Sorrent

[453] Wie die Tage so golden verfliegen,

wie die Nacht sich so selig verträumt –

wenn am Abend bechiffonte Ziegen

vor der Theke sich wogen und wiegen –

wo der Sekt Gottbehüte noch schäumt . . .

Wo im Schleier – ich danke, Herr Franke –

junge Nutten den Beifox vollziehn . . .

O du schimmernde Blüte der Panke!

Sei gegrüßt, du mein schönes Berlin –!


Und die Nacht, wenn bei Rotters sie toben,

dem Claqueure der Handschuh zerplatzt –

wenn Annoncen, so bilderdurchwoben,

ihre Herren preisen und loben –

wenn die Loge futtert und schmatzt . . .

»Wat is denn det hier forn Jestanke?

Wer eßt hier Käse? Ham Sien?« . . .

O du schimmernde Blüte der Panke!

Sei gegrüßt, du mein schönes Berlin –!


Wo mit müde verzogenen Lippen

junger Gent kalten Schleichhändler frißt –

wo Chauffeure die schweinernen Rippen

in die fettige Brihsuppe stippen –

wo der Fahrgast die Taxe vergißt . . .

Da begrabt mich mit Efeugeranke,

mit Ranunkeln und weißem Jasmin – –[453]

Hier leben? Mensch, welch Gedanke!

O du schimmernde Blüte der Panke!

Sei gegrüßt, du mein schönes Berlin –!


  • · Theobald Tiger
    Die Weltbühne, 16.12.1920, Nr. 51, S. 705.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 2, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 453-454.
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