition!«
Der Chefredakteur tritt ins Zimmer und spricht mit Emphase: »Ein Lokalanzeiger steht niemals in der Opposition!«