Zuckerbrot und Peitsche

[318] Nun senkt sich auf die Fluren nieder

der süße Kitsch mit Zucker-Ei.

Nun kommen alle, alle wieder:

das Schubert-Lied, die Holz-Schalmei . . .

Das Bürgertum erliegt der Wucht:

Flucht, Flucht, Flucht.


Sie wollen sich mit Kunst betäuben,

sie wollen nur noch Märchen sehn;

sie wollen ihre Welt zerstäuben

und neben der Epoche gehn.

Aus Not und militärscher Zucht:

Flucht, Flucht, Flucht.


So dichtet. Dichter: vom Atlantik,

von Rittern und von Liebesnacht!

Her, blaue Blume der Romantik!

»Er löste ihr die Brünne sacht . . . «

Das ist Neudeutschlands grüne Frucht:

Flucht, Flucht, Flucht.


Wie ihr euch durch Musik entblößtet!

In eurer Kunst ist keine Faust.

So habt ihr euch noch stets getröstet,

wenn über euch die Peitsche saust.

Ihr wollt zu höhern Harmonien

fliehn, fliehn, fliehn.


Es hilft euch nichts. Geht ihr zu Grunde:

man braucht euch nicht. Kein Platz bleibt leer.

Ihr winselt wie die feigen Hunde –

schiebt ab! Euch gibt es gar nicht mehr!

Wir andern aber wirken weit

in die Zeit!

In die Zeit!

In die Zeit!


  • [318] · Theobald Tiger
    Die Weltbühne, 09.12.1930, Nr. 50, S. 872.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 10, Reinbek bei Hamburg 1975.
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