Christoph Kolumbus


[112] Von Walter Hasenclever und Peter Panter


Im Goldenen Anker zu Sevilla, 5. Februar 1505. Eine kleine verräucherte Matrosenkneipe. Im Hintergrund die Theke mit Flaschen, hinter der eine unsichtbare Treppe in den Keller und zur Küche führt. Links ein großes Faß, aus dem Wein gezapft wird. Rechts der Eingang. Von der Decke hängen Schiffsmodelle, an den Wänden Bilder aus dem Seemannsleben.


Amerigo (geht zu Kolumbus): Gestatten Sie, daß ich mich vorstelle. Mein Name ist Vespucci. (Pause.) Amerigo Vespucci. (Pause.) Sie haben sicher schon von mir gehört.

Kolumbus: Bedaure. Wie war der Name?

Amerigo: Amerigo Vespucci. Nach mir ist der neue Erdteil benannt. Ich habe ein Buch über meine Expedition veröffentlicht.

Kolumbus: Gratuliere.

Amerigo (feierlich): Herr Admiral, ich muß Ihnen die Hand drücken. Sie waren der erste. Sie sind wirklich ein großer Mann. Sie haben Amerika entdeckt.

Kolumbus: Was habe ich entdeckt?

Amerigo: Amerika existiert. Ich habe mich selbst davon überzeugt.

Kolumbus: Amerika? Ich habe den Seeweg nach Asien gefunden.

Amerigo: Sie haben etwas viel Größeres gefunden. Einen neuen Erdteil.

Kolumbus: Es gibt keinen neuen Erdteil.

Amerigo: Die Berechnungen des vorigen Jahrhunderts sind falsch. Asien liegt ganz woanders.

Kolumbus: Wollen Sie mich, einen alten Mann, belehren? Hier, fragen Sie meine Kameraden. Wißt ihr noch, was ihr auf unsrer letzten Reise geschworen habt?

Koch: Wir haben feierlich geschworen, daß wir das Festland von Asien erreicht haben.

Diego: Jawohl, das haben wir.

Rodrigo: Und das haben wir alle unterzeichnet. Auf so einem großen Stück Pergament!

Kolumbus (zu Amerigo): Und da wollen Sie uns erzählen, wir seien gar nicht in Asien gewesen! Machen Sie sich nicht lächerlich.

Amerigo: Herr Admiral, was sind das für Leute! Die haben im Gefängnis gesessen!

Kolumbus: Und ich?

Amerigo: Das war ein bedauerliches Mißverständnis.

Kolumbus: Davon habe ich im Gefängnis nichts bemerkt. Man hat[112] mich behandelt wie den letzten Verbrecher. In Ketten haben sie mich nach Spanien gebracht. Man hat mich betrogen und bestohlen. Ich habe nichts mehr. Und dann soll ich am Ende noch glauben, alles war ein Irrtum? Nein, junger Mann. Ich weiß Bescheid.

Marie: Herr Admiral, möchten Sie auch eine Erbsensuppe?

Kolumbus: Bring mir zwei Eier mit Brot und Butter.

Marie (ruft Pepi zu): Zwei Eier für Herrn Admiral!

Pepi (ruft in die Küche): Zwei Eier für Herrn Admiral!

Amerigo: Weshalb schreiben Sie nicht Ihre Memoiren?

Kolumbus: Memoiren? Wozu? Ich habe nichts zu verbergen.

Amerigo: Damit die Nachwelt erfährt, wie es wirklich gewesen ist.

Kolumbus: Es war ja doch ganz anders. Was ich für Possen erlebt habe! Das glaubt mir kein Mensch.

Amerigo: Verzeihung, Herr Admiral, die Weltgeschichte ist nicht possenhaft. Sie ist bedeutend.

Kolumbus: Was wissen Sie denn davon?

Amerigo: Ich habe ein Buch darüber geschrieben.

Kolumbus: Und ich bin dabei gewesen.

Amerigo: Darauf kommt es nicht an. Wir brauchen Helden, um uns selbst zu bestätigen. (Marie hat zwei Eier, Brot und Butter hingestellt.) Außerdem gibt es historische Tatsachen, die wirklich geschehn sind. Zum Beispiel Ihre Geschichte mit dem Ei.

Kolumbus: Welche Geschichte?

Amerigo (nimmt ein Ei und stößt es auf den Tisch, daß es steht): Das Ei des Kolumbus!

Kolumbus: Was ist das?

Amerigo: Aber, Herr Admiral, erinnern Sie sich nicht? Als auf dem Schiff die Meuterei ausbrach, sagte einer: So wenig wie man ein Ei auf die Spitze stellen kann, werden wir jemals Land sehn. Da nahmen Sie das Ei und stellten es so auf den Tisch.

Kolumbus: Das soll ich getan haben? Kein Wort wahr.

Diego: So ein Schwindel! Haben wir etwa gemeutert? Da sieht man, wie sie lügen.

Schiffsjunge: Wir waren Feuer und Flamme.

Pepi: Ich bin noch auf den Mastbaum geklettert und habe »Land!« gerufen.

Diego: Kinder, das war unsere schönste Zeit!

Kolumbus (nimmt das Ei, blättert es auf und ißt): Herr Amerigo, wenn Sie wieder einmal ein Buch schreiben, dann seien Sie etwas vorsichtiger. Das Ei des Kolumbus ist eine reizende Geschichte, nur leider von A bis Z erfunden. Ich fürchte, genau so wird es mit Ihrem Amerika sein.

Amerigo: Ich verdanke Ihnen eine tiefe Erkenntnis, Herr Admiral. Große Männer soll man bewundern, aber man soll sie niemals kennen[113] lernen. Leben Sie wohl! (Er geht mit einer tiefen Verbeugung ab. Gelächter hinter ihm her. Der Schiffsjunge nimmt die Gitarre.)

Pepi (singt): Erde ist trocken, und Wasser ist naß –

Alle: Sante Marie!

Pepi: Da kommen die Leut und erzähln uns was –

Alle: Sante Marie!

Pepi: Da hinten soll noch ein Erdteil stehn.

Wir waren doch da und haben keinen gesehn.

Vielleicht liegt er bloß vis-à-vis . . .

Alle: Sante Marie – Sante Marie –

Glückliche Sante Marie!

Marie (kommt mit einem Buch hinter der Theke hervor und geht zu Kolumbus): Herr Admiral, das muß ja furchtbar interessant gewesen sein bei den Wilden. Waren die alle nackt?

Kolumbus: Ganz nackt waren sie nicht.

Marie: Was hatten sie denn an?

Kolumbus: Eine Badehose.

Marie (enttäuscht): Ach . . . ! Herr Admiral, weil Sie doch so ein berühmter Mann sind . . . bitte, schenken Sie mir ein Autogramm.

Kolumbus: Was soll ich denn schreiben?

Marie: Das ist gleich – ich kanns ja doch nicht lesen.

Kolumbus (schreibt und reicht ihr das Buch zurück): Hier, mein Kind.

Marie: Was heißt das?

Kolumbus: Der erste ist immer der Dumme.

Marie: Danke auch schön. (Zu den Matrosen): Na, Kinder, was wird nun mal aus dem Land werden, das ihr da entdeckt habt?

Diego: Was soll denn daraus werden? Da sind ja bloß Affen und Papageien.

Pepi: Da wird nichts draus. In hundert Jahren ist da kein Mensch mehr.

Marie: Was meinen Sie denn, Herr Admiral? (Kolumbus erhebt sich. Während er spricht, setzt eine Jazzmusik ein, erst leise, dann immer stärker. Die Wände des Zimmers verschwinden, der Horizont erleuchtet sich. Wie hervorgezaubert erscheint plötzlich eine Vision von New York: Times Square mit Wolkenkratzern und feurigen Lichtreklamen. Es ist, als ob die Anwesenden nicht mehr in der Kneipe, sondern auf dem Broadway säßen.)

Kolumbus: Dieses Land wird einmal still und friedlich sein. Ich sehe schlichte und genügsame Menschen. Gottes Volk lebt auf der neuen Erde. Hier wird auch der Ärmste geachtet werden, und keiner wird hungern, und keiner wird unterdrückt. Dieses Volk wird die Pforten seiner Schatzkammern öffnen und Gold an alle Länder verteilen. Am Ufer des Meeres wird eine Statue stehn, und die Worte[114] der Schrift tönen aus ihrem Munde: »Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid!« Hier ist das Paradies der Welt –!

Vorhang


  • · Walter Hasenclever u. Peter Panter
    Die Weltbühne, 04.10.1932, Nr. 40, S. 506.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 10, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 112-115.
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