[225] Nicht der, der die Proben ansagt, auf Fragen falsche Antworten gibt, sich über nichts mehr wundert und überhaupt den Philosophen macht – den nennt man Theaterdiener, und das ist wieder ein andres Kapitel. Er ist der unbestechlichste Kritiker, den das Theater hat: er weiß wirklich Bescheid. Ich meine die Diener auf der Bühne.
Früher fingen ja alle Possen und Schwänke so an, daß das Stubenmädchen Lisette mit dem Staubpuschel in der Hand die Möbel abpuschelte, mit seidenen Strümpfen, kokettem Häubchen und vielen Blicken ins Parkett. Jean, der Diener, kam hinzu, und sie hatten einen Schwatz. »Nein, wie spät die Herrschaft gestern abend wieder nach Hause gekommen ist. Nicht doch –!« Denn Jean, der Genießer, hat sie in die Schürze gekniffen, und sie schämt sich, bekommt aber doch ihren Bühnenkuß. Da klingelt es, und herein tritt eine der Hauptpersonen des Stückes, die augenrollend und gewichtigen Schrittes das theatralische Vorgeplänkel von der Bühne fegt. Los gehts.
Seit Jahren sammle ich Bühnendiener. Und bin immer wieder erstaunt, was es da alles gibt.
Solange die Welt steht, hat sich noch keine Dienerschaft in irgendeinem Hause so benommen, wie es allabendlich auf den deutschen Bühnen der Bühnendiener tut. Es gäbe auch gar keine Herrschaft, die sich das gefallen ließe.
[225] Die Stubenmädchen kneifen sie ja nun nicht mehr, denn nach einem merkwürdigen Brauch werden solche Rollen oft mit jungen Leuten besetzt, die ihrem Habitus nach eher mit dem Herrn des Hauses ein Verhältnis anzuknüpfen nicht abgeneigt wären. Spitz und geziert rauscht der Edelkomparse herein. Und dann beginnt jenes seltsame Spiel, das sich auf fast allen Bühnen so eingebürgert hat, daß schon kein Mensch mehr etwas dabei findet. Der Diener macht sich nämlich dauernd über seine Herrschaft lustig.
Sei es nun, daß er seinen kleinen schauspielerischen Effekt haben möchte, sei es, daß er sich langweilt, oder daß er böse ist, eine solche Rolle spielen zu müssen – genug, er macht dauernd hörbar und unhörbar Tz! tz! tz! auf seine Herrschaft. Diener ziehen immer die Augenbrauen hoch, das ist richtig beobachtet –: aber sie tun das im Leben nur dem mäßig gekleideten Besucher gegenüber – seiner eignen Herrschaft kriecht der Diener in die Knopflöcher.
Diese Bühnendiener zucken die Achseln, werfen den Kopf hintenüber, sind über jeden Befehl schwer entrüstet und schockiert, und über alles, was die Herrschaft tut, spricht, handelt und anordnet, mokieren sie sich deutlichst, bis zum zweiten Rang inklusive. Wir Diener sind doch bessere Menschen . . .
Und wenn schon abgegangen sein muß, wenn schon ein Glas Wasser, ein Wagen, Herr X. herbeigeholt werden muß: dann gibt es einen Abgang, an dem ich immer viel größere Freude habe als an allen Auftritten der großen Herren. Der Diener hört, sagt beflissen: »Sehr wohl!«, aber doch mit jener Nuance im Ton, die einen gescheiten Diener von einer leider irrsinnigen Herrschaft trennt, geht, geht und hört gar nicht auf zu gehen. An der Tür tut er dann das, was merkwürdigerweise fast alle Schauspieler und besonders die kleinen, immer tun: er sieht noch einmal unendlich sehnsüchtig, klebend und hangend über die Bühne ins Publikum. Er kann den Blick nicht von dir wenden . . .
Nur der selige Paulig hat das nicht, weil er zuviel mit seinen Zungen zu schnalzen hatte. Und auch die treuen Diener ihres Herrn, Gottowt, Graetz, Haskel und Guido Herzfeld und andre gute Charakterspieler haben die gestreifte Dienerjacke mit anderm ausgefüllt.
Wenn Sie das nächste Mal ins Theater gehen: achten Sie auf den Bühnendiener. Ich, wann ich so einen hätt, ich tät ihm sofort heraußerschmeißen.