Redakteure

[83] Das kann man natürlich nicht schreiben!

Alter Spruch


1

Der Redakteur ist ein fest angestellter Literat – das Wort Literat in seinem weitesten Umfang genommen; im Bezirk der Literatur gibt es ja keine genaue Analogie für ›Gebrauchsgraphiker‹, Journalist ist zu eng. Ich will den Redakteur nach zwei Seiten hin untersuchen: in seiner Stellung zum Verleger und in seiner Stellung zu den Mitarbeitern: zu den nicht fest angestellten Schriftstellern.


Die Standesvertretung der deutschen Redakteure hat es bisher nicht vermocht, ein würdiges Verhältnis des Redakteurs zum Verleger herzustellen, Stets empfindet der Verleger für den Redakteur so etwas wie eine leise Verachtung; in guten Häusern sind die Umgangsformen zwischen den beiden Lagern angenehm und demokratisch, an der wirklichen Lage ändert das nichts. Der Verleger ist im allgemeinen tief davon durchdrungen, daß Redakteure nur Geld kosten, aber wenig einbringen; daß im Grunde er, der Verleger, die Sache viel besser verstehe, und daß man jeden Redakteur davonjagen und durch einen andern ersetzen könne. Beim Inseratenchef sieht das wesentlich anders aus.

Die Interessen der Verleger sind mannigfaltig; am Redakteur hat er nur eines: daß der ihm keine ›Unannehmlichkeiten‹ mache. Darunter sind nicht immer Geschäftsstörungen zu verstehen – wie denn überhaupt der Zusammenhang zwischen den Inseraten und dem redaktionellen Teil der großen Zeitungen nur mittelbar ist, sehr spürbar, sehr kräftig, doch ist der Zusammenhang fast niemals direkt. Erst der Kinobranche ist es vorbehalten geblieben, hier kulturfördernd einzugreifen. Abgesehen davon haben nur kleine Druckereibesitzer den Mut, ihren[83] Redaktionsangestellten rund heraus zu sagen, sie möchten ihnen gefälligst durch eine gar zu scharfe Antialkohol-Propaganda nicht das Geschäft mit den Brauereien verderben. In den größern Zeitungsverlagen spielt sich dergleichen meist viel würdiger ab, meist, nicht immer. Da knöpft sich der Verleger oder einer seiner geschäftlichen Mitarbeiter den betreffenden Redakteur vor, und die Vokabeln heißen: »Tradition des Hauses . . . « – »Man kann eben nicht mit dem Kopf durch die Wand gehn« – »Hier, sehn Sie sich mal diesen Stoß Beschwerdebriefe an, so kann man das nicht . . . « und so fort. Die Verlogenheit sitzt hier sehr tief; der Unternehmer hat eben, wie das oft vorkommt, die Philosophie seines Geldes. Dem Redakteur wird zugemutet, die Philosophie eines Geldes zu haben, das er niemals verdient.

Verkauft er sich –? So simpel ist das nicht. Wer in die Redaktion der ›Deutschen Allgemeinen Zeitung‹ eintritt, weiß von vornherein, was ihn dort erwartet; er bewirbt sich erst gar nicht, wenn er nicht mit den Prinzipien der Politik, die dort gemacht wird, einverstanden ist. Es zwingt ihn ja keiner, grade da einzutreten – will er für den Kommunismus arbeiten, so muß er sich eben anderswo melden.

Doch sind die meisten Redakteure nicht einmal in den kleinen Alltagsfragen frei. (Ganz frei ist nur der Kritiker in nichts als ästhetischen Dingen – da darf sich alles austoben, was sonst schwer gebändigt kuscht.) Der deutsche Zeitungsverleger ist ein ängstlicher Mann; er will Geld verdienen, was ihm kein Mensch übel nimmt, und er will nur Geld verdienen, was ihm sehr übel zu nehmen ist. Er hat – mit Ausnahme von Hugenberg – wenig Machttrieb.

In Frankreich ist das nicht so. Dort ist das Zeitungswesen unmittelbar korrupter als bei uns, wo es durch obskure Einwirkungen beeinflußbar ist: der französische Zeitungsverleger will Macht. Selbst französische Redakteure wollen Macht – für Zeitungen schreiben ist in Frankreich Mittel zum Zweck. Daher sich denn auch manche Journalisten ›des nègres‹ halten, dunkle Hilfsmannschaften, die ihnen die lästige Arbeit abnehmen, einen Artikel, der jetzt, unter diesen Umständen, geschrieben werden muß, und den der Journalist geschickt und schlau vorbereitet hat, nun auch noch anzufertigen, was eine Art Formalität darstellt. Ich besinne mich, im ersten Jahr meines pariser Aufenthalts von den französischen Kollegen (also man schämt sich, das ›Kollegen‹ zu nennen) genau sondiert worden zu sein: »Was will der? Von wem nimmt er –?« Und als sie dann merkten, daß ich nur von dem lebte, was ich durch Mitarbeit an deutschen Blättern verdiente und weder von einem französischen Syndikat noch von der deutschen Botschaft bezahlt wurde, da wandten sie sich verächtlich ab: »Triple idiot!«

Das ist in Deutschland anders. Hier kann man den einzelnen Redakteur nur in ganz untergeordneten Exemplaren kaufen, auch den Verleger[84] kann man nicht von Fall zu Fall bestechen – man muß seinen Verlag an etwas ›interessieren‹. Das ist bald getan und eine Geldfrage; die Unbestechlichkeit der meisten Menschen hört ja bei . . . Reichsmark auf, nach Belieben auszufüllen. Immer aber ist der Verlag beeinflußbar.

Das geht ins Groteske. S. J. warf einst einem berliner Redakteur vor: »Aber bei euch genügen doch schon vier Beschwerdebriefe, und jeder von euch kann herausfliegen!« Der Redakteur erwiderte tiefernst: »Herr Jacobsohn, Sie irren sich. Es genügt schon einer.« Die Furchtsamkeit der Verleger geht ins Aschgraue. Irgend ein Interessenverband, dessen Syndikus sich etwas Bewegung machen will, eine Sparte des Annoncenteils, die infolge eines Zeitungs-Artikels leicht ins Wackeln gekommen ist, sind imstande, den ganzen Laden durcheinander zu bringen. Von »Das gibts bei mir nicht!« bis: »Hören Sie mal, man sollte da eigentlich . . . « spielt das in allen Tönen, und wenn der Redakteur solcherart zum Chef geht, geht er allemal nach Canossa. Nur findet aus rituellen Gründen keine Kirchenbuße statt.

Von den kleinen Generalanzeigern erwartet kein Mensch etwas andres. Deren Textteil ist nur Beilage zum Inseratenteil, und der Druckereibesitzer, der seine Annoncen sammelt, wünscht, nicht durch überflüssige Meinungsäußerungen irgend eines Schreibers in seinen Geschäften gestört zu werden. Daß aber größere Zeitungen ihre Macht überhaupt nicht anwenden, weil sie sich ihrer gar nicht bewußt sind, das ist eine Schande.

Die Verleger, meist kleine Leute, verkennen ihre Lage völlig. Woher sollten sie sie auch kennen? Zum Redakteur gehören ein Befähigungsnachweis, erbracht durch lange Lehrzeit, Allgemeinbildung oder sonst etwas, und immer wieder: Erfolg, Erfolg, Erfolg. Zum Verleger brauchte das alles nicht, da tut es schon Kauf oder Erbschaft oder sonst ein Rechtsvorgang, und Erfolglosigkeit ist ja in den Augen der Unternehmer stets die Folge ungünstiger Zeitumstände. (Gehts gut, so ist das auf ihre Tüchtigkeit zurückzuführen.) Da sitzt nun der Verleger auf seinem Stühlchen und hat: eine Zeitung, Größenwahn und Angst.

Er hat Angst vor den Berufen. Er hat Angst vor den Frauen. Er hat eine gradezu maßlose Angst vor allen Behörden. Zeitungen, die, ohne sich auf Berufsvereinigungen stützen zu können, aus geistigen Gründen ganze Beamtengruppen angreifen, kann man an den Fingern herzählen. Angst. Angst. Angst. Der Redakteur wird dabei nicht befragt; er zählt gar nicht mit.

Seine Stellung ist an den Parteizeitungen nicht viel anders. Die Fälle, wo auch in der Arbeiterpresse durch den sogenannten Geschäftsführer oder die Pressekommission der schamloseste Druck auf die Redakteure ausgeübt wird, wiederholen sich fortwährend. Von Selbständigkeit ist da keine Rede. Einmal haben sie einen SPD-Redakteur[85] in der Provinz gezwungen, nie wieder etwas von mir zu drucken; der Mann hatte Frau und Kind und gab nach. Und dann muß man die Männer sehen, die solches verordnen!

Es ist nicht an dem, daß die Verlegerschaft, wie sie gebacken und gebraten ist, aus Trotteln, bestochenen Kumpanen und Hosenhändlern besteht, was die Beteiligten mit einem ›Sehr freundlich!‹ aufnehmen werden. Doch wird die Frage: »Warum übt jener die Autorität aus?« in Deutschland fast nie gestellt und in diesem Fall niemals ehrlich beantwortet. Denn die Antwort müßte in den meisten Fällen lauten: »Weil er der Besitzer ist. Weil er in das Unternehmen hineingeheiratet hat. Weil er es geerbt hat. Weil er es gekauft hat.« Und in den seltensten Fällen: Weil er primus inter pares, weil er ein ganzer Kerl ist. Diese kleinen Privat-Behörden sind nur Behörden, weil und solange man ihnen gehorcht.

Hat der Verleger Publikumsinstinkt? Er bildet sich das fast immer ein. Ich glaube nicht recht an diesen Instinkt – dazu haben die Herren zu viele Mißerfolge.

Die meisten Zeitungsverleger haben sich da etwas zurechtgemacht, was sie ›Publikum‹ nennen – es ist ein recht verschwommener Begriff, für den das Maß aller Dinge ihre eigne Bildung abgibt. Wer diesem Begriff entspricht, den halten sie für gut. Es gibt nicht nur Publikumslieblinge (die Courths-Mahler heißt übrigens heute längst nicht mehr so) – es gibt auch Verlegerlieblinge, und das muß durchaus nicht immer dasselbe sein. Legte ich mir ein neues Pseudonym zu: nichts wäre leichter, als spaßeshalber das herzustellen, was die Druckereibesitzer für zugkräftig halten; das fiele mir im Schlaf ein, nur im Schlaf.

Wem dienen die Zeitungen? Dem öffentlichen Interesse? Du lieber Gott! Das können sie nicht, weil sie nichts wagen. Die Öffentlichkeit. hat noch eine gewisse Scheu vor der Presse, aber die Presse hat eine ungeheure Angst vor der Öffentlichkeit. Einem Sturm trotzen? Seinen Standpunkt auch dann wahren, wenn jeder zehnte Abonnent abbestellt? Wenn der gefürchtete Boykott durch irgend einen gereizten Reichsverband Deutscher Feinkosthändler heraufbeschworen wird? Es gibt nur eine Sorte Menschen, die der Zeitungsverleger nicht fürchtet: das sind die geistigen Menschen. Die können protestieren, das macht nichts.

Weit entfernt davon, mir alles, was geschieht, durch die Presse zu erklären: was könnte die deutsche Presse durchsetzen, wenn sie nur wollte! Von großen Dingen keines; von mittlern und kleinen, die ja im Leben auch mitspielen, sehr viele.

Das tut sie aber nicht. Sie hat Furcht. Furcht vor allem und Furcht vor jedem. Es fehlt ihr der politische Machttrieb großen Stils.

Wie wirkt das auf den Redakteur zurück –? Das wollen wir in der nächsten Woche untersuchen.[86]


  • · Ignaz Wrobel
    Die Weltbühne, 31.05.1932, Nr. 22, S. 813.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 10, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 83-87.
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