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In Paris haben sie beinahe am selben Tag zwei Gedenktafeln an zwei Häusern eingeweiht: eine für den großen Zeichner und Maler Honoré Daumier und eine für den Liedersänger der neunziger Jahre: Aristide Bruant. Jedesmal waren da Vertreter der Gemeinde der Stadt Paris, das wenigstens sehr oft so tut, als ob . . . wenn seine besten Söhne gefeiert werden, und jedesmal wurden diese braven und typischen Reden geschwungen, die wir auswendig wissen. Es ist das aber beide Male nicht so komisch, wie es auf Anhieb aussieht.
Daumier war ein Gigant; nach Goya wohl das Größte, was satirische Zeichenkunst des letzten Jahrhunderts aufzuweisen hat – er, der erblindet nach dem Kriege von siebzig starb, war nicht schlecht gegen das angelaufen, was man »Gesellschaft« nennt – aber er hat es nie parteipolitisch getan, sondern stets von einer Jahrhundertwarte herab, die ihm die Möglichkeit gab, das zu sehen, was an allen Epochen komisch gewesen ist und klein. Seine Zeit hat ihn anerkannt und bekämpft, und die Vorväter der Feiertagsredner von heute sind wohl nicht sehr gut auf ihn zu sprechen gewesen.
Bruant hat mit leichter Pose eine soziale Empörung herausgesungen, die ihm viel Geld eingebracht hat, was nicht gegen ihre Echtheit sprechen muß – nur ist diese Empörung weit vom Klassenkampf entfernt gewesen. Was da in den ersten Montmartre-Cabarets ausklang, war noch echt (im Gegensatz zu heute) – und ein paar der Lieder werden für die nächsten Jahre bleiben – alle Franzosen kennen und lieben sie. Geändert hat sich das »Argot«, der Straßendialekt der Pariser, geändert Anschauung und Arbeitsverdienst, sozialer Kampf und Arbeitsmethoden – geblieben aber ist das Streben der Großstädter nach Freiheit und Licht.
Ja, und nun haben beide ihre Gedenktafeln bekommen. »In diesem Hause lebte . . . « Die kleine Feier wird bald vorüber sein, die offiziellen Redner sind in ihr Auto gestiegen oder in die Untergrundbahn, die Eingeladenen und die Neugierigen, die die Ansammlung für das Straßenparkett einer Rauferei gehalten haben, haben sich zerstreut, und nun hängen da die Tafeln.
Niemand sieht sie mehr an. Grau und unscheinbar werden sie vom Regen und Wetter – nur die Kenner der Stadt bleiben vielleicht eines Tages vor dem Hause stehen und kontrollieren, ob dies auch das richtige Haus ist, in dem . . . und dann wird das alles vergessen.
Bleiben werden die kleinen Lieder und die großen Blätter der beiden: zweier Franzosen, die aufrührerisch gewesen sind und die doch von den Bürgern gefeiert werden dürfen, weil tief in jedem Franzosen – auch in seinen Revolutionären – ein arbeitender Bürger schlummert.