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[73] Der Witz. Zwei Juden sitzen in der Eisenbahn, da sagt der eine zum andern:
»Ich komme mir schon vor wie der gottselige Hiob! Mein ganzes Geld hab ich verloren, mein Auto haben sie mir gestohlen, mein Haus ist abgebrannt und meine Frau ist durchgegangen! Was kann mir noch mehr passieren?«
Da sagt der andre:
»Jetzt kann noch passieren, daß die Frau zurückkommt!«
Sittlich gereinigte Fassung des Rundfunks. Zwei Herren sitzen in der Eisenbahn, da sagt der eine zum andern: »Ich komme mir schon vor wie ein vom Unglück verfolgter Pechvogel. Mein Geld habe ich verloren, mein Auto haben sie mir gestohlen, mein Haus ist, trotz der größten Anstrengung unsrer vorzüglichen städtischen Feuerwehr, abgebrannt, und meine Frau hat sich, wie ich fürchten muß, auf immer von mir entfernt. Was kann mir nun noch geschehen?«
Da sagt der andre Herr: »Nun können Sie noch hier in der zweiten Klasse ein Billett dritter haben!« Achtung, Achtung . . . !
Verlagsprospekt. Ein neues Werk von Arnolt Bronnen ist soeben[73] erschienen: ›Hiob in der Eisenbahn‹. Aus einem einfachen Scherz blüht hier das ganze moderne Leben auf, das in tobendem Rhythmus eingefangen ist. Amerikanisches Tempo vereinigt sich mit dem Gefühl für Heldenverehrung, tanzender Mondänität und peitschender Leidenschaft. Die Art, in der Paris, London, und sogar New York in den Rahmen der Handlung einbezogen sind, wirkt sich genial aus. Broschiert 13,50, gebunden 22 Mark.
Thomas Mann. Ich stehe nicht an, zu erklären, daß mir Ihr epischer Versuch ›Hiob in der Eisenbahn‹ immer des Gedenkenswert bleiben wird. Nach jenen verwirrenden Ereignissen, die in den Jahren 1914 bis 1918 (einschließlich) die Welt einigermaßen in Aufruhr versetzt haben sollen, ist mir platterdings nichts in Erinnerung, das mit solcher künstlerischen Energie, eines aktiven Helden würdig, den Ruhm einer getriebenen Männlichkeit zu singen sich unterfängt. Um der Gesinnung und der Gesittung willen wünsche ich dem wackern Buch eine zuverlässige Leserschaft.
Buchkritik. Mit seltener Mentalität hat Arnolt Bronnen in der Wiedererzählung eines alten orientalischen Volksschwankes erneut seine große Einstellung bewiesen. Da sitzen nicht mehr zwei arme Juden in der Eisenbahn, nicht zwei Figuren eines Witzes, sondern zwei Menschen, wie überhaupt das rein Menschliche hier so menschlich ist, daß man schon um Jahrhunderte zurückgreifen muß, um – etwa bei Dante oder in der Bibel – etwas Ebenbürtiges zu finden. Seit dem ›Don Quichote‹ ist nichts Ähnliches bei uns geschrieben worden. Leute, lest dieses Buch! Ein starkes Werk. Ein kühnes Werk. Ein in seiner Menschlichkeit menschliches Werk. Und abends in die Scala.
›Tägliche Rundschau‹. Der Kern des Bronnerschen Buches ist geeignet, das deutsche Empfinden auf das schwerste zu beleidigen. Die Heiligkeit des deutschen Familienlebens steht auf dem Spiel, und sind wir nicht gesonnen, müßig mitanzusehen, daß jüdische Verleger wie der Herr Rowohltleben und berliner Literaten wie dieser Herr Bronner die deutsche Seele in den Kot zerren. Ekelhafter Sinnenkitzel und Verachtung der deutschen Frau sprechen zu gleichen Teilen aus diesem undeutschen Buch. Wir fragen: Wo bleibt der Staatsanwalt?
Die Anklageschrift . . . . sowie den ledigen Schriftsteller Arnolt Bronnen, nicht bestraft, klage ich an: zu Berlin und im Inlande in den Jahren 1927 und 1928 in nicht rechtsverjährter Zeit durch eine und dieselbe fortgesetzte Handlung insbesondere als Verfasser der Druckschrift ›Hiob in der Eisenbahn‹
a) den Versuch gemacht zu haben, die Verfassung des Deutschen Reiches gewaltsam zu ändern, Verbrechen gegen den § 81, Ziffer 2 StGB, sowie §§ 1, 2, 3, 4, 5, 6 des Gesetzes zum Schutz der Republik. Die konspiratorische Unterhaltung der beiden Juden, also landfremder Elemente, die geheimnisvolle Art, in der das Gespräch geführt wird,[74] die Bezugnahme auf angebliche gestohlene Vermögenswerte, was gleichzeitig als eine Verdächtigung der Polizeibehörden, denen damit der Vorwurf der Pflichtwidrigkeit gemacht wird, aufzufassen ist, lassen erkennen, daß der zugrunde liegende ›Witz‹ ein Angriff auf die Sicherheit des Reiches darstellt. Als besonders erschwerend ist der Umstand anzusehen, daß grade in diesem Augenblick das Reich durch die äußere Politik seiner derzeitigen Machthaber auf das schwerste erschüttert ist. Die Druckschrift ›Hiob in der Eisenbahn‹ verletzt aber auch
b) das Schamgefühl (§ 184 Ziffer l StGB). Die der Darstellung zugrunde liegende Anekdote ist zweifellos unsittlich: die Annahme, daß die Rückkehr einer, wenn auch jüdischen Frau, deren Ehebruch offen zugegeben wird, als Übel oder Unglück aufzufassen sei, ist als unzüchtig im Sinne des § 184 anzusprechen. Es liegt für den normal empfindenden Leser klar zutage, daß die Vergleichung einer Frau mit einem Auto nur als grobe Zote gemeint sein kann; die Füllung eines Autos mit Wasser, die erfahrungsgemäß durch einen männlichen Chauffeur vor sich zu gehen pflegt (siehe Gutachten Band II, Blatt 518), die Geräusche, die das Auto dabei ausstößt, die regelmäßig zuckenden Bewegungen des Motors lassen darauf schließen, daß hier auf die niedrigsten Instinkte des Lesers spekuliert wird. Der Verlag Rowohlt verschleißt, wie gerichtsnotorisch sein dürfte, lediglich Schriften obgenannter Art.
Sitzungsbericht. Der Vorsitzende: »Ich gelange nunmehr zur Verlesung der Anekdote, die Gegenstand der Anklage bildet. Zwei Juden sit . . . «
Der Reichsanwalt: »Ich beantrage, die Öffentlichkeit wegen Gefährdung der Sittlichkeit auszuschließen!«
Der Verteidiger: »Ich möchte . . . «
Der Vorsitzende: »Ich entziehe der Verteidigung das Wort, da in diesem Stadium des Prozesses ihrerseits nichts zu bemerken ist.«
Der Verteidiger: »Ich bitte den Herrn Vorsitzenden – «
Der Reichsanwalt und der Vorsitzende gleichzeitig: »Sie haben . . . !«
Der Reichsanwalt und der Vorsitzende gleichzeitig: »Bitte nach Ihnen!«
Der Vorsitzende: »Ich mache den Herrn Verteidiger darauf aufmerksam, daß er, wenn er hier noch einmal das Wort ergreift, herausgeführt werden wird. Das Gericht wird beraten.« (Dumpfe Pause.)
Der Vorsitzende: »Die Öffentlichkeit wird wegen Gefährdung der Staatssicherheit ausgeschlossen, die Presse und die Verteidigung gleichfalls, Lediglich den Angeklagten, den Angehörigen des Gerichts und den Justizoberwachtmeistern ist der Aufenthalt im Sitzungssaal gestattet.« (Der Angeklagte Rowohlt bricht schluchzend zusammen. Wird draußen von dem Temperenzler Sinclair Lewis mit Kamillentee gelabt.)
Zeitungsnotiz. Justus Hobb und William F. Fox haben nach dem[75] nunmehr umgearbeiteten Roman, für den Arnolt Bronnen seinerzeit zum Tode und einer Mark Geldstrafe, der Verleger zu dauerndem Verlust der bürgerlichen Ludwig-Rechte verurteilt worden ist, einen Film geschrieben, der voraussichtlich den Titel tragen wird: ›Zwei Juden sitzen . . . ‹
2. Zeitungsnotiz. Wolfgang Goetz hat soeben nach der bekannten Anekdote von den zwei sitzenden Altpreußen ein historisches Stück in etwa fünf Akten beendet. Die Handlung ist in die Zeit Emmes des Sechzehnten, Königs von Irland, zurückverlegt.
3. Zeitungsnotiz. Alfred Neumann hat soeben nach dem neuen Stück von Wolfgang Goetz, ›Emmes sitzt in der Eisenbahn‹, einen geschichtlichen Roman fertiggestellt, dessen Handlung in die Jugendzeit des Demokraten Bernhard Dernburg zurückverlegt ist.
Doktorarbeit. »Die jüdische Anekdote in bezug auf die Sexualstörungen im infantilen Alter sowie auf die Stärkung des Kuppeltriebes bei der Frau. Meinen lieben Eltern gewidmet.«
›Kleine Theater-B. Z.‹ Wie wir hören, wird Hugo von Hofmannsthal das alte katholische Krippenspiel ›Zwei Jedermänner in der Sänfte‹ für die Salzburger Festspiele Max Reinhardts bearbeiten. Das Defizit trägt der new-yorker Bankier Otto H. Kahn.
Börsenbericht. Die Börse diskutierte heute die politische Lage und nahm die Erklärung Stresemanns, daß seine Rede durch die Antwort Briands, er habe seine, Stresemanns, Rede nicht so aufgefaßt, wie er, Briand, sie seinerzeit interpretiert wissen wollte, mit ziemlicher Ruhe auf. Montanwerte fester, bei leichter Abgabeneigung des Publikums.
Der neueste Börsenwitz. »Zwei Juden sitzen in der Eisenbahn; da sagt der eine zum andern – – «
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1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.
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