Bei uns in Europa

[335] Ihr schickt uns aus dem Lande von Ford

einen ziemlich miesen Menschenexport:

überschwemmt sind Paris und Griechenland

von euerm mäßigen Mittelstand.

Diese Reisenden, laut und prahlerisch,

legen geistig die Füße auf den Tisch,

fallen lästig an allen Orten;

und jeder zweite Satz beginnt mit den Worten:

»Bei uns in Amerika . . . «


Bei euch in Amerika gibts zweierlei Rechte

(für Arme und Reiche) – gibt es Gute und Schlechte;

gibt es solche und solche: Lewis und Mencken,

und Dollardiener, die in Dollars denken.

Bei euch in Amerika gibt es Republikaner

und richtende blutige Puritaner.

Ihr habt Kraft, Jugend und Silberlinge –

aber ihr seid nicht das Maß aller Dinge,

bei euch in Amerika.


Bei uns in Europa ist das Weib

keine Haremsfrau ohne Unterleib –

bei uns in Europa ist die schwarze Haut

kein Aussatz, dem man Extra-Bahnwagen baut;

bei uns in Europa kann wer ohne Geld sein

und dennoch, dennoch auf der Welt sein –

bei uns in Europa kann man bestehn,

ohne in die Sonntags-Schule zu gehn,

weil fast keiner so am Altare steht:

eine plärrende nüchterne Realität –

wie bei euch in Amerika.


Das wissen natürlich bei euch die Guten

ganz genau. Der Rest hat von Blasen und Tuten

keine Ahnung. Hört nur den Schmeichelchor

seiner news-papers; kommt sich so erstklassig vor . . .

Hör nicht hin, Arbeitsmann. Laß sie ziehn,

die Eitelkeiten der Bourgeoisien.[335]

Pässe, Fahnen und Paraden

das sind lächerliche Zementfassaden . . .

Denn die wahre Grenze, zwischen Drohnen und Fronen,

läuft quer hindurch durch alle Nationen –

bei euch in Amerika.

Wie bei uns in Europa.


  • · Theobald Tiger
    Die Weltbühne, 04.10.1927, Nr. 40, S. 530, wieder in: Deutschland, Deutschland.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 5, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 335-336.
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