[21] Ich reise schon zwei Monate – bald bin ich gar nicht mehr da.
Die scharfen Schneidekanten der Eisenbahnschienen schälen mir im Gleiten die Aura herunter, eine Haut nach der andern – ich friere.
Jeden Abend: ein neues Zuhause.
Jeden Abend: das Klinkengefühl der Hand, der Orientierungsgang zu Toilette und Schreibzimmer –
»Wo ist denn hier die Post –?«
am nächsten Morgen will das anwachsen. Du sagen –
nachmittags geht ein Zug.
Bekümmert gehe ich durch die langen Hotelkorridore, mit einem Schlüssel in der Hand: daran ist eine kindskopfgroße Kugel gebunden oder eine gewaltige Münze oder ein Stuhlbein –
der Schlüssel geht mit mir,
und unten werden wir beide abgegeben: er beim Portier, und ich im Eßsaal,
und dann habe ich keinen Schlüssel mehr.
Beim Essen lese ich, den Kopf in die Hand gestützt, ich esse vom Blatt.
Wieviel traurige Junggesellen sitzen um mich und tun ebenso; wer bessert ihnen die Wäsche aus, nimmt ihnen die Bettbeichte ab, leitet Jähzorn und gefleckten Mißmut in stille Kanäle –?
Manchmal stehe ich auf dem Aussichtsturm und sehe allein hinunter.
Da liegt eine Stadt, Gebrauchsmusterschutz angemeldet, da liegt eine Stadt.
Stumpfrote Dächer zeigen ihre Giebel, eine kleine Lokomotive rutscht über schwarze Fäden; der geschwungene Bogen des blanken Flusses beschämt meine Geographie . . .
Immer wird in der Stadt gehämmert und gebosselt, geklopft und gestampft, in der Stadt. Immer bauen sie, nie sind sie fertig, das ist das rauschende, zeugende Leben, müssen Sie wissen.
Wie schön wäre es, einmal in eine stille Stadt hinunterzusehen!
[21] Wirbelnd im Meer der fremden Stadt, rette ich mich auf die beleuchtete und geheizte Insel: das Hotel.
Reisen. Reisen. Die Wurzeln schleifen, blasse, dünne Fäden, die so gern trinken wollen und einen Boden suchen, der ihnen schmeckt.
Jeder Mann seine eigene Erde.