Die Schupo

[210] Und da ich grade von den preußischen Verwaltungsbeamten erzähle, kann ich nicht umhin, ihrer Ehrlichkeit, Gewissenhaftigkeit, Pünktlichkeit das wohlverdiente Lob zu spenden. Doch muß ich die Bitte hinzufügen, sie möchten sich bei der Ausübung ihrer Pflichten nicht allzusehr gebärden, als befänden sie sich auf einer Sauhetze.

Jules Haret


Unsre Schutzpolizei ist keine Schutzpolizei. Denn weder ist ihre politische Haltung heute schon so, daß man sagen könnte, sie schütze (insbesondere durch ihre höhern Führer) die Republik, noch ist sie eine Polizei in dem Sinne, wie man dieses Wort auf der ganzen Welt versteht. Sie ist eine durch und durch militärische Organisation.

Wie außerordentlich verwickelt die Probleme in der Schutzpolizei sind, ist mir bekannt. Diese Polizei, ursprünglich eine Gründung der Hochverräter Pabst und Bauer, hat mit den größten Schwierigkeiten des Mannschaftsersatzes zu kämpfen; diese Mannschaften stehen in sehr harten Kämpfen mit einer sie arg bedrückenden Bürokratie und mit einer Führerkaste, die, für den Polizeidienst ungeeignet, militärisch ›orientiert‹ und daher selbstverständlich ein geschworener Gegner der Mannschaften ist.

Die Verhältnisse in Preußen liegen nun so, daß man im vierten Jahr der Republik es wagt, gegen die kümmerlichen Errungenschaften in der Schutzpolizei Sturm zu laufen. Diese destruktiven Angriffe von rechts herrichten sich besonders gegen die Person Abeggs, der Ministerialdirigent im preußischen Ministerium ist und im republikanischen Sinne manches für die Polizei getan hat. Auf die Interna der Schutzpolizei soll hier nächstens einmal eingegangen werden.

[210] In dem bewegten Hin und Her der Noten zwischen dem Reich und dem General Nollet wird von deutscher Seite immer wieder darauf hingewiesen, daß die deutsche Polizei keine militärische Institution sei. Diese Angabe ist falsch.

Ein höherer Polizeibeamter, der Polizeimajor Fendel-Sartorius, der Leiter der hessischen Landespolizeischule in Darmstadt, hat die Unvorsichtigkeit gehabt, seine Dienstanschauungen und Dienstanweisungen der Öffentlichkeit zu übergeben. Schon der Titel des Heftchens ist bezeichnend genug: ›Die Schutzpolizei und ihre Gefechtsgrundsätze‹ (im Roether-Verlag zu Darmstadt).

Zunächst hat eine rein polizeiliche Institution überhaupt keine Gefechtsgrundsätze, denn in ein Gefecht kann sie wohl verwickelt werden, wenn außergewöhnliche Umstände es erheischen – ist sie aber grundsätzlich für Gefechte vorgebildet, dann ist sie keine Polizei mehr, sondern eine militärische Truppe.

In dem Werk ist dauernd von ›polizeilichem Gefecht‹, ›polizeilicher Kampflehre‹ die Rede, und diese Anschauung ist nicht etwa die Marotte eines Sonderlings, sondern wird in der verantwortlichen Schrift eines Polizeimannes auf verantwortlichem Posten vertreten: »Sie bedarf naturgemäß noch gründlichster Ergänzung und Vervollständigung, um dereinst ein erschöpfendes Lehrbuch für den jungen Führer im Schutzpolizeiberuf zu werden.«

Der historische Überblick am Anfang des Buches gibt zu, daß ein großer Teil der Angehörigen der Schutzpolizei den Freikorps entnommen worden ist, also notorischen Räuberbanden, die in Deutschland Jahre hindurch der konterrevolutionäre Schrecken der Republik gewesen sind. »In einzelnen Fällen traten sogar geschlossene Verbände unter ihren bisherigen Führern zur Sicherheitspolizei über.« Der Verfasser, der sich seine polizeilichen Kampferfahrungen auf ähnlichem Boden geholt hat, bedauert den ›sogenannten Friedensvertrag‹ und will dafür sorgen, daß die Kampferfahrungen der Freikorps nicht wieder verloren gehen. Die Familienangehörigen der Toten von Liebknecht bis Rathenau werden ihm dafür danken.

Daß der Verfasser die deutsche Schutzpolizei mit den englischen Militärpolizeiverbänden in Irland vergleicht, zeigt, wie er seine eigne Heimat einschätzt. Die Phrasen über die Aufgaben der Polizei im Wirtschafts- und Volksleben nehmen sich in einem Leitfaden für das Kriegshandwerk doppelt lustig aus.

Weniger lustig ist das Versteckspiel, das darin besteht, die militärische Befehlssprache aus dem ›Polizeikampf‹ auszuschalten. Der Verfasser will für die Fechtweise der Polizei eine ›Spezialsprache‹ schaffen. (Für die jetzige Fechtweise gibt es eine; aber ich will ihre Terminologie nicht anwenden, weil ich der ›Weltbühne‹ keine langweilige Beleidigungsklage auf den Hals laden möchte.)

[211] Der Polizeimajor sieht dauernd rot. »Unsern Kampfgegner bezeichnen wir grundsätzlich nicht als Feind, denn das ist er ja nicht, sondern als Aufständigen, als Aufrührer oder dergleichen.« Welchen Eindruck dieses Gehirn von den Aufgaben einer Polizei hat, kann man aus folgendem Satz ersehen: »Der Eindruck, den ein einziger stramm ausgeführter Griff mit der Waffe auf die Masse der Aufständigen ausübt, ist nachgewiesenermaßen ein so gewaltiger, daß meist der tatsächliche Waffengebrauch erspart bleibt.«

Was ist ein ›Polizeigriff‹? Wir hatten bisher geglaubt, das sei jener berüchtigte Griff des Polizisten in den Nacken des Übeltäters. Wir haben geirrt. Polizeigriffe sind nach diesem Büchlein in der Hauptsache folgende:

Aufpflanzen des Seitengewehrs

Laden und Sichern

Anschlag

Abfeuern einer Salve

Marsch im Gleichschritt

Laufschritt in der geschlossenen Abteilung

Vordringen mit aufgepflanztem Seitengewehr.

Das sind ›Polizeigriffe‹. Und nun lese man die ›Gefechtsgrundsätze‹:

Da ist von ›Flanken- und Rückenangriff‹ die Rede, da findet sich der alte schöne Satz, der aus einer Felddienstordnung Wilhelms des Zweiten stammen könnte: »Zunächst hat der polizeiliche Führer die Verteidigung stets nur als vorübergehende Kampfart aufzufassen.« Hurra! Da spricht jener von ›Gefechtsdisziplin‹, spricht von einem ›feigen Heckenschützentum‹ (womit er wahrscheinlich die Mörder der oppositionellen Politiker meint) – und ganz deutlich wird, was der Herr Polizeimajor meint, hier: »Wird es möglich sein, bei künftigen Unruhen den Städtekampf ganz und gar zu vermeiden? Nein, denn die unruhestiftende Bevölkerung sitzt zum überwiegenden Teil in den Groß- und Industriestädten; ihre Führer halten sich dort auf, weil sie hier am leichtesten untertauchen können. Die Verstecke für Waffen und Munition befinden sich meist in den Städten . . . « Ach, nein. Die Verstecke für Waffen und Munition befinden sich dort, wo die schlimmsten Unruhestifter der Republik sitzen: auf dem Lande. Aber das braucht der Leiter einer Polizeischule nicht zu wissen. Und läßt seine Leute, die wir bezahlen, auf die Städte los. Ist es ein Wunder, wenn bei solcher Vorbildung Mißgriffe über Mißgriffe vorkommen –?

Unter den ›Erkundungen‹ (wie in Feindesland) steht: »Sind größere Fabrikbetriebe vorhanden? Wie ist die Stimmung der Arbeiterschaft? Wo wohnt die Hauptmasse der Arbeiter?«

Diese Felddienstordnung für den Frieden spricht weiterhin von einem ›Dorfgefecht‹ – und läßt in Geist und Ausdrucksweise durchaus Welt und Vorbildung des Verfassers erkennen.[212]

Hier muß einmal gesagt werden:

Ganz abgesehen von der politisch gefährlichen Einstellung solcher Männer ist vor allem gegen sie einzuwenden – nicht, daß sie altkonservative Monarchistenoffiziere sind, sondern: daß sie schlechte Polizeioffiziere sind! Diese von Offensivgeist erfüllten, einen steten verkappten Groll über die Republik im Herzen tragenden alten kaiserlichen Offiziere sind nicht geeignet, junge Polizeimannschaften zu erziehen. Was sie ihnen beibringen, ist Unfug und Zeitverschwendung. Das Resultat liegt klar:

Ein so vorgebildeter oder vielmehr verbildeter Polizeibeamter wird in jedem Mann – Gewerkschaftssekretär oder Lumpenproletarier –, der keinen Stehkragen trägt, einen ›Feind‹ erblicken und ihn dementsprechend behandeln. So erzieht man bissige Köter – aber so erzieht man keine Sicherheitspolizisten.

Auch nicht ein Gran von der Schwierigkeit einer Haussuchung scheint dem Polizeimajor bewußt zu sein – keine Ahnung von den zahllosen Schwierigkeiten des Auftretens in all den tausend Lagen, wo der Polizist zu bestehen hat; er steht nämlich nicht, wie der da glaubt, auf dem Kasernenhof, sondern mitten im bürgerlichen Leben. Um hier etwas ausrichten zu können, braucht man Takt, Menschenkenntnis, bürgerliche Geschicklichkeit und das feinste Verständnis für die Gesellschaftsklassen, mit denen man zu tun hat. Davon wissen die Herren offenbar nichts. Ist es doch bei der Prüfung auf einer Polizeischule Mitteldeutschlands passiert, daß ein Prüfling erklärte, wenn er einen Hochstapler zu verhaften habe, so gehe er zunächst ruhig und höflich auf ihn zu und frage ihn nach seinen Papieren. Wegen dieser ›schlappen Auffassung‹ fiel er beinah durch. »Allein durch die Macht Ihres Polizeiauges«, erklärte ihm später der Vorsitzende der Prüfungskommission, »müssen Sie den Mann sogleich in Respekt setzen!« Wer einmal in solch ein Polizeiauge gesehen hat, wird sich einer stillen Heiterkeit nicht erwehren können . . .

Das ist unsre Polizei. (Die den Reaktionären noch nicht forsch genug ist.) Haben wir eigentlich eine Republik oder haben wir keine?

Der Verfasser des Kriegsbuches für den Frieden bedauert, daß es immer noch Menschen gebe, die ihn und die Seinen für Soldaten hielten. Wie er hofft, wird allmählich auch unser eignes Volk begreifen, »daß es uniformierte Menschen gibt, die Waffen tragen und Kampfübungen vornehmen, und die doch etwas ganz andres sind als Soldaten«. Da kann er lange warten. Militär ist Militär – ob es grau oder grün ist. Dieses ist grün und rüstet im stillen für irgend etwas.

Und das wundert sich, wenn Note auf Note herunterprasselt, und wenn in der ganzen Welt das gärende Mißtrauen gegen diesen latenten Militarismus nicht schwinden will. (Und da letzten Endes auch für wirtschaftliche Maßnahmen psychologische Erwägungen ausschlaggebend[213] sind, so kann man sich die Stellung einer deutschen Delegation bei allen Verhandlungen vorstellen. Man glaubt ihnen niemals so recht . . . )

Das Ministerium des Innern aber sollte sich diese Polizeischule einmal ansehen. Und nicht diesen Herrn die Voreiligkeit seiner Publikation entgelten lassen, sondern ihn eliminieren: weil er kein Polizist ist, sondern ein Armeeoffizier, der seine Aufgabe verkennt.


  • · Ignaz Wrobel
    Die Weltbühne, 29.06.1922, Nr. 26, S. 642.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 3, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 210-214.
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