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[350] Paris, im Dezember.
Der pariser ›Temps‹ ist so groß wie der Stoff zu einem guten Abendkleid, und wenn man ihn vors Gesicht hält, so sieht man von der Welt nichts mehr, nur noch Gedrucktes . . . Und auf der ersten Seite, gen Nordosten, gleich wenn Sie von der zweiten Spalte nach rechts abbiegen, steht folgendes:
Athen, den 10. Dezember.
Wie die Zeitungen melden, sind zwei Stenotypistinnen aus dem Büro des Ministerpräsidenten zu einem Attaché einer fremden Gesandtschaft in Beziehung getreten.
Das muß sofort nach Berlin ans ›Tempo‹ telefoniert werden! Das ist mal eine Nachricht! Ob sie Extrablätter machen? Aber vielleicht wissen sie es schon, der athener Korrespondent hat es sicherlich schon gemeldet . . .
Zunächst bewegt den politischen Fachmann eine wichtige Frage: wieso zwei –? Der glückliche Attaché hat wohl geglaubt: doppelt hält besser, küßt besser und liebt besser. Wie mag das im einzelnen gewesen sein? Vielleicht so:
In der teppichgeschwollenen Wohnung des Diplomaten verbreiten bunte Stehlampen ein mildes Licht, bonbonrosa. Der Diplomatenschreibtisch schimmert matt, links liegen die Geheimakten, rechts die streng geheimen Akten. In der Mitte ein französischer Roman, den der Attaché ächzend durchackert, bis er an die unanständigen Stellen kommt – er ist schon auf Seite 143, die besseren Sachen sind aber noch nicht dran. Auf dem kleinen Sofatischchen liegen Marzipankringel, auf[350] dem Sofa liegen, zu lieblichen Klumpen geballt, die beiden Mädchen, beide schwarz, mit lackroten Lippen, weshalb die eine von beiden in diplomatischen Kreisen den Spitznamen ›das Lacktablett‹ bekommen hat; beide haben einen großen Schwips, den sie schwesterlich in zwei kleine Schwipse aufgeteilt haben. Auf einem Schränkchen spielt das Grammophon ›My heart stood still‹, das Lieblingslied des Prinzen von Wales. Es ist heiß in dem Salon . . .
Der Attaché einer fremden Gesandtschaft liegt, lässig, wie er das in den Romanen gelesen hat, in einem Fauteuil und sieht besitzesfroh auf die beiden griechischen Kätzchen. Seine Augen glimmen wie bei einem Schurken von Edgar Wallace . . . Leise steht er auf, seine Pumps funkeln in dem bonbonrosa Licht, er setzt sich zu den Beschwipsten und streichelt die eine und streichelt die andere . . . Der kleine Menschenknäuel atmet hastig, Gelächter und abwehrende Rufe – und da sagt der Attaché einer fremden Botschaft plötzlich mit verzehrend-heißer Stimme – –: »O Mädchen, o Mädchen, wie lieb ich euch?«
Nein. Er sagt, und seine Hand liebkost den Haaransatz im Nacken des einen Kätzchens: »Penelope, wie ist die Sache mit dem letzten Zusatz zum Finanzausgleichsgesetz vom Dezember 1927 –?«
Und während die tiefschwarze Julia an den Ringen des Attachés dreht und dreht, bis ihm die Finger schmerzen, flüstert Penelope wie ein süßes Liebesgeheimnis im besten athener Dialekt:
»§ 184. Werden im Anwendungsfall des § 103 die Positionen des Gesetzes vom 26. Februar 1904 von der Marinebehörde überschritten, so treten die Verordnungen XVII und CXI in Kraft, wonach die Paragraphen 765 und 450.«
– »My heart stood still . . . « zirpt das Grammophon; der Attaché notiert im Kopf die Sätze, kuschelt sich an alle beide, schließlich sind sie gar nicht mehr voneinander zu unterscheiden, und wenn jetzt der Außenminister des Attachés ins Zimmer käme und entsetzt fragte: »Herr Attaché! Was machen Sie da –?« so könnte der mit dem besten Gewissen der Welt sagen: »Herr Minister! ich denke scharf an den Dienst!«
Der ›Temps‹ raschelt zu Boden. Wie soll ich das nach Berlin telefonieren? Glücklicher Attaché! Glückliche Diplomatie!