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[30] Die Gräfin betrat im Glanze ihres Glasauges den Saal.
Mark Twain
Unter der Leitung seines rührigen Vorsitzenden, des Herrn Geheimrat Ovaritius, bot das Flugverbandhaus am Sonnabend ein wahrhaft mondänes und gleichzeitig vornehm-großstädtisches Bild. Riesige, so gut[30] wie unbeschnittene Taxusbäume in der Vorhalle; um große, runde Tische die Diplomaten, die Spitzen der Behörden sowie alle Prominenten der Reichswehr. Von den hundertvierundfünfzig Admiralen unserer Marine waren etatsmäßig nur zweihundertundachtzehn erschienen. Die Herren in großer Uniform oder schlichtem Frack; eine Fülle schöner Frauen, sehr viel hintere Doppelraffungen aus strahlend leuchtender Chinakreppgeorgettealpaccachenille. Die Kleider sind durchweg lang, besonders unten; ein Modell der Firma Hammarbach ›Westöstlicher Divan‹ erregte allgemeines Entzücken. Frau Generalarzt Poschke in Weiß; Henny Porten in Blausa; Prinzessin Adalbert von Preußen (himmelblauer Samt, am Rand mit Gold abgefunden); Frau Generalarzt Drysen (korallenrotes Pastellbrokat); Frau Generaldirektor Rosenthal (doppelkorallenrotes Pastellfeinbrokat); eine Fülle modischer Anregungen und schwirrende Weltsprachen. Wie ich an den Uniformen unsrer Offiziere festgestellt habe, ist die Blume an der Achsel gänzlich passe. Kapellen der fast republikanischen Reichswehr, und, soweit sie nicht ausreichten, die Orchester der angeschlossenen Verbände; in der Bierschwemme echt nationalsozialistische Stimmung, Sanitätsstube nebenan. Gedränge und Gewoge, wahrlich, das Wort des Generaloberarztes Professor Friedrich regierte die Stunde: »Clitoris, die zehnte Muse, hat gesiegt!«
Das größte gesellschaftliche Ereignis der Weltstadt ist vorüber. Es war mehr als ein Ereignis – es war ein Evenement.
Bereits um elf Uhr verloren die Garderobenfrauen den Kopf und gaben ihn in der Garderobe ab, so drängte sich Prominenz an Prominenz. Vor der Staatsloge staute sich die Menge und begann bald, einem Anfall von Basedow zu erliegen: vier Herren und zwei Damen quollen die Augen aus dem Kopf, die später eine willkommene Bereicherung der Tombola wurden. Die Regierung war, soweit man hier von Regierung sprechen kann, vollzählig vertreten. Die Gesandten und Botschafter aller zivilisierten Staaten, sowie Bayerns, waren anwesend; die Dichtkunst wurde von Ludwig Fulda plattgetreten. In einer Loge saßen die leitenden Männer der deutschen Presse, darunter auch ein Redakteur. Ein wahrhaft glänzendes gesellschaftliches Bild bot sich den Augen; man sah die jugendliche Naive Adele Sandrock, den Redaktionschristen der Scherlschen ›Nachtausgabe‹ sowie einen Frack (Harry Liedtke). Das Watteau-Figürchen der Frau Katharina von Oheimb tauchte auf. Man sah die Herren Doktor Klöckner und Ministerialdirektor Klausener, der eine repräsentierte die katholischen Aktien, der andre die Katholische Aktion; Herr Rechtsanwalt Alsberg nickte der Großfinanz, soweit sie herumstand, freundlich zu; soweit sie saß,[31] vertrat sie Herr Geheimrat Lemke vom Strafvollzugsamt der Provinz Brandenburg. Industrie und Handel: Jakob Goldschmidt, Doktor von Stauß, die Gebrüder Rotter. Herr Gesandter von Moltke war aus Warschau gekommen, Herr Breitscheid aus dem Mustopp. Auf meinen Hühneraugen bemerkte ich unter andern: den Meistergolfer Herbert Gutmann, die Generale von Seeckt, Heye und Kleiber. Herr Dorpmüller, der Chef der Reichsbahn, hatte im Gedränge einige kleinere Zusammenstöße, die er aus alter Gewohnheit lächelnd hinnahm. Eine Fülle schöner Frauen, die zuckenden, werbenden Rhythmen der Kapellen, tausend Kellnerdaumen in tausend Sektgläsern: ein wahrhaft weltstädtisches Bild! Die Tombola bot als Ehrenpreis zwei Sommerreisen in den fernen Orient, darunter eine nach St. Moritz, sowie als zweite Preise: einen Rasierapparat mit Radio aus Silber und einen Bowlenpokal aus Tineff. Die anwesenden Zeitungsverleger konnten mit dem Ertrag des streng exklusiven Festes, dem viertausend Personen beiwohnten, zufrieden sein: für die notleidenden Presseleute ist ausgesorgt.
Der Reichsverband deutscher Hausfrauen sowie die angeschlossenen Spitzenverbände hatten am Donnerstag zu einem reizenden Ball geladen. Die deutsche Hausfrau, die deutsche Mutter und die deutsche Abonnentin haben wieder einmal gezeigt, mit wie wenig Mitteln man so ein Fest aufziehen kann, ein Fest, das an Eleganz und Wohlgelungenheit sich dennoch vor keinem pariser Opernball zu verstecken braucht. Man sah – schlicht um schlicht! – sehr viel schöne Frauen; Schleppkleider von vorgestern, also von heute, in der heutigen Mode wird überhaupt das Frauliche stark unterstrichen, besonders hinten. Ein allgemein interessierendes Rohkostbüfett fand begeisterten Anklang, und die belegten Brötchen mit gestoßenem Koks, von Tannenzweigen garniert, waren im Nu verzehrt. Bei kräftiger Zitronenlimonade stieg die Stimmung bald ins Vornehm-Bürgerlich-Bacchantische; in angeregten Gesprächen besprachen die sorgsamen Hausfrauen die eigne Verdauung sowie die ihres Mannes und auch die Mittel, wie solcher aufzuhelfen sei. Ins Reich der Dichtkunst führte uns der Unterhaltungsteil: Frau Gertrud Bäumer rezitierte vielbejubelte Wirtinnenverse, zwei Zauberkünstler vom Reichsgericht in Leipzig machten reizende Taschenkunststücke vor, und bei der Verlosung schwang unter allgemeiner Freude der berliner Polizeipräsident ein Päckchen Verbandsgaze, das er gewonnen hatte.[32]
Im köstlichen Rahmen ein wahrhaft weltstädtisches Bild: die Spitzen der Behörden, Vertreter der großen Schiffahrtsgesellschaften, für die die Kolonien ja in erster Linie wieder eingerichtet werden sollen, der von Fest zu Fest eilende berliner Polizeipräsident, Repräsentanten von Grund- und Boden-Wucher, und endlich die Hauptpersonen: die Vertreter aus allen derzeitigen deutschen Kolonien und solchen, die es werden wollen. Unter den jungen Diplomaten dominiert der Girltyp. Der Verein für das Deutschtum im Auslande hatte die Ausschmückung des Saales übernommen: überall lustige, auf Kokosblätter gemalte Wandkarten, die uns das moderne Weltbild veranschaulichten: die Brüder, die zu befreien sind, und die Brüder, denen man es noch besorgen muß. Die Tanzbegleitung lag in den bewährten Händen des Orchesters enteigneter Hereros. Eine Fülle rassiger, schöner Frauen zierte das Fest; der Kronprinz wohnte zunächst dem Fest bei. Zwei Kostüme: ein pflaumenfarbenes, mit Goldfäden durchzogenes Abendkleid, vorne so lang wie hinten so hoch, und ein ärmelloses Kleid, das von einem Wattebausch zusammengehalten wurde, werden sicherlich überall für den Gedanken der deutschen Kolonisation werben.
In den Festräumen der Gaststätten ›Zum strammen Hund‹ fand am Sonnabend der im ganzen Stadtviertel berühmte Faschingsball der allgemein beliebten Kolonne »Wedding-Nord« statt. Schöne Frauen, gut aussehende Männer im Frack, in den Ehrenlogen die Spitzel der Behörden; alles jazzte, steppte und wiegte sich nach den schmetternden Klängen des Handgranaten-Orchesters der Schutzpolizei. Der angeregte Abend endete mit einer gut geglückten Schlägerei, bei der der anwesende Vizepräsident Weiß leicht verletzt wurde, weil er von den eignen Mannschaften erkannt worden war.
Dienstag: 59. Stiftungsfest Bibliophiler Hebammen.
Mittwoch: Ball der Frauenturnriege des Verbandes Monistischer Uhrmacher.
Sonnabend: Tanzkränzchen der Ortsgruppe des Gaues Brandenburg des Reichsbundes Gleichgeschlechtlicher Sachsen (Opposition).
Der Ball des Preußischen Richtervereins ist der Einfachheit halber mit dem Ball der ›Bösen Buben‹ zusammengelegt worden.
[33] Ein entzückender Kostümball vereinte gestern Literatur, Kunst, Wissenschaft und die verwandten Industrien bei Kroll. Man tanzte nach den Kapellen Etté und Rowohlt und sah eine Fülle bezaubernder Kostüme an sich vorbeiziehen:
Walter von Molo als Dichter; Arnolt Bronnen als Original-Faschist mit ziemlich schwarzem Hemd und rituellem Monokel; Gerhart Hauptmann in einer vorzüglichen Maske als alter Gerhart Hauptmann; aus Paris zwei Damen: die Colette und Germaine André, und die Stimmung erreichte ihren Höhepunkt, als Ernst Jünger und Kaplan Fahsel einen reizenden Philosophieplattler vorführten. Die Behäbigkeit und Stämmigkeit unsrer Börsenmakler brachte die echten tiroler Kostüme erst voll zur Geltung, ein Beweis, daß Natürlichkeit das Hübscheste ist und bleibt. Zum Schluß des Abends trat in der Kaffeepause, stürmisch akklamiert, Galsworthy für die deutsch-französisch-englische Verständigung ein, womit sie ja nun wohl Tatsache sein dürfte. Die anwesenden Dichter gelobten, im Frieden Pazifisten zu sein und zu bleiben. Die moderne Literatur hat mit dieser Veranstaltung, der die Spitzen der Behörden und ein Kranz schöner Frauen beiwohnten, bewiesen, daß sie nun endlich repräsentativ geworden ist, ja wir dürfen getrost sagen: nichts als das.
Es war ein bezaubernder Abend voller Stimmung und Schwung: Diplomatie, der Tennisklub Changeant-Weiß, sehr viel Sport, auch boten die anwesenden Ballberichterstatterinnen mit den Brillanten ihres Stils ein reizendes Bild. Herr Generaldirektor A. S. Geyer vom Reichsverband der deutschen Ballindustrie führte in einer zündenden Ansprache aus, daß die berliner Bälle nicht für die Besucher, sondern für die Veranstalter da seien. Gegen Mitternacht wurden zwei Büsten enthüllt: von Ludwig Pietsch und Alfred Holzbock, den Altmeistern der berliner Ballberichterstattung. Frau Direktor Marheineke (weiße Thekla-Seide, mit echt Reptil abgesetzt) zerschlug an Holzbocks Kopf eine Flasche durchaus deutschen Sektes: »Unsre Devise sei«, rief sie aus, »neckisch, aber vornehm – ausgelassen, aber mondän! Wir sind nicht dazu da, uns das Leben gegenseitig angenehm zu machen, und darum veranstalten wir die
Berliner Bälle –!«
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