[283] Die Karawanserai von Rissar ist, wie überhaupt die Stationen dieser Art, ganz gut eingerichtet, die Bedürfnisse der Reisenden zu befriedigen, welche hier anhalten, bevor sie nach Trapezunt hineingehen. Ihr Vorstand oder Wärter, wie er gewöhnlich genannt wird – ein Türke Namens Kidros, ein verschlagener Fuchs und schlauer, als es sonst die Leute seiner Rasse sind – sorgte für Alles mit großem Eifer, freilich zum Nutzen seines eigenen Geldbeutels, den er vortrefflich wahrzunehmen wußte, suchte alle Reisenden zufrieden zu stellen und war stets ihrer Ansicht, selbst wenn es sich darum handelte, die Rechnung auszugleichen, die er im Voraus tüchtig verlängert hatte, so daß er sie gewöhnlich stark herabsetzen konnte, ohne dabei seinen Vortheil einzubüßen – natürlich nur aus reiner Zuvorkommenheit gegen seine verehrten Gäste.
Die Karawanserai bestand übrigens Alles in Allem aus einem weiten Hofraum, den vier Mauern umschlossen, mit einem nach der Landstraße zu offenen Thorwege. Zu beiden Seiten dieses Thores erhoben sich zwei kleine Thürmchen mit türkischer Flagge, für den Fall, daß die Straßen unsicher gewesen wären.
In der Mauerumfriedung waren eine gewisse Anzahl Thüren angebracht, welche den Eingang zu kleinen, von einander abgeschlossenen Zimmern bildeten, in denen die Reisenden übernachten konnten, denn während des Tages wurden dieselben nur sehr selten in Anspruch genommen. Am Rande des Hofraumes verbreiteten einige Maulbeerfeigenbäume etwas Schatten auf dem sandigen[283]
Boden, den die Mittagssonne oft zum Glühen erhitzte. In der Mitte befand sich ein mit der Erde gleicher Brunnen, getrieben von der endlosen Kette des Wasserschöpfrades, dessen Eimer sich in eine Art Trog, in Form eines halbrunden Bassins, ergießen konnten. Außerhalb der Umfassungsmauer gab es noch eine Reihe Krippen in den Wagenschuppen, wo die Pferde Futter und ausreichende Streu fanden, und dahinter stand eine Anzahl Pfähle, an welche die Maulesel und Kameele gebunden wurden, welche an Unterbringung in Ställen weniger gewöhnt sind.
An diesem Abende beherbergte die Karawanserai – ohne gerade überfüllt zu sein – eine gewisse Zahl Reisende, von denen einige auf dem Weg nach Trapezunt, andere auf dem nach Osten, nach Armenien, Persien oder Kurdistan waren. Etwa zwanzig Zimmer waren besetzt und die Leute hatten sich darin meist zur Ruhe begeben.
Gegen neun Uhr Abends gingen nur noch zwei Männer im Hofe auf und ab. Sie sprachen sehr lebhaft und unterbrachen sich nur, um einmal hinaus zu treten und einen ungeduldigen Blick in die Ferne schweifen zu lassen.
Die Männer gingen sehr einfach gekleidet, so als ob sie es geflissentlich vermeiden wollten, die Aufmerksamkeit Vorübergehender oder anderer Reisender zu erregen. Es waren der Seigneur Saffar und sein Intendant Scarpante.
»Ich wiederhole Ihnen, Seigneur Saffar, sagte der Letztere, das ist hier die Karawanserai von Rissar. Eben hierher und zwar heute hatte der Brief Yarhud's ein Zusammentreffen bestimmt.
– Der Hund! polterte Saffar, wie kommt es, daß er dann nicht hier ist?
– Er muß jede Minute eintreffen.
– Und wie kommt er auf den Gedanken, die junge Amasia erst hierher zu führen, statt sie sogleich nach Trapezunt zu schaffen?«
Man sieht, daß Saffar und Scarpante noch nichts von dem Schiffbruche der »Guidare« wußten, und keine Ahnung von den Folgen desselben hatten.
»Der von Yarhud an mich gerichtete Brief, fuhr Scarpante fort, kam aus dem Hafen von Atina. Von dem entführten jungen Mädchen erwähnt er nichts und bittet mich nur, heute Abend in der Karawanserai von Rissar zu sein.
– Und er selbst ist noch nicht da! rief der Seigneur Saffar, während er einige Schritte auf den Thorweg zu that. Er mag sich hüten, meine Geduld auf die Probe zu stellen! Mir ahnt, daß irgend ein unglücklicher Vorfall...[284]
– Warum, Seigneur Saffar? Auf dem Schwarzen Meere ist schlechtes Wetter gewesen. Wahrscheinlich hat die Tartane nicht nach Trapezunt gelangen können, und ist ohne Zweifel bis zum Hafen von Atina zurückverschlagen worden...
– Und wer sagt uns, Scarpante, daß es Yarhud überhaupt gelungen ist, das junge Mädchen aus Odessa zu rauben?
– Yarhud ist nicht allein ein kühner Seefahrer, Seigneur Saffar, antwortete Scarpante, sondern auch ein geschickter Mann!
– Die Geschicklichkeit reicht nicht allemal aus,« ließ sich da die Stimme des maltesischen Capitäns vernehmen, der seit einigen Augenblicken unbeweglich auf der Schwelle der Karawanserai gestanden hatte.
Der Seigneur Saffar und Scarpante drehten sich sofort um und der Intendant rief:
»Yarhud!
– Endlich bist Du da! fuhr der Seigneur Saffar, auf den Mann zugehend, ihn in barschem Tone an.
– Ja, Seigneur Saffar, erwiderte der Capitän, der sich ehrerbietig verneigte, ja... da bin ich... endlich!
– Und die Tochter des Banquiers Selim? fragte Saffar. Ist Dein Vorhaben in Odessa mißlungen?...
– Die Tochter des Banquiers Selim, erklärte Yarhud, hab' ich vor etwa sechs Wochen entführt, gleich nach der Abreise ihres Verlobten Ahmet, den sein Onkel zu einer Reise um das Schwarze Meer nöthigte; darauf bin ich unverzüglich nach Trapezunt unter Segel gegangen; bei dem wechselnden Wetter der Tagundnachtgleiche wurde meine Tartane jedoch, trotz aller Anstrengung, nach Osten verschlagen und auf die Felsen von Atina geworfen, wo meine gesammte Mannschaft umgekommen ist.
– Deine ganze Mannschaft? rief Scarpante.
– Ja!
– Und Amasia?... fragte Saffar, den der Verlust der »Guidare« nicht besonders zu berühren schien, nun lebhafter.
– Sie wurde gerettet, antwortete Yarhud, gerettet mit einer jugendlichen Dienerin, die ich gleichzeitig mit ihr fortschleppen mußte.
– Nun, aber wenn sie gerettet worden ist... fragte Scarpante.
– Ja, wo ist sie denn? rief Saffar.[285]
– Seigneur, erklärte der Maltesercapitän, das Schicksal ist gegen mich, oder vielmehr gegen Sie!
– So sprich doch, mahnte Saffar, der schon eine sehr drohende Haltung annahm.
– Die Tochter des Banquiers Selim, antwortete Yarhud, wurde durch ihren Verlobten Ahmet gerettet, den ein höchst beklagenswerther Zufall gerade nach dem Orte des Schiffbruches geführt hatte.
– Gerettet... durch ihn? rief Scarpante.
– Und in diesem Augenblicke...? rief Saffar.
– In diesem Augenblicke fährt das junge Mädchen unter dem Schutze Ahmets, des Onkels Ahmets und einiger Personen, welche diesen begleiten, nach Trapezunt. Von da aus wollen alle nach Scutari, um die Hochzeit des jungen Paares zu feiern, welche noch vor Ablauf dieses Monats stattfinden muß.
– Tölpel! wetterte der Seigneur Saffar, sich Amasia entreißen zu lassen, statt sie selbst zu retten!
– Ich hätte das mit Gefahr meines Lebens gethan, Seigneur Saffar, erwiderte Yarhud, und sie befände sich jetzt in Ihrem Palaste in Trapezunt, wenn jener Ahmet nicht in dem Augenblicke des Schiffbruches zur Stelle gewesen wäre.
– O, Du bist der Aufträge, die man Dir anvertraut, unwürdig! versetzte Saffar, der einen Ausbruch von Zorn kaum zu bemeistern vermochte.
– Hören Sie mich an, Seigneur Saffar, sagte da Scarpante. Bei ruhiger Betrachtung werden Sie zugestehen, daß Yarhud gethan hat, was er nur konnte.
– Alles! versicherte der Maltesercapitän.
– Alles ist noch nicht genug, bemerkte Saffar, wenn es sich um die Ausführung meiner Pläne handelt.
– Was geschehen ist, ist geschehen, Seigneur Saffar, fiel Scarpante ein. Richten wir den Blick auf die Gegenwart und die Aussichten, die sie uns bietet. Die Tochter des Banquiers Selim hätte ja von Odessa vielleicht nicht entführt werden können... sie ist aber entführt worden! Sie konnte beim Schiffbruch der »Guidare« mit umkommen... sie ist gerettet worden! Sie könnte schon die Gattin Ahmets sein... sie ist es aber noch nicht!... Es ist also eigentlich noch nichts verloren!
– Nein, nichts!... bestätigte Yarhud. Nach dem Schiffbruch folgte ich Ahmet und seinen Gefährten spähend nach, sobald sie von Atina aufbrachen.[286]
Sie reisen ohne Mißtrauen, und der Weg durch ganz Anatolien, von Trapezunt bis zu den Ufern des Bosporus, ist ja noch lang. Weder die junge Amasia, noch ihre Dienerin wußte, wohin die »Guidare« bestimmt war. Außerdem kennt Niemand den Seigneur Saffar, noch Scarpante. Könnten wir die kleine Karawane nicht in einen Hinterhalt locken...
– Scarpante, unterbrach ihn Saffar frostig, das junge Mädchen muß mein werden! Wenn das Geschick sich gegen mich erklärt, werd' ich dasselbe zu bekämpfen wissen. Es soll Niemand sagen, daß einer meiner Wünsche nicht erfüllt worden wäre.
– Es wird auch geschehen, Seigneur Saffar, redete ihm Scarpante zu. Ja, zwischen Trapezunt und Scutari, inmitten der öden Gegenden, wird es möglich, ja leicht genug sein, die Karawane zu überrumpeln, vielleicht, indem wir ihnen einen Führer besorgen, der sie irre führt, um sie dann durch einen Haufen in Ihrem Solde stehender Gesellen zu überfallen. Damit wenden wir freilich Gewalt an, und besser wäre es natürlich, durch List zum Ziele zu kommen.
– Wie sollen wir das anfangen? fragte Saffar.
– Du sagst, Yarhud, nahm Scarpante wieder das Wort, indem er sich an den maltesischen Capitän wandte, daß Ahmet und seine Gefährten sich letzt in kleinen Tagemärschen nach Trapezunt begeben?
– Ja, Scarpante, antwortete Yarhud, und ich kann auch hinzufügen, daß sie noch diese Nacht in der Karawanserai von Rissar zubringen werden.
– Nun, fragte Scarpante, könnte man ihnen da kein Hinderniß in den Weg legen, irgend eine fatale Geschichte anzetteln... die sie zurückhielte... oder die junge Amasia von ihrem Verlobten trennte?
– Ich hätte mehr Zutrauen zur Gewalt, meinte Saffar in seiner brutalen Weise.
– Sie können ja Recht haben, sagte Scarpante, und wir werden nicht davor zurückschrecken, wenn die List nicht zum Ziele führte. Doch lassen Sie mich hier warten und Acht geben...
– Still, Scarpante, wir sind nicht mehr allein!« warnte Yarhud den Intendanten, indem er dessen Arm ergriff.
Wirklich waren eben zwei Männer in den Hof getreten. Der eine war Kidros, der Wächter oder Verwalter der Karawanserai, der andere – nach seinem Auftreten und Reden zu urtheilen – eine vornehme Persönlichkeit, die wir dem freundlichen Leser nothwendig vorstellen müssen.[287]
Der Seigneur Saffar, Scarpante und Yarhud zogen sich nach einer dunkleren Ecke des Hofes zurück. Von da aus konnten sie jedes Wort vernehmen, und zwar um so leichter, als die fragliche Persönlichkeit sich gar nicht genirte, laut und befehlerisch zu sprechen.
Der Fremde, ein vornehmer Kurde, nannte sich Yanar.
Das Gebirgsgebiet Asiens, welches das alte Assyrien und das alte Medien umfaßt, wird in der neuzeitlichen Geographie als Kurdistan bezeichnet. Es, erfällt in das türkische und persische Kurdistan, je nachdem es an Persien oder an die[288] Türkei grenzt. Das türkische Kurdistan, das die Paschaliks von Chehrezur und Mossul, sowie einen Theil der von Van und Bagdad in sich begreift, zählt mehrere Hunderttausend Einwohner, und unter diesen – nicht den unbedeutendsten derselben – jenen Seigneur Yanar, der mit seiner Schwester, der edlen Sarabul, am Vorabende in der Karawanserai von Rissar eingetroffen war.
Der Seigneur Yanar und seine Schwester hatten Mossul vor zwei Monaten verlassen und reisten nur zu ihrem Vergnügen. Beide begaben sich eben nach Trapezunt, wo sie einige Wochen zuzubringen gedachten. Die »edle« Sarabul[289] – in ihrem heimatlichen Paschalik pflegte man sie so zu nennen – war im Alter von etwa zweiunddreißig Jahren schon zum dritten Male Witwe von vornehmen Kurden. Diese verschiedenen Ehegatten hatten ihrer Gemahlin alle nur ein, unglücklicher Weise sehr kurzes Leben widmen können. Ihre von Figur und Gesichtsbildung noch immer recht ansehnliche, sogar hübsche Witwe befand sich also in der Lage einer Frau, welche sich durch einen vierten Gatten gern über den Verlust der drei ersten hätte trösten lassen.
Das war freilich ein schwieriges Ding, wenigstens wenn man sie näher kannte, trotz ihres Reichthums und vornehmen Stammbaumes, denn durch das Ungestüm ihres Auftretens, durch ihr echt kurdisches heftiges Temperament war sie eher dazu angethan, jeden Bewerber um ihre Hand, wenn sich ja ein solcher einstellte, zurückzuschrecken. Ihr Bruder Yanar, der sich zu ihrem Beschützer, zu ihrem Leibwächter aufgeworfen, hatte ihr den Rath ertheilt, zu reisen – der Zufall spielt ja auf Reisen oft eine so große Rolle! Das war also der Grund, warum die beiden aus Kurdistan weggegangenen Personen sich auf dem Wege nach Trapezunt befanden.
Der Seigneur Yanar war ein hochgewachsener Mann von fünfundvierzig Jahren, hatte ein von Ungeduld zeugendes Aussehen und etwas drohend-wilde Züge – einer jener Kampfhähne, die schon mit gerunzelten Augenbrauen auf die Welt gekommen waren. Mit seiner Adlernase, den tief in ihren Höhlen liegen den Augen, dem geschorenen Kopfe und dem gewaltigen Schnurrbarte näherte er sich mehr dem armenischen als dem türkischen Typus. Den Kopf bedeckt von einer, mit lebhaft rothem Seidenstoffe umwundenen Filzmütze, bekleidet mit einem Rocke mit offenen, geschlitzten Aermeln, mit goldgestickter Weste und langen Beinkleidern, die ihm über die Knöchel herabfielen, die Taille umwunden von einem Wollenshawl, an dem sich ein ganzes Magazin von Dolchen Pistolen und Yatagans befand – bot er einen wirklich erschrecklichen Anblick.
Meister Kidros sprach zu ihm auch nur mit größter Ehrerbietung und etwa in der ängstlichen Art und Weise eines Mannes, der gezwungen wäre, vor der Mündung einer mit Kartätschen geladenen Kanone eine Rede zu halten.
»Ja, Seigneur Yanar, sagte eben Kidros, jedes Wort mit besonders bezeichnender Geste begleitend, ich wiederhole Ihnen, daß der Richter noch heute Abends hier sein muß, und daß er morgen in aller Frühe die Untersuchung vornehmen wird.[290]
– Meister Kidros, antwortete Yanar, Sie sind der Verwalter dieser Karawanserai, und Allah soll Sie erdrosseln, wenn Sie nicht darauf halten, daß die Reisenden hier in Sicherheit sind.
– Gewiß, Seigneur Yanar, gewiß!
– Nun, vergangene Nacht sind Uebelthäter, Diebe oder Andere, eingebrochen... haben die Frechheit gehabt, in das Zimmer meiner Schwester, der edlen Sarabul, einzudringen!«
Yanar wies dabei auf eine der offenen Thüren in der Mauer, welche den Hofraum zur rechten Hand abschloß.
»Die Schurken! rief Kidros.
– Und wir werden die Karawanserai nicht eher verlassen, erklärte Yanar, bis sie entdeckt, dingfest gemacht, verurtheilt und gehangen worden sind!«
Ob wirklich ein Diebstahlsversuch in der vergangenen Nacht gemacht worden sei, davon schien Meister Kidros nicht so vollständig überzeugt zu sein. Gewiß war nur, daß die noch ungetröstete Witwe aus einer oder der anderen Ursache wach geworden und ganz außer sich mit großem Geschrei, nach ihrem Bruder rufend, aus dem Zimmer gestürzt war, daß sie die ganze Karawanserai in Aufruhr gebracht, und daß die Uebelthäter, wenn es überhaupt solche gab, spurlos entwischt waren.
Was auch an der Sache sein mochte, jedenfalls legte sich Scarpante, dem kein Wort dieses Gesprächs entgangen, sofort die Frage vor, welchen Vortheil er vielleicht aus dem Vorkommniß ziehen könne.
»Und wir sind Kurden, fuhr der Seigneur Yanar fort, während er sich möglichst in die Brust warf, um diesem Worte das größte Gewicht zu verleihen, wir sind Kurden von Mossul, Kurden aus der prächtigen Hauptstadt Kurdistans, und werden niemals zugeben, daß irgend einem Kurden ein Schaden zugefügt werde, ohne von der Gerechtigkeit volle Entschädigung zu verlangen.
– Doch von welchem Schaden sprechen Sie, Seigneur? wagte Meister Kidros zu fragen, während er aus Klugheit schon einige Schritte zurückwich.
Von welchem Schaden? rief Yanar.
– Ja... Seigneur!... Unzweifelhaft haben Uebelthäter sich erfrecht, in das Zimmer Ihrer edlen Schwester einzudringen, eigentlich aber haben sie doch nichts geraubt...[291]
– Nichts!... antwortete der Seigneur Yanar, nichts... allerdings, aber nur in Folge des muthigen Auftretens meiner Schwester. Sie versteht auch ebenso geschickt mit einer Pistole wie mit dem Yatagan umzugehen.
– Und außerdem, fuhr Meister Kidros fort, haben die Uebelthäter, sie mögen nun sein, wer sie wollen, die Flucht ergriffen.
– Daran haben sie sehr wohlgethan, Meister Kidros! Die edle muthige Sarabul hätte zwei von Zweien und vier von Vieren umgebracht. In Folge des Geschehenen wird sie heute Abend bewaffnet bleiben, ebenso wie ich, und wehe dem, der es wagen sollte, sich ihrem Zimmer zu nähern.
– Sie sehen doch ein, Seigneur Yanar, sachte Meister Kidros ihm zuzureden, daß nichts mehr zu fürchten ist, und daß die Diebe – wenn es Diebe waren – es schwerlich wieder unternehmen würden...
– Wie? Wenn es Diebe waren? rief der Seigneur Yanar mit Donnerstimme. Und für was würden Sie dann wohl die Schurken halten?
– Vielleicht... ein paar Unverschämte... ein paar Narren! sagte zögernd Kidros, der die Ehrbarkeit seiner Herberge vertheidigen wollte. Ja... warum nicht... es hätte sich ja wohl Einer durch die Reize der edlen Sarabul haben verlocken lassen können...
– Bei Mohammed! wetterte der Seigneur Yanar, die Hand schon an die Waffen legend, der sollte sich schön umsehen! Die Ehre einer Kurdin ist kein Spiel! Man hätte gewagt, der Ehre einer Kurdin zu nahe zu treten?... O, da wär's mit einer Verhaftung, mit einer Einkerkerung, mit dem Pfahl noch nicht genug! Die schrecklichste Todesstrafe wäre zu wenig, wenigstens, wenn der Freche nicht in der Lage und reich genug wäre, seinen Fehler wieder gut zu machen!
– Bitte, beruhigen Sie sich, Seigneur Yanar, sagte Meister Kidros, fassen Sie sich in Geduld! Die Untersuchung wird den oder die Urheber des Attentats an's Licht bringen. Ich wiederhole Ihnen, der Richter ist schon bestellt. Ich war selbst in Trapezunt, und als ich ihm den Hergang geschildert, versicherte er mir, ein Mittel zu besitzen – ein untrügliches Mittel – die Uebelthäter zu entdecken, wer sie auch wären.
– Und welches Mittel wäre das? fragte der Seigneur Yanar in etwas ironischem Tone.
– Das weiß ich nicht, sagte Meister Kidros, der Richter versicherte mir aber, daß es ihn nie im Stiche gelassen habe.[292]
– Nun, meinte der Seigneur Yanar, morgen werden wir's ja sehen. Ich ziehe mich in mein Zimmer zurück, aber ich werde wachen, bewaffnet wachen!«
Mit diesen Worten begab sich die furchtbare Persönlichkeit nach dem, dem Zimmer seiner Schwester benachbarten Schlafraum; da blieb er noch einmal auf der Schwelle stehen und streckte drohend einen Arm nach dem Hofe der Karawanserai aus.
»Man scherzt nicht mit der Ehre einer Kurdin!« rief er mit schrecklicher Stimme.
Nachher verschwand er.
Meister Kidros seufzte erleichtert auf.
»Na, sprach er für sich, wir werden ja sehen, wie Alles abläuft! Wenn's aber Diebe waren, ist's wahrlich gescheidt von ihnen, daß sie das Weite suchten!«
Während dieser Zeit unterhielt sich Scarpante gedämpften Tones mit dem Seigneur Saffar und Yarhud.
»Ja, sagte er zu ihnen, dieser Zwischenfall gibt uns vielleicht ein Mittel an die Hand, einen Schlag auszuführen.
– Du wolltest?... fragte Saffar.
– Nichts Anderes als jenem Ahmet hier eine unangenehme Geschichte auf den Hals laden, die ihn mehrere Tage in Trapezunt zurückhalten und ihn vielleicht gar von seiner Verlobten trennen könnte.
– Gut, aber wenn der Anschlag mißlingt...
– Dann zur Gewalt,« antwortete Scarpante.
Eben jetzt bemerkte Meister Kidros Saffar, Scarpante und Yarhud, die er noch nicht gesehen hatte. Er ging auf sie zu und fragte verbindlich:
»Sie wünschen, meine Herren?...
– Wir erwarten Reisende, welche jeden Augenblick eintreffen müssen, um in der Karawanserai zu übernachten,« sagte Scarpante.
Da ließ sich draußen ein Geräusch hören, das Geräusch einer Karawane, deren Pferde und Maulesel vor der äußeren Thüre hielten.
»Da kommen sie wahrscheinlich?« sagte Meister Kidros.
Er ging weiter nach dem Hofe hinein, um die neuen Ankömmlinge zu bewillkommnen.
»Richtig, sagte er, im Thore stehend bleibend, es sind Reisende, welche zu Pferde kommen, ihrer Erscheinung nach zu urtheilen, reiche Herren!... Ich muß ihnen wohl entgegen gehen, meine Dienste anzubieten.«[293]
Damit trat er durch das Thor.
Gleichzeitig mit ihm hatte sich auch Scarpante nach dem großen Eingang begeben und sah nach der Landstraße hinaus.
»Wären diese Reisenden Ahmet und seine Gefährten? fragte er, sich an den maltesischen Capitän wendend.
– Ja, sie sind es! antwortete Yarhud, der schnell zurückwich, um nicht erkannt zu werden.
– Sie? rief auch Seigneur Saffar, selbst vortretend, ohne jedoch den Hof der Karawanserai zu verlassen.
– Ja, versicherte Yarhud, das ist Ahmet, seine Verlobte, deren Dienerin, die beiden männlichen Diener...
– Vorsichtig! Vorsichtig! mahnte Scarpante, der Yarhud ein Zeichen gab, sich zu verbergen.
– Und Sie können schon die Stimme des Seigneur Keraban hören? fuhr der maltesische Capitän fort.
– Keraban?...« rief Saffar verwundert.
Damit stürzte er auf das Thor zu.
»Was haben Sie denn, Seigneur Saffar? fragte Scarpante ganz überrascht, warum erregte Sie der Name Keraban so sehr?
– Er!... Ja, das ist er!... Das ist der Reisende, den ich schon an der kaukasischen Eisenbahn getroffen... der mir Widerstand leisten und meine Pferde nicht vorwärts gehen lassen wollte!
– Er kennt Sie also?
– Ja... es würde mir nicht schwer werden, hier jenen Streit wieder aufzunehmen... ihn fest zu halten...
– Damit würde der Neffe noch nicht gehalten sein, meinte Scarpante.
– Des Neffen würde ich mich ebenso zu entledigen wissen, wie des Onkels.
– Nein, nein, keinen Streit... keinen Lärm! erwiderte Scarpante eindringlich. Glauben Sie mir, Seigneur Saffar, jener Keraban kann Ihre Anwesenheit nicht muthmaßen. Er darf vor Allem nicht wissen, daß Yarhud die Tochter des Banquier Selim in Ihrem Auftrage entführt hatte.... Damit wäre Alles auf's Spiel gesetzt!
– Meinetwegen, sagte Saffar, ich ziehe mich zurück und überlasse Alles Deiner Gewandtheit, Scarpante! Aber daß Du zum Ziele kommst![294]
– Ich komme zum Ziel, Seigneur Saffar, wenn Sie mich frei handeln lassen. Kehren Sie noch heut' Abend nach Trapezunt zurück...
– Ich werde zurückkehren.
– Auch Du, Yarhud, verläßt sofort die Karawanserai, fuhr Scarpante fort. Du bist bekannt und darfst hier nicht wieder erkannt werden.
– Da sind sie schon! sagte Yarhud.
– Verlaßt mich... laßt mich allein! rief Scarpante, indem er den Capitän der »Guidare« zurückschob.
– Wie sollen wir aber verschwinden, ohne von den Leuten da gesehen zu werden? fragte Saffar.
– Hier durch!« antwortete Scarpante und öffnete eine, links in der Mauer angebrachte kleinere Thür, welche nach dem Freien hinausführte.
Der Seigneur Saffar und der maltesische Capitän schlüpften sofort hinaus.
»Es war hohe Zeit, sagte Scarpante für sich, und nun heißt's Augen und Ohren offen halten!«
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