Achtzehntes Capitel.
An Bord des »Tonnant«.

[213] Nach dem von Lieutenant Davon unternommenen Versuche, der den Auftrag erhalten hatte, mit dem »Sword« ins Innre von Back-Cup einzudringen, konnten die englischen Behörden nicht lange zweifeln, daß die kühnen Seeleute dabei zugrunde gegangen seien. Der »Sword« war ja nicht wieder an den Bermudas erschienen. Niemand wußte freilich, ob er beim Aufsuchen des Tunnels an Unterseeklippen zerschellt oder vom Raubgesindel Ker Karraje's zerstört worden wäre.

Der Zweck dieser Expedition ging, im Anschluß an die Mittheilungen in dem am Strande von Saint-Georges aufgefangnen Tönnchen, dahin, Thomas Roch zu entführen, ehe er seine Höllenmaschinen vollendet hätte. Hatte man den französischen Erfinder – und den Ingenieur Simon Hart – erst wieder in der Gewalt, so sollte er den bermudischen Behörden überliefert werden. Nachher hatte man ja beim Anlaufen von Back-Cup vom Fulgurator Roch nichts mehr zu fürchten.

Als aber einige Tage verstrichen waren, ohne daß der »Sword« zurückkehrte, mußte man ihn als verloren betrachten. Die Seebehörden entschieden sich des halb dafür, eine zweite Expedition zu einem anders geplanten Angriff auszurüsten.

In der That mußte man der bisher verflossenen Zeit – von gegen acht Wochen – seit dem Tage, wo Simon Hart's Schriftstück der kleinen Tonne anvertraut worden war, Rechnung tragen, denn vielleicht besaß Ker Karraje jetzt schon alle Geheimnisse Thomas Roch's.[213]

Nach einer zwischen den Seemächten getroffenen Vereinbarung entschied man sich für die Entsendung von fünf Kriegsschiffen nach den Bermudas-Inseln. Da im Innern des Felsstocks von Back-Cup eine große Höhle vorhanden war, wollte man versuchen, deren Wände wie die Mauern einer Bastion durch die schweren Geschosse der modernen Artillerie niederzulegen.

Das betreffende Geschwader sammelte sich am Eingange zum Chesapeake in Virginia und steuerte dann nach dem Archipel, vor dem es am Abend des 17. November eintraf.

Am andern Tag setzte sich das für den ersten Angriff bestimmte Schiff in Gang. Es war noch vier und eine halbe Seemeile von dem Eiland entfernt, als drei seltsame Geschosse, die zuerst darüber hinsausten, in ihrer Bahn umkehrten, es von rückwärts einholten, fünfzig Meter von ihm zersprangen und es binnen wenigen Secunden versenkten.

Die Wirkung der Explosion, infolge einer furchtbaren Aufwühlung der Luftschichten, einer Erschütterung der ganzen Atmosphäre, die alles übertraf, was man bisher mit neuen Sprengstoffen zu erzielen vermochte, war eine fast augenblickliche gewesen. Die vier zurückgebliebenen Kriegsschiffe litten trotz der Entfernung, in der sie sich befanden, noch immer etwas von dem weitreichenden Rückschlage.

Aus dieser urplötzlich hereingebrochnen Katastrophe ließen sich zwei Folgerungen ableiten:

1. Der Seeräuber Ker Karraje verfügte über den Fulgurator Roch.

2. Die neue Höllenmaschine besaß die zerstörende Gewalt, die der Erfinder ihr zuschrieb.

Nach dem Verschwinden des vorausgedämpften Kreuzers setzten die andern Schiffe ihre Boote aus, um vielleicht Einzelne, die jenes Unglück überlebt hatten und sich an Trümmern festhielten, noch zu retten.

Darauf tauschten die Schiffe unter einander Signale aus und steuerten dann auf das Eiland Back-Cup zu.

Das schnellste derselben – der französische Kreuzer »Tonnant« – setzte sich unter Volldampf an ihre Spitze, während die andern ihren Feuern forcierten Zug zuführten, um jenes bald einzuholen.

Der »Tonnant« drang eine halbe Seemeile weit in die Zone ein, die durch die Explosion furchtbar aufgewühlt worden war, ohne Beachtung der Gefahr, auf gleiche Weise zerstört werden zu können. Im Augenblicke, wo er so manövrierte,[214] um seine schweren Geschütze richten zu können, hißte er die dreifarbige Flagge. Von der Commandobrücke aus konnten die Officiere die auf den Uferfelsen des Eilands verstreute Bande Ker Karraje's erkennen.

Die Gelegenheit schien günstig, das ganze Gesindel zu vernichten, wenn es gelang, ihren bisherigen Schlupfwinkel zusammenzuschießen. Der »Tonnant« gab also seine ersten Lagen ab, die die sofortige Flucht der Seeräuber nach dem Innern von Back-Cup zur Folge hatten.

Wenige Minuten später wurde der ganze Luftraum durch ein solches Donnerkrachen erschüttert, daß man fürchten konnte, das Himmelsgewölbe werde über dem Atlantischen Oceane zusammenbrechen.

An Stelle des Eilands fand sich nur noch ein Haufen rauchender Felsstücke, die wie das Gerölle einer Lawine übereinander herunterstürzten... statt der umgekehrten Tasse die zerbrochene Tasse! – An Stelle Back-Cups ein Gewirr von Klippen, über die das von der Explosion zur gewaltigen örtlichen Sturmfluth aufgepeitschte Meer brausend hinwegschäumte.

Was war die Ursache dieser Explosion gewesen? Hatten sie die Seeräuber, die nun die Unmöglichkeit jeder Vertheidigung erkannten, freiwillig herbeigeführt?

Der »Tonnant« war von einzelnen Trümmern des Eilands nur ganz leicht getroffen worden. Sein Befehlshaber ließ die Boote aufs Meer setzen, sobald dieses sich einigermaßen beruhigt hatte, und diese ruderten auf das zu, was von Back-Cup noch über Wasser emporragte.

Nachdem die Mannschaften unter Führung ihrer Officiere gelandet waren, durchsuchten sie die Trümmer, die jetzt mit der nach den Bermudas verlaufenden Klippenreihe verschmolzen.

Hier fanden die Leute einige schrecklich verstümmelte Leichen, abgerissne Gliedmaßen... blutige Massen von Menschenfleisch... Von der Höhle war nichts mehr zu sehen. Alles lag unter ihren Ruinen begraben.

Ein einziger Körper wurde noch ziemlich unverletzt auf dem nordöstlichen Theile des Riffkranzes aufgefunden. Obgleich dieser Körper nur noch ganz schwach athmete, nährte man doch die Hoffnung, ihn wieder ins Leben zurückrufen zu können. Auf der Seite liegend, hielt seine zusammengeballte Hand ein Schreibheft, das mit einer unvollendeten Zeile abschloß.

Der französische Ingenieur Simon Hart war es, den man an Bord des »Tonnant« schaffte. Trotz aller ihm gewidmeten Sorgfalt gelang es doch nicht sogleich, ihn zum Bewußtsein zu bringen.[215]

Immerhin gestatteten seine Aufzeichnungen, die bis zum Augenblick der Explosion der Höhle reichten, sich über einen Theil von dem zu unterrichten, was in den letzten Stunden Back-Cups vorgegangen war.

Simon Hart sollte jene Katastrophe jedoch überleben, als der einzige von allen Uebrigen, die ihr zum Opfer zu fallen überreichlich verdient hatten. Sobald er in dem Zustande war, ihm vorgelegte Fragen zu beantworten, ließ sich anschließend an seinen Bericht, der allenthalben der Wahrheit entsprach, das Folgende ergänzen:

Tief ergriffen vom Anblick der dreifarbigen Flagge und endlich das Verbrechen des Landesverraths, das er eben begehen wollte, erkennend, hatte sich Thomas Roch, der schnell durch den engen Gang lief, nach dem Schuppen begeben, worin beträchtliche Mengen seines Sprengstoffs lagerten. Ehe ihn jemand daran hindern konnte, hatte er da die furchtbare Explosion hervorgerufen und Back-Cup gänzlich zerstört.

Jetzt sind Ker Karraje und seine Helfershelfer vom Erdboden verschwunden und mit ihnen Thomas Roch sammt dem Geheimnisse seiner Erfindung.


Ende.

Quelle:
Jules Verne: Clovis Dardentor. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LXX, Wien, Pest, Leipzig 1897.
Lizenz:

Buchempfehlung

Lohenstein, Daniel Casper von

Agrippina. Trauerspiel

Agrippina. Trauerspiel

Im Kampf um die Macht in Rom ist jedes Mittel recht: Intrige, Betrug und Inzest. Schließlich läßt Nero seine Mutter Agrippina erschlagen und ihren zuckenden Körper mit Messern durchbohren. Neben Epicharis ist Agrippina das zweite Nero-Drama Daniel Casper von Lohensteins.

142 Seiten, 7.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon