Elftes Capitel.
Der Winter. – Das Walken der Wolle. – Die Walkmühle. – Eine fixe Idee Pencroff's. – Das Fischbein. – Wozu ein Albatroß dienen kann. – Das Brennmaterial der Zukunft. – Top und Jup. – Stürme. – Zerstörung im Hafen. – Ein Ausflug nach den Sümpfen. – Cyrus Smith allein. – Untersuchung des Brunnenschachtes.

[362] Mit dem Juni, dem December der nördlichen Erdhälfte, kam der Winter und gleichzeitig trat die Nothwendigkeit ein, warme und haltbare Kleidungsstücke anzufertigen.

Die Mufflons der Hürde waren geschoren worden, und jetzt handelte es sich darum, diese kostbaren Stoffe in wirkliches Gewebe umzuwandeln.

Selbstverständlich besaß Cyrus Smith weder Rauhcarden noch Wollkämme, weder Glätt- noch Streckwalzen, weder Zwirner, weder »mule-jenny«, noch »self-acting« zum Spinnen der Wollfäden und mußte sich demnach mit einem einfacheren Verfahren behelfen, um das Spinnen und Weben zu umgehen.[362] So blieb ihm nichts übrig, als diejenige Eigenschaft der Wollfäden zu benutzen, vermöge welcher sie, wenn man sie von allen Seiten drückt und schlägt, sich vollkommen verwirren und dadurch den sogenannten Filz darstellen. Solcher Filz konnte also durch einfaches Walken gewonnen werden, eine Operation, die zwar die Weichheit des Stoffes vermindert, auf der andern Seite aber die Wärme erhaltende Eigenschaft desselben wesentlich steigert. Gleichzeitig lieferten die Mufflons auch eine ziemlich kurzhaarige Wolle, welche zur Filzerzeugung besonders geeignet ist.

Mit Unterstützung seiner Genossen – Pencroff, der seine Arbeit noch einmal unterbrechen mußte, inbegriffen – verschritt der Ingenieur zu den Vorarbeiten, welche den Zweck hatten, die Wolle von der sie imprägnirenden fettigen und öligen Substanz, dem sogenannten Schweiße, zu befreien. Diese Entfettung ging in großen Trögen mit Wasser vor sich, das man bis auf 70° erhitzte und in dem die Wolle vierundzwanzig Stunden lang gehalten wurde; nachher wusch man sie in einem Sodabade aus, hierauf befand sich die durch Ausdrücken hinlänglich getrocknete Wolle in walkbarem Zustande, in dem sie also verwandelt werden konnte in ein haltbares, wenn auch grobes Gewebe, das zwar auf den Industrieplätzen Europas oder Amerikas keinerlei Werth gehabt hätte, aber doch »für die Märkte der Insel Lincoln« gewiß ein beachtenswerthes Product darstellte.

Ein solcher Stoff mochte wohl schon in den ältesten Zeitperioden bekannt gewesen sein, und wirklich wurden die ersten Wollenstoffe auf die nämliche Art und Weise hergestellt, die auch Cyrus Smith anwenden wollte.

Zum größten Vortheile gereichte ihm seine Eigenschaft als Ingenieur, als es sich um die Construction einer Walkmaschine handelte, denn er verstand die bis jetzt nicht ausgenutzte Kraft des Wasserfalles, der sich über den Strand hin verlief, recht geschickt zum Betreiben einer Walkmühle auszubeuten.

Diese war freilich so einfach wie möglich. Ein mit Hebearmen ausgestatteter Baum, welche die verticalen Stampfer aushoben und niederfallen ließen, große Kufen zur Aufnahme der Wolle, in welche jene niederschlugen, ein starker Holzrahmen, der das Ganze verband und befestigte, das war diese Maschine, und so war sie Jahrhunderte lang gewesen, bis man auf den Einfall kam, diese Stampfen durch Compressions-Cylinder zu ersetzen und die Wolle nicht mehr zu schlagen, sondern von Anfang an glatt zu drücken.[363]

Die von Cyrus Smith geleitete Operation hatte den gewünschten Erfolg. Die Wolle, vorher mit einer seifenartigen Substanz imprägnirt, um sie schlüpfriger zu machen, ihre Compression und Erweichung zu erleichtern und ihre Zerstörung durch das Aufschlagen der Stampfen zu verhindern, verließ die Mühle in Form dicker Filzplatten. Die seinen Rinnen und Rauhigkeiten der Wolle hatten sich so vollkommen verfilzt, daß sie einen zu Kleidungsstücken und Decken gleich verwendbaren Stoff bildeten. Natürlich konnte man diesen weder für Merino, noch für Musselin, für Schottischen Cashemir, noch für Stoff, Rips oder satin de Chine, weder für Orleans, Alpaca, noch für Tuch oder Flanell ausgeben! Es war eben »Lincoln-Filz«, ein neues Industrie-Erzeugniß der Insel.

Die Colonisten vermochten nun, mit guten Kleidern und dicken Decken versehen, dem Winter von 1866 zu 1867 ohne Angst entgegen zu sehen.

Gegen den 20. Juni trat strengere Kälte ein und Pencroff mußte zu seinem größten Leidwesen den Bau des Schiffes unterbrechen, der im kommenden Frühjahr bestimmt beendet werden sollte.

Bei dem Seemanne blieb es eine fixe Idee, eine Reise zur Untersuchung der Insel Tabor, obwohl Cyrus Smith eine solche gar nicht billigte, rein aus Neugier zu unternehmen, denn auf dem wüsten und halb dürren Felseneilande durfte man nicht hoffen, irgend welch' neues Hilfsmittel zu finden. Eine Reise von einhundertfünfzig Meilen auf einem verhältnißmäßig kleinen Schiffe, mitten durch unbekannte Meerestheile, verursachte Cyrus Smith eine unausgesetzte Sorge.

Wenn nun das Fahrzeug, ins offene Meer gelangt, nicht im Stande sein sollte, weder die Insel Tabor zu erreichen, noch nach Lincoln zurückzukehren, was sollte aus ihm mitten im Pacifischen Oceane, der so reich an Gefahren ist, wohl werden?

Wiederholt besprach Cyrus Smith diesen Plan mit Pencroff, begegnete aber bei Letzterem einem ganz wunderlichen Starrsinn, jene Reise auszuführen, einem Starrsinn, über den er sich wahrscheinlich selbst keine Rechenschaft gab.

»Ich muß Ihnen auch bemerken, mein Freund, sagte der Ingenieur eines Tages zu ihm, daß Sie, nach so vielen der Insel Lincoln gespendeten Lobsprüchen und einem wiederholt geäußerten Bedauern, wenn Sie gezwungen[364] wären, dieselbe zu verlassen, nun doch der Erste sind, der ihr den Rücken zu wenden sucht.

– Nur für einige Tage, entgegnete Pencroff, nur für einige Tage, Herr Cyrus! Ich will nur hin- und zurückfahren und mir jenes Eiland besehen!

– Jenes kann aber der Insel Lincoln nicht gleichkommen.

– Das glaube ich im Voraus.

– Warum sich also dahin begeben?

– Um zu wissen, was auf der Insel Tabor vorgeht.

– Dort geht aber nichts vor; dort kann nichts vorgehen!

– Ja, wer weiß?

– Und wenn ein Sturm Sie überfiele?

– Das ist in der schönen Jahreszeit nicht zu befürchten, antwortete Pencroff. Indessen, Herr Cyrus, da man Alles in's Auge fassen muß, so ersuche ich Sie nur um die Erlaubniß, Harbert auf jene Reise mitzunehmen.

– Pencroff, sagte der Ingenieur, eine Hand auf des Seemanns Schulter legend, wenn Ihnen und dem Kinde, das der Zufall zu unserem Sohne gemacht hat, ein Unglück zustieße, glauben Sie, daß wir uns darüber trösten könnten?

– Herr Cyrus, versetzte Pencroff mit unerschüttertem Vertrauen, wir werden Ihnen diesen Kummer nicht machen Uebrigens sprechen wir von der Reise erst wieder, wenn die Zeit dazu da ist. Ich bilde mir ein, daß, wenn Sie unser wohl ausgerüstetes und gut verteuntes Schiff sehen und sich überzeugen, wie es sich auf dem Meere hält, was ja schon eine Umsegelung der Insel zeigen muß, die wir doch Alle zusammen ausführen, Sie keinen Augenblick anstehen werden, mich reisen zu lassen! Ich verhehle Ihnen gar nicht, daß Ihr Fahrzeug da ein wahres Meisterwerk zu werden verspricht.

– Sagen Sie wenigstens unser Schiff, Pencroff!« erwiderte der für den Augenblick entwaffnete Ingenieur.

Das Gespräch wurde zwar abgebrochen, doch nur, um später wieder aufgenommen zu werden, ohne den Seemann oder den Ingenieur zu anderer Ansicht zu bringen.

Gegen Ende Juni fiel der erste Schnee. Schon vorher hatte man die Viehhürde reichlich versorgt, so daß sie keine täglichen Besuche erforderte;[365] dennoch beschloß man, dieselbe nie länger als eine Woche ohne Besichtigung zu lassen.

Jetzt wurden die Fallen auf's Neue in Stand gesetzt und auch die von Cyrus Smith angefertigten kleinen Apparate versucht. Man legte die zusammengebogenen Fischbeinstäbchen, welche jetzt vom Eise in ihrer Form gehalten wurden und mit einer dicken Fettschicht bedeckt waren, am Saume des Waldes an solchen Stellen nieder, an denen gewöhnlich Thiere vorüber kamen, wenn sie nach dem See gingen.

Zur größten Befriedigung des Ingenieurs erwies sich diese den Aleuten-Fischern zu verdankende Erfindung sehr erfolgreich. Ein Dutzend Füchse, einige Eber und selbst ein Jaguar wurden auf diese Weise getödtet, daß die sich ausdehnenden Fischbeine ihnen den Magen durchbohrten.

Hier verdient auch ein Versuch Erwähnung, durch den die Colonisten sich zum ersten Male mit anderen Menschen in Verbindung zu setzen trachteten.

Gedeon Spilett dachte wohl schon öfter daran, eine Notiz in eine Flasche verschlossen dem Meere in der Hoffnung zu übergeben, daß die Strömungen sie an eine bewohnte Küste führen möchten, oder auch einer Taube eine solche anzuhängen. Wie konnte man aber im Ernste erwarten, daß Flaschen oder Tauben die ungeheure Entfernung von 1200 Meilen zurücklegen würden, welche die Insel nur von dem nächsten Lande trennte? Das wäre Thorheit gewesen.

Am 30. Juni fing man, aber nicht ohne Mühe, einen Albatros, den ein Flintenschuß Harbert's nur leicht an der Pfote verletzt hatte. Es war ein prächtiger Vogel aus jener Familie, deren Flügelweite zehn Fuß mißt und die so ausgedehnte Meere wie den Pacifischen Ocean bequem überfliegen.

Harbert hätte zwar den stolzen Vogel, dessen Wunde schnell heilte, gern behalten, Gedeon Spilett stellte ihm aber vor, daß es Unrecht wäre, diese seltene Gelegenheit zu vernachlässigen, um mittels Courier mit den Ländern im Stillen Ocean zu correspondiren, und Harbert mußte sich ihm fügen, denn wenn der Albatros von einem bewohnten Lande hergekommen war, würde er bestimmt dahin zurückkehren, sobald man ihn wieder in Freiheit setzte.

Im Grunde war Gedeon Spilett, bei dem der Reporter dann und wann zum Durchbruch kam, auch nicht böse, ganz auf ungefähr ein Artikelchen über die Abenteuer der Colonisten der Insel Lincoln anfügen zu können! Welchen[366] Erfolg für den wohlbestallten Berichterstatter des »New-York Herald«, und für die Nummer, welche eine derartige Notiz bringen würde, wenn dieselbe je ihre richtige Adresse, den Director des Blattes in der Person des ehrenwerthen John Benett, erreichte!

Gedeon Spilett entwarf also einen Auszug in der gedrängtesten Form, den man in einen Sack aus gummirter Leinwand steckte, mit der inständigen Bitte an den ehrlichen Finder, denselben der Expedition des »New-York Herald« zugehen zu lassen. Dieses Säckchen band man dem Albatros um den Hals, nicht an den Fuß, da diese Vögel die Gewohnheit haben, manchmal auf der Meeresoberfläche auszuruhen; dann schenkte man dem schnellen Courier der Luft die Freiheit, und nicht ohne eine gewisse Erregung sahen ihn die Ansiedler in der nebeligen Ferne des Westens verschwinden.

»Wohin zu fliegt er wohl? fragte Pencroff.

– In der Richtung auf Neuseeland, antwortete Harbert.

– Glückliche Reise!« rief der Seemann, der für seine Person von dieser Methode der Correspondenz sich keines besonderen Erfolges versah.

Mit Eintritt des Winters nahm man die Arbeiten im Innern des Granithauses wieder auf, besserte die Kleidungsstücke sorgsam aus, verfertigte neue und richtete auch das nothwendige Segelwerk her, das aus der unerschöpflichen Ballonhülle geschnitten wurde ....

Während des Monats Juli machte sich die Kälte recht empfindlich fühlbar, doch brauchte man ja weder Holz noch Kohlen zu schonen. Im großen Saale hatte Cyrus Smith auch einen zweiten Ofen aufgestellt, denn in diesem Raume pflegte man die langen Abende zu verbringen. Unter Geplauder bei der Arbeit und Lectüre, wenn die Hände ruhten, verfloß die Zeit nutzbringend für Jedermann.


Abfertigung eines Postboten wider Willen. (S. 367.)
Abfertigung eines Postboten wider Willen. (S. 367.)

Den Colonisten gewährte es eine wahrhafte Freude, wenn sie in dem durch Kerzen wohlerleuchteten und mittels Kohle angenehm durchwärmten Saale, nach einer stärkenden Mahlzeit, den duftenden Hollunderkaffee in der Tasse, aus den Pfeifen wohlriechende Wölkchen blasend, den Sturm draußen toben hörten! Sie hätten sich vollkommen wohl befunden, wenn es jemals bei Dem der Fall sein könnte, der fern von Seinesgleichen und ohne jede Verbindung mit der anderen Welt ist! Immer wieder sprachen die Ansiedler von ihrer Heimat, von den Freunden, die sie verlassen, von der Macht und Größe der amerikanischen Republik, deren Einfluß immer im Zunehmen sein[367] mußte, und Cyrus Smith, der sich vielfach mit den Angelegenheiten der Union beschäftigt hatte, gewährte durch seine Berichte, Bemerkungen und Prophezeiungen seinen Zuhörern die anregendste Unterhaltung.

Eines Tages fühlte sich Gedeon Spilett dadurch zu den Worten veranlaßt:

»Doch sagen Sie mir, lieber Cyrus, läuft diese ganze industrielle und commerzielle Bewegung, deren zunehmendes Wachsthum Sie für gesichert halten, nicht früher oder später Gefahr, vollständig aufgehalten zu werden?[368]

– Aufgehalten? Und wodurch?

– Durch den Mangel an Kohle, welche man mit Recht das köstlichste Mineral nennen könnte.

– O gewiß, das köstlichste, antwortete der Ingenieur, auch scheint es die Natur durch Erschaffung des Diamantes, der ja nur aus krystallisirter Kohle besteht, noch besonders haben bestätigen zu wollen.


Winterabend im Granithause. (S. 367.)
Winterabend im Granithause. (S. 367.)

– Sie wollen damit doch nicht sagen, Herr Cyrus, meldete sich Pencroff,[369] daß man unter den Dampfkesseln an Stelle der Steinkohle einst Diamanten verbrennen werde?

– Nein, mein Freund, erwiderte Cyrus Smith.

– Doch bleib' ich bei meiner Ansicht, fuhr Gedeon Spilett fort. Sie widersprechen gewiß nicht, daß die Kohle eines Tages aufgezehrt sein wird?

– Heutzutage sind die Vorräthe noch sehr beträchtlich, und 100,000 Arbeiter, die jährlich hundert Millionen metrische Centner davon ausbringen, vermögen sie noch nicht zu erschöpfen!

– Bei dem wachsenden Steinkohlenverbrauche, antwortete Gedeon Spilett, ist aber leicht vorauszusehen, daß diese 100,000 Arbeiter sowohl, als die jetzige Ausbeute sich bald verdoppeln werden.

– Ohne Zweifel; sollten indeß die Steinkohlenlager Europas, welche übrigens durch vervollkommnete Maschinen auch noch in größerer Tiefe auszunutzen sind, zu Ende gehen, so liefern die von Amerika und Australien noch lange Zeit den Bedarf der Industrie.

– Wie lange etwa? fragte der Reporter.

– Mindestens zweihundertfünfzig bis dreihundert Jahre.

– Das ist zwar für uns beruhigend, meinte Pencroff, aber nicht gerade für unsere späteren Nachkommen.

– Bis dahin findet sich ein Ersatz, sagte Harbert.

– Das muß man hoffen, fiel Gedeon Spilett ein, denn ohne Kohlen gäbe es keine Maschinen mehr, ohne solche keine Eisenbahnen; keine Dampfschiffe, keine Werkstätten, überhaupt nichts mehr, was der moderne Culturfortschritt verlangt.

– Doch was könnte man wohl finden? fragte Pencroff, haben Sie darüber eine Ansicht, Herr Cyrus?

– Eine oberflächliche, ja, mein Freund.

– Nun, was wird an Stelle der Kohle zum Brennen dienen?

– Das Wasser, antwortete Cyrus Smith.

– Das Wasser! rief Pencroff erstaunt; das Wasser, um Dampfschiffe und Locomotiven zu treiben, Wasser, um damit Wasser zu erhitzen?

– Ja wohl, doch das in seine Elementarbestandtheile zerlegte Wasser, belehrte ihn Cyrus Smith, zerlegt durch Elektricität, die bis dahin zur mächtigen und leicht verwendbaren Kraft erwachsen sein wird, denn alle großen Erfindungen scheinen in Folge eines unerklärlichen Gesetzes sich zur[370] selbigen Zeit zu ergänzen. Ich bin davon überzeugt, meine Freunde, daß das Wasser dereinst als Brennstoff Verwendung findet, daß Wasserstoff und Sauerstoff, die Bestandtheile desselben, zur unerschöpflichen und bezüglich ihrer Intensität ganz ungeahnten Quelle der Wärme und des Lichtes werden. Der Tag wird nicht ausbleiben, wo die Kohlenkammern der Steamer und die Tender der Locomotiven statt der Kohle diese beiden Gase vielleicht in comprimirtem Zustande mitführen werden, welche unter den Kesseln eine enorme Heizkraft entwickeln. Keine Furcht also! So lange diese Erde bewohnt ist, wird sie den Bewohnern das Nöthige liefern, und nie wird es ihnen an Licht und Wärme fehlen, so wenig wie an den Erzeugnissen des Pflanzen-, Stein- und Thierreiches. Ich glaube also, daß man, wenn unsere jetzigen Kohlenschächte einmal erschöpft sein werden, mit Wasser heizen wird. Das Wasser ist die Kohle der Zukunft.

– Das möchte ich mit erleben, sagte der Seemann.

– Dazu bist Du etwas zu früh aufgestanden, Pencroff«, antwortete Nab, der sich nur mit diesen Worten bei der Unterhaltung betheiligte.

Diese Bemerkung Nab's beendete nun eigentlich das Gespräch nicht, wohl aber ein Gebell Top's, das denselben sonderbaren Klang hatte, wie er dem Ingenieur schon früher manchmal aufgefallen war. Gleichzeitig lief Top um die Mündung des Schachtes herum, der sich im innern Vorraum öffnete.

»Warum mag nur Top so bellen? fragte Pencroff.

– Und Jup so auffallend brummen?« fügte Harbert hinzu.

Wirklich gab der Orang-Utang, der sich zum Hunde gesellte, ganz unverkennbare Zeichen von Aufregung, und sonderbarer Weise schienen die beiden Thiere mehr ängstlich, als gereizt zu sein.

»Es liegt auf der Hand, sagte Gedeon Spilett, daß dieser Schacht in unmittelbarer Verbindung mit dem Meere steht und irgend ein Wasserthier von Zeit zu Zeit auf seinem Grunde auftaucht, um Athem zu schöpfen.

– Das sollte man glauben, stimmte ihm der Seemann bei, denn eine andere Erklärung giebt es wohl nicht .... Ruhig, Top, fügte Pencroff, nach dem Hunde gewendet, hinzu, und Du, Jup, in deine Kammer!«

Der Affe und der Hund schwiegen. Jup suchte sein Lager auf, doch Top verblieb im Zimmer, nicht ohne den ganzen Abend über ein verhaltenes Knurren hören zu lassen.[371]

Von dem Zwischenfalle, der dennoch die Stirne des Ingenieurs verdüsterte, war keine Rede mehr.

Den Rest des Monats Juli über wechselten Regen und Kälte ab. Die Temperatur sank nicht so weit als im verwichenen Winter, und ihr Minimum überschritt nicht 13° C. Wenn dieser Winter aber weniger kalt war, so zeichnete er sich desto mehr durch Stürme und Windstöße aus, und manchmal rollten wahrhaft riesige Wellen über den Strand heran, welche die Kamine bedrohten und an der Granitwand donnernd zerschellten.

Wenn die Colonisten von ihren Fenstern aus die gewaltigen Wassermassen sich daherwälzen und unter ihren Augen brechen sahen, nöthigte ihnen das prächtige Schauspiel des empörten Meeres oft die ungetheilteste Bewunderung ab.

Mit weißem Schaum bekrönt wogten die Wellen auf und nieder, der Strand verschwand unter der plötzlichen Ueberschwemmung, und der Granitwall schien direct aus dem Meere, dessen Wasserstaub wohl hundert Fuß aufwirbelte, empor zu tauchen.

Während dieser Stürme war es schwer, sich auf die Wege der Insel hinauszuwagen, da nicht selten Bäume niedergeworfen wurden. Trotzdem ließen die Colonisten nie eine Woche vergehen, ohne die Viehhürde einmal zu besuchen. Bei der durch einen südostlichen Vorberg des Franklin-Vulkan geschützten Lage hatte diese Einfriedigung von der Gewalt des Sturmes, der die Bäume derselben ebenso verschonte, wie die Schuppen und die Palissade, nicht allzuviel zu leiden. Der auf dem Plateau der Freien Umschau gelegene Hühnerhof dagegen, welcher dem Anprall des Windes ausgesetzt war, erlitt manche Beschädigung. Zweimal wurde das Taubenhaus und an verschiedenen Stellen die Barrière umgeworfen. Alles das mußte möglichst haltbar ausgebessert werden, da es keinem Zweifel unterlag, daß die Insel Lincoln gerade in dem stürmischsten Theile des Pacifischen Oceans zu suchen war Ja, es schien sogar, als bilde sie das Centrum ungeheurer Cyclone, welche sie peitschten, wie die Peitsche den Kreisel. Nur daß in diesem Falle der Kreisel unbeweglich war und die Peitsche sich drehte.

In der ersten Augustwoche ließ die stürmische Witterung etwas nach und die Atmosphäre gewann wieder eine Ruhe, die sie für immer verloren zu haben schien. Gleichzeitig sank aber die Temperatur, ja es trat sogar eine[372] sehr lebhafte Kälte ein, bei der die Thermometersäule bis auf 22° unter Null herabging.

Am 3. August führte man eine seit mehreren Tagen projectirte Excursion nach den Tadorne-Sümpfen im Südosten der Insel aus. Die Jäger wurden dazu durch den Reichthum an Wasservögeln veranlaßt, welche dort ihre Winterquartiere hatten. Wilde Enten, Becassinen, langgeschwänzte Enten, Silbertaucher gab es daselbst in Menge, und so beschloß man, einen Tag der Jagd auf dieses Geflügel zu verwenden.

Nicht allein Gedeon Spilett und Harbert, sondern auch Pencroff und Nab betheiligten sich bei der Expedition. Nur Cyrus Smith schützte eine nothwendige Arbeit vor und blieb allein im Granithause zurück.

Die Jäger schlugen die Straße nach dem Ballonhafen ein und wollten ihrem Versprechen gemäß an demselben Abend zurückkehren. Top und Jup begleiteten sie. Sobald sie die Mercy-Brücke überschritten hatten, zog der Ingenieur dieselbe wieder auf, da er jetzt ein längst gehegtes Vorhaben zur Ausführung bringen wollte, bei dem er nothwendig allein sein mußte.

Sein Vorhaben bestand aber in nichts Anderem, als in der genaueren Untersuchung des Schachtes, dessen Mündung sich im Niveau des Vorraumes ihrer Wohnung endigte, und der wohl mit dem Meere communiciren mußte, da früher das Wasser des Sees durch ihn abgeflossen war.

Weshalb umkreiste Top diese Mündung so häufig und bellte er so eigenthümlich, wenn ihn eine Art Unruhe nach diesem Schachte hinzog? Warum zeigte auch Jup eine so sonderbare Beängstigung? Gingen von diesem Schachte noch andere Verzweigungen aus, als der verticale Gang nach dem Meere? Führte er vielleicht auch nach anderen Theilen der Insel? Das war es, was Cyrus Smith zu wissen verlangte, und deshalb wollte er jetzt allein sein. Endlich sollte ihm die lange gesuchte Gelegenheit dazu werden.

Mit Benutzung der Strickleiter, welche seit Einrichtung des Aufzuges fast gar nicht mehr gebraucht wurde, und die eine hinreichende Länge hatte, mußte es ihm wohl sehr leicht gelingen, auf den Grund des Schachtes zu kommen.

Er schleppte also diese Leiter nach der Oeffnung und ließ sie nach gehöriger Befestigung des oberen Endes hinunter gleiten; dann zündete er eine[373] Laterne an, ergriff einen geladenen Revolver, steckte sich ein Messer in den Gürtel und kletterte vorsichtig die Stufen hinab.

Die Wand erwies sich überall voll, doch ragten hier und da einzelne Felsenvorsprünge so weit hervor, daß es einem gewandten Thiere wohl möglich sein mußte, an denselben heraufzuklettern.

So urtheilte wenigstens der Ingenieur; als er die Vorsprünge aber sorgfältig beleuchtete, fand er keinerlei Eindrücke oder Ritze, welche hätten annehmen lassen, daß sie jemals als Stiegen gedient hätten.

Cyrus Smith begab sich tiefer hinab und untersuchte die Wände ringsum so sorgfältig als möglich. Nirgends im Verlaufe des Schachtes öffnete sich ein Seitenweg, der unterirdisch nach anderen Theilen der Insel hätte führen können. Als Cyrus Smith an die Steinmauer klopfte, erhielt er überall einen vollen Ton. Offenbar bestand sie aus massivem Granit, durch welchen kein lebendes Wesen sich einen Weg zu brechen vermochte.

Um vom Grunde des Schachtes nach seiner Ausmündung zu gelangen, gab es keinen anderen Weg, als diesen fortwährend unter Wasser stehenden Kanal, der ihn tief unter den Felsen und unter dem Strande hin mit dem Meere in Verbindung setzte, der also nur für Wasserthiere gangbar war. Die Frage, an welcher Stelle des Ufers und wie tief unter dem Wasser dieser Kanal ausmünde, ließ sich vorläufig noch nicht entscheiden.

Als Cyrus Smith seine Untersuchung beendet hatte, stieg er wieder hinauf, zog die Strickleiter nach, bedeckte die Mündung wie vorher, und kehrte gedankenvoll nach dem großen Saale im Granithause zurück.

»Gesunden habe ich nichts, sagte er für sich, und doch liegt ein Geheimniß da unten verborgen!«[374]

Quelle:
Jules Verne: Die geheimnisvolle Insel. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band XIV–XVI, Wien, Pest, Leipzig 1876, S. 362-375.
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