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[178] Musiker sind nicht eitel – sie bestehen aus Eitelkeit; die Eitelkeit ist ein lebensnotwendiger Bestandteil ihres Wesens. Wären sie nicht eitel, sie wären nicht. Schriftsteller sind verkappt eitel, mit sanfter Rückversicherung gegen Ironie, viele Künstler sind eitel. Aber niemand, niemand ist so eitel wie der deutsche moderne Kaufmann, wenn er etwas erreicht hat. Kein blaurasierter Tenor hat jemals solche Gebirge von Eitelkeit erklommen wie diese Herren Generaldirektoren. Von feistem Selbstbewußtsein geschwollen, geht das durch die Welt. Pieke sie mit einer feinen Nadel – und hervorspritzt ein gebogner Strahl von Eitelkeit, daß dir grün und gelb vor Augen wird. Der Gelegenheiten sind viele. Das ist zunächst die Todsünde, die darin besteht, daß du ihm unrationelle Wirtschaft oder ungerechtfertigte Verdienste vorwirfst. Dagegen wehrt sich mit Recht jeder Kaufmann, auch wir täten es. Aber wie sie es tun –! Unter allen Entgegnungen auf meine Arbeiten, unter allen Zuschriften, die ich so seit fünfzehn Jahren verdaue und – immer im Gedenken an S. J. – beantworte, sind doch keine so dumm, so verquetscht-hochmütig, so feldwebelig und so falsch-herablassend wie die einer gewissen Sorte von Kaufleuten, die Merkur segnen möge, der Gott, nach dem eine Salbe benannt ist . . .
Die Gottähnlichkeit eines Personalchefs kennt keine Grenzen, und liest du seine Zettel und lauschst du seinen Reden, so hast du stets den Eindruck, er werde nun aber nächstens auch noch dem lieben Gott kündigen. Der fette Kloß von Eitelkeit, der in den Kehlen der Fabrikbesitzer liegt, benimmt uns den Atem, und wir verspüren oft das peinliche Gefühl, als lege sich eine schwere Hand mit saubern, viereckig beschnittenen Nägeln uns auf die Schulter: »Junger Mann . . . « Wonach neben anderm die schöne österreichische Frage in uns aufsteigt: Worauf herauf –?
Es hat sich da unter der Kaufmannschaft ein moderner Typus herausgebildet, sehr sauber rasiert, mit der bestsitzenden Brille der Welt, mit Specknacken und halbsteifem Kragen, alles ordentlich und richtig – ein Typus, der einem Halbgott gleich auf die Welt heruntersieht. Einer, der seine Arbeit, die er ja des Gewinnes und jener Unrast zuliebe tut, die Lust ist, und die er niemals anders als »national belangvollen Dienst an der Volkswirtschaft« ausgibt; einer, der in Exposés redet und dessen Handbewegungen noch Feldherrngesten darstellen, wie sich eben Herr Direktor Lotterbohm Napoleon vorstellt . . . Man wird diese höchst unangenehmen[178] Nummern fast niemals unter den großen Kaufleuten finden, sehr häufig unter den mittlern, und weil zu viele Menschen von ihnen abhängen, zu viele Institutionen von ihnen beherrscht werden, so traut sich keiner, diesen mittelmäßigen Exponenten der Wirtschaft die Wahrheit zu sagen.
Ihr Gehaben hat als tiefsten Grund wohl den tierischen Ernst, mit dem sie ihre Geschäfte betätigen und das Leben betrachten – auch nicht eine Minute lang wären sie fähig, sich mit einem kurzen Augenzwinkern über den eignen Betrieb lustig zu machen; sie glauben an ihn, an sich und an die Welt. Daher übrigens auch ihre völlige Humorlosigkeit dem Humor gegenüber, wenn der satirische Generalmarsch auf ihrem Rücken geschlagen wird: es gibt selbst unter den klugen Börsianern wenige, die begreifen, wie maßlos komisch sie sind, wenn sie so ernst zusammenstehn und assimiliert fuchtelnd klatschen, was sie gern so ausdrücken: »Ich habe da gestern mit einem unsrer bedeutendsten Industriellen gesprochen . . . «
Es gibt auch welche unter ihnen, die sind eigentlich verhinderte Künstler, und das ist besonders heiter. »Was meinen Sie, lieber Freund«, sagt Herr Wendriner, »wie ich Sie beneide!« Denn sie möchten ja eigentlich gern reisen, der Muße und den Musen frönen, dichten und bildhauern und Leitartikel schreiben – oh, das können sie! Sie haben nur keine Zeit; der Dienst am Volkskörper läßt ihnen diese Zeit nicht. Welche verhinderten Lieblinge des Parnasses!
Diese Gehirne arbeiten anders als die unsern. Diese Köpfe denken anders. Dieses Blut läuft anders durch andre Adern. Ich habe mitunter die größten Schwierigkeiten, einen französischen Kollegen in jenen Tiefen zu verstehn, wo das Verstehn erst beginnt, da, wo die Worte nicht ausreichen, da, wo nicht mehr das Individuum, sondern die andre Rasse lebt und fühlt . . . Aber immerhin ist mir Léon Werth noch tausendmal näher als Herr Generaldirektor Schlichter, der in Gänsegrieben denkt und der – oho! – ein Verhältnis zur bildenden Kunst hat. Das arme Ding.
Es tut nicht gut, bei solchen allzu oft zu Abend zu essen. Ja, man kann die praktische Wirksamkeit eines radikalen Wirkenden daran erkennen, ob er bei jenen beliebt und eingeladen ist. Manche sind es.
Gefallen Ihnen diese Männer? Wenn sie so klug wären, wie sie sich schlau vorkommen, wären sie immer noch dumm genug.
Womit natürlich nichts gegen die Bedeutung des deutschen Kaufmanns für die deutsche Volkswirtschaft und die deutsche Kultur im besondern gesagt sein soll.[179]