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[161] Manchmal – in den feinen Hotels – da laufen die kleinen Hotelpagen durch die samtgeschwollenen Räume und rufen mit heller Stimme: »Herr Generaldirektor Eisenstein! Herr Generaldirektor Eisenstein!« – so lange, bis irgendein wohlbeleibter Herr mit schmalgefaßter Brille eilig aufsteht und hinter dem Pagen her ans Telefon stürzt . . . Das ist der Lauf der Welt. Dann muß ich jedesmal denken:
Wie wird man Generaldirektor –?
Einmal war es doch nur Herr Eisenstein, Willy Eisenstein, wissen Sie, sein Vater hat diese Röhrensache gehabt, die hat er später aufgegeben, jetzt hat er sich mit Beheim u. Ploschke assoziiert, ganz gute Leute, den Jungen kannt ich noch, wie er so klein . . . ein ganz tüchtiger Bengel, die Frau ist eine geborene Wüstefeld . . . ja, das ist Willy Eisenstein. Und der hieß am Telefon: Herr Eisenstein und im Büro: Herr Eisenstein und auf den polizeilichen Anmeldungen: Eisenstein, Willy – und überall: Herr Eisenstein . . . und nun auf einmal ist er Generaldirektor. Wie wird man das?
Macht man ein Examen? Nein, man macht kein Examen. Es ist einer der seltenen Fälle, wo man in Deutschland kein Examen macht. Wir haben Gärtnerburschen, deren Lehrherren glauben, daß Rosenschneiden ohne Abitur nicht die richtige Würze habe; unsere Motorenschlosser müssen das ›Einjährige‹ haben, keine Handwerksinnung, die nicht darauf hält, daß ihre Leute höhere Schulbildung genossen haben, obgleich die doch gar kein Genuß ist . . . aber Generaldirektor wird man ohne Examen.
Wie wird man es –? Kommt der Reichsverband Deutscher Generaldirektoren und bringt dem neugebackenen Mitglied ein Diplom ins Haus? Singt ein Männeroktett auf dem Hof:
»Heil sei dem Tag, an dem du uns erschienen –
Dideldumm – didellum – didellum –«
und sitzen dann die acht gesungen habenden Generaldirektoren in der Küche des neuen und bekommen pro Mann ein Glas Bier und eine Zigarre? Wird man zum Generaldirektor ernannt? befördert? geweiht? Wie ist das? Wie macht man das?
Schon, wie man gewöhnlicher ›Direktor‹ wird, ist nicht ganz klar und ein biologisch höchst beachtenswerter Vorgang . . . die Natur hat viele Rätsel. Und nun: ›Generaldirektor‹! Ist dazu der Nachweis erforderlich, daß man eine Schar hundsgemeiner Direktoren befehlige, einfach unter sich habe, sie beherrsche, wie der General seine Divisionen? Wie wird man Generaldirektor?
Bürgert sich der Titel gewohnheitsrechtlich ein? Oder geht Willy Eisenstein eines Freitagabends zu Bett, ganz friedlich, nur im Pyjama, noch ohne Titel – und morgens liegt die neue Benennung auf dem[161] Stuhl, und ein Generaldirektor schwimmt in der hochgeehrten Badewanne? Groß sind, o Gott, deine Wunder!
Und was geschieht, wenn den Generaldirektor einer nicht mit dem Titel anspricht? Schmettert ihn ein durchbohrender Blick darnieder? Ergreift der General das Papiermesser und sticht es dem frechen Besucher in die nichtsahnende Brust? Drückt er auf seine Privatsekretärin und befiehlt, man möge den Unbotmäßigen die Treppe herunterwerfen? Niemand weiß das.
Ja, und wie lange bleibt man Generaldirektor? Wie ist das bei . . . verzeihen Sie, es ist nur eine theoretische Frage, ich meine . . . wie ist das bei einem gerichtlichen Verfahren? Wird da der Angeklagte auch mit ›Herr Generaldirektor‹ bezeichnet? Oder ist er ausgestoßen aus der Reihe der Generaldirektoren, degradiert, beschimpft, hinuntergestoßen in den Stand der miserrima plebs? Pleitesse oblige.
Man ist Generaldirektor, oder man ist es nicht. Ich glaube: jeder kann es nicht werden. Es gehört wohl eine Art innerer Würde dazu, ein gußeiserner Halt im Charakter, verbunden mit einer ganz leisen, wehen Sehnsucht nach einem verhinderten Doktortitel . . . denn einen Titel muß der Mensch haben. Ohne Titel ist er nackt und ein gar grauslicher Anblick. Und Willy Eisenstein sah an sich hinunter, und siehe, er sahe, daß er nackt war und bloß, an der Ecke lauerte das Schund- und Schmutzgesetz . . . und da bekleidete er sich und nahm das härene Gewand des Generaldirektors auf sich (Marke: Hungerbrokat), und er ging umher und sah, daß alles gut war, und wenn die kleinen Hotelpagen nun im Hotel quäken: »Herr Generaldirektor Eisenstein!«, dann erhebt sich ein Generaldirektor und schreitet fürbaß.
In ihm sitzt, ganz klein, ganz niedlich und unverändert, der kleine Willy und lugt aus den Gucklöchern seines Titels. Erweist die Welt dem Hut die Reverenz? »Orden und Titel«, sagte der Geheimbderath aus Weimar, »halten manchen Puff ab im Gedränge.« Wobei denn die Frage offen bleiben mag, wie es in einem Gedränge von Generaldirektoren zugehen mag.