[383] Die Bewohner der Gallia verbrachten die Nacht, d.h. die wenigen Stunden bis Sonnenaufgang, in ganz unaussprechlicher Besorgniß. Auch Palmyrin Rosette hatte die bittere Kälte aus seinem Observatorium nach den inneren Galerien des Nina-Baues vertrieben. Jetzt oder nie bot sich vielleicht die Gelegenheit, ihn zu fragen, ob er immer noch bei der Absicht verharre, auf seinem unbewohnbaren Kometen die Sonnenwelt zu durchstreifen, worauf er indessen jedenfalls bejahend geantwortet hätte. Ob er übergeschnappt sei und das bis zu welchem Grade, hätte Niemand entscheiden können.[383]
Gleichzeitig mit ihm hatten auch Kapitän Servadac und die anderen Alle eine Zuflucht in den tieferen Galerien der Bergmasse aufsuchen müssen. Der nach außen so weit offene Hauptsaal war jetzt nicht mehr zu benutzen. Schon traten glitzernde Krystalle an seinen sonst nur feuchten Wänden auf, und selbst wenn es gelungen wäre, dessen große offene Seite, welche früher der Lavavorhang bedeckte, irgendwie anders zu verschließen,[384] so mußte die Temperatur dieses Raumes doch bis zur Unerträglichkeit herabsinken.
Das Innere der dunklen Gänge bot immer noch eine mittelmäßige Wärme. Zwischen der Luft draußen und drinnen hatte sich – wenn das auch nicht mehr lange dauern durfte – das Gleichgewicht jetzt noch nicht hergestellt. Man fühlte es fast, wie die Wärme sich gleichsam zurückzog. Der[385] Berg glich etwa einem Leichnam, dessen Extremitäten zuerst erkalten, während das Herz der Todeskälte noch widersteht.
»Nun gut, rief Kapitän Servadac, so werden wir im Herzen selbst unsere Wohnung aufschlagen.«
Am nächsten Tage versammelte er seine Genossen um sich.
»Liebe Freunde, redete er sie an, was ist's denn, das uns bedroht? Die Kälte, zugegeben, aber auch weiter nichts als die Kälte. Wir besitzen Lebensmittel, welche unsere Fahrt auf der Gallia überdauern werden, Conserven in solchem Ueberflusse, daß wir eines Brennmateriales gewiß nicht bedürfen. Was brauchten wir denn übrigens, um die paar Monate Winter hinzubringen? Nur ein wenig von der Wärme, welche die Natur uns bisher umsonst lieferte. Nun, es ist ja mehr als wahrscheinlich, daß diese Wärme in den Eingeweiden der Gallia noch vorhanden ist, also werden wir sie dort aufsuchen!«
Diese vertrauungsvollen Worte belebten die guten Leute wieder, deren Einige schon den Muth sinken ließen. Graf Timascheff, Lieutenant Prokop und Ben-Zouf drückten dem Kapitän die dargebotene Hand; sie waren ja am meisten davon entfernt, das Spiel verloren zu geben.
»Zum Kuckuck, aber Du, Nina, sagte Hector Servadac, da ihm das kleine Mädchen vor Augen kam, fürchtest Du Dich denn nicht davor, in den Vulkan mit hinabzusteigen?
– O, nein, Herr Kapitän, erwiderte Nina entschlossen, vor allem, wenn Pablo mit uns geht.
– Natürlich geht auch Pablo mit. Das ist ein wackerer Bursche, er fürchtet sich vor nichts. – Nicht wahr, Pablo?
– Ich folge Ihnen überall, wohin Sie gehen, Herr Gouverneur,« antwortete der Knabe.
Alle waren unterrichtet und bereit, ihren Vorsatz auszuführen.
Man durfte hierbei natürlich nicht etwa daran denken, durch die obere Oeffnung des Kraters einzudringen. Bei so niedriger Temperatur konnten die Abhänge des Berges unmöglich gangbar sein. Auf den schiefen, schlüpfrigen Flächen hätte der Fuß wohl niemals einen Stützpunkt gefunden. Man sah sich demnach darauf angewiesen, nach dem Centralkamin direct durch die Bergwand vorzudringen, und das auch schnell zu vollbringen, denn die grausige[386] Kälte begann sich schon in den gedecktesten Winkeln des Nina-Baues fühlbar zu machen.
Da Lieutenant Prokop die Anordnung der inneren Galerien und ihren Verlauf in der Bergmasse früher schon untersucht hatte, konnte er angeben, daß einer der engen Seitengänge sehr nahe dem Centralkamin sein Ende haben mußte.
An dieser Stelle schien es, wenn die Lava durch den Druck der Dämpfe höher hinaufbrodelte, als ob die Wärme so zu sagen durch die Wand »schwitzte«. Offenbar war die mineralische Substanz, jener Tellurit, aus dem der Bergkegel bestand, ein guter Wärmeleiter. Durchbrach man also diese Galerie in einer Länge von höchstens sieben bis acht Metern, so mußte man auf den alten Weg der Lava stoßen, und hier durfte man hoffen, hinabklettern zu können.
Die Arbeit ward ohne Verzug begonnen. Bei dieser Gelegenheit zeigten die russischen Matrosen unter der Anleitung ihres Lieutenants eine erstaunliche Gewandtheit. Spitzhaue und Axt genügten freilich nicht, die außerordentliche harte Masse zu bezwingen. Man konnte nur Sprenglöcher herstellen und den Felsen mittels Pulvers entfernen. Die Arbeit schritt eben dadurch wesentlich schneller vorwärts und wurde binnen zwei Tagen nach Wunsch zu Ende geführt.
Während dieses kurzen Zeitraumes hatten die Kolonisten von der Kälte furchtbar zu leiden.
»Bleibt uns der Eintritt in das Innere des Vulkans verwehrt, hatte Graf Timascheff geäußert, so wird das Keiner von uns überdauern können und das Ende der Gallia-Kolonie nahe sein!
– Graf Timascheff, entgegnete Kapitän Servadac, haben Sie noch Vertrauen zu Dem, der Alles vermag?
– Gewiß, Kapitän; doch er kann heute etwas Anderes wollen als gestern. Es kommt uns nicht zu, über seine Beschlüsse zu richten. Bis jetzt war seine Hand für uns offen ... nun scheint sie sich zu schließen ...
– Nur zur Hälfte, fiel Kapitän Servadac ein. Er stellt unseren Muth neu auf die Probe. Ein gewisses Etwas sagt es mir, wie unwahrscheinlich es sei, daß die Eruption des Vulkans in Folge des wirklichen Verlöschens des inneren Gallia-Feuers aufgehört habe. Es scheint vielmehr, als sei[387] diese Unterbrechung des Abflusses der Laven nach außen nur eine vorübergehende.«
Lieutenant Prokop schloß sich der Ansicht des Kapitän Servadac allseitig an. Vielleicht hatte sich an einer anderen Stelle des Kometen eine neue Krateröffnung gebildet, und es war ja möglich, daß sich die Auswurfsmassen jetzt durch diesen Weg hinausdrängten. Vielerlei Ursachen konnten in die Verhältnisse, welche die bisherige Eruption bedingten, verändernd eingegriffen haben, ohne daß die mineralischen Substanzen im Innern der Gallia ihren Verbindungsproceß mit dem Sauerstoffe der Luft eingestellt haben mußten. Leider erwies es sich unmöglich, vorher zu bestimmen, ob man im Stande sein werde, bis zu einem Punkte einzudringen, der es gestattete, der ungeheuren Kälte der Außenwelt zu trotzen.
Während jener beiden Tage betheiligte sich Palmyrin Rosette weder an derlei Gesprächen noch an den Arbeiten. Er ging und kam wie eine Seele im Fegefeuer, der noch alle Resignation fehlt. Er hatte, entgegen jeder Abmahnung, sein Fernrohr in dem Hauptsaale aufgestellt. Von hier aus betrachtete er manchmal, am Tage wie in der Nacht, den weiten Himmel, bis er buchstäblich gefroren dasaß. Dann zog er sich murrend zurück, verwünschte das ganze Warm-Land und verschwor sich, daß sein Felsen auf Formentera ihm günstigere Verhältnisse geboten hätte!
Der letzte Axthieb erfolgte am 4. Januar. Man hörte die Steintrümmer in das Innere des Centralkamines hinabrollen. Lieutenant Prokop beobachtete mit Sicherheit, daß sie nicht lothrecht hinunterstürzten, sondern mehr längs der Wände zu gleiten schienen, wobei sie da und dort gegen vorstehende Steine anstießen. Der Centralkamin mußte also geneigte Umfassungswände haben und folglich auch leichter gangbar sein.
Diese Schlußfolgerung bewahrheitete sich.
Nach Erweiterung der gewonnenen Oeffnung bis zu dem Durchmesser, daß sich ein Mensch hindurchzwängen konnte, begaben sich Lieutenant Prokop und Kapitän Servadac, ihnen voraus Ben-Zouf mit einer brennenden Fackel, in den Centralkamin. Dieser folgte, unter einem Neigungswinkel von höchstens fünfundfünfzig Grad, einer schief verlaufenden Linie. Man vermochte in demselben also, ohne einen unglücklichen Fall zu befürchten, langsam hinabzusteigen. Ueberdies zeigten die Wände zahlreiche Risse, kleine Vertiefungen und Vorsprünge, so daß die Füße unter der weichen Decke von Asche stets[388] einen sicheren Stützpunkt fanden. Es rührte das von der nur kurzen Dauer der Eruption her, welche unzweifelhaft erst seit dem Zusammenstoße der Gallia mit der Erde bestand, wobei jene einen Theil der Erdatmosphäre mit sich riß, so daß die Wände also durch die Lavamassen noch nicht abgeschliffen waren.
»Schön, rief Ben-Zouf, hier ist also die Treppe! Entschuldigen Sie, daß sie noch nicht ganz fertig wurde!«
Kapitän Servadac und seine Gefährten begannen vorsichtig hinabzuklimmen. Es fehlten allerdings, um mit Ben-Zouf zu reden, so manche Stufen, und sie brauchten fast eine halbe Stunde Zeit, um in der Richtung nach Süden zu eine Tiefe von fünfhundert Fuß zu erreichen. Die Wände des Centralkamines zeigten da und dort wohl gewisse Ausbuchtungen; keine derselben setzte sich aber in Form einer Galerie weiter fort.
Ben-Zouf erleuchtete alle mit seiner Fackel, so daß man den Hintergrund dieser Höhlen sehen und sich überzeugen konnte, daß keine derselben, ähnlich den oberen Etagen des Nina-Baues, sich weiter in die Bergmasse hinein verzweigte.
Freilich blieb den Gallia-Bewohnern keine Wahl. Sie mußten in ihrer Lage die Hilfe annehmen, wie sie sich ihnen darbot.
Kapitän Servadac's Hoffnung schien sich übrigens zu bestätigen. Mit jedem weiteren Eindringen in die tieferen Bergschichten nahm die Temperatur merkbar und in steigendem Maße zu. Man hatte es auch nicht mit einer einfachen Steigerung der Wärmegrade, wie in den Bergwerken der Erde, zu thun. Eine örtliche Ursache veranlaßte hier vielmehr eine schnellere Temperaturzunahme. Im tiefen Grunde verrieth sich schon die Quelle dieser Wärme. Es war ja keine Kohlengrube, sondern ein Vulkan, den sie hier untersuchten.
In der Tiefe dieses Vulkanes, der nicht erloschen war, wie man hätte befürchten können, brodelten noch die Lavamassen. Wenn sie jetzt auch aus unbekannten Gründen nicht bis zu ihrer Kratermündung aufstiegen, um nach außen abzufließen, so durchdrang ihre Wärme doch alle Grundmauern des Bergkegels. Ein Quecksilber-Thermometer, das Lieutenant Prokop mitgenommen, und ein Anerold-Barometer, welches Kapitän Servadac bei sich hatte, zeigten beide, letzteres die Tiefenlage ihres Standortes unter der Meeresfläche, jenes die progressive Zunahme der Temperatur. Sechshundert[389] Fuß unter der Oberfläche des Kometen zeigte die Quecksilbersäule sechs Grad über Null.
»Sechs Grad, sagte Kapitän Servadac, ist noch etwas zu wenig Wärme für Leute, welche den Winter über mehrere Monate lang eingesperrt bleiben sollen. Versuchen wir, noch tiefer zu gehen, da ja überall ein hinreichender Luftwechsel stattzufinden scheint.«
Durch den geräumigen Krater des Berges und die weite Oeffnung an seiner Seite zog die Luft wirklich in vollen Strömen. Es hatte den Anschein, als würde sie von diesen Tiefen angesaugt und gleichzeitig eignete sie sich hier besser zum Athmen. Man durfte also ungestraft wagen, soweit hinabzugehen, bis man eine zusagende Temperatur antraf.
Die Wanderer gelangten noch vierhundert Fuß unter das Niveau des Nina-Baues und erreichten damit eine Tiefe von zweihundertfünfzig Metern unter dem Gallia-Meere. Hier zeigte das Thermometer zwölf Grad Celsius über Null, also eine hinreichende Temperatur, so lange sie keine Veränderung erlitt.
Die drei Männer hätten auf dem schrägen Lavawege leicht noch weiter vordringen können. Doch, wozu sollte das dienen. Bei aufmerksamerem Lauschen vernahmen sie auch schon ein dumpfes Getöse – ein Beweis, daß sie von dem Feuerherde des Innern nicht weit entfernt waren.
»Bleiben wir hier, sagte Ben-Zouf, wer zu frostig ist unter unseren Kolonisten, der mag noch tiefer hinunter kriechen, wenn es ihm Spaß macht! Aber alle Wetter, ich für meinen Theil finde, daß es schon hier gehörig warm ist.«
Es handelte sich nun darum, zu wissen, ob es thunlich wäre, sich in diesem Theile des Berges wohl oder übel häuslich einzurichten.
Hector Servadac und seine Begleiter saßen eben auf einem etwas vorspringenden Felsen, von welchem Platze aus sie die Stelle, an der sie weilten, beim Scheine der Fackel genau mustern konnten.
Um wahr zu sein, mußte man freilich gestehen, daß sie nicht besonders einladend aussah. Der Centralkamin bildete hier durch eine locale Ausweitung nur eine Art tiefer Höhle, welche allerdings geräumig genug war, die ganze Kolonie aufzunehmen. Eine den gewohnten Bedürfnissen entsprechende Einrichtung mochte hier nur schwer durchzuführen sein. Ueber und unter der Hauptausbuchtung fanden sich zwar kleinere Höhlen von genügendem Umfange,[390] um die Nahrungsmittel und andere Vorräthe darin unterzubringen, auf besondere Zimmer für Kapitän Servadac und Graf Timascheff mußte man aber jedenfalls verzichten. Einen kleinen, etwa für Nina zu bestimmenden Schlupfwinkel fand man noch in der Nähe. Im Uebrigen mußte man sich auf ein völlig gemeinschaftliches Leben einrichten. Die Haupthöhle bildete dabei den Speisesaal, das Wohnzimmer und den Schlafraum. Nachdem sie eine lange Zeit hingebracht, wie Kaninchen in ihrem Baue, sollten die Kolonisten sich nun in die Erde verkriechen wie Maulwürfe und so wie diese vegetiren – ohne sich der Wohlthaten des langen Winterschlafes dieser Thiere zu erfreuen.
Es konnte jedoch nicht schwer werden, diese Höhle mittels Lampen und Laternen zu erleuchten. An Oel fehlte es nicht, da das Hauptmagazin noch mehrere Fässer desselben enthielt, ebenso wie eine gewisse Menge Weingeist, welcher zur Bereitung einiger warmer Speisen diente.
Von einer gänzlichen, ununterbrochenen Einsperrung während des ganzen Gallia-Winters konnte ja nicht die Rede sein. Voraussichtlich würden die Kolonisten doch in möglichst warmer Kleidung entweder den Nina-Bau oder auch die Uferfelsen besuchen. Außerdem trat an sie die Nothwendigkeit heran, sich mit Eis zu versorgen, das durch Einschmelzung den ganzen Wasserbedarf der Gesellschaft zu decken bestimmt war. Einer nach dem Anderen sollte sich dieser beschwerlichen Aufgabe unterziehen, bei der es sich darum handelte, neunhundert Fuß hoch emporzuklettern und mit einer schweren Belastung ebenso tief zurückzukehren.
Nach sorgsamster Besichtigung entschied man sich dafür, daß die kleine Kolonie in diese dunkle Höhle übersiedeln und sich daselbst wohl oder übel häuslich einrichten sollte. Die einzige Aushöhlung sollte Allen als Wohnstätte dienen. Alles in Allem waren Kapitän Servadac und seine Gefährten damit ja nicht schlechter gestellt als die Schiffer, welche in arktischen Gegenden überwintern. Man benutzt in solchen Fällen nämlich, am Bord der Wallfischfahrer ebenso wie in den Faktoreien Nordamerikas, niemals eine Mehrzahl von Zimmern und Cabinen, sondern begnügt sich mit einem einzigen geräumigen Saale, in welchen die Feuchtigkeit weniger leicht Zugang findet, und richtet dann seine Aufmerksamkeit vorzüglich auf die Ecken, an welchen die Condensation der Wasserdünste am leichtesten stattfindet. Dazu ist ein großes, hohes Zimmer leichter zu lüften und zu erwärmen, und folglich auch[391] der Gesundheit zuträglicher. In den Forts des hohen Nordens richtet man gewöhnlich eine ganze Etage, in den Schiffen das ganze Zwischendeck in dieser Weise ein.
Lieutenant Prokop, der mit den Gebräuchen und Lebensgewohnheiten in den Polarmeeren aus Erfahrung vertraut war, erklärte Obiges mit kurzen Worten, und seine Gefährten entschlossen sich, in dieser Weise zu überwintern, da sie zu einer Ueberwinterung gezwungen waren.
Alle Drei stiegen wieder nach dem Nina-Bau hinaus. Die Kolonisten wurden mit den letzten Beschlüssen bekannt gemacht und stimmten ihnen ohne Widerrede bei. Nun ging es unverzüglich an die Arbeit, die erwählte Höhle von den noch warmen Aschenresten gründlich zu säubern und das Nothwendigste von dem Materiale aus dem Nina-Baue schleunigst überzuführen.
Hier war keine Stunde zu verlieren. Man fror, selbst in den tiefsten Galerien der alten Wohnung, fast buchstäblich zu Eis. Der Eifer aller Betheiligten wurde also ganz natürlicher Weise wach gehalten und niemals mag wohl ein Umzug und das Ausräumen einer Wohnung, beziehungsweise der Möbel, Lagerstätten derselben, verschiedener Werkzeuge, mancher Vorräthe aus der Goëlette und vieler Waaren der Tartane, hurtiger ausgeführt worden sein. Freilich kommt hierbei in Betracht, daß man Alles nur bergab zu schaffen hatte, und daß das wesentlich verminderte Gewicht der Collis deren Handhabung nicht wenig erleichterte.
Selbst Palmyrin Rosette mußte, so sehr er auch dagegen eiferte, in das Innere der Gallia hinabflüchten; er gab jedoch um keinen Preis zu, daß man sein Fernrohr mit wegschaffte. Freilich war es für jene dunkle Höhle von vornherein nicht geschaffen und blieb also ruhig auf seinem Dreifuß im Hauptsaal des Nina-Baues zurück.
Es ist wohl unnütz, die kaum wiederzugebenden Klagen Isaak Hakhabut's hier aufzuführen. Da gab es im ganzen Weltall keinen so geprüften Handelsmann wie ihn. Mitten unter den Neckereien der Anderen, die ihm niemals erspart blieben, bewachte er scharf den Transport seiner Waaren. Auf Kapitän Servadac's Befehl ward Alles, was ihm gehörte, auf einer Seite zusammengestellt, wo er selbst hausen sollte. So konnte er seine Güter übersehen und seinen Handel nach Belieben fortsetzen.
Binnen wenigen Tagen war die neue Einrichtung vollendet. Einige Schiffslaternen beleuchteten spärlich den schiefen Hauptgang nach dem Nina-Bau, was einen ganz romantischen Anblick bot und in »Tausend und einer Nacht« gewiß reizend gewesen wäre.[392] Die große Höhle, der allgemeine Wohnraum, wurde durch die Lampen der Dobryna erhellt. Am 10. Januar war Jedermann in der Tiefe des Kraters wohnlich eingerichtet und wohl[393] verwahrt, mindestens gegen die Kälte, welche im Freien sechzig Grad unter Null erreichte.
»Va bene! wie unsere kleine Nina sagt, rief der leicht befriedigte Ben-Zouf. Statt in der ersten Etage zu wohnen, campiren wir einfach im Keller, das ist Alles!«
Und doch konnten sich Graf Timascheff, Kapitän Servadac und Prokop, wenn sie ihre Empfindungen auch möglichst verbargen, einer gewissen Unruhe wegen der Zukunft nicht erwehren. Wenn die vulkanische Wärme einmal aufhörte, wenn irgend eine unerwartete Störung den Umlauf der Gallia um die Sonne verzögerte, wenn man in die Lage käme, unter den nämlichen Verhältnissen noch einmal zu überwintern, würde man dann das nothwendige Brennmaterial im Kerne des Kometen finden? Steinkohlen, diese Ueberbleibsel vorsündfluthlicher Wälder, welche in grauer Vorzeit vergraben und im Laufe vieler Jahrtausende mineralisirt wurden, konnten im Innern der Gallia nicht vorhanden sein. Sollte man darauf angewiesen sein, die Eruptivmassen zu verwenden, welche das Innere des Vulkanes auch nach seinem völligen Erlöschen noch bergen mußte?
»Laßt nur die Zukunft herankommen, liebe Freunde, sagte Kapitän Servadac. Wir haben noch lange Monate hindurch Zeit zu überlegen, zu plaudern und zu besprechen. Mordio, das müßte ja mit dem Teufel zugehen, wenn uns bis dahin kein gescheidter Gedanke käme!
– Gewiß, antwortete Graf Timascheff, wenn sich Schwierigkeiten erheben, leistet das Gehirn mehr als sonst. Uebrigens ist es kaum wahrscheinlich, daß die Wärme des Innern uns vor Eintritt des Gallia-Sommers fehlen sollte.
– Ich glaub' es kaum, meinte Lieutenant Prokop, denn noch immer hört man das Sieden und Zischen im Kratergrunde. Die Entzündung dieser vulkanischen Substanzen datirt erst aus jüngster Zeit. Als der Komet durch den Weltraum irrte, besaß er bis zu seinem Zusammentreffen mit der Erde keine Atmosphäre und folglich kann der Sauerstoff erst nach jenem Ereigniß in sein Inneres Zutritt gefunden haben. Nun bildete sich eine chemische Verbindung, deren Resultat die Eruption war. Eben deshalb darf man, meiner Ansicht nach, voraussetzen, daß die plutonische Thätigkeit auf der Gallia noch im ersten Anfange steht.[394]
– Ich stimme Dir so sehr bei, Prokop, bemerkte Graf Timascheff, daß ich, weit entfernt an ein Verlöschen des Centralfeuers zu glauben, vielmehr eine andere, für uns nicht minder entsetzliche Möglichkeit befürchte.
– Und diese wäre? fragte Kapitän Servadac.
– Ich denke hierbei daran, Kapitän, daß ein plötzlicher Wiederausbruch erfolgen könnte und uns mitten auf dem gewohnten Wege der Lava überraschte.
– Mordio! rief Kapitän Servadac, das wär' eine schöne Bescheerung!
– Wir werden wachen, versprach Lieutenant Prokop, und zwar mit solcher Aufmerksamkeit, um uns nicht überraschen zu lassen!«
Fünf Tage später, am 15. Januar, ging die Gallia durch ihr Aphel, am Ende der großen Achse ihrer Bahn, und gravitirte an diesem Punkte 132 Millionen Meilen entfernt von der Sonne.
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