Wallenstein und die Interessenten

[175] Mein Onkel Casimir, Chef-Leuchtturmwächter der Insel Achnoe in der Ostsee, hat mir neulich einmal erlaubt, in seiner Bibliothek zu kramen. Die Bibliothek besteht aus zwei stattlichen Bänden: ›Kochbuch für den gebildeten Mittelstand‹ von Frau Hofrat Elise Zibelius, darin liest der Onkel, der schwer magenleidend ist, in stillen Nächten und freut sich; sowie: ›Anleitung zur Errichtung von Wildgehegen im deutschen Mittelgebirge‹ – in diesem Werk hat der Onkel, wenn er Leuchtturm-Wache hat, die kleinen o's mit Tinte ausgefüllt; er hält bereits auf Seite 462.

Neben diesen beiden Büchern steht da noch ein großer Kasten mit alten Briefen; sie sind einmal bei einem Schiffbruch an Land geschwemmt worden, auf manchen ist die Schrift ganz ausgewischt, viele sind vom Seewasser zerfressen und verdorben – aber andere sind doch noch ganz gut lesbar. Und in dieser Briefkiste habe ich mit Erlaubnis des Onkels kramen dürfen.

Es fanden sich dort sechs Briefe, die ich mir abgeschrieben habe, weil ich glaube, daß sie einer breiteren Öffentlichkeit ein gewisses Interesse abzuringen in der Lage sein dürften. Sie stammen aus dem Jahre 1802 und sind an den Verleger Cotta gerichtet. Hier sind sie:


1.


Reichsverband Ehemaliger Holkischer

Reitender Jäger E. V.

Weimar, 4. Aug. 1802


An die J. G. Cotta'sche Buchhandlung

Stuttgart

Geehrter Herr!

In Ihrem dortigen Verlag ist eine Sudeley ›Wallensteins Lager‹ von einem gewissen Schiller, Friedrich, erschienen, in der auch Holkische Reitende Jäger auftreten. Abgesehen von der völligen Unkenntnis,[175] mit der dieses ›militärisch‹ sein sollende Zeug dargestellt ist, müssen wir auf das schärfste Verwahrung dagegen einlegen, daß vaterländische Belange in dieser Art von einem Zivilisten platt getreten werden. In dieser Zeit, die wie keine andere stramme Zucht und gut preußische Disciplin braucht, muß es als eine schwere Verletzung unserer sowie der Allgemein-Belange angesehen werden, wenn ein Holkischer Jäger eine Aufwärterin mit den Worten:

»Bleib Sie doch bei uns, artiges Kind!«

seinen schnöden Lüsten gefügig zu machen sucht. So etwas tut ein Holkischer Jäger nicht! Insbesondere sind während des ganzen Dreißigjährigen Krieges derart wüste und ausschweifende Scenen niemals vorgekommen. Diesbezügliche Klagen sind dem hiesigen Generalsekretariat des Reichsverbandes Ehemaliger Holkischer Reitender Jäger nicht zu Ohren gekommen.

Wir müssen daher namens von Tausenden alter Regimentskameraden fordern, daß das ›Werk‹ des p. Schiller, Friedrich, entweder ganz unterdrückt oder aber die dort vorkommenden Holkischen Jäger in welsche Berittene umgewandelt werden.

I. A.: Bertelmann

Generalsekretär des R. E. H. R. J.


2.


Königl. Bayerische

Buchprüfungsstelle

München, den 18. Januar 1802


An die J. C. Cottasche Buchhandlung

Stuttgart

Die nachgesuchte Genehmigung, das Werk

›Die Piccolomini‹

in Bayern zu vertreiben, kann hieramts nicht erteilt werden.

Gründe:

Das Werk ist geeignet, die bayerische Sittlichkeit zu verletzen bzw. in ihren Grundfesten zu erschüttern. Ausschlaggebend für das Verbot ist das unsittliche Verhältnis der Figur Thekla mit der Figur Max. Im 5. Auftritt des dritten Aufzuges sind diese beiden Personen, deren eheliche Verbindung nicht angezeigt wird, allein auf der Bühne, was hieramts nicht geduldet werden kann. Es heißt dort an einer besonders entsittlichenden Stelle:

»Thekla (ihn zärtlich bei der Hand fassend).«

Eine solche offenbare Ausschweifung ist geeignet, auf Jugendliche unter 80 Jahren entsittlichend zu wirken sowie die Anschauungen über Moral, Ehe, Liebe und die Notwendigkeit hoher Zolltarife auf das schwerste zu erschüttern.

[176] Die hiesige Behörde wird im Gegenteil alles tun, um die Anschaffung sowie auch Verbreitung dieser pornographischen Schrift auf Schulen und andern öffentlichen Oertern zu verhindern.

m. p. Xaver Gscheitner

Regierungsoberamtmann, Leiter der Buchprüfungsstelle München.


3.


Königsberg, den 2. Januar 1802

Herrn Cotta,

Stuttgart


Namens der hier versammelten königsberger Bürger mit dem Familiennamen

Neumann

protestieren 163 Neumänner gegen die unbefugte Verwendung ihres guten Namens in einem bei Ihnen erschienenen Werke ›Piccolominis Tod‹ von Goethe. Darin findet sich ein Rittmeister Neumann und ist derselbe geeignet, das Ansehen, das die weit verbreitete Familie Neumann in allen Landen genießt, auf das schwerste zu schädigen.

Wir behalten uns alle diesbezüglichen Schritte gegen Sie und den Verfasser Goethe vor.

Gustav Neumann

Dr. med. Anton Neumann

Herbert Neumann

D. Dr. Fritz Neumann

Obermedikus Neumann

Turnlehrer Neumann


4.


Fachverband der Herzogl. Anhaltinischen

Fernrohr-Industrie sowie verwandter Berufe

Dessau, am 23. April 1801


Namens und auftrags der Herzogl. Anhaltinischen Fernrohr-Industrie sowie der angeschlossenen Berufe legen die Unterzeichneten Verwahrung ein gegen eine von Ihrer Buchhandlung vertriebene Charteke

›Das Lager der Piccolomini‹ von Fritz Schiller.

Wie wir hören, tritt in diesem Schauerstück eine Gestalt namens Seni auf, die sich als Sterndeuter bezeichnet.

Namens und auftrags der Herzogl. Anhaltinischen Fernrohr-Industrie sowie der angeschlossenen Berufe können wir den Fritz Schiller nicht als berechtigt ansehn, die hochangesehenen Erzeugnisse unserer Industrie sowie der verwandten Berufe derart lächerlich zu machen sich in der traurigen Lage zu befinden.

[177] Wir fordern Sie daher auf, wenigstens in diesem Theaterstück genaustens – im Programm und im Text – anzugeben, von welcher Fernrohr-Handlung die dort benutzten Fernröhre bezogen worden sind, widrigenfalls wir bei dem hiesigen Herzogl. Anhaltinischen Kammergericht Regreß einlegen werden.

Namens und auftrags

WILLIBALD PONTENSCHEUER

Eigentümer der Fernrohr-Handlung


Pontenscheuer und Sohn

Dessau; Krumme Straße 7.

Eingang durch den »Wilden Löwen« des Herrn

Kramer.

Sextanten und Meßgeräte. Vergrößerungs-Gläser,

sowie die verwandten Berufe.


5.


(Anonym)


Wenn Ihr bestochener Juden-Knecht nicht allerschleunig das Buch Maria Piccolomini von Cotta verbrennen laßt dann sollt Ihr mal sehn wir werden es Euch schon eintränken so das Heilige zu verunschimpfieren sowie auch das Vaterland mit Füßen wahrscheinlich hat euch der Polenkönig einen Batzen Geldes dafür gegeben daß ihr es tut das wird aber nicht mehr lange dauern

VIER NATIONALE MÄNNER!


6.


Stadtverwaltung zu Eger

Eger, am 13. September 1802


Sehr geehrter Herr Hofrat Cotta!

Als Bürgermeister der kaisertreuen Stadt Eger möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf ein durch Sie vertriebenes Werk

›Wallensteins Tod‹ von Professor Schiller

hinlenken.

Ich muß meinem Bedauern Ausdruck geben, daß eine hochangesehene Buchhandlung wie die Ihre ein solches Buch publiciert hat. Dasselbe ist geeignet, durch die Schilderung von Unruhe-Scenen sowie von Tumulten und Straßen-Aufläufen, die sich angeblich in Eger abgespielt haben sollen, den österreichischen Fremdenverkehr auf das schwerste zu schädigen und müssen wir im Interesse unserer durch die Nöte der Zeiten so schwer geplagten Geschäftsleute dagegen protestieren und fordern, daß dieses Werk

[178] a) entweder ganz unterdrückt, was am besten, oder

b) der Schauplatz der Handlung nach Pilsen verlegt, oder

c) eine Scene hinzugefügt wird, aus der erhellt, daß die Stadtverwaltung von Eger alles getan hat, um einem Umsichgreifen der Tumulte im Interesse ihrer Badegäste Einhalt zu tun.

m. p. T. Betternich,

Bürgermeister von Eger


  • · Peter Panter
    Vossische Zeitung, 12.04.1931, Nr. 172.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 9, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 175-179.
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