[27] Vor dreißig Jahren zählte Nieder-Californien – ungefähr ein Drittel des Staates Californien – kaum fünfunddreißigtausend Einwohner, während sich die Bevölkerung jetzt auf mehr als hundertfünfzigtausend Menschen beläuft. In jener Zeit waren die Ländereien dieser Provinz noch ganz unbebaut und schienen nur für die Viehzucht geeignet zu sein. Wer hätte ahnen können, welche Zukunft einer so verlassenen Gegend vorbehalten sei, wo sich die Communicationsmittel zu Lande auf eine Straße, zu Wasser auf eine Dampfschifflinie beschränkten, die sich der Küste entlang zog?
Und doch war seit dem Jahre 1769 der Keim einer Stadt einige Meilen im Innern des Landes vorhanden, im Norden der Bucht von San-Diego. Auch kann die zur Thatsache gewordene Stadt in der Geschichte des Landes sich rühmen, die älteste Ansiedlung in Californien zu sein.
Als der neue Continent, der mit dem alten Europa durch einfache coloniale Bande verbunden war, sich gegen die Festerknüpfung derselben aussprach, so rissen auch diese. Die Vereinigten Staaten von Nordamerika erhoben die Fahne der Unabhängigkeit und England behielt nichts weiter als den Fetzen davon, nämlich Dominion und Columbian, deren Vereinigung mit der Conföderation auch in absehbarer Zeit zu erwarten ist. Was die Freiheitsbewegung anbelangt, so hatte sie zuerst in der Bevölkerung der mittleren Staaten Platz gegriffen, die nur einen Gedanken, nur ein Ziel hatte: »Los von dem Mutterlande!«
Damals schmachtete Californien nicht unter dem angelsächsischen Joche, denn es gehörte zu Mexiko und befand sich bei diesem Staate bis 1846. In diesem Jahre wurde San-Diego, nachdem es sich freigemacht hatte, um der republikanischen Conföderation beizutreten, das, was es sein sollte – amerikanisch.
Der Golf von San-Diego ist prächtig. Man könnte ihn mit dem von Neapel vergleichen, aber der Vergleich würde vielleicht besser sein mit denen von Vigo oder Rio de Janeiro. Zwölf Meilen Länge und zwei Meilen Breite[27] geben ihm genügenden Spielraum für die Bergung einer Handelsflotte und die Uebungen einer Escadre, denn er wird auch als Militärhafen angesehen. Er hat eine ovale Form, ist im Westen ein wenig zwischen den Inseln Island und Coronado offen und liegt nach allen Seiten geschützt. Die Seewinde haben Achtung vor demselben, der Sturm des Stillen Oceans berührt kaum seine Oberfläche, die Schiffe fahren ohne Mühe aus demselben. Er ist der einzige sichere und praktische Hafen, günstig als Zufluchtsort, den die Westküste südlich von San-Francisco und nördlich von San-Quentin bietet.
Bei so vielen natürlichen Vortheilen mußte sich die alte Stadt in ihrer Ausbreitung bald beengt finden, denn schon die Baracken zur Unterbringung einer Abtheilung Cavallerie waren außerhalb derselben erbaut worden. Dank der Initiative Horton's, dessen Intervention übrigens ein vorzügliches Geschäft war, wurde ein neuer Stadttheil errichtet, der sich jetzt zu der eigentlichen Stadt erhoben hat und sich an dem sanften Hügel der Bucht hinauszieht. Nun wuchs Alles mit der rühmlichst bekannten amerikanischen Schnelligkeit empor, indem eine Million Dollars, die in den Boden gesäet wurden, Privathäuser, öffentliche Gebäude, Villen, Handelshäuser entstehen ließ. Im Jahre 1885 zählte San-Diego schon fünfzehntausend Einwohner – heute dreißigtausend. Seine erste Eisenbahn datirt aus dem Jahre 1881. Jetzt setzen die Atlantic- and Pacificbahn, die Southern-Californiabahn, die Southern-Pacificbahn die Stadt mit dem Continente in Verbindung, während zugleich das Pacific Coast-Steamship sie in regem Verkehr mit San-Francisco hält.
Sie ist eine hübsche, bequeme, lustige und gesunde Stadt, in einem Klima, das man nicht erst zu loben braucht. In der Umgebung ist das Land von außerordentlicher Fruchtbarkeit: Der Weinstock, die Olive, der Orangenbaum, der Citronenbaum tragen neben den Obstbäumen, Früchten und Gemüsen des Landes reichliche Frucht. Man könnte diese Gegend eine Normandie, verschmolzen mit einer Provence, nennen.
Was die Stadt San-Diego selbst anbelangt, so ist sie mit jener malerisch leichten Orientirung, jener Phantasie erbaut, die für die Gesundheit wichtig ist, wenn man sich nicht durch die Steigung des Terrains behelligt fühlt. Es giebt dort Plätze, Squares, breite Straßen, ein wenig Schatten überall, und ist auf die Gesundheit der Bevölkerung Rücksicht genommen.
Wenn überhaupt der Fortschritt in jener Richtung hin sich nicht in einer modernen Stadt geltend machen sollte, besonders wenn diese Stadt amerikanisch ist,[28] wo sollte man denselben dann suchen? Da ist Gasbeleuchtung, Telegraph, Telephon, kurz, die Bewohner haben nur ein Zeichen zu geben, um Licht zu haben, ihre Depeschen auszutauschen, um miteinander von einem Stadtviertel zu dem anderen zu sprechen. Es giebt dort sogar mehr als hundertfünfzig hohe Mastbäume, die elektrisches Licht auf die Straßen der Stadt werfen. Wenn man noch nicht die Milch durch Luftdruck von der Great Milke Company in die Häuser befördern läßt, wenn die beweglichen Fußwege, die sich mit einer Schnelligkeit von vier Meilen in einer Stunde fortbewegen, sich noch nicht dort befinden, so ist das sicher... nur eine kleine Verzögerung.
Dazu kommen noch die verschiedenen Institute, die den Handel und Verkehr beleben: ein Zollamt, in dem der Verkehr mit jedem Tage wächst, zwei Banken, eine Handelskammer, eine Auswanderungsgesellschaft, große Comptoirs, zahlreiche Kanzleien, wo die großartigsten Holz- und Mehlgeschäfte abgeschlossen werden, Kirchen für die verschiedenen Religionen, drei Marktplätze, ein Theater, ein Gymnasium, drei höhere Schulen, Ruß County, Court House, Maronic and old fellows, die für die armen Kinder bestimmt sind, endlich zahlreiche andere Institute, wo die Studien bis zur Erwerbung eines Diploms an der Universität führen – und nun kann man über die Zukunft einer noch so jungen Stadt urtheilen, die für Alles sorgt, in moralischer wie in materieller Beziehung. Hat sie keine Zeitungen? Ja! Sie besitzt drei Tagesblätter, unter anderen den »Herald«, und jedes dieser Blätter giebt auch eine Wochenausgabe heraus. Müssen die Touristen befürchten, kein bequemes Unterkommen zu finden? Ohne die Hôtels niedrigen Ranges zu zählen, stehen ihnen drei prächtige Gebäude zur Verfügung, das Horton-House, das Florence-House, das Gerard-Hôtel mit seinen hundert Zimmern, während sich an dem gegenüberliegenden Ufer des Golfs inmitten von reizenden Villen in wunderbarer Lage ein neues Hôtel erhebt, das nicht weniger als fünf Millionen Dollars gekostet hat.
Von all den Ländern des alten Continents, wie von allen Städten des neuen, woher die Reisenden in diese kleine, lebhafte Hauptstadt Südcaliforniens kommen, werden sie gastfreundlich aufgenommen, und noch Niemand hat es bereut, diese Reise angetreten zu haben – es sei denn, daß sie ihm zu kurz gewesen wäre.
San-Diego ist eine lebhafte, bunte, geschäftige Stadt, wie die meisten amerikanischen Städte. Wenn sich das Leben an der Bewegung kenntlich macht, so kann man sagen, daß man dies dort im wahrsten Sinne des Wortes sieht.[29]
Die Zeit reicht kaum für das Geschäft hin. Wenn aber die Bewegung ruht, dann laufen die Stunden nur zu langsam vorüber!
Dies fühlte Mrs. Branican nach der Abfahrt des »Franklin«. Seitdem sie verheiratet war, nahm sie an den Arbeiten ihres Gatten theil. Selbst als er nicht auf der See war, beschäftigten ihn seine Beziehungen zu dem Hause Andrew vollauf. Außer den Handelsgeschäften, an denen er sich betheiligte, hatte er den Bau des Dreimasters zu beaufsichtigen, dessen Commando er übernehmen sollte. Mit welchem Eifer, man kann sagen, mit welcher Liebe er die kleinsten Einzelheiten überwachte! Er benahm sich dabei wie ein Hausherr, der sich ein Haus bauen läßt, um sein Leben darin abzuschließen. Und noch mehr, denn das Schiff ist nicht nur das Haus, es ist nicht nur ein Werkzeug des Glückes, es ist ein Holz- und Eisenbau, dem das Leben so und so vieler Menschen anvertraut wird.
Oft begleitete Dolly den Capitän John zur Werfte. War dieses Hämmern, Schlagen, Bohren, diese Mastbäume, die auf der Erde lagen und warteten, bis sie ihren Platz einnahmen, die Arbeit im Innern des Schiffes, das Takelwerk, die Cabinen – war dies Alles nicht von großem Interesse? Das Leben Johns und seiner Gefährten hatte der »Franklin« gegen die wilden Stürme des Stillen Oceans zu vertheidigen! Auch gab es nicht ein Brett, dem Dolly nicht im Gedanken einen Segenswunsch zuflüsterte, nicht einen Hammerschlag, der nicht in ihrem Herzen wiederhallte. John erklärte ihr die ganze Arbeit, sagte ihr die Bestimmung eines jeden Holzstückes oder Metalltheiles und machte ihr den Bauplan verständlich. Sie hatte dieses Schiff gern, dessen Seele, dessen Herr, nach Gott, ihr Gatte werden sollte!... Und manchmal fragte sie sich, warum sie nicht mit dem Capitän fahre, warum er sie nicht mitnehme, warum sie nicht die Gefahren des Meeres theile, warum sie der »Franklin« nicht zugleich mit ihm in den Hafen von San-Diego zurückbringen könne? Ja, sie hatte sich nicht von ihrem Gatten trennen wollen!... Und ist das Leben dieser Seeleute, die jahrelang zusammen herumfahren, nicht seit Langem in Fleisch und Blut der Bevölkerung des Nordens auf dem alten wie auf dem neuen Continente übergegangen?
Aber es war ja Wat da, das kleine Kind, und Dolly konnte es nicht der Pflege einer Amme überlassen, die doch nicht seine Mutter war... Nein! Konnte sie es mitnehmen und es einer für so kleine Wesen gefährlichen Reise aussetzen?... Nein!... Sie wollte bei diesem Kinde bleiben und sein Leben schützen, nachdem[30] sie es ihm ja gegeben, es mit Liebe und Zärtlichkeit pflegen, damit es dem heimkehrenden Vater gesund entgegenlächeln könne. Uebrigens sollte John nur sechs Monate fernbleiben, denn sobald der »Franklin« seine Ladung in Calcutta erneuert hätte, würde er wieder zurückkehren. Und geziemt es sich nicht, daß die Frau eines Seemannes sich an jene unabänderlichen Trennungen gewöhne, die der Stand des Gatten mit sich bringt?
Sie mußte daher nachgeben und Dolly gab auch nach. Aber nach der Abfahrt Johns wäre ihr das Leben öde und leer erschienen, wenn sie nicht das Kind gehabt, wenn sie nicht auf dasselbe ihre ganze Liebe übertragen hätte.
Das Haus John Branican's stand auf einer jener Anhöhen, welche die nördliche Grenze des Golfs bilden. Es war eine Art Villa, inmitten eines kleinen Gartens von Orangen- und Olivenbäumen, den ein einfaches hölzernes Gitter umgab. Das Erdgeschoß mit der kleinen Gallerie, auf welche die Thüre und die Fenster des Salons und des Speisezimmers hinausgingen, dann der Balcon, der den größten Theil der Façade einnahm, des nett geschnitzte Dach, welches drei Fuß über das Stockwerk hinausragte, dies Alles bildete die einfache und reizende Behausung des Capitäns. Im Erdgeschosse befanden sich der Salon und das Speisezimmer, beide bescheiden möblirt; im ersten Stocke zwei Zimmer, das der Mrs. Branican und des Kindes; im Hintertheile des Hauses war ein kleiner Anbau für die Küche und das Dienstbotenzimmer. Prospect-House hatte eine herrliche Lage gegen Süden: Man konnte die ganze Stadt und den Golf bis zu den Gebäuden auf der Lamaspitze überblicken. Wenn das Haus auch von dem Leben und Treiben entfernt lag, so wurden die Bewohner doch wieder durch die herrliche Lage und die schöne Aussicht entschädigt, indem zu gleicher Zeit der Südwind und der salzige Geruch des Stillen Oceans diesen Besitz umgaukelten.
Hier nun brachte Dolly die langen Stunden zu. Die Amme des Kindes und eine Dienerin genügten vollständig für die Bedienung des Hauses. Die einzigen Besucher waren Herr und Frau Burker, selten kam Len, oft Jane. William Andrew besuchte, seinem Versprechen gemäß, öfter die junge Frau, indem er wünschte, ihr alle Nachrichten über den »Franklin« mitzutheilen, die auf directem oder indirectem Wege anlangen würden. – Bevor die Briefe an ihre Adresse gelangen können, berichten bereits die Schiffzeitungen von den Begegnungen der Schiffe, ihren Aufenthalten in den Hafenplätzen und anderen Dingen mehr, welche die Rheder und Besitzer interessiren. Dolly würde also auf dem Laufenden gehalten werden.
Was Bekannte, Gesellschaften, Besuche in der Nach[31] barschaft des Prospect-House anbelangt, so hatte sie dieselben nie gesucht. Ihr Leben füllte nur ein Gedanke aus; selbst wenn das Haus voller Besucher gewesen wäre, so wäre es ihr doch leer vorgekommen, weil John nicht da war; und es würde auch bis zu seiner Rückkehr leer bleiben.
Welchen Schmerz litt sie die ersten Tage! Dolly verließ Prospect-House gar nicht und Jane Burker besuchte sie täglich. Beide beschäftigten sich mit dem kleinen Wat und sprachen nur von John. War Dolly allein, so saß sie gewöhnlich[32] auf dem Balcon des Hauses und ließ ihre Blicke in die Ferne schweifen, weit über den Golf, noch weiter über die Coronadoinseln hinaus... Sie durchdrangen die Meereslinie am Horizonte... Der »Franklin« war schon weit... aber sie holte ihn in ihren Gedanken ein, sie schiffte sich auf demselben ein, sie war an der Seite ihres Gatten... Und wenn ein Schiff aus weiter Ferne in den Hafen einfuhr, da sagte sie zu sich, daß auch der »Franklin« eines Tages so erscheinen, daß er je näher, desto größer werden, daß John an Bord sein werde...[33]
Unterdessen war die Gesundheit des kleinen Kindes eine ganz gute. Zwei Wochen nach der Abreise des Schiffes war das Wetter sehr schön geworden und Wat konnte das Haus verlassen. So unternahm Mrs. Branican einige Ausflüge, wobei sie die Amme mitnahm, welche das Kind trug. Man ging zu Fuß, wenn sich die Spaziergänge auf die Umgebung der Hafenstadt beschränkten, bis zu den Häusern der Altstadt. Das that dem frischen gesunden Kinde sehr wohl, und sobald die Amme stehen blieb, klatschte es mit den kleinen Händen zusammen und lachte seiner Mutter zu. Ein- oder zweimal miethete man, da ein größerer Ausflug unternommen wurde, einen Wagen in der Nachbarschaft, der sie alle drei rasch davontrug, manchesmal auch alle vier, wenn Mrs. Burker an der Partie theilnahm. Eines Tages unternahm man einen solchen Ausflug auf den Hügel Knob-Hill, welcher mit Villen besäet ist, sich hinter dem Hôtel Florence erhebt und von dem man eine herrliche Aussicht gegen Westen über die Insel hat. An einem anderen Tage besuchte man den Strand der Coronado-Bucht, an welchem sich die Meereswogen mit furchtbarem Donner brachen. Dolly berührte mit dem Fuße diesen Ocean, der ihr gleichsam ein Echo aus weiter Ferne zutrug, wo gerade ihr Gatte dahinfuhr, diesen Ocean, dessen Wogen vielleicht das Schiff eben feindlich angriffen, das tausende Meilen weit war. Sie versank in Nachdenken und sah in Gedanken das Schiff des jungen Capitäns, indem sie leise den Namen »John« aussprach.
Am 30. März, gegen zehn Uhr Morgens, saß die junge Frau auf dem Balcon, als sie Mrs. Burker auf ihr Haus zukommen sah. Jane beschleunigte ihre Schritte, indem sie ihr freudig mit der Hand zuwinkte, ein Beweis, daß sie keine schlimme Nachricht brachte. Dolly stieg sofort hinab und traf mit ihrer Cousine gerade bei der Thür zusammen.
»Was giebt es, Jane?... fragte sie.
– Liebe Dolly, erwiderte Mrs. Burker, Du wirst eine sehr freudige Nachricht erhalten. Ich habe Dir von Mr. William Andrew mitzutheilen, daß der »Boundary«, der heute früh in San-Diego eingefahren ist, den »Franklin« begegnet hat...
– Dem »Franklin?.
– Ja William Andrew ist soeben davon benachrichtigt worden und er traf zufällig mit mir in der Fleet Street zusammen; da er erst Nachmittags kommen kann, so bin ich hergeeilt, um Dir diese Nachricht zu bringen.
– Und hat man Nachrichten von John?...[34]
– Ja, Dolly.
– Welche?... Sprich doch!
– Vor acht Tagen haben sich der »Franklin« und der »Boundary« auf dem Meere begegnet und es ist möglich gewesen, eine Correspondenz zwischen den beiden Schiffen auszutauschen!
– Ist Alles wohl an Bord?
– Ja, liebe Dolly. Die zwei Capitäne kamen einander so nahe, daß sie miteinander sprechen konnten, und das letzte Wort, welches man auf dem »Boundary« hören konnte, war Dein Name.
– O armer John! rief die junge Frau aus, indem Thränen aus ihren Augen stürzten.
– Wie glücklich bin ich, Dolly, versetzte Mrs. Burker, daß ich die Erste bin, welche Dir diese Nachricht bringt.
– Und ich danke Dir dafür, erwiderte Mrs. Branican. Wenn Du wüßtest, wie mich das glücklich macht!... Ach, wenn ich jeden Tag erfahren würde... mein John!... mein lieber John!... der Capitän des »Boundary« hat ihn gesehen... John hat mit ihm gesprochen... das ist wie ein Adieu, welches er mir geschickt hat!
– Ja, liebe Dolly, und ich wiederhole Dir noch einmal, es ist Alles wohl an Bord des »Franklin«.
– Jane, sagte Mrs Branican, ich muß den Capitän des »Boundary« sprechen, er soll mir Alles haarklein erzählen.... Wo haben sich die Schiffe begegnet?...
– Das weiß ich nicht, erwiderte Jane, aber das Schiffsbuch wird Dir Auskunft geben und der Capitän Dir Alles genau erzählen.
– Nun, Jane, ich will mich rasch anziehen, und wir gehen zusammen hin...
– Nein... heute nicht, Dolly, erwiderte Mrs. Burker, wir dürften nicht an Bord des »Boundary«.
– Und warum?
– Weil er erst heute früh angekommen ist und sich in Quarantaine befindet.
– Bis wann?
– Oh, nur vierundzwanzig Stunden... Ja, das ist nur eine reine Formsache, aber Niemand darf auf das Schiff.
– Wie konnte dann Mr. William Andrew von dieser Begegnung erfahren?[35]
– Die Nachricht hat ihm ein Zollbeamter von Seiten des Capitäns gebracht. Liebe Dolly, beruhige Dich... es kann kein Zweifel herrschen über das, was ich Dir soeben mitgetheilt habe, und Du wirst es morgen bestätigt finden. Ich bitte Dich, habe nur einen Tag Geduld.
– Nun gut, Jane, auf morgen! Ich werde um neun Uhr bei Dir sein; wirst Du mich an Bord des »Boundary« begleiten?..
– Sehr gern, liebe Dolly, ich werde Dich morgen erwarten, und wenn die Quarantaine vorüber ist, so wird uns der Capitän sicher empfangen.
– Nicht wahr, es ist der Capitän Ellis, ein Freund Johns? fragte Mrs. Branican.
– Ja, Dolly, und der »Boundary« gehört dem Hause Andrew.
– Also einverstanden, Jane... ich werde morgen zur festgesetzten Stunde bei Dir sein.. aber wie lang wird mir der Tag vorkommen... Willst Du nicht mit mir frühstücken?...
– Wenn Du es erlaubst, liebe Dolly... Mr. Burker kommt erst Abends nach Hause, so daß ich Dir den ganzen Nachmittag widmen kann...
– Ich danke, liebe Jane, wir werden von John sprechen... nur von ihm... nur von ihm!
– Und der kleine Wat?... Wie geht es ihm?... fragte Mrs. Burker.
– Es geht ihm sehr gut! erwiderte Dolly, er ist lustig wie ein Vogel... Wie wird sich sein Vater freuen, ihn wiederzusehen!... Jane, ich möchte ihn am liebsten mit der Amme morgen mitnehmen... Du weißt es, ich trenne mich nicht gern von meinem Kinde, nicht einmal für einige Stunden... Ich hätte keine Ruhe.
– Du hast recht, sagte Mrs. Burker, das ist ein guter Gedanke, der Spaziergang wird dem kleinen Wat gut thun; die Witterung ist schön... das Meer ist ruhig... Es wird seine erste Seereise sein... Also abgemacht?
– Abgemacht!« versetzte Mrs. Branican.
Jane blieb im Prospect-House bis fünf Uhr Abends, dann schied sie von ihrer Cousine, indem sie nochmals wiederholte, daß sie dieselbe am folgenden Tage um neun Uhr Morgens erwarten werde, um mit ihr den »Boundary« zu besuchen.[36]
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