Ideal und Wirklichkeit

[238] In stiller Nacht und monogamen Betten

denkst du dir aus, was dir am Leben fehlt.

Die Nerven knistern. Wenn wir das doch hätten,

was uns, weil es nicht da ist, leise quält.[238]

Du präparierst dir im Gedankengange das,

was du willst – und nachher kriegst dus nie . . .

Man möchte immer eine große Lange,

und dann bekommt man eine kleine Dicke –

C'est la vie –!


Sie muß sich wie in einem Kugellager

in ihren Hüften biegen, groß und blond.

Ein Pfund zu wenig – und sie wäre mager,

wer je in diesen Haaren sich gesonnt . . .

Nachher erliegst du dem verfluchten Hange,

der Eile und der Phantasie.

Man möchte immer eine große Lange,

und dann bekommt man eine kleine Dicke –

Ssälawih –!


Man möchte eine helle Pfeife kaufen

und kauft die dunkle – andere sind nicht da.

Man möchte jeden Morgen dauerlaufen

und tut es nicht. Beinah . . . beinah . . .

Wir dachten unter kaiserlichem Zwange

an eine Republik . . . und nun ists die!

Man möchte immer eine große Lange,

und dann bekommt man eine kleine Dicke –

Ssälawih –!


  • · Theobald Tiger
    Die Weltbühne, 05.11.1929, Nr. 45, S. 710, wieder in: Lerne Lachen.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 7, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 238-239.
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