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[49] Der, mit Verlaub zu sagen, Mann der ›Gefangenen‹, Edouard Bourdet, läßt in Paris, im Théâtre de la Michodière, ein neues Stück laufen: ›Vient de paraître‹ – ›Soeben erschienen‹. Es ist jeden Abend voll, und wäre das ganze Stück so gut wie der erste Akt, dann hätte es vielleicht einen Welterfolg wie die ›Gefangene‹.
Der erste Akt sitzt wie ein Handschuh.
Die Bühne ist durch eine Wand in zwei Räume aufgeteilt: links die Expedition eines großen Buch-Verlages, und rechts das Privatbüro des Verlegers. Da gehts munter zu. Es ist gerade der Tag, an dem der imaginäre ›Zola-Preis‹ verteilt werden soll, und alles ist in heller Aufregung: der Expedient, der die Exemplare des neuen Romans von Maréchal postfertig macht, eine Anzahl trägt schon, in sicherer Gewißheit des Sieges, die Bauchbinde: »Gekrönt mit dem Zola-Preis!«, und die Postpakete fliegen nur so in die Waschkörbe; der junge Mann am Telefon telefoniert, daß sich der Hörer biegt, und der Verleger regiert napoleonhaft die literarische Welt. Da naht, leise und bescheiden und freundlich und ein bißchen doof: Victor Boucher, einer der bezauberndsten Schauspieler von Paris; ›bon garçon‹, umstrahlt von einer stets anhaltenden Atmosphäre der Nettigkeit. Er möchte den alten Freund seiner Dienstzeit, eben den Verleger Moscat, sprechen . . . er hätte da auch ein kleines Manuskript . . . So etwas von abgewimmelt war noch gar nicht da; jedesmal, wenn er kommt, fliegt er in hohem Bogen wieder hinaus, denn wir haben heute keine, gar keine, aber wirklich auch gar keine Zeit . . . Denn drin, im Büro, braut sich Fürchterliches zusammen. Maréchal, der gefeierte, auflagenreiche, in einer halben Stunde mit dem Zola-Preis ausgezeichnet werden sollende Maréchal, hat, wie ein eifersüchtiger Literat atemlos berichtet, einen Generalvertrag mit dem Konkurrenz-Verleger gemacht . . . Fünfundzwanzigtausend Francs Vorschuß. (Ach, ist das ein schönes Stück!) Der Literat hat die kleine Schreibmaschinistin, die den Vertrag aufgenommen hat, gleich mitgebracht; die Vertrags-Abschrift auch. Reizende Szene: die Kleine heult, ergriffen von ihrer eigenen Falschheit, Tapferkeit, Angst . . . und bekommt etwas aus der verlegerlichen[49] Brieftasche. Und nun telefoniert Moscat sofort an das Restaurant, wo – wie bei dem richtigen ›Prix Goncourt‹ – die Literaten tagen, und weil er da seine Vertrauensleute hat, so legt er den Preis um . . . Man gehorcht ihm. Nun ist Maréchal da und soll – heute, warum gerade heute? – einen Generalvertrag mit dem Verleger unterzeichnen und kann es doch nicht und windet sich wie ein Aal und beißt sich in den Daumen, wie er sieht, daß er hier vierzigtausend Francs Vorschuß bekommen soll . . . Und kann doch nicht unterschreiben! Da kommen die ersten Abstimmungsresultate.
Maréchal fiebert, siegesgewiß; Moscat hört am Telefon ab. Maréchal erbleicht – denn von Mal zu Mal wird seine Stimmenzahl geringer, er bekommt den Preis am Ende gar nicht? er bekommt ihn nicht? Er bekommt ihn nicht. Und platzt. Und sieht sich vom Verleger durchschaut. Und stürmt ab.
Den Preis hat ein gänzlich Unbekannter bekommen. Her mit dem Mann! Sofort! Ist nicht zu Hause. So wird wenigstens seine Frau vor den verlagshungrigen Verleger geschleppt. Und wer ist es? Es ist der Freund vom Regiment, der da draußen herumzappelt und nicht hereingelassen wird, weil wir heute so viel zu tun haben – das ist eine Schwanksituation, mit meisterlicher Geschicklichkeit herausgearbeitet, und wie nun der ›gefeierte Meiste‹ hineingelassen und begratuliert wird und fotografiert wird – und wie er schließlich nicht mit Frau und Verleger, sondern, das sehe ich gar nicht ein, allein auf die Fotografie kommen will . . . das gibt einen Aktschluß, der eitel Freude im ganzen Theater verbreitet.
Die Leute amüsierten sich noch die ganze erste Pause lang wie die Itsche. (Bei dieser Gelegenheit: was mag wohl ein Itsch sein –?) An den Verlagswänden hatten die bekannten Fotos von Jean Giraudoux und Paul Morand und anderen Literaten gehangen, und der Verleger hatte wirklich gut gespielt (Jacques Baumer) – und die Regie war so anständig naturalistisch, so sauber und glatt, wie man das hier in Paris eigentlich nicht gewohnt ist. Boucher hatte die Regie – an keiner Stelle spielte er sich in den Vordergrund; da stand er aber, weil er am stärksten war.
Merkwürdig: die Franzosen fangen häufig ein Stück exzentrisch an, aber es endet dann fast immer im geschriebenen Geplätscher sanfter Konvention. (Bei den Deutschen ist das manchmal umgekehrt.) Auch diese Komödie läuft traditionell aus: an Stelle lebendiger Typen starre Figurinen. Es wird – zum wievielten Male! – eine possenartige Sache zwischen einem Ehepaar und dem zweiten Mann zum Skat: die Frau steht zwischen dem neugekrönten Schriftsteller, der nun dichten muß, anstatt weiter in seinem Ministerium sanft dahinzuvegetieren – und dem Herrn Maréchal, der die Frau des Kollegen anbetet, eigentlich nicht anbetet, auf Geheiß des Verlegers doch anbeten soll, damit dem[50] Herrn Schriftsteller wieder etwas einfällt . . . Que voulez-vous que cela me fasse –? Das Stück hält sich auf der Tiefe des zweiten Aktes und wird bis zum Ende des vierten nicht besser. Den beiden Schauspielern, Baumer und Boucher, zuzusehen, ist ein Genuß: Baumer resch, frech, einfallsreich und überlegen – Boucher zum Streicheln. Er hat in seiner Struktur etwas Proletarisches, etwas durchaus zum Volk Gehöriges – er kann unendlich mehr, als man sonst gemeinhin hier auf den Bühnen zu sehen bekommt; wenn seine Frau von ihm gehen will, was dem Publikum nur zu wünschen ist, dann werden seine Augen richtig umflort, er hat Angst vor dem Schicksal, einmal pocht – o französisches Wunder! – wirklich ein Herz auf der Szene: da, wo er mit den Händen die gleitende Minute halten will, geh nicht! bleib! – aber der Wagen rollt . . . Das ist sehr schön; wenn für diesen Augenblick nun auch noch ein Stück da wäre . . . Es ist aber keines da. Diskret parfümierter Staub.
Wird diese Komödie für Deutschland übersetzt, so kann man sie als französische Importware spielen, die Kenntnis der sehr merkwürdigen Literatursitten Frankreichs voraussetzend. In Paris wird keiner so leicht etwas ohne Protektion, niemals ohne Beziehungen, und wenn er hundert Jahre alt wird, während sich Berlin auf die Dauer nichts vormachen läßt und sich dort ein Talent fast immer durchsetzt – Berlin ist ein guter Boden für die Kunst. Paris ist ein guter Boden für das Kunstgeschäft. Übersetzt man ›Soeben erschienen!‹, so muß man entweder alles so lassen, wie es ist – damit befremdet man wahrscheinlich das deutsche Publikum, weil wir dergleichen in dieser Form nicht kennen.
Oder man muß das Stück umarbeiten, ohne dabei hoffentlich die guten Witze zu entfernen. »Kriegserinnerungen?« sagte der Verleger einmal. »Lieber Freund, wer will denn das heute noch wissen! Lassen Sie die doch bis zum nächsten Kriege liegen! Sehen Sie mal – da kommen Sie dann gleich mit heraus, und dann sind Sie allen andern über –!« Das ist ein guter Geschäftsmann. Wenn man umarbeitet, wird man vielleicht andere Sätze einfügen, wie sie eben in Paris nicht gesprochen werden. (Fett: »Schreiben Se sozial – das wird heute verlangt!«)
Bourdet ist kein wilder Kritiker der Literaturpreise, sondern ihr Kandidat; erläßt an dem pariser Literaturbetrieb, den ich für schauerlich halte: mit seinen bezahlten und beeinflußten Kritiken, seinem klaren Zusammenhang zwischen Geschäft und Besprechung, seinen ›combines‹ und seinem Dreh – er läßt an diesem Betrieb viele gute Haare, und es ist eigentlich nur folgerichtig, wenn der Reklamescheinwerfer im Zwischenakt die Preisverteiler der Académie Goncourt in traulicher Gruppe zeigt. Kein Mensch lacht. Du lieber Gott, das machen wir hier so!
Und was sich da in den drei Rede-Akten begibt; wie die Literaten aus einem lächerlich kleinen Liebeserlebnis Stoff saugen, um Kunst-Honig zu produzieren, jeder einzelne ein Charlotterich Stieglitz –;[51] das läßt uns ziemlich kalt. So sieht Kunst nicht aus, und so sieht anständige Literatur nicht aus.
Aber in der Bourdetschen Komödie ›Vient de paraître‹ schlummert ein ungeheurer deutscher Erfolg, ein Stück, das es nicht gibt, und das einer nur zu schreiben hätte, um viele Teiche aufzuwühlen. Gäbe es dieses nicht geschriebene Stück im Französischen, so hieße es ›Vernissage‹ – bei uns müßte es ›Kunsthandel‹ heißen oder ›Hausse in Utrillos‹. Und es dürfte kein Schlüsselstück sein; nicht etwa eine verschämte Karikatur der Herren M. oder C. oder A. – sondern deren Betrieb müßte darin sein und ihr trüber Handel. Die Snobs sollten abkonterfeit sein, die sich – statt der IG-Farben – hoch notierte Bilder an die Wände hängen (ein berliner Bankier hat einmal von einem andern gesagt: »Er hat die Majorität in Cézannes!«) – der Kunst-Rummel müßte gezeigt werden und der Auktionsgrößenwahn und die Überschätzung der Kommissionäre und, ganz im Hintergrund, richtig, die gibts ja auch noch! die armen Luder, die die Leinwand vollpinseln: die Maler. Die dann reiche Luder werden, und dann ist es gewöhnlich aus. Das wäre kein dummes Stück, und wenn mir der Herr Autor einen Platz zur Premiere schickt, dann bin ich ganz zufrieden. Und vielleicht zehn Prozent seiner Einnahmen.
Bourdet aber hat aus der Schule geplaudert, die Schüler haben sich köstlich amüsiert, die Herren Lehrer waren auch da und nickten freundlich mit den Köpfen, und morgen sitzen sie alle wieder in ihren Klassenzimmern bei Kra und Flammarion und Calmann und Plon und Grasset und schuften für die nächste Neuerscheinung.
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