[108] Der vom Wasser bedeckte Theil der Erdoberfläche wird auf drei Millionen acht mal hundertzweiunddreißigtausendfünfhundertacht- undfünfzig Quadrat-Myriameter, d.h. über achtunddreißig Millionen Hektaren1 angeschlagen. Diese flüssige Masse enthält zwei Milliarden zweihundertundfünfzig Millionen Kubikmeilen, und würde eine Kugel mit einem Durchmesser von sechzig Lieues bilden und einem Tonnengewicht von drei Quintillionen. Um diese Zahl zu begreifen, muß man sich sagen, daß die Ouintillion sich zur Milliarde verhält, wie die Milliarde zur Einheit, d.h. daß eben so viel Milliarden in[108] jener Quintillion enthalten sind, als Einheiten in einer Milliarde. Diese Wassermasse nun ist ungefähr eben so viel, als in allen Flüssen der Erde während vierzigtausend Jahren fließt.
Zur Zeit der geologischen Epochen folgte auf die Periode des Feuers die des Wassers. Der Ocean bedeckte Anfangs alles. Darauf traten in der Uebergangsepoche die Bergspitzen hervor, die Inseln tauchten auf, verschwanden wieder bei theilweisen Ueberschwemmungen, zeigten sich von Neuem, setzten sich an einander an, bildeten Continente, und endlich gewannen die Länder die feste Gestalt, wie wir sie jetzt geographisch kennen. Das Feste hatte dem Flüssigen siebenunddreißig Millionen, sechshundertsiebenundfünfzig Quadratmeilen abgewonnen im Betrag von zwölstausendneunhundertundsechzehn Millionen Hektaren.
Gemäß der Gestaltung der Continente wurden nun die Meere in die fünf großen Theile getheilt: das nördliche und südliche Polarmeer, der indische, atlantische und stille Ocean.
Der letztere, der sich von Norden nach Süden, zwischen den beiden Polarzirkeln, und von Osten nach Westen, zwischen Asien und Amerika hundertfünfundvierzig Längengrade weit erstreckt, ist von allen Meeren das ruhigste; seine Strömungen sind weit und langsam, Ebbe und Fluth mäßig, Regengüsse reichlich. Diesen Ocean sollte ich unter den seltsamsten Bedingungen zuerst durchfahren.
»Herr Professor, sprach der Kapitän Nemo zu mir, wenn es Ihnen beliebt, wollen wir den Ort, wo wir uns befinden, und den Punkt, von welchem wir abfahren, genau aufnehmen und feststellen. Es ist drei viertel auf zwölf Uhr Mittags. Ich will nun zur Oberfläche des Wassers aufsteigen.«
Der Kapitän drückte dreimal auf die elektrische Uhr. Die Pumpen begannen das Wasser aus den Behältern zu treiben; der Zeiger des Manometer gab durch den verschiedenen Druck die aufsteigende Bewegung des Nautilus an, dann stand er still.
»Wir sind oben angelangt,« sagte der Kapitän.
Ich begab mich zu der in der Mitte befindlichen Leiter, welche zur Plateform führte, kletterte die metallenen Sprossen hinauf und gelangte oben auf dem Nautilus an.
Die Plateform ragte nur um achtzig Centimeter hervor. Vorder- und Hintertheil des Nautilus zeigten die spindelförmige Gestalt, welche ihn einer[109] langen Cigarre vergleichbar machte. Ich bemerkte, wie seine Eisenplatten mit dachziegelförmigem Aussehen dem Schuppenpanzer glichen, womit der Körper der großen Land-Reptilien bedeckt ist. Ich erklärte mir daher als sehr natürlich, daß trotz der besten Fernröhre dies Fahrzeug stets für ein Seethier gehalten wurde.
Um die Mitte der Plateform bildete das kleine Boot, welches zur Hälfte in den Schiffsrumpf eingelassen war, eine leichte Erhöhung. Vorn und hinten standen zwei Gehäuse von mäßiger Höhe vor, mit schiefen Wänden, die zum Theil mit dicken Linsengläsern geschlossen waren: das eine war für den Steuerer bestimmt, der den Nautilus leitete, das andere für die glänzende elektrische Schiffslaterne, welche die Fahrt mit Licht umgab.
Das Meer war prachtvoll, der Himmel rein. Das lange Fahrzeug spürte kaum die weiten Wogen des Oceans. Ein leichter Ostwind runzelte die Oberfläche der Gewässer. Der nebelfreie Horizont begünstigte die Beobachtungen trefflich.
Wir hatten nichts in Sicht. Keine Klippe, kein Eiland. Vom Abraham Lincoln keine Spur. Eine unermeßliche Oede.
Der Kapitän Nemo nahm mit Hilfe seines Sextanten den Höhestand der Sonne auf, woraus sich ihm die Breite ergab. Er wartete einige Minuten, bis das Gestirn am Rand des Horizonts in gleiche Ebene kam. Während er beobachtete, zitterte keine seiner Muskeln, das Instrument wäre in einer marmornen Hand nicht so unbeweglich gewesen.
»Zwölf Uhr Mittags, sagte er. Herr Professor, wann Sie belieben? ...«
Ich warf einen letzten Blick auf dieses Meer, das in der Nähe der Japanischen Küste etwas gelblich war, und begab mich wieder hinab in den großen Salon.
Hier machte der Kapitän sein Besteck und berechnete mit Hilfe des Chronometers die Länge, welche er durch die vorausgehenden Beobachtungen der Stundenwinkel controlirte. Hierauf sagte er zu mir:
»Herr Arronax, wir befinden uns unter'm hundertsiebenunddreißigsten Grad und fünfzehn Minuten westlicher Länge ...
– Von welchem Meridian aus, fragte ich lebhaft, in Hoffnung seine Antwort werde mir vielleicht seine Nationalität offenbaren.
– Mein Herr, erwiderte er, ich habe verschiedene Chronometer, die nach[110] den Meridianen von Paris, Greenwich und Washington gestellt sind. Aber Ihnen zu Ehren will ich mich des Parisers bedienen.«
Aus dieser Antwort konnte ich nichts abnehmen. Ich machte eine Verbeugung, und der Commandant fuhr fort:
»Siebenunddreißig Grad und fünfzehn Minuten westlicher Länge vom Pariser Meridian ab, und dreißig Grad, sieben Minuten nördlicher Breite, d.h. etwa dreihundert Meilen vom Gestade Japans. Heute haben wir den 8. November, da zu Mittag unsere unterseeische Forschungsreise beginnt.
– Gott sei mit uns! erwiderte ich.
– Und jetzt, Herr Professor, fuhr der Kapitän fort, lasse ich Sie bei Ihren Studien. Ich habe die Richtung Ost-Nord-Ost bei fünfzig Meter Tiefe angegeben. Hier sind Karten, womit Sie dieselbe begleiten können. Der Salon steht Ihnen zu Verfügung, und ich bitte um Erlaubniß mich zurück zu ziehen.«
Ich blieb nun allein in meine Gedanken vertieft. Sie waren alle beim Commandanten des Nautilus. Sollte ich jemals erfahren, welcher Nation der seltsame Mann angehört, welcher keiner anzugehören sich rühmt? Wodurch ist sein Haß gegen die menschliche Gesellschaft, ein Haß, der vielleicht auf schreckliche Rache ausging, hervorgerufen worden? War es einer der verkannten Gelehrten, ein Genie, dem man sein Leben verkümmert hat, ein moderner Galilei, oder einer der Männer der Wissenschaft, deren Laufbahn durch politische Revolutionen zertrümmert wurde? Ich konnte noch nichts darüber sagen. Mich, den das Schicksal an sein Bord verschlug, dessen Leben er in der Hand hat, nahm er kalt, aber gastlich auf. Nur ergriff er nie die Hand, welche ich ihm reichte. Mir reichte er nie die seinige.
Eine volle Stunde blieb ich in diese Gedanken versunken, indem ich das mir so interessante Geheimniß zu durchdringen suchte. Darauf hefteten sich meine Blicke auf die große über den Tisch gebreitete Karte, und ich bezeichnete mit dem Finger den Punkt, wo die beobachtete Länge und Breite sich kreuzten.
Das Meer hat, wie die Festlande, seine Flüsse. Es sind besondere Strömungen, die an ihrer Temperatur und Farbe kenntlich sind; der merkwürdigste ist unter dem Namen Golfstrom bekannt. Die Wissenschaft hat auf der Erdkugel die Richtung der fünf Hauptströme bestimmt: einer ist im Norden, ein zweiter im Süden des Atlantischen, ein dritter im Norden, ein vierter im[111] Süden des Stillen Oceans, ein fünfter im Süden des Indischen. Es ist sogar wahrscheinlich, daß ehemals noch ein sechster Strom im Norden des Indischen Oceans existirte, zur Zeit als der Caspische und der Aral-See, die nun zu den großen Seen Asiens gehören, nur eine einzige und dieselbe Wasserfläche bildeten.
An dem auf der Karte bezeichneten Punkt nun fließt einer jener Ströme, der Schwarze Fluß, von den Japanesen Kuro-Scivo genannt, welcher vom[112] Bengalischen Golf her, wo die senkrechten Strahlen der tropischen Sonne ihn wärmen, durch die Enge von Malacca hindurch, längs der Küste Asiens fortläuft, dann im Norden des Stillen Oceans in runder Krümmung bis zur Aleutengruppe hinzieht, Stämme von Kampherbäumen und andere indische Producte mit sich fortwälzt und mit dem puren Indigo seiner warmen Gewässer von den Fluthen des Oceans absticht. Mit dieser Strömung war der Nautilus im Begriff zu fahren. Ich verfolgte ihn mit dem Blick, sah, wie[113] er sich in der Unermeßlichkeit des Stillen Oceans verlor, fühlte mich mit ihm fortgetrieben, als Ned-Land und Conseil an der Thüre des Salons erschienen.
Meine wackeren Gefährten standen wie versteinert beim Anblick der vor ihren Augen aufgehäuften Wunder.
»Wo sind wir? Wo sind wir? rief der Canadier. Im Museum zu Quebec?
– Wenn's meinem Herrn beliebt, versetzte Conseil, wäre es eher im Hotel Sommerard!
– Meine Freunde, erwiderte ich, indem ich ihnen winkte einzutreten, Sie sind weder in Canada, noch in Frankreich, sondern an Bord des Nautilus fünfzig Meter unter dem Meeresspiegel!
– Ich muß meinem Herrn glauben, weil er's versichert, erwiderte Conseil; aber offen gesagt, dieser Salon ist gemacht, selbst einen Flamländer, wie ich bin, in Staunen zu setzen.
– Staune nur, Freund, und schaue, denn für einen so starken Classificirer, wie Du, giebt's hier zu thun.«
Ich brauchte Conseil nicht aufzumuntern. Der brave Junge, über die Glaskästen gebeugt, murmelte schon Worte aus der Naturforschersprache: Classe der Gasteropoden, Familie der Buccinoiden etc.
Während dessen fragte mich Ned-Land, der wenig Sinn für Conchylien hatte, über meine Unterredung mit dem Kapitän Nemo: Ob ich entdeckt habe, wer er sei, woher er komme, wohin er gehe, in welche Tiefen er uns hinabziehe? kurz, tausend Fragen, welche ich zu beantworten keine Zeit hatte.
Ich theilte ihm mit, was ich wußte, oder vielmehr, was ich nicht wußte, und fragte ihn, was er seinerseits gehört oder gesehen habe.
»Nichts gesehen, nichts gehört! erwiderte der Canadier. Ich habe nicht einmal die Mannschaft des Bootes gesehen. Sollte sie vielleicht auch elektrisch sein?
– Elektrisch!
– Wahrhaftig! man sollte versucht sein, es zu glauben. Aber Sie, Herr Arronax, fragte Ned-Land, der noch immer seine Idee hatte, Sie können mir nicht sagen, wie viel Mann an Bord sind? zehn? zwanzig? fünfzig? hundert?
– Ich kann darauf keine Antwort geben, Meister Land. Uebrigens,[114] glauben Sie mir, geben Sie für jetzt die Idee auf, sich des Nautilus zu bemächtigen, oder zu fliehen. Dieses Fahrzeug ist ein Meisterwerk der modernen Industrie, und es wäre mir leid, hätte ich es nicht gesehen! Wie mancher würde sich gern unsere Lage gefallen lassen, sei es auch nur, um durch diese Wunder zu spazieren. Also halten Sie sich ruhig, und trachten wir zu sehen, was um uns herum vorgeht.
– Sehen! rief der Harpunier! man sieht ja nichts, man wird auch von diesem eisernen Gefängniß aus nichts sehen! Wir fahren, wir schiffen blind hinaus« ...
Diese letzten Worte sprach Ned-Land, als es plötzlich stockfinster ward. Die Helle am Plafond erlosch und zwar so rasch, daß meine Augen darüber Schmerz empfanden, gerade so, wie bei plötzlichem Uebergang aus dem Finstern zum blendenden Licht.
Wir blieben still, rührten uns nicht, da wir nicht wußten, welche angenehme oder unangenehme Ueberraschung uns bevorstand. Da hörte man ein Hin- und Hergleiten, als wenn die Füllungen der Seitenwände sich verschöben.
»Jetzt ist alles aus! sagte Ned-Land.
– Ordnung der Hydromedusen!« murmelte Conseil.
Mit einem Male ward's auf beiden Seiten des Salons hell durch zwei längliche Oeffnungen. Das Gewässer zeigte sich durch elektrische Einwirkung lebhaft erleuchtet. Wir waren nur durch zwei Glasplatten vom Meere geschieden. Anfangs schauderte mir beim Gedanken an die Zerbrechlichkeit dieser Wand; doch war sie durch starke Kupfereinfassung befestigt, so daß sie fast unendlichen Widerstand zu leisten fähig war.
Das Meer war im Umfang einer Meile um den Nautilus herum klar zu durchschauen. Welch ein Anblick! Mit der Feder nicht zu beschreiben! Wer vermöchte die Lichteffecte durch diese erleuchteten Streifen und der sanften allmäligen Abstufungen bis zu den unteren und oberen Schichten zu schildern!
Die Durchsichtigkeit des Meeres ist bekannt; man weiß, daß es weit klarer ist, als das Felsen-Quellwasser. Die mineralischen und organischen Bestandtheile, welche es in aufgelöstem Zustand enthält, erhöhen noch seine Durchsichtigkeit. In manchen Theilen des Oceans, bei den Antillen kann man hundertfünfundvierzig Meter tief den sandigen Meeresgrund mit erstaunlicher[115] Klarheit erkennen, und die durchdringende Kraft der Sonnenstrahlen scheint erst in einer Tiefe von dreihundert Meter aufzuhören. Aber in der flüssigen Umgebung des Nautilus wurde der elektrische Glanz im Schoße der Wogen selbst hervorgebracht: es war nicht erleuchtetes Wasser, sondern flüssiges Licht.
Nimmt man Ehrenberg's Hypothese an, der an eine phosphorescente Erleuchtung der Meerestiefen glaubt, so hat die Natur gewiß den Bewohnern des Meeres die wundervollste Anschauung vorbehalten, ich konnte hier durch das tausendfache Lichtspiel ein Urtheil darüber gewinnen. Auf jeder Seite blickte ich durch's offene Fenster in die unerforschten Abgründe. Das Dunkel im Salon hob die äußere Helle, und wir schauten, als sei dieses reine Spiegelglas das Fenster eines unermeßlichen Aquariums.
Der Nautilus schien nicht seine Stelle zu ändern, weil es an Merkpunkten fehlte. Mitunter jedoch ließen die durch seinen Schnabel vor unseren Augen zertheilten Wasserstreifen eine äußerste Schnelligkeit erkennen.
In Staunen versunken lagen wir vor diesen Glasscheiben, keiner unterbrach das bewundernde Schweigen. Dann sprach Conseil:
»Sie wollen schauen, Freund Ned, nun denn, schauen Sie!
– Merkwürdig! merkwürdig! rief der Canadier aus, der unwiderstehlich angezogen seinen Zorn und seine Entweichungsprojecte vergaß – man würde weit her kommen, so Wundervolles zu sehen!
– Ah! rief ich aus, jetzt begreife ich das Leben dieses Mannes! Er hat sich eine Welt für sich besonders geschaffen, die ihm erstaunliche Wunder vorbehält!
– Aber die Fische? bemerkte der Canadier. Ich sehe keine Fische!
– Was liegt Ihnen denn daran, Freund Ned, erwiderte Conseil, Sie kennen ja dieselben nicht.
– Ich, gewiß! Ein Fischer von Profession!« rief Ned-Land.
Und es erhob sich ein Streit zwischen den beiden Freunden, denn sie kannten beide die Fische, aber jeder in sehr verschiedener Weise.
Es ist Jedermann bekannt, daß die Fische die vierte und letzte Classe der Wirbelthiere ausmachen. Man hat sie richtig definirt: »Wirbelthiere mit kaltem Blut und doppeltem Umlauf, welche durch Kiemen athmen und im Wasser zu leben bestimmt sind.« Sie bestehen aus zwei Abtheilungen: Fische[116] mit Knochen, d.h. deren Rückgrat aus knochenartigen Wirbeln gebildet ist; und Knorpelfische mit knorpeligen Rückgratswirbeln.
Conseil, der weit mehr Kenntnisse über den Gegenstand hatte, wollte nun aus Freundschaft nicht dulden, daß Ned darin so wenig Kenntnisse hatte. Er sprach:
»Freund Ned, Sie sind ein sehr geschickter Fischer, verstehen diese Thiere zu tödten. Sie haben sie in großer Menge gefangen, aber wie man sie eintheilt, wissen Sie wohl nicht.
– O ja! erwiderte der Harpunier. Sie werden eingetheilt in Fische, die man ißt, und solche, die man nicht ißt.
– Solch' eine Eintheilung macht ein Fresser, versetzte Conseil. Aber sagen Sie mir, ob Sie den Unterschied von Knochen- und Knorpel-Fischen wissen?
– Vielleicht wohl, Conseil.
– Und die Unterabtheilung dieser großen Classe?
– Hab' keinen Begriff davon, erwiderte der Canadier.
– Nun, so hören Sie, Freund Ned, und behalten Sie. Die Knochenfische zerfallen in sechs Ordnungen:
Die erste, mit vollständigen beweglichen Oberkiefern, und Kiemen in Gestalt eines Kammes, begreift fünfzehn Familien, welche drei Viertel der bekannten Fische ausmachen, darunter der gemeine Barsch.
– Schmeckt ziemlich gut, erwiderte Ned-Land.
– Die der zweiten Ordnung, Afterflosser genannt, haben ihre Bauchflossen am Unterleib und hinter den Brustflossen, nicht an die Schulterknochen geheftet. Sie bildet fünf Familien, wozu die meisten Süßwasserfische gehören, darunter der Karpfen, der Hecht.
– Pfui! sagte der Canadier verächtlich, Süßwasserfische!
– Drittens, fuhr Conseil fort, deren Bauchflossen unter den Brustflossen stehen, und unmittelbar an die Schulterknochen geheftet sind. Sie machen vier Familien aus, wozu die Butten, Plattfische, Meerzungen gehören etc.
– Vortrefflich! Vortrefflich! rief der Harpunier aus, der die Fische durchaus nur nach der Eßbarkeit schätzte.
– Viertens, fuhr Conseil fort, ohne sich irre machen zu lassen, die[117] Apoden, mit langem Leib, ohne Bauchflossen, und einer dichten, oft klebrigen Haut. Diese Ordnung bildet nur eine Familie, zu welcher der Aal gehört.
– Mittelmäßig! versetzte Ned-Land.
– Die der fünften haben vollständige und freie Kiefern, ihre Kiemen aber bestehen aus kleinen Trotteln, welche paarweise längs den Kiemenbögen stehen. Diese Ordnung ist nur eine Familie, wozu das Seepferd gehört.
– Nicht gut! nicht gut! versetzte der Harpunier.
– Bei einer sechsten Ordnung endlich ist der Kieferknochen an der Seite festgeheftet und die Gaumenwölbung durch eine Naht mit dem Schädel eingezahnt, so daß sie unbeweglich wird. Diese Ordnung hat keine eigentlichen Bauchflossen und besteht aus zwei Familien, wozu der Mondfisch gehört.
– Schande für eine Pfanne! rief der Canadier.
– Haben Sie begriffen, Freund Ned? fragte der gelehrte Conseil.
– Nicht das Mindeste, Freund Conseil, war die Antwort. Aber fahren Sie nur immer fort, Sie sind sehr interessant.
– Die Knorpelfische, versetzte Conseil mit unvergleichlicher Ausdauer, enthalten nur drei Ordnungen.
– Um so besser, sagte Ned.
– Bei dem ersten sind die Kiefern in einem beweglichen Ring verwachsen, und die Kiemen öffnen sich in zahlreichen Löchern; zu dieser gehört nur die Familie der Lampretten.
– Die sind zu schätzen, erwiderte Ned-Land.
– Bei der zweiten ist der Unterkiefer beweglich. Die zwei Familien dieser Ordnung sind durch Rochen und Haifisch repräsentirt.
– Wie! rief Ned, Rochen und Hai in derselben Ordnung! Da ist's räthlich, sie nicht in denselben Behälter zu thun!
– Die dritten haben wie gewöhnlich Kiemen, welche durch eine einzige mit einem Deckel versehene Spalte sich öffnen. Ein Muster dieser Ordnung ist der Stör.
– Ah, Freund Conseil, Sie haben das Beste bis zuletzt aufgehoben.
– Ja, wackerer Ned, erwiderte Conseil. Merken Sie aber, hiermit weiß man nichts, denn die Familien theilen sich in Gattungen, Arten, Varietäten.
– Aber, Freund Conseil, sagte der Harpunier, da sehen wir ja die Arten und Varietäten vor dem Fenster vorüberziehen!
– Ja! rief Conseil. Man sollte meinen, man wäre in einem Aquarium![118]
– Nein, erwiderte ich, denn das Aquarium ist ein Gefängniß, und diese Fische da sind frei, wie die Vögel in der Luft.
– Ei nun, Freund Conseil, nennen Sie sie doch bei Namen! sagte Ned-Land.
– Ich, erwiderte Conseil, verstehe mich nicht darauf! Das ist eine Sache meines Herrn!«
Und wirklich, trotz allem Classificiren war er kein Naturkundiger, und wußte wohl nicht einen Thunfisch von einem Bonit zu unterscheiden. Gerade im Gegentheil verstand der Canadier diese Fische alle zu benennen.
Ned und Conseil zusammen hätten einen ausgezeichneten Naturkundigen abgegeben.
»Ein chinesischer Hornfisch!« rief Ned-Land, und irrte nicht.
Ein Trupp Hornfische, mit plattem Körper, und einem Stachel auf dem Rücken, trieben sich munter um den Nautilus herum und bewegten die vier Reihen Stacheln, welche auf beiden Seiten ihres Schwanzes wie Borsten starren. Ihre Haut ist wunderschön, oben grau, unten weiß mit goldenen Flecken, die in den düsteren Wellen glänzten. Zwischen ihnen schwammen Rochen, und unter denselben bemerkte ich sehr erfreut den chinesischen Rochen, oben gelblich, unten am Bauch zart rosa, und hinter dem Auge mit drei Stacheln.
Zwei Stunden lang gab ein ganzes Heer von Wasserthieren dem Nautilus das Geleite. Mitten in ihrem Spiel, ihren Sprüngen, wie sie um die Wette an Schönheit, Glanz und Schnelligkeit sich hervorthaten, zeigten sie sich unseren Blicken in reizender Mannigfaltigkeit. Unsere Bewunderung hielt sich unausgesetzt auf ihrem Höhepunkt. Ned wußte sie zu benennen, Conseil zu classificiren, ich entzückte mich an ihren schönen Formen und lustigen Bewegungen. Diese Thiere lebend, frei in ihrem natürlichen Elemente zu schauen, war ein Genuß, der mir noch nie geworden war. Ich will alle die mannigfaltigen Gattungen nicht aufzählen, die, angelockt wohl vom elektrischen Licht, zahlreicher als die Vögel der Luft um uns her schwammen.
Plötzlich ward's wieder hell im Salon. Die eisernen Tafeln schoben sich wieder vor. Das bezaubernde Schauspiel hörte auf. Aber ich war noch lange wie im Traum, bis meine Blicke auf die an den Wänden hängenden Instrumente fielen. Die Magnetnadel wies stets nach Nord-Nord-Ost, der Manometer zeigte einen Druck von fünf Atmosphären, was eine Tiefe von[119] fünfzig Meter bedeutete, und das elektrische Log gab eine Schnelligkeit von fünfzehn Meilen die Stunde an.
Ich erwartete den Kapitän Nemo, aber er erschien nicht. Es war fünf Uhr. Ned-Land und Conseil begaben sich wieder in ihre Cabine, ich in mein Zimmer, wo ich mein Mahl aufgetragen fand. Es bestand aus einer Suppe von Caretschildkröte, Meerbarbe von weißem Fleisch, deren Leber besonders in köstlicher Zubereitung, und Stückchen Kaiser-Holocante, die mir schmackhafter als Salmen vorkamen.
Den Abend brachte ich mit Lesen, Schreiben und in Gedanken hin. Als der Schlaf mir kam, streckte ich mich auf mein Seegraslager, und schlummerte tief, während der Nautilus quer durch die reißende Strömung des Schwarzen Flusses fuhr.
1 à 10,000 Quadratmeter.
Buchempfehlung
Die tugendhafte Sara Sampson macht die Bekanntschaft des Lebemannes Mellefont, der sie entführt und sie heiraten will. Sara gerät in schwere Gewissenskonflikte und schließlich wird sie Opfer der intriganten Marwood, der Ex-Geliebten Mellefonts. Das erste deutsche bürgerliche Trauerspiel ist bereits bei seiner Uraufführung 1755 in Frankfurt an der Oder ein großer Publikumserfolg.
78 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.
428 Seiten, 16.80 Euro