|
[31] Bis zum letzten Hauch von Mann und Roß!
Awrumele Schabbesdeckel, aus Riga gebürtig, kommt 1914, vor dem Kriege, über die Grenze nach Berlin. Am Schlagbaum, vor Memel, hagelt es Fußtritte. »Dreckiger Jud!« – Aber er wutscht hinüber. Nun ist Awrumele weiß Gott nicht der beste Mann – der ›Litwak‹, wie die Juden ihre lettischen Glaubensgenossen nennen, kommt gleich hinter und gleich vor dem Pferdestehlen. Gut, er kommt hinüber.
Fängt hier in Berlin irgend etwas an, eine Messerschleiferei – handelt, vermittelt, nutzt den Krieg aus, schiebt, dreht und windet sich – und steht heute mit 18 Millionen da. Nu? Haß und Neid – aber er steht da.
Aber da kommen die neuen Steuergesetze – »Erlauben Sie mir, wie komm ich dazu? – Lächerlich!« Und mit der ganzen Kraft seiner[31] Rasse, die nie – um keinen Preis – untergeht, schlängelt sich Herr Schabbesdeckel um diese Steuergesetze. – Und wird erwischt.
Und wenn er nun erwischt werden würde –: was meint ihr, würde er für eine Presse – und – was meint ihr – würde er für ein Gericht finden? Ich dächte ein strenges. Urteilsbegründung und Zeitungsaufsatz könnte ich im Traum hinschreiben: von den ›landfremden Elementen‹ würde etwas darin stehen – von den ›darbenden Mitbürgers‹ – der alte gute Antisemiticus von der »Täglichen Rundschau« würde nachts nicht schlafen – und Awrumele hätte sehr lange im Gefängnis Zeit, über sich und Deutschland nachzudenken.
Soweit Schabbesdeckel. –
Der Prinz Eitel-Friedrich von Hohenzollern ist wegen Kapitalverschiebung ins Ausland verurteilt worden. Ja, Deutscher, das –– Das ist ganz was anders –!
Hatte man das Sitzungszimmer vorher desinfiziert? Hatte Moabit geflaggt? Viel gefehlt hat nicht.
Zunächst brauchte der Prinz nicht auf der Anklagebank zu erscheinen. Er hatte so viel in seinen Papieren nachzusehen . . . Nachtigall, ich hör dir laufen . . . ! Aber ich kenne eine Reihe ehrenwerter Männer, die, um politischer Vergehen angeklagt, dieselbe Bank auszufüllen hatten, auf der Zuhälter, Einbrecher und Mörder gesessen hatten. Der Prinz nicht. »Dem Prinzen wurde gestattet, neben seinen Verteidigern Platz zu nehmen.« Königliche Hoheit waren im Cut erschienen, mit jenen Metallorden versehen, die sein hoher Vater ihm zu verleihen die Hohe Gnade hatte.
Der Zuhörerraum ist fast leer. Die Verhandlung ist zwar öffentlich – aber man hatte – nach alter bewährter Methode Moabits, wo die Öffentlichkeit durch das Verhalten der Justizwachtmeister längst zur Farce geworden ist –, man hatte offenbar nicht ›genügend Karten‹ ausgegeben – um Königlicher Hoheit Peinlichkeiten zu ersparen. Ich kenne eine Reihe ehrenwerter Männer, die einmal in ihrem Leben gestrauchelt sind – und die Blut und Wasser unter der Spießrutenallee von Augen schwitzten . . . Ein Mann war dem Weinen nahe. Und eine Öffentlichkeit glotzte. Hart. Und doch unvermeidlich. Wenn anders man zu einer Rechtspflege Vertrauen haben soll. Vertrauen? Wir haben längst keins mehr.
Der angeklagte Hohenzoller hat also Geld über die Grenze geschoben. Er hat das mit jenem berüchtigten Grußer gemacht, einem Hoflieferanten in Schiebungen. Der halbe preußische Hochadel ließ da arbeiten. Und mit bestem Erfolge. Dieser wurde zufällig gefaßt. Er soll über 300000 Mark verschoben haben. Immerhin eine ganz stattliche Summe.
Und nun wollen wir einmal Atem holen und uns erinnern. Nun wollen wir uns einmal an die alten Kaiserreden im Kriege erinnern –[32] an die Reden, die adlige, kaiserliche und andere militärische Führer im Kriege vor den Fronten krähten (vor den Kompaniefronten, bitte – vor der wirklichen Front ist kein kaiserlicher Prinz gefallen) – nun denkt einmal nach! Wißt ihr noch? »Bis zum letzten Hauch von Mann und Roß!« – »Ich, der ich hier auf dem verantwortungsvollsten Posten stehe!« – »Mit Gut und Blut!« – Nämlich anderer.
Wo ist das vielberufene Ehrgefühl der kaiserlichen Familie? Was war das für eine Verteidigung!
»Ich war Soldat und wußte nicht, daß dies verboten war.« Ach, du wußtest es nicht! Aber deine ›Kerls‹ – denen hast du doch wohl vorschriftsmäßig die letzten gesparten Goldstücke für jene Kriegsanleihen abgenommen, an denen Tausende kleiner Rentner ihr Geld verloren haben! Er wußte es nicht.
Und er müßte für seine Frau sorgen. Das wäre seine Pflicht. Auch die strafbaren Handlungen? Wenn eine solche Ausrede durchgeht, werden wir nächstens bei den großen Einbruchsprozessen unser blaues Wunder erleben . . .
Soldatisch der Dünkel, soldatisch der Horizont (wie ein Schnapsglas) – und soldatisch die Ausdrucksweise. »Ich hatte keinen Befehl zu einer solchen Verschiebung gegeben.« Lieber Freund, die Zeit ist vorbei. Und ein Kommando ›Kapital –– ver – schiebt‹ gibt es noch nicht.
Soweit der Schieber. Und das Gericht?
Habt ihr von einem deutschen Gericht erwartet, daß es die hohe Wonne ganz unterdrücken könnte, die darin liegt, mit einem Prinzen im selben Raum zu atmen? Keiner von uns hats erwartet, der diese Justiz kennt.
Über das Urteil ist nicht zu sprechen. Wir kennen die Akten nicht – und wir sind nicht so vorschnell wie jene Offiziere des alten Regimes, die alle Sozialdemokraten für Lumpen erklärten. Wir prüfen, bevor wir urteilen. 5000 M. (in Worten: Fünftausend Mark) hat der reiche Mann bezahlen müssen. – Ob dieses Urteil gerecht ist oder nicht, kann ich nicht sagen. Aber daß die psychologischen Hintergründe, aus denen geurteilt worden ist, nicht rein sind – das will ich beweisen.
Man kann sich denken, wie diesem Stellvertreter des preußischen lieben Gottes auf Erden zu Mute war, als er vor ein sogenanntes republikanisches Gericht treten mußte. Und nun frage ich alle, die jemals in Moabit zugehört haben und denen das Herz schneller schlug, als sie diese Richter amtieren sahen:
Hat jemals einer erlebt, daß ein Angeklagter nach den Vernehmungen durch seinen Anwalt verkünden ließ: »Ich habe nichts mehr zu sagen! Ich will nun gehen!« – Hat das jemals einer erlebt? Und glaubt einer, daß die preußischen Richter einem andern Angeklagten als diesem jemals das Recht eingeräumt hätten, auf die weitere Teilnahme an der Verhandlung gegen sich selbst zu verzichten?
[33] Es ist das erstemal, seit ich lesen kann. Den Prinzen ließ man gehen.
Und ich will euch den Grund sagen:
Der ungeheure Hochmut dieser Kaste ist noch nicht erloschen. Der Mann hat sich gesagt: Ich will von diesem bürgerlichen Gericht da keinen Spruch hören. Ich unterwerfe mich ihm nicht. Wenn mein Vermögensverwalter diese lächerliche Polizeistrafe bezahlt – so kann mir das recht sein. Eine Verurteilung erkenne ich nicht an.
Das heißt der Weggang des Prinzen. Das und nichts anderes.
Hat er nicht recht? Die Hohenzollern sind immer gute Geschäftemacher gewesen – gerade so hinterher wie jener Schabbesdeckel, gebürtig aus Riga, ansässig in Berlin. Nur nicht so gewandt.
Aber viel hochnäsiger.
Und eine Nation sieht zu, wie ein leibhaftiger Prinz vor einem ehrfurchtsvoll erschauernden Richterkollegium zögernd und schleppend ein paar gleichgültige Aussagen macht und dann frühstücken geht. Man erzählt sich von einem marburger Studenten, er habe, als er einmal des Nachts auf offener Straße ein Bedürfnis verrichtet habe, gerufen: »Schutzmann! Zahlen!« –
Dieser ruft: »Richter! Zahlen!« – Und geht frühstücken.
Wenn schon jede Nation die Rechtsprechung hat, die sie verdient, – diese haben wir denn doch nicht verdient.
Buchempfehlung
Nach zwanzig Jahren Krieg mit Sparta treten die Athenerinnen unter Frührung Lysistrates in den sexuellen Generalstreik, um ihre kriegswütigen Männer endlich zur Räson bringen. Als Lampito die Damen von Sparta zu ebensolcher Verweigerung bringen kann, geht der Plan schließlich auf.
58 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
444 Seiten, 19.80 Euro