Viertes Capitel.
Ein britisches Ultimatum.

[251] Während der letzten, den Vergnügungen der Christmas gewidmeten Woche des Jahres ergehen zahlreiche Einladungen zu Diners, Soiréen und officiellen Empfängen. Ein vom Gouverneur den ersten Persönlichkeiten der Milliard-City angebotenes und von den Notabeln beider Stadthälften angenommenes Bankett zeugt von einer gewissen Verschmelzung der beiden Theile.

Die Tankerdon's und Coverley's finden sich hier an einem Tische zusammen. Am ersten Tage des Jahres werden gewiß Glückwunschkarten zwischen dem Hôtel der Neunzehnten und dem der Fünfzehnten Avenue ausgetauscht. Walter Tankerdon erhält sogar eine Einladung zu einem der Concerte der Mrs. Coverley. Die Art und Weise, wie ihn die Dame des Hauses empfängt, ist von guter[251] Vorbedeutung. Von da bis zu einer engsten Verbindung ist es freilich noch weit, obwohl Calistus Munbar in seiner chronischen Verblendung nie aufhört, gegen jeden, der es hören will, zu wiederholen:

»Es ist abgemacht, meine Freunde, die Sache ist in Ordnung!«

Inzwischen setzt die Propeller-Insel ihre friedliche Fahrt nach dem Archipel von Tonga-Tabu fort. Nichts schien dieselbe stören zu sollen, als sich in der Nacht vom 30. zum 31. December eine unerwartete meteorologische Erscheinung zeigt.

Zwischen zwei und drei Uhr hört man entfernte Detonationen; die Wachen legen denselben keine besondre Bedeutung bei. Es scheint kaum annehmbar, daß es sich um einen Seekampf handeln könnte oder doch höchstens um einen solchen zwischen den Schiffen der südamerikanischen Republiken, die sich so häufig in den Haaren liegen. Auf Standard-Island, der unabhängigen Insel, die mit allen Mächten beider Welten in Frieden lebt, braucht man sich also nicht zu beunruhigen.

Die von der Westseite her dröhnenden Detonationen dauern übrigens bis zum Tagesanbruch fort und können mit dem Donnergerolle entfernten Artilleriefeuers nicht verwechselt werden.

Der Commodore Simcoë wird von seinen Officieren davon benachrichtigt und beobachtet den Horizont vom Thurme des Observatoriums aus. Kein Lichtschein zeigt sich auf dem weiten Segment des Meeres, das vor seinen Augen liegt. Immerhin bietet der Himmel nicht das gewöhnliche Aussehen. Der Reflex von Flammen hat ihn bis zum Zenith hinauf gefärbt. Die Luft ist stark dunstig trotz des schönen Wetters und auch der Thermometer deutet durch sein plötzliches Fallen auf eine Störung in der Atmosphäre hin.

Beim ersten Tageslicht erfahren die Frühaufsteher von Milliard-City eine seltsame Ueberraschung. Die Detonationen dauern nicht allein noch immer fort, die Luft erfüllt sich auch wie mit einem roth und schwarzen Dunste, einer Art seinem Staube, der wie Regen herabfällt. Man hätte es einen Platzregen rußiger Moleküle nennen können. In kürzester Zeit sind die Straßen der Stadt und die Dächer der Häuser mit einer Substanz bedeckt, worin sich die Farben des Carmins, des Krapp, der Garance und des Purpurs mit schwärzlichen Schlacken vermischen.

Alle Einwohner sind hinausgeströmt – mit Ausnahme des Athanase Dorémus, der nun einmal erst zu Mitternacht zu Bette geht und vor elf Uhr morgens nicht aufsteht. Das Quartett ist selbstverständlich vom Lager ausgeprungen und hat sich nach dem Thurme des Observatoriums begeben, wo der[252] Commodore, seine Officiere, seine Astronomen – den neuen königlichen Beamten nicht zu vergessen – sich eingefunden haben, um die Natur dieser Erscheinung zu enträthseln.

»Es ist bedauerlich, beginnt Pinchinat, daß dieser rothe Stoff nicht flüssig und daß diese Flüssigkeit nicht ein Regen von Pomard oder von Chateau Lafitte ist!

– Ewig trockne Musikantenkehle!« antwortet Sebastian Zorn.

Was die Natur ähnlicher Erscheinungen angeht, weiß man, daß wiederholt Regenfälle von rothem, aus Kieselsäure, Chromoxyd und Eisenoxyd bestehendem Sand beobachtet worden sind. Zu Anfang unsers Jahrhunderts wurden Calabrien und die Abruzzen in ähnlicher Weise überschüttet, und die abergläubischen Bewohner wollten in dem Niederschlage Blutstropfen sehen, wo es sich, wie 1819 in Blankenberghe, nur um Cobaltchlorür handelte. Auch von entfernten Feuersbrünsten werden ja wohl Aschenheilchen oft weit fortgetragen. Solche Niederschläge hat man 1820 in Fernambuko, gelbe Regen 1824 in Orleans und 1836 in den Niederpyrenäen gesehen, welch letztere aus den Pollenkörnern blühender Linden bestanden.

Welcher Quelle aber die Staub- und Schlackentheile entstammten, die jetzt auf Standard-Island niederfielen, war nicht so ohne weiteres zu entscheiden.

Der König von Malecarlieu meinte, daß sie aus einem Vulcan der östlichen Inseln herrühren dürften, und seine Collegen vom Observatorium theilten seine Ansicht. Man sammelte einige Hände voll dieser Schlacken, die sich wärmer zeigen als die umgebende Luft. Ein heftiger Vulcanausbruch würde die unregelmäßigen Detonationen, die noch immer hörbar sind, erklären. Diese Gegend ist ja voller theils noch thätiger, theils erloschener Vulcane, ganz zu schweigen von denen, die zuweilen aus der Tiefe des Oceans emporgehoben werden und dann die gewaltigsten Ausbrüche zeigen.

Gerade inmitten des Archipels von Tonga hat der Tusua erst vor wenigen Jahren eine Fläche von über hundert Quadratkilometern mit seinen Eruptivmassen bedeckt, und das Donnern und Krachen seines gewaltigen Ausbruchs ist zuweilen bis auf zweihundert Kilometer Entfernung hörbar gewesen.

Im August 1883 verwüsteten die Eruptionen des Krakatoa den Theil der Inseln Java und Sumatra, der nach der Sundastraße zu liegt, zerstörten die Dörfer, wobei viele Menschen das Leben verloren, riefen starke Erderschütterungen hervor, bedeckten den Erdboden mit einer schmutzigen Schicht,[253] wühlten das Wasser des Meeres zu furchtbaren Wogenbergen auf, verpesteten die Luft mit schwefligen Dünsten und richteten alle in der Nähe befindlichen Schiffe zu Grunde.

Da liegt die Frage nahe, ob die Propeller-Insel nicht von einem ähnlichen Geschick bedroht sei...

Der Commodore Simcoë ist offenbar beunruhigt, denn die Weiterfahrt scheint sehr schwierig zu werden. Auf seinen Befehl bewegt sich Standard-Island jetzt auch nur sehr langsam weiter.

Die Milliardeser sind von Entsetzen gepackt, scheint es doch, als sollten die Unkenrufe Sebastian Zorn's bezüglich des Ausgangs der Fahrt sich schon jetzt bewahrheiten.

Zu Mittag ist es ganz finster geworden. Die Leute sind aus den Häusern geflohen, in der Befürchtung, daß diese einem unterirdischen Stoße nicht widerstehen werden. Nach beiden Häfen sind Officiere beordert, um auf alles Acht zu geben. Die Maschinisten stehen bereit, mit der ganzen Insel zu wenden, wenn es nöthig würde, eine andre Richtung einzuschlagen. Leider gestalten sich die Verhältnisse auch hierfür immer ungünstiger, je mehr sich der Himmel mit pechschwarzen Dunstmassen erfüllt.

Gegen sechs Uhr abends vermag man kaum zehn Schritte weit zu sehen. Die Menge der herabfallenden Massen ist so groß, daß die Insel schon bemerkbar tiefer einsinkt – und diese ist doch kein gewöhnliches Schiff, das man durch Ueberbordwersen der Fracht zu erleichtern im Stande ist.

So kommt der Abend, kommt die Nacht heran, doch ist das nur am Stande der Uhren zu erkennen, denn die Dunkelheit ist dieselbe wie vorher. Der Schlackenfall macht es unmöglich, die elektrischen Monde im Freien hängen zu lassen, man holt sie also herunter. Natürlich wird die Beleuchtung der Straßen und des Innern der Häuser nicht unterbrochen.

In der allgemeinen Lage bringt auch die Nacht keine Veränderung, höchstens scheint es, daß die Detonationen minder häufig werden und sich auch etwas abschwächen, während der vom starken Winde mehr nach Süden entführte Aschenregen etwas nachläßt.

Die Milliardeser wagen sich wieder in ihre Wohnungen zurück, mit der Hoffnung, daß sich die Verhältnisse bis zum Morgen weiter bessern werden. Dann bedarf es nur einer gründlichen Säuberung der Schraubeninsel, und alles wird glücklich überstanden sein.[254]

Und doch, welch trauriger erster Januar für das Juwel des Stillen Oceans, und wie wenig fehlte daran, daß Milliard-City das Schicksal von Pompeji und Herculanum bescheert wurde! Liegt die Stadt auch nicht am Fuße eines Vesuv, so begegnet sie auf ihrer Fahrt doch sehr vielen Vulcanen, die gerade hier über und unter der Oberfläche des grenzenlosen Meeres liegen.

Der Gouverneur, seine Adjuncten, der Rath der Notabeln, bleiben im Stadthause dauernd versammelt. Die Wachen auf dem Thurme achten auf jede Veränderung am Horizonte wie am Zenith. Um ihren Curs nach Südwesten beizubehalten, ist die Propeller-Insel zwar immer weiter gefahren, doch nur mit der Geschwindigkeit von zwei bis drei Meilen in der Stunde.

Sobald es wieder heller wurde, wollte man dem Archipel von Tongo direct zusteuern. Dort würde man ohne Zweifel erfahren, welche Insel dieser Gegend der Schauplatz dieser furchtbaren Eruption gewesen war.

Im ganzen verliert die grausige Naturerscheinung im Laufe der Nacht entschieden an Stärke.

Gegen drei Uhr morgens erschreckt ein neuer Zwischenfall die Einwohner Milliard-Citys.

Standard-Island erhält einen Stoß, der sich durch den ganzen Untergrund fühlbar macht, wenn er auch nicht hinreichend war, die Wohnungen zu beschädigen und die Maschinen in Unordnung zu bringen, denn die Schrauben arbeiten wie früher weiter. Immerhin muß sich am Vordertheil eine Collision ereignet haben.

Doch welche? Auf eine Untiefe konnte Standard-Island, da es sich noch fortbewegte, nicht aufgelaufen sein. Vielleicht auf eine Klippe? Oder war es in der Dunkelheit zum Zusammenstoße mit einem Schiffe gekommen, das seinen Weg kreuzte und seine Positionslichter nicht hatte wahrnehmen können?... Hat diese Collision schwere Havarien verursacht, die, wenn sie auch die Sicherheit Standard-Islands nicht gefährden, doch vielleicht größre Reparaturen nöthig machen?

Cyrus Bikerstaff und der Commodore Simcoë begeben sich, nicht ohne Mühe durch die dicke Aschenschicht vordringend, nach der Rammspornbatterie.

Hier erfahren sie, daß ein großes Schiff, ein von Westen nach Osten steuernder Dampfer, in der That mit Standard-Island zusammengestoßen ist, der je doch erst, als er ganz in der Nähe war, hatte gesehen werden können. Wohl hatte man von ihm aus Hilferufe und Geschrei gehört, doch dauerte das nur wenige Augenblicke.


Sie ergriffen ihre Instrumente und begannen mit dem Spiele. (S. 250.)
Sie ergriffen ihre Instrumente und begannen mit dem Spiele. (S. 250.)

Der Officier des Postens und seine Leute haben, als[255] sie nach der Spitze der Batterie geeilt waren, schon nichts mehr gesehen oder gehört. Leider sieht es aus, als ob das Schiff auf der Stelle versunken sei.

Standard-Island selbst hat bei dem Unfall keinen ernsten Schaden erlitten. Seine Masse ist so ungeheuer, daß es bei einem Zusammenstoß auch das stärkste Panzerschiff in den Grund bohren würde, und ein solcher Fall scheint hier vorzuliegen.


Ein großer Dampfer war mit der Propeller-Insel zusammengestoßen. (S. 255.)
Ein großer Dampfer war mit der Propeller-Insel zusammengestoßen. (S. 255.)

Was die Nationalität des Schiffes angeht, so will der Anführer des Wachpostens Befehle in sehr rauher Stimme ertheilen gehört haben, wie solche in der[256] englischen Marine gebräuchlich sind. Er kann das aber nicht mit Bestimmtheit behaupten.

Ein ernster Fall, der nicht minder ernste Folgen haben kann. Was wird das Vereinigte Königreich dazu sagen? Ein englisches Schiff ist ein Stückchen England, und man weiß, daß sich Großbritannien nicht ungestraft amputieren läßt. Standard-Island hat gewiß Reclamationen zu erwarten und wird für den angerichteten Schaden eintreten müssen. So fängt das neue Jahr an. Bis um zehn Uhr morgens ist es dem Commodore Simcoë unmöglich, auf der[257] See Nachsuchungen vornehmen zu lassen. Noch ist die Luft zu stark mit Dünsten erfüllt, obwohl der aufgefrischte Wind diese mehr und mehr verjagt. Endlich bricht jedoch die Sonne hindurch.

Nun läßt sich erst übersehen, in welchem Zustand Milliard-City, der Park, das Feld, die Häfen und alles andre sich befinden. Da heißt es reinigen von Grund aus. Doch das ist Sache der Wegeverwaltung und schließlich nur eine Frage des Geldes und der Zeit. An beiden fehlt es ja nicht.

Die nähere Besichtigung des Rammsporns ergiebt, daß dieser und das ganze schwimmende Bauwerk ohne nennenswerthe Beschädigung sind. Der solide Rumpf desselben hat aber so wenig gelitten, wie der stählerne Keil, der in ein Stück Holz eindringt.

Auf dem Wasser sind keine Trümmer zu finden; auch vom Thurme des Observatoriums ist selbst mit den besten Fernrohren nichts zu entdecken, obwohl Standard-Island sich keine zwei Meilen von der Unfallstelle fortbewegt hat.

Dennoch verlangt es die Menschlichkeit, die Nachsuchungen nicht sogleich aufzugeben.

Der Gouverneur bespricht sich darüber mit dem Commodore. Die Maschinisten erhalten Befehl, die Maschinen zu stoppen und die elektrischen Boote sollen aus beiden Häfen unverzüglich auslaufen.

Die über fünf bis sechs Meilen ausgedehnten Nachforschungen bleiben jedoch ganz erfolglos, und mehr und mehr drängt sich die Ueberzeugung auf, daß das betreffende Schiff in seinen lebenswichtigsten Theilen verletzt worden und auf der Stelle versunken sei.

Nun läßt der Commodore Simcoë in gewohnter Schnelligkeit weiterfahren. Die Mittagsbeobachtung ergiebt, daß Standard-Island sich hundertfünfzig Meilen südwestlich von Samoa befindet.

Den Wachposten wird noch immer ans Herz gelegt, auf alles strengstens zu achten.

Gegen fünf Uhr abends werden Rauchwolken im Südosten gemeldet. Den letzten Ausbrüchen eines Vulcans sind dieselben kaum zuzuschreiben, denn die Seekarten verzeichnen auch in weiterer Entfernung hier keine Insel und kein Eiland. Es hätte sich also nur um einen aus dem Meeresgrunde neu aufgestiegnen Krater handeln können.

Doch nein; die Rauchwolken nähern sich offenbar Standard-Island.

Eine Stunde später erblickt man schon drei, in Linie fahrende Schiffe, die unter Volldampf herankommen.[258]

Nach einer weitern halben Stunde zeigt es sich, daß es Kriegsschiffe sind, und bald kann auch über ihre Nationalität kein weitrer Zweifel bestehen. Es ist das britische Geschwader, das es fünf Wochen vorher nicht für geboten gehalten hat, die Flagge von Standard-Island zu salutieren. Mit Anbruch der Nacht befinden sich die Schiffe nicht mehr vier Meilen weit von der Rammspornbatterie, ohne daß vorläufig zu entscheiden ist, ob sie vorüberfahren werden oder nicht.

»Ihren Positionslichtern nach scheinen sie die Absicht zu haben, mit uns in Verkehr zu treten, sagt der Commodore Simcoë zu dem Gouverneur.

– So wollen wir sie erwarten,« antwortet Cyrus Bikerstaff.

Doch was will der Gouverneur dem Geschwadercommandanten antworten, wenn dieser wegen des stattgefundnen Zusammenstoßes Reclamation erhebt? Wahrscheinlich ist das doch seine Absicht, vorzüglich, wenn die Besatzung des verunglückten Schiffes von dem Geschwader vielleicht noch gerettet worden wäre. Zu dem Entschlusse ist aber noch Zeit, wenn man weiß, woran man ist.

Das sollte am nächsten Tage sehr frühzeitig der Fall sein.

Mit Sonnenaufgang weht schon die Flagge des Contreadmirals am Besan des führenden Kreuzers, der sich zwei Meilen vom Backbordhafen unter Dampf hält. Jetzt stößt ein Boot davon ab und kommt auf den Hafen zu.

Eine Viertelstunde darauf erhält der Commodore Simcoë folgende Depesche:

»Der Kapitän Turner vom Kreuzer »Herald«, Generalstabschef des Admirals Sir Edward Collinson, verlangt, unverzüglich zu dem Gouverneur von Standard-Island geführt zu werden.«

Hiervon benachrichtigt, ertheilt Cyrus Bikerstaff dem Hafenkapitän Anweisung, die Landung zu gestatten, und antwortet, daß er den Kapitän Turner im Stadthaus erwarte.

Zehn Minuten später bringt ein Wagen, der dem Generalstabschef zur Verfügung gestellt wurde, diesen und einen ihn begleitenden Schiffslieutenant nach dem Stadthause.

Der Gouverneur empfängt sie in dem Salon neben seinem Cabinet.

Zuerst werden die gewöhnlichen, hier aber ziemlich kühl ausfallenden Begrüßungen gewechselt.

Dann beginnt Kapitän Turner in etwas theatralischer Haltung und unter Betonung der Worte, als ob er ein Capitel aus der neuesten Literatur vortrüge, folgende, in eine endlose Phrase zusammenfallende Ansprache:[259]

»Ich beehre mich, Seiner Excellenz dem Gouverneur von Standard-Island, zur Zeit unter hundertsiebzehn Grad dreizehn Minuten westlich des Meridians von Greenwich und unter sechzehn Grad vierundfünfzig Minuten südlicher Breite, zur Kenntniß zu bringen, daß in der Nacht vom einunddreißigsten December zum ersten Januar der zum Hafen von Glasgow gehörige Dampfer »Glen«, dreitausendfünfhundert Tonnen groß und mit werthvoller, aus Getreide, Indigo, Reis und Wein bestehender Fracht, von Standard-Island, dem Eigenthum der »Standard-Island Company« mit dem Sitze an der Madelainebay, Niedercalifornien, Vereinigte Staaten von Amerika, angefahren worden ist, obgleich genannter Dampfer seine Positionslaternen, und zwar mit weißem Licht am Fockmaste, grünem Licht am Steuer- und rothem Licht am Backbord, vorschriftsmäßig führte, und daß er, nachdem er von dem Zusammenstoße wieder klar geworden war, am nächsten Morgen fünfunddreißig Meilen von der Unfallsstelle, mit einem großen Leck am Backbord nahe dem Untergange getroffen wurde, bald darauf aber wirklich versunken ist, nachdem er zum Glück seinen Kapitän nebst Officieren und Mannschaft an Bord des »Herald« retten konnte, eines erstclassigen Kreuzers Ihrer britischen Majestät, segelnd unter der Flagge des Contreadmirals Sir Edward Collinson, der das Geschehene Seiner Excellenz dem Gouverneur Cyrus Bikerstaff hiermit zur Kenntniß bringt, von ihm die Anerkennung der Verantwortlichkeit der »Standard-Island Company limited« unter Garantie der Einwohner des genannten Standard-Island gegenüber den Rhedern des genannten »Glen« erwartet, dessen Werth an Rumpf, Maschinen und Fracht zwölfhunderttausend Pfund Sterling (30 Millionen Francs) oder sechs Millionen Dollars beträgt, welche Summe zu Händen des genannten Admirals Sir Edward Collinson abzuführen ist, widrigenfalls er sich gezwungen sähe, gegen genanntes Standard-Island Gewalt anzuwenden.«

Ein Satz von zweihundertsiebenundfünfzig Wörtern, nur Kommata, keinen einzigen Punkt enthaltend! Doch wie klipp und klar sagt er das alles und verschließt er jedes Hinterthürchen! Der Gouverneur ist sich im ersten Augenblicke nicht klar darüber, ob er der Reclamation des Sir Edward Collinson Folge geben soll, und so beschränkt er sich zunächst auf die in solchen Fällen hergebrachten Antworten.

»Das Wetter war sehr dunkel in Folge eines vulcanischen Ausbruchs, der weiter im Westen stattgefunden haben muß. Wenn der »Glen« seine Lichter führte, so führte Standard-Island die seinigen nicht minder. Von der einen[260] Seite waren sie aber so wenig zu erkennen gewesen, wie von der andern. Man stehe hier also einer Vis major gegenüber. Nach den Seegesetzen aber habe für dadurch herbeigeführte Havarien jeder selbst einzustehen, und es könne weder von Reclamationen noch von einer Verantwortlichkeit die Rede sein.«

Antwort des Kapitän Turner:

»Seine Excellenz der Gouverneur würde damit zweifelsohne Recht haben, wenn es sich um zwei Schiffe unter gewöhnlichen Verhältnissen handelte. Wenn der »Glen« diesen entsprach, so könne das doch nicht von Standard-Island gelten, das doch kein Schiff im strengen Sinne des Wortes wäre, sondern eine dauernde Gefahr bilde, indem es sich mit seiner enormen Masse auf befahrenen Seestraßen fortbewege, daß es einer Insel oder einer Klippe gleiche, die ihre Lage so unausgesetzt veränderte, daß sich deren Eintragung auf den Seekarten von selbst verbiete, daß England von jeher gegen dieses, durch hydrographische Messungen bezüglich seiner Oertlichkeit nie zu bestimmende Hinderniß protestiert habe und daß Standard-Island stets für Unfälle haftbar bleibe, die durch seine Natur herbeigeführt wurden u. s. w.«

Den Anführungen des Kapitän Turner fehlt es offenbar nicht an Logik, was Cyrus Bikerstaff im Grunde auch einsieht. Er allein kann hier aber doch keine Entscheidung treffen. Die Sache muß einem Spruchcollegium unterbreitet werden, und er kann dem Admiral Sir Edward Collinson nur erwidern, daß er von seiner Reclamation Kenntniß genommen habe. Glücklicherweise war es ohne Menschenverlust abgegangen....

»Ja, das war ein großes Glück, erwiderte Kapitän Turner; zum Verluste eines Schiffes und der Millionen, die durch Verschuldung Standard-Islands verschlungen wurden, ist es aber doch gekommen. Verpflichtet sich der Gouverneur von vornherein, die angegebene Entschädigungssumme für den »Glen« und seine Ladung zu Händen des Admirals Sir Edward Collinson abzuführen?«

Wie hätte der Gouverneur darauf eingehen können? Uebrigens bietet Standard-Island ja genügende Garantie. Es hat für jeden Schaden aufzukommen, wenn amtlich entschieden wurde, daß es, nach Untersuchung des Falles, für die Ursachen desselben wie für die Höhe des angerichteten Schadens verantwortlich sei.

»Das ist das letzte Wort Eurer Excellenz? fragt Kapitän Turner.

– Mein letztes Wort, erklärt Cyrus Bikerstaff, denn ich bin außer Stande, mich für die Verantwortlichkeit der Compagnie zu engagieren.«[261]

Der Gouverneur und der englische Kapitän wechseln noch einige, womöglich noch kältere Höflichkeiten. Nachher begiebt sich letzterer in dem bereitstehenden Wagen wieder zum Backbordhafen und zurück nach dem »Herald«, wohin ihn die seiner harrende Dampfbarkasse überführt.

Der Rath der Notabeln erhält Kenntniß von Cyrus Bikerstaff's Antwort und billigt sie ebenso wie nach deren weitern Bekanntwerden die ganze Einwohnerschaft Standard-Islands. Niemand ist willig, sich der unverschämten und befehlerischen Forderung der Vertreter Ihrer britannischen Majestät zu unterwerfen.

Der Commodore Simcoë ertheilt also Anweisung, mit möglichster Schnelligkeit weiterzufahren.

Wird es aber möglich sein, sich einer etwaigen Verfolgung durch das Geschwader des Admirals Collinson zu entziehen, dessen Schiffe doch bestimmt eine größere Geschwindigkeit entwickeln können? Und wenn jenerseiner Forderung nun durch einige Melinitgeschosse Nachdruck giebt, was dann? Wohl können die Batterien der Insel den Armstrongkanonen, womit die Kreuzer ausgerüstet sind, gebührend antworten, die Engländer haben aber ein ungleich größeres Zielobject... was soll aus den Frauen, den Kindern werden, wenn sie keine schützende Zuflucht finden?... Alle Schüsse des Feindes müssen treffen, während die Batterien am Sporn und am Achter auf ein beschränktes und bewegliches Ziel mindestens fünfzig Procent ihrer Schüsse verschwenden?

Es gilt zunächst also die Entscheidung des Admirals abzuwarten. Das verlangt nicht viel Zeit.

Um neun Uhr fünfundvierzig kracht zunächst ein blinder Schuß aus dem Mittelthurme des »Herald«, während gleichzeitig die Flagge des Vereinigten Königreichs am Maste emporsteigt.

Unter dem Vorsitz des Gouverneurs und seiner Adjuncten verhandelt der Rath der Notabeln noch im Sitzungssaale des Rathhauses. Diesmal sind Jem Tankerdon und Nat Coverley gleicher Meinung. Als praktische Leute denken diese Amerikaner an keinen weitern Widerstand, der mit der gänzlichen Vernichtung Standard-Islands endigen könnte.

Jetzt donnert schon ein zweiter Kanonenschuß. Diesmal fliegt ein schweres Geschoß pfeifend durch die Luft und schlägt eine halbe Kabellänge jenseits der Schraubeninsel ins Meer, wo es mit furchtbarem Krachen explodiert und ungeheure Wassermassen in die Höhe schleudert.[262]

Auf Befehl des Gouverneurs läßt der Commodore Simcoë die Flagge Standard-Islands, die als Antwort auf die am Maste des »Herald« gehißt worden war, wieder niederholen. Der Kapitän Turner erscheint noch einmal im Backbordhafen. Hier empfängt er von Cyrus Bikerstaff unterzeichnete Anweisungen über die Summe von zwölfhunderttausend Pfund Sterling, Papiere, die mit dem Indossament der ersten Notabeln versehen sind.

Drei Stunden später verschwinden die letzten Rauchsäulen des Geschwaders im Osten, und Standard-Island nicht seine Fahrt nach dem Archipel von Tonga wieder auf.

Quelle:
Jules Verne: Die Propeller-Insel. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LXVII–LXVIII, Wien, Pest, Leipzig 1897, S. 251-263.
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