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[556] »In der linken Hand das treffliche Schwert, in der rechten den geladenen Revolver und in der dritten die todbringende Nudelrolle . . . « Wenn Theodor Heuss und Gertrud Bäumer, die guten Eltern des Reichs-Schund-Gesetzes, nicht wissen, daß diese Sätze Hans Reimanns Spaß sind, dann nehmen sie die Sache ernst und lassen Buch und Autor auf die Liste setzen. Heute können sie das: eine Schande ist Gesetz geworden.
Wer ist daran schuld –?
Als in den schweren Jahren, die auf den Revolutionsersatz von 1918 folgten, die Deutschen das Wort Chaos mit ›Unordnung‹ übersetzten, da tauchte im Film- und Zeitschriftenhandel manches auf, das man lieber nicht gesehen hätte. Dumme, ungraziöse Pornographie, grobes Zeug, das auf grobe Nerven grobe Wirkungen hervorbrachte . . . Diese Erscheinungen vervielfältigten sich, ließen dann nach und tauchten, sublimiert, wieder auf: Abenteurerlust, Freude am Schock, Lust zu gaffen, Pubertätsblasen, ethisch verkleisterte Roheiten – das kroch[556] anderswo als grade bei der Literatur unter und fand in Sport, Radio und vaterländischen Verbänden sein gutes Asyl. Das Übel war von heute. Die Bekämpfer von vorgestern.
Denn die Jugendbewegung der Erwachsenen ist etwa zur Hälfte von jenen durchsetzt, die nicht einmal mehr auf den schönen, alten Namen ›Steißtrommler‹ Anspruch machen können: sie spielen im Gegensatz zu denen im ganzen Orchester mit. Aber diese Kleinbürger, denen der deutsche Bevormundungsdrang in allen Fingern kribbelte, verstanden ihre Zeit nicht, und weil sie in ihrer Jugend einmal etwas von Hintertreppenliteratur gehört hatten, sahen sie in jedem der kleinen Schundhefte, deren Einfluß täglich abnahm, den Deckel zur Urne der ganzen Nation.
Unterstützt werden sie dabei von Frauen, die während Männe im Geschäft den Lohn der Mantelnäherin drückt, ihre freie Zeit mit einer herzlich harmlosen Betätigung verbringen: sie sind ›sozial eingestellt‹. Sie sahen auf ihren Amateur-Spaziergängen das hoffnungslose Elend im Proletariat; neue Wohnungen bauen konnten sie nicht, die Tuberkulose aus den ausgemergelten Arbeiterleibern herauskurieren konnten sie nicht, sie hatten wenig kräftiges Essen zu vergeben, Licht, Luft, Sonne, menschenwürdige Arbeit, das hatten sie alles nicht. Aber sie konnten die ›Schmutzschriften‹ abschaffen, also ein Symptom von achtrangiger Wichtigkeit beseitigen. An den Krankheitsherd selbst gingen sie nicht heran.
Der Unfug dieser G'schaftlhuber verdichtete sich unter der Führung Gertrud Bäumers und des Sozialdemokraten Heinrich Schulz zu einem Gesetzentwurf, der etwa anderthalb Jahre unbeachtet blieb. Die ursprünglichen Absichten dieser Gesetzesmacher waren wenig tief, aber in ihrer Art gut. Kein Schriftsteller konnte in der Absicht, diese Räuberromane zu verbieten, irgend eine Bedrohung der geistigen Freiheit erblicken. Nun ist aber Gertrud Bäumer eine Demokratin aus der Naumannschen Schlafwagengesellschaft Mitropa, und das ist eine sehr merkwürdige Gesellschaft.
So wie diese Gruppe der böseste Eideshelfer der Militärs im Kriege gewesen ist, so wie Bäumers Patriotismus da, wo er wacklig war, ein Buch unterschoben bekam, so sehen jene, die sich für die Eltern des Schundgesetzes halten, bis auf den heutigen Tag nicht, was sie angerichtet haben. Ihr Zusammenhang mit der Wirklichkeit läuft immer durch die Bürokratie irgend einer Organisation; sicherlich hat Frau Bäumer viel mehr Berichte über Schmutz und Schund gesehen, als unser neuer Nobelpreisträger Haare auf dem Kopfe hat. Aber sie fühlt weder die Wirklichkeiten des sozialen Lebens noch die Wirklichkeiten der Politik. Sie ist ohne die leiseste Ahnung von dem, was Politik wirklich ist: gewollte Änderung von staatlichen Machtverhältnissen.
Daß Theodor Heuss, der wacker mitgeholfen hat, verführt von dem[557] Beifall kleinbürgerlicher Versammlungssäle, ein ehrlicher, überzeugungstreuer und rechtschaffener Mann ist, verschlimmert die Sache noch. Wäre er politisch begabt, er könnte von mir aus weniger anständig sein. Der leicht säuerliche Knastergeruch eines tübinger Seminars durchzitterte die Luft, wenn der ehemalige Vorsitzende des Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller im Reichstage sprach, und wie er, der geistige Arbeiter, die Interessen seines eignen Standes an die Banausen verriet, das war umso übler, als er die Mittel dazu von den Schriftstellern entlehnt hatte. Mit Bildung, Lexikonkenntnis und einer sanften Philosophie wurde hier ein böses Werk getan.
Was Bäumer und Heuss für das Gesetz gesagt haben, das uns alle bedrücken wird, ist nachweislich Unfug.
Die Praxis wird zunächst keinen Skandal verursachen. Die Landesprüfstellen mit der Bezeichnung werden zunächst ausschließlich wirklichen Schund konfiszieren, eine Maßregel, gegen die nur zu sagen wäre, daß sie überflüssig ist; dann wird es still um das Gesetz werden. Die öffentliche Meinung wird sich nicht um jeden kleinen Mißgriff erregen, aber schon in dieser Ruhezeit wird es bei Besetzung der Laienrichterstellen durch reaktionäre Buchhändler (die gibts!) möglich, Erstlingswerke junger Schriftsteller zu verbieten. Die Verleger werden also noch weniger als bisher geneigt sein, das Risiko auf sich zu nehmen, radikalen jungen Menschen zum Wort zu verhelfen, und so wird wahrscheinlich eine Abwanderung dieser Verleger, ihrer Papierhändler und ihrer Buchbinder in das deutschsprachige Ausland erfolgen. Für die Steuereinnahmen sicherlich sehr nützlich, aber das braucht Frau Bäumer nicht zu wissen.
Der große Augenblick für das Gesetz wird erst gekommen sein, wenn einmal ein wichtiges politisches Werk, wahrscheinlich eine Broschüre, mit andern Mitteln nicht gefaßt werden kann. Die lächerlichen Sicherungsbestimmungen im Gesetz sind für die Katze, und es ist fast unbegreiflich, wie Frau Bäumer nach dieser Filmzensur ernsthaft fragen kann, ob denn »wirklich die Gefahr bestände, daß morgen die ›Wahlverwandtschaften‹ oder der ›Simplicissimus‹ auf die Schundliste kämen«!
Die demokratische Partei, die der aufrechte Theodor Wolff daraufhin erfreulicherweise verlassen hat, war in dieser Frage gespalten: unter den Ja-Sagern finden sich Fischbeck und Kopsch. Fischbeck . . . Kopsch . . . selige Erinnerungen tauchen auf . . .
Wenn unter dem damaligen Theaterdirektor des Opernhauses, der im Nebenberuf deutscher Kaiser war, alle Jahre wieder der Etat für kunstähnliche Verrichtungen preußischer Staatsbeamter im Abgeordnetenhause beraten wurde, dann stand gewöhnlich der Rektor Kopsch auf und zeigte dem Volke, daß er die Obertertia mit Erfolg besucht habe. »Man müßte sehr jung sein«, schrieb S. J. hier am 24. April 1913, »um für möglich zu halten, daß bei solcher Gelegenheit Hörer und[558] Leser ein Gefühl von den Interessen, den Kämpfen, den Lebensbedingungen der Kunst oder einer Kunstgattung bekommen. Was sie bekommen, sind vorwiegend geschwollene Reden, für die man sich notdürftig informiert hat, weil das die Wähler verlangen können. Wie sollte es sonst auch sein! Ein Mann dieses geistigen Schlages ist eine Session lang bemüht gewesen, bei dem Kuhhandel, der bei uns Innere Politik heißt, keinen Fehler zu machen, und wird plötzlich im Frühjahr vor die Notwendigkeit gestellt, sich um Dinge zu kümmern, die zwar hundertmal wichtiger sind als sein parlamentarisches Tagewerk, die er aber nie für voll genommen hat.« Bei dieser Gelegenheit also erhob sich denn gewöhnlich so eine liberale Gestalt und brachte, meist mit schüchternem Augenaufschlag nach oben und heftigem, vorahnendem Kitzel in der untern Rückengegend, vorsichtige Sprüche von allgemeiner Bedeutung vor; wie etwa: daß zwar einerseits der Staat, aber doch andrerseits auch die Freiheit der Kunst . . . und was man so als Liberaler zu sagen hat. Die Herren müssen heute je rund hundertundzweiundvierzig Jahr alt sein, und es ist immerhin erstaunlich, welche Wandlung diese Vorkämpfer eines geschändeten Liberalismus noch im hohen Alter zu verzeichnen haben. Rüstige Greise.
Sie bestätigen aber unsre Auffassung, daß die Rechtsbrüche, die Morde, die ungeheuerlichen Vergewaltigungen freier Menschen, die wir heute alle Tage erleben, unter dem Kaiser niemals möglich gewesen wären. Für Politiker, deren ganze Sorge um das Zustandekommen einer Großen Koalition kreist, ist das wahrscheinlich politisch abträglich gesprochen. Aber es ist wahr.
Die Demokraten, diese Handlanger der Reaktion, haben das Gesetz vorbereitet, und ihr Briefträger Külz, Maire von Zittau, hat die Geburtsanzeige zugestellt. Heuss strahlt, Frau Bäumer hält das Malheur der neuen Zensur für eine Erziehungsschule der Demokratie . . . Aber wer sind die wahren Eltern von dem Kind? Und hier wird die Geschichte sehr ernst.
Das Schundgesetz ist ein Gesetz des Zentrums.
Die Demokraten in ihrer tapsigen Blindheit haben sich herausgestellt, und das kluge Zentrum mit dem Herrn Marx hat innenpolitisch etwas getan, was außenpolitisch der Viscount d'Abernon jahrelang zum Schaden Frankreichs in Berlin getrieben hat. Der Täter ist nicht immer der Täter.
Es ist für die Geistlosigkeit der heutigen parlamentarischen Politik ungemein charakteristisch, daß dieser stumme und mächtige Einfluß des Zentrums von den Berufspolitikern nur mit einer großen Sorge quittiert wird: was wird aus der Großen Koalition? Die Innenpolitik des Reichs, seit jeher ein schönes und aufregendes Gesellschaftsspiel für lange Winternachmittage, leidet arg unter dem, was geschehen ist. Und was ist geschehen?
[559] Die gescheite und nützliche Außenpolitik, für die man dem Zentrum jahrelang hat dankbar sein müssen, ist auf Kredit geliefert worden, und jetzt wird die Rechnung, über Raten lautend, präsentiert. Schon sind die wichtigsten Posten im Kultusministerium mit Zentrumsleuten besetzt, und der tapfre und fortschrittliche Muckermann dient den Windthorst-Leuten nur als Schaufensterpuppe. Drin im Laden wird ganz etwas andres verkauft.
Langsam, sehr langsam, bezieht das Zentrum eine Offensivfront. Mit zunehmender außenpolitischer Konsolidierung, die wir dieser Partei verdanken, rückt es unmerklich nach rechts, und es zeigt sich immer mehr, daß in allen Kulturfragen für einen fortschrittlich gesinnten Menschen mit dieser sonst so gescheiten Partei kein Paktieren möglich ist.
Dies Schundgesetz war die Generalprobe zum Reichsschulgesetz.
Wenn Gertrud Bäumer, eine gute alte Mama, im Silberhaar und Häubchen dasitzen wird, wenn Enkel ihre zitternden Knie umspielen, und sie ihnen, unter Vermeidung sittlich anstößiger Stellen, aus dem ›Struwwelpeter‹ vorliest; wenn Theodor Heuss einen Bierfilz von der Wand herunterholt und leuchtenden Auges seinem fünfzigjährigen Sohn erzählt: »Ja, den haben sie mir damals vor Begeisterung an den Kopf geworfen!«, wenn Heinrich Schulz schon lange zu seinen Vätern versammelt ist, der Parteivorstand es aber noch nicht bemerkt hat, weil kein Mehrheitsbeschluß darüber vorliegt –: dann werden unsre Gesinnungsfreunde jener Epoche merken, was dies verkappte Zensurgesetz angerichtet hat. Und wenn ihre Eltern, unsre, leider unsre Zeitgenossen, entschuldigend sagen werden: »Wir haben es nicht gewollt!«, so werden sie ihnen antworten: »Dann versteht ihr nichts von Politik.«
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