[226] »Ein sonderbares Land! schrieb Van Mitten in sein Notizbuch, in dem er einige flüchtig aufgefaßte Eindrücke notirte. Die Frauen bestellen das Land und schleppen Lasten, während die Männer Hanf hecheln und Wolle spinnen!«
Der gute Holländer täuschte sich damit nicht. So ist es noch heute Sitte in der entlegenen Provinz Lasistan, mit welcher der zweite Theil der Reise anging.
Es ist ein noch wenig bekanntes Land, jenes Gebiet, welches mit der kaukasischen Grenze beginnt, der Theil des türkischen Armeniens, der zwischen dem Charchut- und Tschorockthale einerseits, und der Küste des Schwarzen Meeres andererseits liegt. Seit Th. Deyrottes haben nur wenige Reisende jene Districte des Paschaliks Trapezunt besucht und sich in deren mittelhohen Gebirgen verirrt, deren Kämme sich bis zum See von Van vielfach verschlingen und die Hauptstadt Armeniens, Erzerum, den größten Ort des Vilajets, das über eine Million Einwohner zählt, einschließen.
Dieser Landstrich hat wichtige geschichtliche Ereignisse erlebt. Von den Höhen herab, auf denen beide Zweige des Euphrat ihre Quellen haben, zog Xenophon mit seinen Zehntausend gegen die Heersäulen des Artaxerxes Mnemon bis zum Ufer des Phasis. Dieser Phasis ist nicht der Rion, welcher in Poti mündet; das ist vielmehr der Kur, der aus kaukasischem Gebiete herabrinnt, und er verläuft nur unsern jenem Lasistan, durch welches der Seigneur Keraban eben mit seinen Leuten ziehen wollte.
O, wenn Van Mitten Zeit gehabt hätte, welch' kostbare Beobachtungen würde er ohne Zweifel gemacht haben, wo Xenophon der Heerführer, Geschichtsschreiber und Philosoph den Taoquen und Chalyben beim Hervorbrechen aus dem Lande der Karduquen eine Schlacht lieferte, und wo der Berg Chenium liegt, von dem aus die Griechen die so oft ersehnten Flotten des Pontus Euxinus mit Jubelruf begrüßten![226]
Van Mitten fand aber keine Zeit, etwas zu sehen, keine Muße zu Studien, oder vielmehr man ließ ihm keine dazu. Und da kam auch Bruno auf sein Anliegen zurück und stachelte seinen Herrn an, von Keraban so viel zu leihen, als sie brauchten, um sich von ihm trennen zu können.
»In Choppa!« erwiderte Van Mitten vertröstend.
Man begab sich also auf Choppa zu. Würde sich aber dort ein Beförderungsmittel finden, ein Gefährt, welches nur einigermaßen im Stande war, den an der Eisenbahn von Poti zertrümmerten Reisewagen zu ersetzen?
Das war denn doch ein sehr ernsthaftes Ding. Noch hatte man gegen zweihundertfünfzig Lieues zurückzulegen und nur siebzehn Tage bis zum 30. desselben Monats übrig, und mit diesem Datum mußte der Seigneur Keraban unbedingt zurück sein! An diesem Tage hoffte Ahmet in der Villa zu Scutari die junge Amasia zu treffen, die ihn zur Feier ihrer Hochzeit erwartete. Es begreift sich also unschwer, daß Onkel und Neffe gleichmäßig ungeduldig waren, und daß die Verlegenheit, wie dieser zweite Theil der Reise durchgeführt werden sollte, eine nicht geringe Beunruhigung erregte.
Einen Reisewagen oder nur ein einfaches Gefährt in diesem dürftigen, in Kleinasien verlorenen Dorfe zu finden, darauf war gar nicht zu rechnen. Man mußte sich wohl oder übel mit einem der hier landesüblichen Fuhrwerke begnügen, welche natürlich sehr primitiver Art waren.
Besorgt und nachdenklich ging so der Seigneur Keraban zu Fuß auf der Straße längs der Küste hin; Bruno zog sein Pferd nach sich, ebenso wie das seines Herrn, der jetzt lieber an der Seite seines Freundes dahinwanderte, während Nizib zu Pferde blieb und die Spitze der kleinen Karawane bildete. Ahmet nur war schon vorausgeeilt, um in Choppa Quartier zu besorgen und wenn möglich ein Fuhrwerk zu erwerben, um mit dem Morgenrothe weiterreisen zu können.
Langsam und still schritten sie dahin. Der Seigneur Keraban verbiß nach Kräften seinen Zorn, der sich nur in den oft wiederholten Worten: »Kosaken, Eisenbahn, Waggon, Saffar!« Luft machte. Van Mitten lauerte auf eine passende Gelegenheit, ihm sein Vorhaben einer Trennung mitzutheilen, doch fand er keinen günstigen Augenblick und wagte es nicht bei dem Gemüthszustande seines Freundes, der bei dem geringsten Worte in hellen Zorne aufzulodern drohte.
Um neun Uhr Abends kam man nach Choppa; die Fußwanderung erforderte eine ganze Nacht Ruhe. Der Gasthof war nur mittelmäßig, bei ihrer[227] Müdigkeit aber schliefen Alle volle zehn Stunden, während Ahmet noch denselben Abend auf's Land hinausging, um ein Transportmittel zu entdecken.
Am folgenden Tage, am 14. September, stand eine Araba fertig bespannt vor der Thür des Gasthofes.
Ah, wie bedauerten jetzt Alle den altmodischen Reisewagen, der nun durch einen plumpen zweirädrigen Karren ersetzt war, in dem kaum drei Personen Platz finden konnten. Zwei Pferde an seiner Deichsel waren auch nicht gerade zuviel, um die schwerfällige Maschine in Bewegung zu setzen. Zum Glück hatte Ahmet die Araba mit einer undurchlässigen Plache, welche über Holzreifen gespannt wurde, überdecken lassen, um Schutz gegen Regen und Wind zu gewähren. Man mußte also fürlieb nehmen, und es war kaum zu erwarten, daß vor Trapezunt ein bequemeres und schnelleres Gefährt aufgefunden würde.
Leicht begreiflicher Weise zogen Van Mitten, trotz seines Phlegmas, und Bruno, der am Ende der Kräfte war, beim Anblick dieser Araba ein enttäuschtes Gesicht, das freilich ein einziger strenger Blick des Seigneur Keraban wieder zu verwandeln wußte.
»Das ist Alles, was ich finden konnte, lieber Onkel, sagte Ahmet, auf die Araba zeigend.
– Und auch Alles, was wir brauchen, antwortete Keraban, der um Alles in der Welt nicht den Schatten eines Bedauerns seines vorzüglichen Reisewagens hätte sichtbar werden lassen.
– Ja, fuhr Ahmet fort, mit einer tüchtigen Schütte Stroh in dieser Araba...
– Werden wir uns wie Flürsten fühlen, lieber Neffe.
– Wie Theaterfürsten! murmelte Bruno.
– Was? knurrte Keraban.
– Uebrigens, erklärte Ahmet, sind wir nicht weiter als hundertsechzig Agatchs (etwa sechzig Lieues) von Trapezunt entfernt und dort, hoffe ich, können wir uns ein besseres Gefährt verschaffen.
– Ich wiederhole, daß auch das hier genügt!« versicherte Keraban, der mit gerunzelten Augenbrauen spähte, ob das Gesicht seiner Begleiter Widerspruch ausdrücken möchte.
Zerschmettert von diesem furchtbaren Blick, bemühten sich jedoch Alle möglichst freundlich zu erscheinen.[228]
Man kam dahin überein, daß der Seigneur Keraban, Van Mitten und Bruno in der Araba Platz nehmen sollten. Auf einem der Pferde ritt der Kutscher, der an jeder Station für den Wechsel der Pferde sorgen sollte; Ahmet und Nizib dagegen, welche mehr an das Reiten gewöhnt waren, sollten zu Pferde folgen. So hoffte man bis Trapezunt keine besondere Verzögerung zu erleiden. In jener bedeutenden Stadt aber wollte man Mittel und Wege finden, die Reise auf bequemere Art zu vollenden.
Der Seigneur Keraban gab das Zeichen zum Aufbruch, nachdem die Araba mit einigen Vorräthen an Lebensmitteln und Geräthen versehen war, ohne die beiden Nargilehs zu rechnen, welche bei der Collision glücklich gerettet und nun zur Verfügung der Eigenthümer gestellt wurden. An diesem Theile der Küste liegen die Dörfer alle ziemlich nahe bei einander; nur selten trennen sie vier bis fünf Lieues. Man konnte also stets leicht ausruhen und sich mit dem Nöthigsten versorgen, wenn der ungeduldige Ahmet einige Standen der Ruhe bewilligte und vorzüglich, wenn die Dukhans der Dörfer hinreichend mit Nahrungsmitteln versehen waren.
»Nun vorwärts!« wiederholte Ahmet nach seinem Onkel, der schon in der Araba Platz genommen hatte.
Da trat Bruno an Van Mitten heran und sagte mit ernstem, fast befehlerischem Tone:
»Mynheer, wie stehts mit dem Vorschlage, den Sie dem Seigneur Keraban machen wollten?
– Ich fand noch keine Gelegenheit dazu, antwortete Van Mitten ausweichend, er scheint mir eben nicht zum besten aufgelegt zu sein...
– Also sollen wir da hinein kriechen? fragte Bruno, in möglichst verächtlicher Weise nach der Araba zeigend.
– Ja... vorläufig!
– Aber wann werden Sie sich entschließen, jene Frage wegen des Geldes zu stellen, von der unsere Befreiung abhängt?
– Im nächsten Dorfe, antwortete Van Mitten.
– Im nächsten Dorfe?
– Ja, in Archawa!«
Bruno warf als Zeichen der Mißbilligung den Kopf zurück und begab sich hinter seinem Herrn in's Innere der Araba. Das schwerfällige Fuhrwerk polterte doch in ziemlich gutem Trott die abhängige Straße hinunter.[229]
Das Wetter ließ zu wünschen übrig. Im Westen ballten sich gewitterdrohende Wolken zusammen. Dieser Theil der Küste, welcher mit voller Wucht von der Geißel der atmosphärischen Strömungen der offenen See getroffen wurde, sollte wahrscheinlich manche Schwierigkeiten bieten. Dem Wetter macht man indeß keine Vorschriften, und die fatalistischen Getreuen Mohammed's verstehen besser als Andere, es zu nehmen, wie es gerade kommt. Jedenfalls war zu befürchten, daß das Schwarze Meer nicht mehr lange seinem griechischen Namen des Pontus Euxinus, das ist »das gastfreundliche« Ehre machen sollte, sondern weit eher seinem türkischen Namen Kara Dequits, der von minder guter Vorbedeutung ist.
Zum Glück war es nicht die hohe und bergige Partie von Lasistan, welche die gewählte Reiseroute durchschnitt. Hier mangelt es an Straßen gänzlich, und man muß quer durch Wälder ziehen, welche oft noch keine Axt gelichtet hat. Die Araba hätte hier unmöglich durchkommen können. Die Küste ist besser fahrbar, und hier fehlt es nie an einem Wege von Dorf zu Dorf. Er wendet sich durch Gehege von Fruchtbäumen, unter dem Schatten von Nußbäumen und Kastanienbäumen und zwischen Lorbeergebüschen und Alpenrosen hin, welche unentwirrbare Ranken von wildem Wein mit einander verschlingen.
Wenn der Küstensaum von Lasistan also den Reisenden ziemlich bequemes Fortkommen bietet, so ist er dafür in seinen tiefen Theilen ungesund. Hier dehnen sich fieberausathmende Sümpfe aus und vom Mai bis August herrscht der Typhus endemisch. Zum Glück für den Seigneur Keraban und die Seinigen befand man sich im Monat September, und ihre Gesundheit war nicht von Gefahren bedroht. Strapazen – ja! Krankheiten... nein! Und wenn man nicht allemal von einer Krankheit wiedergenest, so kann man sich doch mit Sicherheit ausruhen. Wenn der starrsinnigste aller Türken so sprach, konnten seine Begleiter nicht wohl etwas darauf antworten.
Die Araba hielt bei dem Dorfe Archawa gegen neun Uhr Morgens. Man richtete sich ein, in einer Stunde wieder aufbrechen zu können, ohne daß Van Mitten einen Anknüpfungspunkt gefunden hätte, das bekannte Anleiheproject gegen seinen Freund Keraban zu erwähnen.
Das veranlaßte Bruno zu der Frage:
»Nun, Mynheer, ist es geschehen?...
– Nein, Bruno, noch nicht.
– Aber, es wäre wohl Zeit...[230]
– Im nächsten Dorfe.
– Im nächsten Dorfe?
– Ja, in Witse.«
Bruno, der ja in Geldangelegenheiten von seinem Herrn abhing, wie sein Herr von dem Seigneur Keraban, nahm in der Araba Platz, ohne dieses Mal seine üble Laune zu verbergen.
»Was hat denn der Bursche? fragte Keraban.
– Nichts, beeilte sich Van Mitten zu antworten, um dem Gespräch eine andere Wendung zu geben. Er ist vielleicht etwas erschöpft.
– Er? versetzte Keraban. Er sieht ja vortrefflich aus! Mir kommt's selbst vor, als ob er fetter würde!
– Ich? rief Bruno tief innerlich verletzt.
– Ja! Er hat Anlagen, ein echter Türke mit ansehnlicher Corpulenz zu werden!«
Van Mitten ergriff den Arm Brunos, der schon gegen diese sehr zur Unzeit angebrachte Corpulenz ankämpfen wollte, und Bruno schwieg still. Die Araba kam inzwischen ziemlich schnell vorwärts. Ohne das Schütteln des Gefährts, welches kräftige Stöße veranlaßte, die sich in mehr unangenehme als schmerzhafte Contusionen übersetzten, wäre gegen die Weiterbeförderung nicht viel einzuwenden gewesen.
Die Straße war auch nicht ganz öde. Verschiedene Lasen belebten dieselbe, die von den Abhängen der Pontischen Alpen zum Verkauf oder Zwecks des Vertriebs ihrer Waaren herabkamen. Wäre Van Mitten nicht gar so sehr von seiner Interpellation eingenommen gewesen, so hätte er sein Reiseskizzenbuch mit Notizen über den Unterschied der Tracht der Kaukasier und der Lasen bereichern können. Hier tritt eine Art phrygischer Mütze, deren Bänder um den Kopf gewunden werden, an die Stelle georgischer Kopfbedeckung.
Auf der Brust der großen, wohlgebauten, weißhäutigen, eleganten und behenden Bewohner prangen die beiden, gleich den Pfeifen einer Panflöte angeordneten Patronenhülsentaschen, und ein Dolch mit langer Klinge, der an dem kupferbeschlagenen Gürtel hängt, vervollständigt ihre gewöhnliche Bewaffnung. Auch einige Esel trotteten die Straße entlang und brachten nach den Küstenortschaften Früchte und Felderzeugnisse aller Art, wie sie in der mittleren Bergzone gedeihen.
Mit einem Worte, wäre die Witterung verläßlicher und der Himmel weniger drohend gewesen, so hätten die Reisenden sich, selbst unter den jetzigen Verhältnissen, über ihre Fahrt nicht besonders zu beklagen gehabt.[231]
Um elf Uhr Morgens gelangten sie nach Witse, dem Pyxites der Alten, dessen griechischer Name-Buchsbaum«, durch das hier so reichliche Vorkommen dieser Pflanze gerechtfertigt erscheint. Hier frühstückte man ein wenig – etwas zu wenig, nach der Ansicht des Seigneur Keraban – denn dieser ließ heute ein Grollen von unheimlicher Vorbedeutung hören.
Van Mitten fand also noch immer keine günstige Gelegenheit, ihm mit wenigen Worten sein Anliegen vorzubringen. Als sie wieder abfahren wollten nahm ihn denn auch Bruno zur Seite.[232]
»Nun, Mynheer? fragte er.
– Gewiß, Bruno, in der nächsten Ortschaft.
– Wie?
– Ja, ja, in Artachan!«
Halb außer sich vor Schwachheit kroch Bruno murrend in eine Ecke der Araba, während sein Herr mit großem Interesse die romantische Umgebung betrachtete, in der sich holländische Sauberkeit mit der Schönheit italienischer Landschaften vermischte.
[233] In Artachan ging es ebenso wie in Witse und in Archawa. Um drei Uhr wurden die Pferde gewechselt, um vier Uhr fuhr man weiter. In Folge einer sehr ernsthaften Mahnung Brunos, der ihn nicht länger zaudern lassen wollte, entschloß sich nun aber sein Herr, vor der Ankunft in Atina, wo die Nacht zugebracht werden sollte, die ihm längst auf den Lippen schwebende Frage zu stellen.
Bis nach diesem Dorfe waren fünf Lieues zurückzulegen, womit die Fahrtlänge des heutigen Tages volle fünfzehn Lieues erreichte. In der That war das für einen einfachen Karren recht anerkennenswerth. Der jetzt in nächster Zeit drohende Regen mußte diese Schnelligkeit freilich vermindern, da er den Zustand der Straße jedenfalls verschlechterte.
Nicht ohne Unruhe sah Ahmet sich die Periode der schlechteren Witterung so beharrlich anzeigen. In der Entfernung stiegen Gewitterwolken empor. Die schwüle Atmosphäre erschwerte schon das Athmen. Höchst wahrscheinlich mußte am Abend oder in der Nacht auf dem Meere ein Unwetter losbrechen. Mit dem ersten Donnerschlage würde dann auch die, von den elektrischen Entladungen aufgeregte Luft von furchtbaren Stürmen gepeitscht werden, und diese Stürme endlich mußten offenbar einen heftigen Niederschlag der angesammelten Dunstmassen zur Folge haben.
Mehr als drei Insassen konnte nun die Araba unmöglich aufnehmen. Weder Ahmet noch Nizib durften hoffen, unter der Plache derselben, welche einem wüthenden Sturme vielleicht selbst nicht Widerstand leisten konnte, Zuflucht zu finden. Den Reitern sowohl wie den Anderen mußte daran gelegen sein, das nächste Dorf zu erreichen.
Zwei- oder dreimal steckte der Seigneur Keraban auch den Kopf zum Wagen hinaus und besichtigte den Himmel, der sich immer mehr und mehr bedeckte.
»Schlecht Wetter im Anzuge, bemerkte er.
– Ja, lieber Onkel, antwortete Ahmet. Wenn wir nur nach der Station kommen, ehe das Gewitter ausbricht!
– Sobald es anfängt zu regnen, erwiderte Keraban, kommst Du eben zu uns in den Karren.
– Und wer soll mir da seinen Platz einräumen?
– Bruno! Der wackere Bursche übernimmt dann Dein Pferd...
– Gewiß«... fügte Van Mitten, der ja schlecht angekommen wäre, das abzulehnen, im Namen seines treuen Dieners hinzu.[234]
Selbstverständlich sah er diesen nicht an, als er eine solche Antwort gab. Er hätt' es nicht gewagt. Bruno mußte sich sehr zusammen nehmen, um nicht aufzufahren, und sein Herr fühlte das recht wohl.
»Am rathsamsten ist es, wir beeilen uns nach Möglichkeit, fuhr Ahmet fort. Wenn der Sturm losbricht, wird das Leinendach doch in Stücke gerissen und jeder Schutz darunter geht verloren.
– Treibe die Pferde an, mahnte Keraban den Postillon, und spare die Peitschenhiebe nicht!«
Der Postillon, der es eben so eilig hatte, wie die Fahrgäste, in Atina anzukommen, sparte dieselben wirklich nicht. Die von der drückenden Luft gleichfalls erschöpften Thiere konnten sich jedoch auf einer Straße, welche noch durch keinen Macadam eingeebnet war, nicht fortwährend im Trabe erhalten.
Wie sehr beneideten der Seigneur Keraban und die Seinigen den »Tchapar«, dessen Wagen ihr Gefährt gegen sieben Uhr Abends kreuzte. Es ist das der englische Courier, der alle vierzehn Tage nach Teheran Depeschen aus Europa bringt. Er braucht nur zwölf Tage, um von Trapezunt nach der persischen Hauptstadt zu gelangen, und hat dabei zwei bis drei Pferde, welche seine Briefbeutel tragen, und einige Zapties als Escorte bei sich. Auf den Poststationen genießt er aber den Vorzug vor allen anderen Reisenden, und Ahmet mußte befürchten, bei der Ankunft in Atina nur erschöpfte Pferde vorzufinden. Zum Glück hatte der Seigneur Keraban nicht ebenfalls diesen Gedanken; er hätte damit eine ganz natürliche Gelegenheit gefunden, neue Klagen auszustoßen, und würde sich dieselbe gewiß nicht haben entgehen lassen.
Vielleicht sachte er eine solche Gelegenheit, die ihm denn auch endlich durch Van Mitten geboten werden sollte.
Der Holländer, der sein Bruno gegebenes Versprechen nicht länger aufschieben konnte, erkühnte sich endlich, sein Wort einzulösen, was er natürlich mit größtmöglicher Geschicklichkeit einzuleiten suchte. Das jetzt bevorstehende schlechte Wetter erschien ihm als vorzüglicher Anlaß zur Klärung der Sachlage.
»Freund Keraban, begann er mit dem Tone eines Mannes, der bei Leibe keinen Rath ertheilen will, sondern vielmehr einen solchen erwartet, was denken Sie von diesem Zustand der Atmosphäre?
– Was ich davon denke?[235]
– Ja... Sie wissen, wir nähern uns der Herbst-Tag- und Nachtgleiche und es ist zu befürchten, daß der zweite Theil unserer Reise nicht unter so günstigen Verhältnissen verlaufen wird, wie der erste.
– Nun, so sind wir eben weniger begünstigt, das ist Alles, erwiderte Keraban trocken. Es steht nicht in meiner Gewalt, den Zustand der Atmosphäre nach Belieben zu gestalten. So viel ich weiß, führ' ich keinen Befehl über die Elemente, Van Mitten.
– Nein, freilich nicht... antwortete der Holländer, den dieser Anfang nicht besonders ermuthigte. Das wollt' ich auch gar nicht sagen, werther Freund.
– Und was wollten Sie denn sage?
– Allem Anscheine nach kann das dort nur das Vorzeichen eines Gewitters sein, oder höchstens ein Gewitter, welches vorübergehen wird...
– Alle Gewitter gehen vorüber, Van Mitten! Sie dauern mehr oder weniger lange... wie etwa alle Streitfragen, aber sie gehen vorüber, und ihnen folgt wieder schönes Wetter... natürlich!
– Mindestens, bemerkte Van Mitten, wenn die Atmosphäre nicht so außerordentlich aufgeregt ist!... Wenn es nicht die Zeit der Tag- und Nachtgleiche wäre...
– Wenn man sich in dieser Zeit befindet, unterbrach ihn Keraban, so gilt es eben, sich zu fügen. Ich kann's doch nicht machen, daß wir uns nicht in der Tag- und Nachtgleiche befinden!... Es hat fast den Anschein, Van Mitten, als wollten Sie mich dafür verantwortlich machen!
– Nein... Ich versichere Ihnen... Sie verantwortlich machen..., ich, Freund Keraban,« stotterte Van Mitten hervor.
Die Sache ließ sich, das lag auf der Hand, schlecht an. Hätte er nicht Bruno dicht hinter sich gehabt, dessen halblautes Drängen er hörte, wahrscheinlich hätte Van Mitten dieses gefährliche Gespräch abgebrochen, um es erst später wieder aufzunehmen. Er konnte jetzt aber nicht zurückweichen, vorzüglich, da Keraban ihn stirnrunzelnd direct weiter ausfragte.
»Was haben Sie denn, Van Mitten? Es sieht ja aus, als ob Sie irgend welche Hintergedanken hegten?
– Ich?
– Ja, Sie! So erklären Sie sich doch deutlich! Ich liebe die Leute nicht, welche nur eine sauertöpfige Miene machen, ohne sich auszusprechen.[236]
– Ich? Eine sauertöpfige Miene machen?
– Haben Sie mir etwas vorzuwerfen? Führe ich Sie nicht nach Scutari, da ich Sie dorthin zum Abendessen einlud? War es mein Fehler, daß unser Reisewagen durch die verwünschte Eisenbahn zertrümmert wurde?«
Gewiß war es sein Fehler, nur seiner! Der Holländer hütete sich jedoch weislich, ihm das entgegen zu halten.
»Ist es mein Fehler, wenn uns jetzt schlechtes Wetter droht, und wir nur eine Araba als einziges Beförderungsmittel haben? Nun, heraus mit der Sprache!«
Van Mitten wußte in seiner Verlegenheit gar nicht, was er antworten sollte. Er begnügte sich also, seinen wenig geduldigen Gefährten zu fragen, ob er in Atina oder vielleicht in Trapezunt bleiben wolle, im Fall das schlechte Wetter die Reise zu schwierig mache.
»Schwierig heißt doch nicht unmöglich, nicht wahr? antwortete Keraban; und da ich am Ende des Monats in Scutari eintreffen muß, werden wir eben unseren Weg fortsetzen, und wenn sich alle Elemente dagegen verschwören sollten.«
Van Mitten raffte allen seinen Muth zusammen und brachte nicht ohne sichtliches Zögern seinen berühmten Vorschlag an.
»Gut, Freund Keraban, sagte er, wenn Sie das auch nicht allzusehr belästigt, so möcht' ich doch für Bruno und mich um die Erlaubniß bitten... ja, um die Erlaubniß, in Atina zurückbleiben zu dürfen.
– Sie verlangen von mir die Erlaubniß, in Atina zu bleiben? herrschte ihn Keraban, jede Silbe betonend, an.
– Ja... die Erlaubniß... die Ermächtigung... denn ich möchte nichts ohne ihre Zustimmung thun... Sie zu... zu...
– Mich zu verlassen, nicht wahr?
– Ja, zeitweilig, nur ganz zeitweilig! beeilte sich Van Mitten hinzuzusetzen. Wir sind höchst erschöpft, Bruno und ich selbst. Wir würden es vorziehen, auf dem Seewege nach Constantinopel zurückzukehren... Ja... auf dem Seewege...
– Ueber das Schwarze Meer?
– Gewiß, Freund Keraban... O, ich weiß, daß Sie gerade das Meer nicht lieben!... Ich sage das nicht, um Ihnen zu widersprechen!... Ich begreife sehr wohl, daß es Ihnen höchst unangenehm sein würde, irgend eine Seefahrt unternehmen zu sollen!... Ich finde es auch ganz natürlich, daß Sie auf der Küstenstraße weiter fahren!... Die fortwährende Anstrengung macht mir aber[237] diese Beförderungsweise zu peinlich... und... wenn Sie ihn recht ansehen, magert Bruno thatsächlich dabei ab!...
– Aha,... der Bruno magert ab! sagte Keraban, ohne sich nur nach dem unglücklichen Diener umzusehen, der mit fieberischer Hand auf die an seinem reducirten Leibe schlotternde Kleidung wies.
– Deshalb, Freund Keraban, fuhr Van Mitten fort, bitte ich Sie, uns nicht zu sehr zu zürnen, wenn wir in Atina zurückbleiben, von wo aus wir unter günstigeren Verhältnissen nach Europa zurückgelangen können. Ich wiederhole Ihnen, wir werden Sie in Constantinopel wieder treffen... oder vielmehr in Scutari... ja, in Scutari... und ich werde zur Vermählung meines jungen Freundes Ahmet gewiß nicht auf mich warten lassen!«
Van Mitten hatte Alles ausgesprochen, was er sagen wollte. Er erwartete die Antwort des Seigneur Keraban. Würde diese in einer schweigenden Zustimmung zu einer so natürlichen Bitte bestehen, oder sollte auch sie sich in einen Zornausbruch des Starrkopfes kleiden?
Der Holländer senkte den Kopf, ohne die Augen zu seinem schrecklichen Reisegefährten zu erheben zu wagen.
»Van Mitten, sagte Keraban, in einem ruhigeren Tone, als man hätte erwarten sollen, Sie werden zugeben, Van Mitten, daß Ihr Vorschlag mich erstaunen machen muß, ja, daß er mich sogar reizen könnte...
– Freund Keraban!... rief Van Mitten, der bei diesen Worten schon eine drohende Gewaltthat fürchtete.
– Bitte, lassen Sie mich ausreden! sagte Keraban. Sie können sich wohl vorstellen, daß ich eine solche Trennung nicht ohne aufrichtiges Bedauern sehen könnte. Ich füge hinzu, daß ich mich eines derartigen Vorschlags von Seiten eines Geschäftsfreundes, mit dem ich seit dreißig Jahren in Verbindung stehe, nicht versehen hätte...
– Keraban! warf Van Mitten bittend dazwischen.
– Nun, bei Allah, so lassen Sie mich doch ausreden! rief Keraban, der die ihm nur zu natürliche Erregung nicht verbergen konnte. Alles in Allem sind Sie ja Ihr freier Herr, Van Mitten; Sie sind weder mein Verwandter, noch mein Diener. Sie sind ja nur mein Freund, und ein Freund kann sich Alles erlauben, selbst die Bande alter Freundschaft zu zerreißen!
– Keraban!... Mein lieber Keraban!... rief Van Mitten, ganz ergriffen von einem solchen Vorwurfe.[238]
– Sie werden also in Atina bleiben, wenn Ihnen das beliebt, oder auch in Trapezunt, wenn Sie Trapezunt vorziehen!«
Mit diesen Worten drückte sich Keraban in seine Ecke zurück, wie ein Mann, der nur ihm gleichgiltige Leute, nur Fremde um sich hat, welche nur der Zufall zu seinen Reisegefährten machte. – Wenn nun Bruno entzückt war über diese Wendung der Dinge, so war Van Mitten dagegen höchst bekümmert, seinem Freunde diesen Schmerz bereitet zu haben. Indeß sein Vorschlag war durchgegangen, und wenn ihm auch ein solcher Gedanke kam, schreckte er doch davor zurück, ihn wieder zurückzuziehen. Uebrigens war auch Bruno noch da.
Nun blieb noch die Geldfrage übrig, die zu machende Anleihe, um in der Lage zu sein, entweder eine Zeit lang hier im Lande bleiben, oder die Reise unter günstigeren Verhältnissen vollenden zu können. Das konnte keine Schwierigkeiten machen. Der bedeutende Vermögensantheil an seinem Hause in Rotterdam mußte in nächster Zeit in der Bank von Constantinopel deponirt werden, und der Seigneur Keraban konnte sich für die entliehene Summe durch einen Check, den ihm der Holländer ausstellen wollte, wieder bezahlt machen.
»Freund Keraban, begann Van Mitten nach längerem Stillschweigen, das von Niemand unterbrochen wurde.
– Was wünschen Sie noch, mein Herr? fragte Keraban, als ob er einem ihm unbequemen Quälgeiste antwortete.
– Wenn wir nach Atina kommen... erwiderte Van Mitten, den das Wort »mein Herr« tief innerlich getroffen hatte.
– Nun, wenn wir nach Atina kommen, knurrte Keraban, werden wir uns trennen, das ist ja abgemacht.
– Ja freilich... Keraban!«
Er wagte in der That nicht, in »mein Freund Keraban« zu sagen.
– Ja... gewiß, ich werde Sie dann auch bitten, mir einiges Geld zurückzulassen.
– Geld! Welches Geld?
– Eine kleine Summe, welche Sie an der Bank von Constantinopel wieder beheben können.
– Eine kleine Summe?
– Sie wissen, daß ich mit Ihnen fast ohne Geld abreiste... und da Sie so zuvorkommender Weise die Reisekosten auf sich nahmen...
– Diese Kosten gehen nur mich allein an.[239]
– Ja, ja... ich widerspreche dem ja gar nicht...
– Ich würde nicht zugegeben haben, daß Sie ein einziges Pfund ausgäben, fuhr Keraban fort, nicht ein einziges!
– Wofür ich Ihnen sehr dankbar bin, erwiderte Van Mitten; heute aber habe ich kaum noch einen Para übrig, und Sie würden mich sehr verbinden...
– Geld, um es Ihnen zu leihen, hab' ich nicht, erwiderte Keraban trocken, es bleibt mir nur eben das nöthige zur Vollendung der Reise übrig.
– Dennoch geben Sie mir jedenfalls...[240]
– Nichts, sag' ich Ihnen!
– Was?... platzte Bruno heraus.
– Bruno erlaubt sich wohl gar mit hineinzureden? sagte Keraban in unheildrohendem Tone.
– Gewiß, versetzte Bruno.
– Schweig', Bruno,« gebot ihm Van Mitten, der eine Verschärfung des Streites durch die Einmischung Brunos vermieden wissen wollte.
Bruno schwieg.
[241] »Mein lieber Keraban, nahm Van Mitten das Wort, es handelt sich Alles in Allem um eine verschwindend kleine Summe, die mir nur dazu dienen soll, wenige Tage in Trapezunt zu verweilen...
– Verschwindend oder nicht, mein Herr, entgegnete Keraban, erwarten Sie von mir absolut nichts!
– Tausend Piaster würden hinreichen!...
– Nicht Tausend, nicht Hundert, nicht Zehn, nicht Einen! erwiderte Keraban, der allmählig in Wuth kam.
– Wie, gar nichts?
– Gar nichts!
– Ja, aber dann...
– Dann haben Sie eben die Reise mit uns fortzusetzen, Herr Van Mitten, es wird dabei an nichts fehlen. Aber Ihnen einen Piaster, einen Para, nur einen halben Para, zu überlassen, um Sie nach Belieben umherschweifen zu lassen... niemals!
– Niemals?
– Niemals!«
Die Art und Weise, wie dieses »Niemals« ausgesprochen wurde, war völlig geeignet, Van Mitten und selbst Bruno einsehen zu lassen, daß der Entschluß des Starrkopfes unerschütterlich sei. Hatte der einmal nein gesagt, so war das ebensogut wie zehnmal.
Ob sich Van Mitten verletzt fühlte durch diese Weigerung Keraban's, der seit langer Zeit Correspondent und bis vor Kurzem sein Freund war, wäre nur schwierig zu sagen, dazu birgt das menschliche Herz, und speciell das eines phlegmatischen, verschlossenen Holländers zu viel Geheimnisse. Bruno freilich schien ganz außer sich. Wie? Er mußte unter diesen Verhältnissen weiter reisen, die sich vielleicht noch verschlimmern konnten? Er sollte diese thörichte Fahrt, diese unsinnige Reise in Karren, zu Pferde oder, wer weiß, gar zu Fuße bis zum Ende mitmachen? Und alles das aus Gefälligkeit für einen starrsinnigen Osmanli, vor dem sein Herr zitterte? Er sollte den kleinen, ihm noch verbliebenen Rest von Wohlbeleibtheit einbüßen, während sich der Seigneur Keraban trotz aller Widerwärtigkeiten und Strapazen in majestätischer Rundung erhielt!
Ja! Aber was thun? – Da Bruno keinen anderen Ausweg als den sah, »zu brummen, so brummte er eben in seiner Ecke. Einen Augenblick dachte er auch daran, allein zurückzubleiben und Van Mitten allen Folgen einer solchen[242] Tyrannei zu überlassen. Leider thürmte sich dagegen wieder die Geldfrage vor ihm auf, wie dieselbe seinem Herrn entgegengetreten war, der jetzt nicht einmal so viel besaß, ihm seinen Lohn auszuzahlen. Er mußte also wohl oder übel bei ihm aushalten.
Während dieser Verhandlungen rollte die Araba nur mühsam vorwärts. Der schwer mit Wolken belastete Himmel schien sich auf das Meer niederzusenken. Das dumpfe Grollen der Brandung verrieth, daß die offene See schon sehr erregt war. Jenseits des Horizontes mochte der Wind in Sturm umgeschlagen sein.
Der Kutscher trieb die Pferde an, so gut er konnte. Die armen Thiere vermochten sich kaum vorwärts zu schleppen. Ahmet, der es eilig hatte nach Atina zu kommen, feuerte sie gleichfalls noch an, dennoch unterlag es keinem Zweifel mehr, daß das Unwetter sie unterwegs überraschen würde.
Der Seigneur Keraban hielt die Augen geschlossen und sagte kein Wort. Dieses Stillschweigen bedrückte Van Mitten, der lieber einen Zornesausbruch seines alten Freundes hingenommen hätte. Er fühlte es, welche Verwünschungen jetzt Jener gegen ihn aufhäufte. Wenn diese einmal zur Explosion kamen, mußte es fürchterlich werden.
Endlich hielt es Van Mitten nicht mehr aus; er neigte sich zu Keraban's Ohr, so daß Bruno ihn nicht verstehen konnte.
»Freund Keraban? sagte er.
– Was gibt's? fragte Keraban.
– Wie konnte ich auch nur auf den Gedanken kommen, Sie zu verlassen! fuhr Van Mitten fort.
– Ja, wie?
– Wahrhaftig, jetzt begreif' ich's gar nicht mehr.
– Ich auch nicht!« meinte Keraban.
Das war eben Alles; die Hand Van Mitten's sachte jedoch die Keraban's, der diesen Beweis der Reue mit edelmüthigem Gegendruck entgegenkam, von dem des Holländers Finger die Spuren lange tragen sollten.
Es war schon neun Uhr Abends und die Nacht drohte sehr dunkel zu werden. Das Unwetter entlud sich mit entsetzlicher Heftigkeit. Der ganze Horizont flammte von grellen Blitzen, obwohl jetzt der Donner noch nicht zu hören war. Dazu erhob sich bald ein so furchtbarer Sturm, daß wiederholt die Befürchtung entstand, die Araba könnte davon umgestürzt werden. Erschöpft und außer Athem hielten die Pferde jeden Augenblick an, bäumten sich und[243] drängten nach vorwärts, so daß der Führer alle Mühe hatte, sie im Zügel zu halten.
Was war aber unter solchen Umständen zu thun? Ohne Obdach konnte man auf dem offenen, vom Westwind gepeitschten Uferland unmöglich Halt machen, und bis zur nächsten Ortschaft war wenigstens noch eine Strecke von einer halben Stunde zurückzulegen.
Ahmet fühlte sich sehr beunruhigt und wußte nicht, wozu er sich entschließen sollte, als bei einer Biegung des Ufers plötzlich auf Büchsenschußweite ein heller Schein sichtbar wurde. Dieser rührte vom Feuer des Leuchtthurms in Atina her, der vor dem betreffenden Orte auf dem felsigen Ufer errichtet ist und mitten durch die Finsterniß einen blendenden Schein verbreitete.
Da gedachte Ahmet für die Nacht die Gastfreundschaft der Thurmwächter, welche ja auf ihrem Posten sein mußten, in Anspruch zu nehmen.
Er klopfte an die Thür des Häuschens am Fuße des Leuchtthurms.
Wenige Augenblicke später hätten der Seigneur Keraban und seine Gefährten dem entsetzlich wüthenden Sturme gewiß nicht mehr Widerstand zu leisten vermocht.
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Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.
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