Ludwig Uhland

Keine Adelskammer!

Die altwürttembergische Verfassung wird mit Recht darum gerühmt, daß sich in ihr das Vertragsverhältnis zwischen Regenten und Volk so klar und ausgesprochen darlege. In ihr ist keine bourbonsche Legitimität, sie ist ein Gesellschaftsverhältnis freier, vernünftiger Wesen. Sie gibt dem Regenten den Standpunkt, von dem ihn die Aufklärung der Zeit nicht verdrängen wird, sie gibt dem Volke die Stellung, in der auch ein über Menschenrecht aufgeklärtes Volk sich gefallen darf.

Eben in dem Reinmenschlichen unsrer alten Verfassung löst sich das Rätsel, daß ein dreihundertjähriger Rechtszustand noch jetzt vollkommen zeitgemäß erscheinen kann, und gerade jetzt, wo das Gefühl der Freiheit und der Menschenwürde neu erwacht ist.

Steht nun in dieser Verfassung, auf welche der neue Vertrag gegründet werden soll, das Verhältnis zwischen Regenten und Volk so vernünftig, menschenwürdig und darum für alle Zeit geläutert da, was sollen wir dazu sagen, wenn man zwischen Adel und übrigem Volk ein Verhältnis herbeiführen will, das jenen reinmenschlichen Verband durch Mystizismus und entwürdigendes Vorurteil beflecken würde!

Der Adel nehme denjenigen Standpunkt ein, der seinen geschichtlichen Beziehungen und seinem Grundbesitz angemessen ist! Wir machen dem Adel seine Rechte nicht streitig. Aber man spreche nicht, wie man groß genug getan hat, von Söhnen Gottes und Söhnen der Menschen, von Geburt gleich Verdienst. Adelsvorurteil erkennen wir nicht an. Uns ist der Regent ein Mensch, den der Staatsvertrag hoch gestellt hat; soll uns der Adel ein Halbgott sein? Wird er das selbst verlangen? Halbgötter gehören der Fabelwelt an, Mensch ist eine ewige Würde.

Darum keine Adelskammer! (Prälaten und Gelehrte täuschen uns nicht.) Kein Stand soll des menschlichen Verkehrs mit den andern enthoben sein, alle sollen sich gegenüberstehen, Auge in Auge, wie es Menschen geziemt.

Man sage uns nichts von Rechten, die wir durch Zugeben der Adelskammer zurückerhandeln möchten, wären es auch Kasse[667] und Ausschüsse, nichts davon, wie man die Adelskammer in Steuersachen und sonst unschädlich machen könne! Solche Rede ist niedrig. Um die Idee ist es zu tun, um die Menschenwürde.

Dreißig Jahre lang hat die Welt gerungen und geblutet. Der entwürdigende Aristokratismus sollte ausgeworfen werden;

davon ist der Kampf ausgegangen.

Und jetzt, nach all dem langen, blutigen Kampfe, soll eben dieser Aristokratismus durch neue Staatsverträge geheiligt werden!

Hieße das nicht, den Todeskeim in die Verfassung legen, neue Umwälzungen vorbereiten, die vernünftige altwürttembergische Verfassung schänden, das Vaterland und die Menschheit verraten.[668]

Quelle:
Ludwig Uhland: Werke. Band 3, München 1980, S. 667-669.
Verbreitet als Flugblatt. Abgedruckt in: Rheinischer Merkur (Koblenz), 19. April 1817.
Lizenz: