Siebentes Kapitel.
Die erste Kindheit eines Volkes.

[176] In den ersten Morgenstunden des nächsten Tages verließ der Avisodampfer seinen Ankerplatz vor der Insel Hoste und war schon nach wenigen[176] Augenblicken hinter der Felsspitze des Vorgebirges verschwunden. Er führte zehn der fünfzehn am Leben gebliebenen Matrosen der Besatzung des »Jonathan« mit sich fort. Die fünf anderen – unter ihnen Kennedy – hatten mit dem Hochbootsmann Hartlepool und dem Koch Sirdey vorgezogen, auf der Insel als Kolonisten zu verbleiben.

Gleiche Beweggründe hatten Kennedy und Sirdey bestimmt, diesen Entschluß zu fassen. Alle beide waren bei den Schiffskapitänen sehr schlecht angeschrieben, daher wäre es ihnen nicht leicht gewesen, einen neuen Dienst zu finden; auch hofften sie hier ein angenehmeres und wenigstens im Anfang unabhängigeres Leben führen zu können in diesen sich erst langsam entwickelnden Verhältnissen, ohne Gesetze für längere Zeit und dann ohne strikte Durchführung derselben. Ihre zurückgebliebenen Kameraden waren brave, energische und ernste Leute, deren jeder, wie Hartlepool selbst, in dem neuen Staate eine selbständige Stellung einzunehmen hoffte, jeder sein eigener Herr sein wollte, indem er vom wetterfesten Seemann ein einfacher Fischer wurde.

Die Verwirklichung oder das Scheitern ihres Planes mußte größtenteils von der Art der Verwaltung der Insel abhängen. Wenn ein Staat gut regiert ist, können die Bürger durch ihrer Hände Arbeit reich werden. Im Gegenteil wird aller Fleiß unfruchtbar bleiben, wenn man an leitender Stelle nicht die richtigen Maßnahmen zu entdecken und anzuwenden weiß, um der Arbeit des einzelnen den nötigen Halt und die rechte Unterstützung angedeihen zu lassen. Die Organisation der Kolonie war demnach von größter Wichtigkeit.

Aber vorläufig beunruhigte diese hochwichtige Lebensfrage die Hostelianer (diesen Namen hatten sie in einstimmigem Einverständnis angenommen) noch nicht Sie dachten nur daran, sich ihres Lebens zu freuen. Das Zauberwort »Freiheit« hatte sie berauscht. Sie schwelgten in ihrem Entzücken darin wie große Kinder, ohne den Versuch zu machen, in den tieferen Sinn des Wortes einzudringen, ohne zu bedenken, daß das Wort eine Wissenschaft bedeutet, welche studiert sein will und daß derjenige, welcher in Freiheit leben will, vorher gelernt haben muß zu leben.

Das Avisoschiff war noch nicht aus dem Gesichtskreis verschwunden, als die früher von den feindseligsten Gefühlen erregte Menge sich gegenseitig freudigst beglückwünschte. Es schien, als wäre man mit einer besonders[177] schwierigen, wichtigen Aufgabe glücklich zu Ende gekommen. Und doch war das Werk erst im Entstehen begriffen!

Jedes freudige Ereignis wird durch besondere Festlichkeiten gefeiert. Auch hier wurde einstimmig beschlossen, für diesen Tag ein Festmahl zu richten, und während die Frauen sich an den Herd zu ihren Kochtöpfen begaben, richteten die Männer ihre Schritte nach dem Aufbewahrungsort der Vorräte des »Jonathan«. Selbstredend wurde die einstige Schiffsladung seit der Unabhängigkeitserklärung der Insel nicht mehr bewacht. Die Umstände hatten die rechtlosen Schiffbrüchigen zum Rang einer Nation erhoben, außer ihr selbst war niemand berechtigt, in die Ausübung ihrer Herrschergewalt einzugreifen. Wer hätte auch den Wachtdienst antreten sollen, da die große Hälfte der Matrosen sich an Bord des Avisodampfers befand? Ein Faß wurde in fröhlichster Laune angestochen, doch als man zur Verteilung des Getränkes schreiten wollte, kam einigen besonders schlauen Köpfen eine bessere Idee. Eigentlich war alles gemeinsames Eigentum – warum sollte nicht gleich der ganze Vorrat bis auf den letzten Tropfen verteilt werden? Der schüchterne Widerspruch einiger klüger Denkender wurde überstimmt und der Antrag begeistert angenommen. Nachdem die existierende Alkoholmenge oberflächlich geschätzt worden war, kam man überein, daß jeder erwachsene Mann einen vollen, die Frauen und Kinder je einen halben Teil erhalten sollten. Der Beschluß wurde sogleich ins Werk gesetzt, die Familienväter erhielten den ihnen gebührenden Anteil unter fröhlichen Spässen und Scherzworten.

Am Abend erreichte das Fest seinen Höhepunkt. Alle Feindseligkeiten waren vergessen, begraben. Die verschiedenen Nationalitäten schienen in eine zu verschmelzen, man fühlte sich als Brüder; später wurde selbst ein Ball in Szene gesetzt; beim Klange einer gutwilligen Ziehharmonika drehten sich die Paare im Kreise der Zecher.

Unter diesen war natürlich Lazare Ceroni zu finden. Schon um sechs Uhr abends trugen ihn seine Füße nicht mehr sicher und um zehn Uhr trank er noch immer. Da war ein trauriger Abschluß des Festtages für Tullia und Graziella vorherzusehen.

Gleichzeitig vertilgte ein anderer, abseits von den anderen, in einem finsteren Winkel, den Rum in ganz unvernünftigen Quantitäten. Aber dieser fand in dem abscheulichen Gift momentan seine Seele wieder, die[178] dasselbe Gift vernichtet hatte. Plötzlich ertönte die herrlichste Musik, so daß die Tanzenden in ihrer Bewegung innehielten. Fritz Groß, der mit Alkohol gesättigt war, hatte seinen Genius wieder entdeckt.

Zwei Stunden lang spielte er ohne Unterbrechung, und indem er sich ganz von seiner Inspiration leiten ließ, improvisierte er die wundervollsten Weisen, während hunderte staunende Gesichter ihn umgaben, ihn ungläubig anstarrten, oft mit offenem Munde – als ob sie auf diese Weise die herrlichen Tonwellen besser in sich aufnehmen könnten, deren Quelle die Wundergeige des Künstlers war.

Von allen seinen Zuhörern lauschte mit der größten Aufmerksamkeit und Begeisterung ein Kind. Diese Töne von bisher nie geahnter Schönheit waren für Sand wie eine Offenbarung. Er hatte erst jetzt die Musik entdeckt und trat zitternd in das unbekannte Reich ein. Im Mittelpunkt des Kreises stand er dem Spieler gerade gegenüber, sah und hörte nur ihn, seine ganze Lebenskraft konzentrierte sich auf Augen und Ohren, die Seele war wie berauscht und zitterte vor tiefer innerlicher Erregung.

Welche Worte können das Malerische dieses Schauspieles wiedergeben? Am Boden kauert ein Mann, unförmlich durch seine kolossalen Körperdimensionen, zusammengebrochen, den Kopf auf die Brust gesenkt, mit geschlossenen Augen, die nur in sein Inneres blicken – und er spielt; spielt, ohne abzusetzen, unermüdlich, hingebungsvoll bei der unsicheren Beleuchtung einer qualmenden Fackel, die seine Umrisse aus dem nächtlichen Schatten hervortreten läßt.

Vor dem Manne steht ein Kind im Paroxysmus höchsten Entzückens und um diese sonderbare Gruppe herum lauscht eine schweigsame, unsichtbare Menschenmenge, deren Gegenwart nur manchmal auf kurze Augenblicke bemerkbar wird, wenn die launige Brise die Fackeln heller auflodern läßt. Dann lassen die tanzenden Lichtstrahlen blitzschnell ein Auge, ein Ohr, eine Nase aus der Finsternis auftauchen, die eben so schnell von den Schatten verschlungen werden.

Und in weichen und doch mächtigen Wellen fließen die lieblichsten Weisen dahin und verlieren sich leise klagend im weiten Weltraum.

Gegen Mitternacht ließ der todmatte Fritz Groß den Bogen sinken und war sofort friedlich eingeschlafen, die Emigranten gingen langsam und andächtig in ihre Behausungen zurück.[179]

Freilich hielt der flüchtige Eindruck nicht bis zum nächsten Morgen an; jetzt fühlten die Kolonisten wieder für derbere Vergnügungen Interesse. Das Schmausen und Trinken begann von neuem. Es war vorauszusehen, daß der Jubel so lange anhalten mußte, bis der letzte Tropfen Alkohol vertilgt war.

Während dieses lärmenden Treibens kam die Wel-kiej auf die Insel Hoste zurück, achtundvierzig Stunden nach der Abfahrt des Avisoschiffes. Niemand schien sich zu erinnern, daß sie seit zwei Wochen ab wesend gewesen, und diejenigen, die sie an Bord trug, wurden so empfangen, als hätten sie niemals die Insel verlassen. Der Kaw-djer konnte nicht begreifen, was vorging. Was bedeutete die unbekannte Flagge, die am Strande wehte, und der allgemeine Jubel, der die Emigranten beherrschte?

Harry Rhodes und Hartlepool setzten ihn mit wenigen Worten von den Ereignissen der letzten Tage in Kenntnis. Der Kaw-djer hörte den Bericht sehr bewegt an. Seine Brust hob sich, als ob eine schwere Last von seinem Herzen gefallen sei, er atmete tief auf, die Luft schien ihm jetzt reiner, kräftiger und sein Angesicht strahlte wie verklärt. Es gab also doch noch freies Land im Magalhães-Archipel!

Aber er belohnte die ihm gemachten Mitteilungen nicht mit gleichem Vertrauen und sprach sich über die Gründe, die ihn bewogen hatten, während vierzehn Tagen die Insel zu meiden, nicht aus. Wozu auch? Hätte er es Harry Rhodes begreiflich machen können, warum er – treu seinem Entschluß, jede Beziehung zur zivilisierten Welt abzubrechen – fortgesegelt war, als er das Nahen des Avisoschiffes bemerkt hatte, das nach seiner Meinung Ordre hatte, die Autorität der chilenischen Regierung zu proklamieren, und warum er – in einer kleinen Bucht der Halbinsel Hardy verborgen – die Abfahrt des Dampfers abgewartet hatte, ehe er zum Lager zurückkehrte.

Seine Freunde waren überglücklich, ihn wieder zu sehen und quälten ihn nicht mit Fragen. Für Harry Rhodes und Hartlepool war seine bloße Gegenwart eine große Stütze. Das Bewußtsein, diesen Mann eiserner Energie zur Seite zu haben, mit seiner überlegenen Intelligenz und seinem freundlichen Wesen, gab ihnen das Vertrauen auf die Zukunft wieder zurück, das die Kinderei, die die anderen Gefährten an den Tag legten, bereits arg erschüttert hatte.[180]

– Die Unglücklichen haben ihre Unabhängigkeit nur so aufgefaßt, sagte Harry Rhodes, als er mit seinem Bericht zu Ende war, daß sie das unbestreitbare Recht zu haben glauben, sich zu betrinken. Sie scheinen gar nicht daran zu denken, daß jetzt eine Organisation, eine Regierung notwendig wird.

– Bah! erwiderte der Kaw-djer nachsichtig. Sie sollen auch ein paar gute Tage haben. Ihr Leben war ohnedies so freudenarm. Diese Überschwenglichkeit wird nicht lange andauern, sie werden von selbst den Ernst des Lebens wieder erfassen. Was die Einsetzung einer Regierung betrifft, so gestehe ich, daß ich die Notwendigkeit einer solchen nicht einsehe.

– Aber es muß sich doch jemand darum bekümmern, warf Harry Rhodes ein, daß hier Ordnung geschafft wird.

– Lassen Sie nur den Dingen ihren Lauf, antwortete der Kaw-djer; die Ordnung wird sich von selbst wie der einstellen.

– Wenn ich aber an die jüngste Vergangenheit zurückdenke...

– Die Vergangenheit ist nicht die Gegenwart, unterbrach ihn der Kaw-djer. Gestern fühlten sich unsere Gefährten noch als Bürger Amerikas oder Europas. Jetzt sind sie freie Hostelianer. Das ist ein gewaltiger Unterschied!

– Ihre Ansicht wäre also...?

– Sie auf der Insel Hoste, die ihnen gehört, ruhig leben zu lassen. Gesetze gibt es hier nicht, das ist ein großes Glück. Sie sollen sich nur hüten, sie zu erschaffen. Was sollten Gesetze auch bezwecken? Ich bin überzeugt, daß es im Wesen der menschlichen Natur liegt, Konflikte mit seinesgleichen zu vermeiden. Ohne die vielen Vorurteile, die durch jahrhundertelange Sklaverei gezeitigten Ideen würde man sich viel besser einrichten. Die Welt steht den Menschen offen. Sie sollen mit vollen Händen aus ihr schöpfen, sich in brüderlicher Eintracht an den reichen Schätzen erfreuen. Warum das Leben in Regeln zwängen wollen?«

Harry Rhodes schien nicht sehr überzeugt von dieser optimistischen Ansicht. Aber er schwieg dazu.

Hartlepool ergriff das Wort:

»Bis die Schwelger andere Beweise ihrer brüderlichen Gesinnung gegeben haben als beim Essen, behalten wir aber die Waffen und die Munition in Verwahrung.«[181]

Dank der Fürsorge der »Gesellschaft für Kolonisation« enthielt die Ladung des »Jonathan« auch einen Waffenvorrat; sechzig Gewehre, einige Pulverfässer, Kugeln, Blei und Patronen, damit die Emigranten die wilden Tiere jagen und sich nötigenfalls gegen die Angriffe ihrer Nachbarn in der Delagoa-Bai verteidigen könnten. Niemand erinnerte sich an dieses Kriegsmaterial; niemand – außer Hartlepool. Er hatte sich die allgemeine Unordnung und Verwirrung zunutze gemacht und es vorsichtigerweise in Sicherheit gebracht.

Vielleicht wäre er um ein passendes Versteck in Verlegenheit gewesen, hätte ihm nicht Dick die Existenz der unterirdischen Grotten verraten, die die Ostspitze der Insel unterminierten. Von Harry Rhodes und den beiden Schiffsjungen unterstützt, hatte er, während der ersten von den Emigranten durchtollten Nacht Waffen und Munition in die hochgelegene Grotte geschafft, wo sie tief eingegraben wurden. Erst jetzt fühlte sich Hartlepool beruhigt. Der Kaw-djer war mit seiner Klugheit und Vorsicht einverstanden.

»Sie haben recht getan, Hartlepool, belobte er den gewesenen Hochbootsmann. Im Laufe der Zeit werden wir ja sehen; aber in dieser Gegend brauchen unsere Gefährten wirklich keine Feuerwaffen.

– Sie haben auch keine, behauptete Hartlepool, an Bord des »Jonathan« wurden die Vorschriften genau eingehalten. Die Emigranten sowohl als auch deren Gepäck wurden bei der Einschiffung genau durchsucht und alle Schußwaffen sind mit Beschlag belegt worden. Es gibt keine Feuerwaffe auf der Insel, außer denen, die wir versteckt haben, und die wird niemand finden. Folglich...«

Hartlepool brach plötzlich seine Rede ab. Er schien bestürzt zu sein.

»Tausend Teufel!... rief er aus. Es gibt doch noch andere Gewehre. Wir haben ja nur achtundvierzig anstatt der eingeschifften sechzig gefunden. – Aber da fällt mir ein: die zwölf fehlenden sind von Rivière, Gordon, Gimelli und Ivanoff mitgenommen worden. Zum Glück sind dies gesetzte, vernünftige Leute, von denen nichts zu fürchten ist.

– Es gibt noch andere Gefahren, außer den Schußwaffen, bemerkte Harry Rhodes. Zum Beispiel den Alkohol! Jetzt ist man ja gut Freund, aber das wird nicht immer so bleiben. Lazare Ceroni hat sich wieder schön aufgeführt. Ich habe in Ihrer Abwesenheit Ordnung schaffen müssen. Ich[182] glaube, ohne meine und Hartlepools Dazwischenkunft hätte er diesmal seine Frau umgebracht.

– Dieser Mensch ist ein wahres Ungeheuer, sagte der Kaw-djer.

– Nicht mehr und nicht weniger als alle Trunkenbolde... Jedenfalls ist es ein Glück für die beiden Frauen, daß Halg wieder da ist... Wie geht es eigentlich unserem jungen Wilden?

– So gut, wie es einem jungen Mann in seiner Geistesverfassung gehen kann. Ich brauche Ihnen nicht erst zu sagen, daß er mich und seinen Vater nicht sehr freudigen Herzens begleitet hat. Ich mußte meine ganze Autorität einsetzen und ihm mein Wort geben, daß wir hierher zurückkehren würden. Da die Familie Ceroni auf der Insel Hoste bleibt, erleichtert dies die Sache sehr. Ein Hindernis bilden nur die bösen Gewohnheiten Lazares. Es ist zu hoffen, daß er sich bessert, sobald sein Alkoholvorrat erschöpft sein wird.«

Halg hatte indessen – ahnungslos, daß das Gespräch sich um seine Person drehte – seinen Vater als Wache bei der Wel-kiej zurückgelassen und sich beeilt, Graziella zu begrüßen. Wie groß war die beiderseitige Freude, sich nach der langen Trennung wiederzusehen. Aber bald wich die Freude großer Traurigkeit. Graziella erzählte dem jungen Indianer die neuerlichen Verirrungen ihres Vaters und die bösen Zeiten, die ihre Mutter und sie durchgemacht hatten. Zu allem Elend kamen noch die hinterlistigen Annäherungsversuche Pattersons und die brutale Verfolgung von seiten Sirks. Sie konnte auch nicht einen Schritt außer Haus gehen, ohne sich den Frechheiten dieses rohen Menschen auszusetzen. Halg hörte sie an, bebend vor innerlicher Entrüstung.

In einem Winkel der Hütte verschlief Lazare Ceroni seinen letzten Rausch unter lautem Schnarchen. Es war umsonst, sich Illusionen hingeben zu wollen. Kaum erwacht, wurde er abermals eine Beute seines Lasters, mischte sich neuerdings unter die Zechenden, welche in einem nicht enden wollenden Festjubel schwelgten.

Aber schon änderte diese Feststimmung ihren Charakter. Die Aufregung zeigte nicht mehr den unschuldigen, kindlichen Charakter des ersten Tages. Der Alkohol waltete seines Amtes; viele Gesichter trugen bereits einen bösartigen Ausdruck zur Schau. Die Depression, die jeder Rausch nach sich zurückließ, ließ sich nur durch stets größere Dosen bannen und den[183] anfänglichen leichten berauschenden Wirkungen folgte bald ein schwerer betäubender Rausch; wurde dann die Ration noch vergrößert, dann war das Stadium der Raserei erreicht.

Einige fühlten die Gefahr und zogen sich zurück. Alsogleich trat der gesunde Menschenverstand in seine Rechte und sie dachten über ihre Existenz auf der Insel Hoste ernstlich nach.

Es war ein schwieriges, aber nicht unlösliches Problem. Dank ihrer Flächenausdehnung von zweihundert Quadratkilometern, ihres größtenteils anbaufähigen Bodens, ihrer Wälder und Weideplätze, hätte die Insel leicht eine bedeutend größere Menschenanzahl ernähren können; aber dann durfte man nicht für ewige Zeiten festgebannt an der Scotchwell-Bai sitzen bleiben, sondern mußte sich über das Binnenland zerstreuen. Die notwendigen Ackergeräte waren in genügender Anzahl mitgenommen, auch Samen gab es übergenug und alles zur Gründung einer Landwirtschaft notwendige Material war vorhanden. Auch war die Mehrzahl der Emigranten mit der Feldarbeit wohlvertraut. Was wäre für sie natürlicher gewesen, als sich in dem neuen Vaterland in dieser Richtung zu beschäftigen, so wie sie es in der alten Heimat getan.

Freilich waren die Haustiere in ungenügender Anzahl vertreten, aber durch die Bemühung der chilenischen Regierung sollten dieselben aus Patagonien, den argentinischen Pampas, der ausgedehnten Ebene des Feuerlands und auch von den Falklands Inseln eintreffen; die letzteren waren durch ihre auf hoher Stufe stehende Schafzucht berühmt. Im Prinzip war alles einem guten Erfolg dieses ersten Kolonisationsversuches günstig, aber die Ansiedler mußten sich eben tapfer rühren, um etwas zu erreichen.

Eine kleine Anzahl der Emigranten hatte eingesehen, wie nötig die augenblickliche Inangriffnahme der Arbeit seit der Unabhängigkeitserklärung war. Diese wenigen – unter ihnen Patterson – waren nach der Verteilung des Alkohols zu den Vorräten zurückgekehrt, wo jeder unter den zur allgemeinen Verfügung stehenden Dingen eine wohlüberlegte Wahl traf, jeder mit Rücksicht auf das Projekt, das er auszuführen gedachte, für das er sich entschieden hatte: der eine für Anbau, der andere für Viehzucht, ein dritter für den Waldbetrieb usw. Dann hatten sie sich vor rasch improvisierten Karren gespannt und mit den eroberten Schätzen ein ihren Plänen günstiges Terrain gesucht.[184]

Patterson blieb am Ufer des Flusses. Durch Long und Blaker unterstützt (welcher trotz der traurigen Erfahrung, die er gemacht hatte, darauf bestand, bei ihm zu bleiben), begann er damit, sein kleines Reich, von dem er gleich anfangs so energisch Besitz ergriffen hatte, abzuschließen. Bald umgab ein aus festen Pfählen gebildeter Zaun das Häuschen von drei Seiten; die vierte war vom Flusse begrenzt. Gleichzeitig wurde die Erde innerhalb dieser Umzäunung umgegraben und für einen Gemüsegarten bestimmt; denn Patterson wollte Gemüsebauer werden.

Nach zwei Tagen des Festtaumels fanden einige andere Emigranten, der Freude sei nun genug geschehen und dachten wieder an ernstere Dinge. Sie wurden gewahr, daß mehrere ihrer Gefährten ihre wirklichen Interessen nicht vernachlässigt hatten und statteten nun ihrerseits dem Vorratszelt einen Besuch ab. Alles war noch in Hülle und Fälle vorhanden, so daß es ihnen leicht wurde, sich alles Nötige, selbst Überflüssiges anzueignen. Nachdem ihre Wahl getroffen und ein Fortbewegungsmittel geschaffen war, entfernten sie sich auf den Spuren ihrer Vorgänger.


Dann zeigte er diesem die mächtigen Stöße der geschnittenen Bretter... (S. 190)
Dann zeigte er diesem die mächtigen Stöße der geschnittenen Bretter... (S. 190)

In den folgenden Tagen fand das Beispiel immer mehr Nachahmung, so daß die dem Nichtstun und nur den Vergnügungen lebende Gruppe täglich zusammenschrumpfte, während immer neue Karawanen ins Innere der Insel zogen. Einer nach dem anderen verließen fast alle Kolonisten die Ufer der Scotchwell-Bai; einer war wie ein Maulesel schwer bepackt, ein anderer wieder hatte sich als Zugtier vor seinen Karren gespannt, wenige sah man ohne Bürde, viele zogen die Frau und eine Kinderherde hinter sich her.

Natürlich wurden die Vorräte des »Jonathan«, je mehr daraus weggenommen wurde, immer kleiner und die letzten Nachzügler waren vor eine sehr beschränkte Wahl gestellt. Zwar gab es noch genug zu nehmen, aber die Transportschwierigkeiten gestatteten nicht, allzuviel mitzuschleppen und zogen der Habgier enge Grenzen. Bei den landwirtschaftlichen Geräten und dem lebenden Material war das nicht der Fall. Mehr als dreihundert Kolonisten mußten auf Haustiere und Geflügel verzichten und viele erhielten an Ackergeräten nur die schlechten Reste, die die anderen verschmäht hatten. Und doch mußten sie sich damit zufrieden geben, weil eben nichts anderes da war, und wenn auch die schlechter Beteilten mit Neid auf die bessere Habe der anderen blickten, die schneller gewesen waren als sie, so[187] fügten sie sich schließlich ins Unvermeidliche und wanderten auch ihrerseits ins Ungewisse hinein.

Jene Emigranten, die mit den schlechtesten Werkzeugen versehen waren, hatten auch sonst einen bösen Stand; der Auszug wurde ihnen schwer gemacht. Ob sie sich nach Norden oder Westen wandten – nach allen Seiten hin war das Land schon in Besitz genommen von ihren klügeren Vorgängern.

Einige besonders vom Mißgeschick Verfolgte mußten, um ein passendes Fleckchen Erde zu finden, bis zur Halbinsel Dumas vordringen und den tiefen Meereseinschnitt, der unter dem Namen Ponsonby-Sund bekannt ist, umgehen. Sie waren mehr als hundert Kilometer von der Scotchwell-Bai entfernt, die ja immer noch als Hauptlagerplatz, als Hauptstadt könnte man sagen, betrachtet werden mußte.

Sechs Wochen, nachdem das Avisoschiff die Insel verlassen, war diese Hauptstadt fast entvölkert. Nachdem die meisten Kolonisten, welche mit Schaufel und Hacke umzugehen verstanden, fortgezogen waren, zählte sie nur mehr einundachtzig Einwohner, deren frühere Beschäftigungen sie für den Ackerbau untauglich machten.

Mit Ausnahme von zwölf Landleuten, welche aus Gesundheitsrücksichten vorläufig zurückgeblieben waren – ein einziger von ihnen war verheiratet und von seiner Frau und drei Kindern begleitet – war die Bevölkerung des einzigen Zufluchtsortes der jetzt überall hin zerstreuten Menge von früheren Städtebewohnern gebildet. Dazu zählten John Rame, die Familie Rhodes, Beauval, Dorick und Fritz Groß, die fünf Matrosen, Kennedy, der Koch, die zwei Schiffsjungen und der Hochbootsmann des »Jonathan«, Patterson, Long und Blaker, sämtliche dreiundvierzig wirklichen und sogenannten Arbeiter, welche sich unter allen der Feldarbeit am meisten abgeneigt zeigten, ferner Lazare Ceroni samt Familie und endlich der Kawdjer mit seinen indianischen Gefährten Halg und Karroly.

Diese letzteren hatten das linke Ufer des Flusses nicht verlassen, an dessen Mündungsstelle die Wel-kiej verankert lag, in einer stillen Bucht, die vor den großen Stürmen wohlgeschützt war. Nichts hatte sich in ihrem Leben geändert. Der einzige Unterschied bestand darin, daß sie die einfache Ajoupa, die ihnen doch nur ungenügenden Schutz verliehen hatte, durch eine festere Behausung ersetzten.[188]

Nachdem jetzt von einem Verlassen der Insel Hoste nicht mehr die Rede war, mußte man sich doch etwas besser einzurichten trachten als im Vorjahre.

Der Kaw-djer hatte Karroly schon seinen Willen kundgetan, die Neue Insel nicht mehr zu betreten.

Nachdem noch ein freies Land existierte, wollte er bis zum letzten Lebenstag darauf verweilen. Halg war entzückt von diesem Entschluß, der mit seinen eigenen Wünschen so gut übereinstimmte. Was Karroly betrifft, so fügte er sich wie immer dem Willen desjenigen, den er als seinen Herrn betrachtete, ohne Widerrede, obwohl er von seinem neuen Wohnort nicht mehr viel zu Lotsendiensten zugezogen werden würde. Dieser Nachteil war dem Kaw-djer nicht entgangen, aber er wollte die Folgen tragen. Auf der Insel Hoste mußte man einfach nur von dem Ergebnis der Jagd und des Fischfanges leben; wenn das nicht genügte, mußte man sich eben mit der Zeit einen anderen Ausweg ausdenken. Entschlossen, alles sich selbst allein zu verdanken, weigerte er sich, seinen Anteil von den Vorräten annehmen zu wollen.

Aber er trieb seine Entsagung nicht so weit, auch die zerlegbaren Läufer zu verschmähen, deren viele durch das Fortziehen ihrer einstigen Bewohner leer geworden waren. Eines dieser Häuser wurde stückweise an das linke Flußufer transportiert, dort aufgerichtet und durch Doppelwände verstärkt, die in wenig Tagen fertiggestellt waren. Einige der Arbeiter hatten aus eigenem Antrieb dem Kaw-djer ihre Dienste angeboten, was dieser ohne Umstände annahm. Nach beendeter Arbeit dachten die Leute gar nicht daran, einen Lohn zu verlangen, und nachdem diese Ansicht ganz mit den Grundsätzen des Kaw-djer übereinstimmte, dachte er gar nicht daran, ihnen eine Entschädigung anzubieten.

Nachdem das Haus fertig dastand, fuhren Halg und Karroly auf der Wel-kiej nach der Neuen Insel, von wo sie drei Wochen später die Möbel ihrer früheren Wohnung brachten. Ein Lotsendienst hatte Karroly unterwegs aufgehalten und die Abwesenheit der Indianer verlängert, dafür aber dem Feuerländer die Mittel gebracht, sich mit Lebensmitteln und Munition in genügender Menge zu versehen, um im nächsten Winter damit versorgt zu sein.

Nach seiner Rückkehr ging das Leben seinen gewöhnlichen Gang weiter. Karroly und sein Sohn waren mit Fischfang beschäftigt und schafften Salz[189] herbei, um den Überfluß ihrer täglichen Beute gleich einsalzen zu können. Während dieser Zeit durchstreifte der Kaw-djer die Insel auf der Suche nach Wild.

Durch diese ununterbrochenen Streifzüge blieb er in steter Verbindung mit den Kolonisten, die er fast alle der Reihe nach besuchte. Er konnte gleich anfangs bemerken, daß bedeutende Unterschiede sich bei ihnen fühlbar machten. Ob nun diese Unterschiede in einer ungleichen Verteilung der Fähigkeiten der einzelnen bestanden, ob der eine mehr Glück, größere Ausdauer als der andere hatte, der Erfolg wie der Mißerfolg ließen sich schon jetzt bei dem einen wie bei dem anderen deutlich erkennen.

Die Unternehmungen der vier Familien, welche sich als erste abgesondert und die Arbeit gleich in Angriff genommen hatten, gediehen prächtig und mußten zu den glänzendsten gerechnet werden. Das war nicht zu verwundern, denn sie arbeiteten schon am längsten. Die Säge Rivières war schon lange in Betrieb, die bereits geschnittenen Bretter hätten zwei bis drei große Schiffe zum Transport gebraucht.

Germain Rivière empfing den Kaw-djer mit aufrichtiger Freude und erkundigte sich nach dem Ergehen der Bewohner des Lagers; er bedauerte nur, nicht bei der Wahl der Regierungsform anwesend gewesen zu sein. Welche Art der Organisation hatte die Majorität für den jungen Staat ins Auge gefaßt? Wen hatte sie zum Oberhaupt gewählt?

Groß war seine Enttäuschung, als er hörte, daß nichts derartiges vorgefallen war, daß die Emigranten, einer nach dem anderen, fortgezogen waren, ohne irgendeine Regierungsform zu besprechen. Noch größer wurde sein Staunen, als er zu bemerken glaubte, daß der Kaw-djer, für den er so warme Gefühle aufrichtiger Dankbarkeit und unbegrenzter Achtung hegte, ein so unvernünftiges Beginnen ganz in der Ordnung zu finden schien. Dann zeigte er diesem die mächtigen Stöße der geschnittenen Bretter, die er am Flußufer in langen Reihen aufgestapelt hatte.

»Und mein Holz? fragte er vorwurfsvoll, wie soll ich denn mein Holz verkaufen?

– Warum, sagte der Kaw-djer, sollen es Leute an Ihrer Stelle verkaufen, welche doch keinen Gewinn dabei haben. Ich bin übrigens gar nicht beunruhigt, sondern überzeugt, daß Sie sich sehr gut aus der Klemme ziehen werden.[190]

– Das ist schon möglich, meinte Germain Rivière, aber meine Mühe wäre dadurch bedeutend vereinfacht, wenn, gegen eine kleine Entschädigung, sich jemand um die Interessen der einzelnen und die allgemeinen Bedürfnisse der Kolonie bekümmern würde. Wenn man die Arbeit nicht ein wenig einteilt, wenn jeder nur an sich denken und darauf ausgehen muß, alles Nötige durch eigene Kraft zu verschaffen, wird das Auskommen nicht leicht sein! Ein wechselweiser Austausch von Dienstleistungen, Dienste und Gegendienste, würde meiner Meinung nach das Leben sehr erleichtern.

– Haben Sie denn so viele Bedürfnisse?« fragte lächelnd der Kaw-djer.

Aber Germain Rivière lächelte nicht; er schien verstimmt und sehr beschäftigt.

»Es ist doch natürlich, daß man sich von seiner Arbeit auch Erfolg erhofft, sagte er. Wenn die Insel Hoste mir diese berechtigte Hoffnung nicht erfüllt, wenn der Fleiß von außen gar nicht unterstützt wird, werde ich nicht hier bleiben – und viele andere denken wie ich! – sondern in einem freundlicher gesinnten Lande meine Lebenstage beschließen, sobald ich die dazu nötigen Ersparnisse gemacht haben werde. Bis dahin werde ich mir allerdings – wie Sie vorhin sagten – zu helfen wissen, mich aus der Klemme ziehen, und andere werden es mir gleichtun. Diejenigen, die dessen nicht fähig sind, werden dann an der Scholle kleben bleiben.

– Sie sind ehrgeizig, Herr Rivière, rief der Kaw-djer.

– Wenn ich es nicht wäre, würde ich mir nicht so viel Mühe geben, entgegnete Germain Rivière.

– Ist es denn nützlich und notwendig, sich so anzustrengen?

– Sehr notwendig. Wo bliebe dann der Fortschritt, ohne unsere vereinten Mühen und Plagen? Die Welt würde ja in den Urzustand zurückfallen!

– Der Fortschritt, sagte der Kaw-djer bitter, der immer nur einigen wenigen Auserwählten zugute kommt...

– Ja, denen, die am meisten Ausdauer und Geschicklichkeit zeigen!

– Ersteht nur zum Nachteile der großen Menge des Volkes.

– Der Feiglinge und Müßiggänger! Solche Menschen sind überhaupt nicht viel wert. In einem gut verwalteten Lande werden sie vielleicht ein elendes Dasein führen; sich selbst überlassen, werden sie an ihrem Elend zugrunde gehen.[191]

– Aber man braucht ja so wenig zu seinem Auskommen.

– Immer zu viel, wenn man krank, dumm oder ein Schwächling ist. Diejenigen, welche sich in dieser Lage befinden, müssen von einem höheren Willen geführt werden. Existieren keine Gesetze, deren wohltätiger Einfluß doch anerkannt werden muß, so unterliegen sie eben der Tyrannei, der rohen Gewalt.«

Der Kaw-djer schüttelte den Kopf, er war nicht überzeugt. Er kannte ja diese Redensarten und hatte dasselbe Lied schon so oft singen hören. Die menschliche Unvollkommenheit, die Ungleichheit der Geburt – das sind die Gründe, die immer vorgebracht werden, um den Zwang und die Unterdrückung zu rechtfertigen; aber gerade dadurch werden neue Übel geschaffen und die bestehenden nicht aufgehoben, ein Zustand, der im Gang der Welt unzulässig ist.

Und doch war er etwas erschüttert in seinem innersten Inneren. Wenn er sich des Benehmens Lewis Doricks und seiner Bande während des letzten Winters erinnerte, an ihre schamlose Ausbeutung der Schwachen dachte, so sprach das sehr für die eben vernommene Meinung eines Mannes, dessen ehrenwerten Charakter er hochschätzte.

Bei den Nachbarn Germain Rivières empfing er die gleichen Eindrücke. Gimelli und Ivanoff hatten auf mehreren Hektaren Landes Weizen und Korn gesäet. Die junge Saat sproßte schon aus dem Boden in prangendem Grün hervor und versprach für den Monat Februar eine reiche Ernte. Bei Gordon dagegen war kein großer Fortschritt zu verzeichnen. Seine durch starke Umzäunungen abgegrenzten, großen Weideplätze waren noch nicht sehr bevölkert, aber sie wußten, daß der Viehstand sich in nächster Zeit stark vermehren würde. Dann würden sie Milch und Butter im Überfluß haben, so wie sie jetzt schon mit Eiern reichlichst versehen waren.

In den Zwischenpausen seiner Jagdausflüge beschäftigte sich der Kawdjer mit Arbeiten in einem kleinen Garten, der an dem Häuschen lag, und Halg und Karroly widmeten dieser Beschäftigung jene Stunden, die nicht durch den Fischfang ausgefüllt waren. Er sollte ihnen alles zum Leben nötige Gemüse tragen, so daß sie ganz unabhängig waren.

Sie führten ein tatenreiches, wohl ausgefülltes Leben. Allerdings mußten sie auf die Annehmlichkeiten verzichten, die der Aufenthalt in einem mehr fortgeschrittenen, zivilisierten Lande bietet; aber der Kaw-djer vermißte[192] gerne diese Bequemlichkeiten und Vorteile, wenn er den Preis bedachte den man dafür bezahlen muß. Er wünschte nicht mehr zu besitzen, als er augenblicklich sein eigen nannte, war vollkommen zufrieden mit seinem Dasein und fühlte sich vollkommen glücklich.

Ebenso stand es mit seinen beiden Gefährten, welche niemals andere Verhältnisse kennen gelernt hatten, niemals aus dem Horizont des Magalhães Archipels hinausgetreten waren. Karroly hatte nie eine andere Existenz erträumt und fühlte sich in seinem Wirkungskreis sehr befriedigt, und für Halg bestand das Glück in den kurzen Augenblicken, die er bei Graziella verbringen durfte, wenn die Pflicht ihn nicht zur Arbeit rief.

Die Familie Ceroni, welche gleichfalls eines der von den fortgezogenen Emigranten verlassenen Häuser bezogen hatte, begann sich jetzt langsam von den Schreckenstagen zu erholen, die früher so häufig gewesen waren und jetzt endlich ein Ende erreicht zu haben schienen. Lazare Ceroni hatte in der Tat aufgehört zu trinken, durch zwingende Gründe dazu veranlaßt: es war auf der ganzen Insel Hoste kein Tropfen Alkohol mehr aufzutreiben. So war er denn zu einem mäßigen Leben verurteilt, aber seine Gesundheit hatte durch die letzten häufigen Ausschreitungen sehr gelitten. Man sah ihn fast immer vor der Türe seines Hauses sitzen, wo er sich in der Sonne wärmte, mit zitternden Händen, die Blicke finster zu Boden gerichtet.

Tullia hatte mit unermüdlicher Geduld und Sanftmut diese Stumpfheit zu bekämpfen gesucht, die sie mit großer Unruhe erfüllte; es war aber umsonst. Alle freundlichen Versuche blieben erfolglos; jetzt war ihre einzige Hoffnung der Umstand, daß Lazare gezwungen war, ein der Gesundheit zuträglicheres Leben zu führen und daß die heilende Zeit günstig auf ihren Mann einwirken werde.

Haig, welcher anders urteilte als die bekümmerte Frau, fand seit Eintritt der Friedensperiode das Dasein viel leichter zu ertragen. Auch in anderer Hinsicht schienen die Ereignisse für ihn – der alles auf Graziella bezog – eine günstigere Wendung zu nehmen. Lazare Ceroni, dessen feindselige Stimmung er früher gefürchtet hatte, zählte nicht mehr, und der eine seiner gefährlichen Rivalen, der Irländer Patterson, hatte den Wettbewerb endgültig aufgegeben.

Er ließ sich nicht mehr blicken und belästigte Graziella und deren Mutter nicht mehr durch seine Gegenwart. Wahrscheinlich hatte er eingesehen,[193] daß er bei dem Geisteszustand seines Verbündeten nicht auf dessen Hilfe rechnen durfte.

Ein anderer ließ sich dafür nicht abschrecken. Von Tag zu Tag wurde er zudringlicher. Er suchte Graziella auf alle mögliche Weise einzuschüchtern, bedrohte sie und griff schließlich – obwohl in viel vorsichtigerer Weise – Halg selbst an. Gegen Ende Dezember, als der Indianer den unverschämten Menschen begegnete, hörte er diesen beleidigende Worte murmeln, die unzweifelhaft dem jungen Manne galten. Als er wenige Tage darauf zum linken Flußufer ging, flog ein mit Wucht geschleuderter Stein in ganz geringer Entfernung von seinem Gesichte vorbei.

Haig erriet natürlich den Urheber dieser Angriffe, hatte aber zu viel von den Ideen des Kaw-djer angenommen, um den Gedanken an Rache in sich aufkommen zu lassen. Er schien auch während der folgenden Tage die Herausforderungen seines Feindes nicht zu bemerken und strafte dieselben mit stillschweigender Verachtung. Aber Sirk, durch die ruhige Haltung Halgs in Sicherheit gewiegt, trieb seine Frechheit bald zum äußersten, so daß Halg gezwungen wurde, sich zu verteidigen.

Lazare Ceroni fühlte dank seiner langsamen Verblödung nicht die Schrecken der Untätigkeit; anders stand es mit den anderen Arbeitern, seinen Kameraden. Diese wußten nichts mit ihrer Zeit anzufangen und die Denkenden unter ihnen konnten sich ernstlicher Sorgen ob der Zukunft nicht entziehen. Es war ja ganz recht, auf der Insel Hoste geblieben zu sein – aber es mußte doch für ihr künftiges Leben vorgesorgt werden. Wer A sagt, muß auch B sagen. Freilich ging ihnen vorläufig nichts ab, aber was machen, bis die Vorräte erschöpft waren?

Sowohl um dieser drohenden Gefahr der Zukunft zu begegnen, als um die Langeweile der Gegenwart zu bekämpfen, wurden fast alle erfinderisch. Die Not soll ja Erfinder erschaffen. Einen lange gehegten Wunsch zur Ausführung bringend, hatte jeder etwas unternommen, nach seinem Geschmack und seinen Neigungen. Oberhalb vieler Türen prangten Schilder, deren Inschriften besagten, daß hier ein Schlosser, Maurer, Tischler, Schuhmacher oder Schneider sein Handwerk ausübe. Unglücklicherweise wollten sich keine Kunden einstellen. Und selbst wenn ihre Erzeugnisse verkauft worden wären, was hätten sie mit dem erworbenen Gelde anfangen sollen? Es war ihnen ganz unmöglich, es in irgendwelcher Weise zu[194] verwerten; insbesondere konnten sie keine Lebensmittel dafür kaufen, deren Anschaffung, in den gegebenen Verhältnissen, von größter Wichtigkeit war.

Vielleicht waren aus diesem Grunde diejenigen klüger zu nennen, welche ihre Talente nicht verwerteten, sondern einzig und allein auf die Beschaffung von Lebensmitteln bedacht waren. Nachdem sie keine Feuerwaffen besaßen, konnten sie nicht auf die Jagd gehen, auch den Ackerbau konnten sie infolge ihrer totalen Unkenntnis nicht pflegen, so erhofften sie denn alles vom Ertrage des Fischfanges und hatten sich – dem Beispiel vieler Genossen folgend – auf die Fischerei geworfen.

Außer dem Kaw-djer hatten sich auch Hartlepool und seine Matrosen des »Jonathan« gleich in den ersten Tagen auf den Fischfang verlegt. Die fünf Seeleute hatten nach dem Muster der Wel-kiej eine Schaluppe derselben Größe erbaut und ehe sie ganz fertiggestellt war, bedienten sie sich leichter Pirogen, die sie nach Art der Feuerländer rasch hergestellt hatten.

Der Kaw-djer, Hartlepool und seine Matrosen bewahrten die Fische, deren sie zum täglichen Gebrauch nicht bedurften, in Salz auf. Auf diese Weise beugten sie der Gefahr des späteren Hungerleidens vor.

Von ihren Erfolgen angelockt, war es einigen Arbeitern gelungen, zwei kleine Fahrzeuge herzustellen und nun warfen auch sie Angeln und Netze aus.

Aber das Fischen ist eine Kunst wie jede andere; wer dabei vorwärts kommen will, muß sie durch lange Übung erlernt haben. Die Dilettanten machten trübe Erfahrungen. Während die ausgeworfenen Netze Karrolys und seines Sohnes, Hartlepools und seiner Matrosen unter der Last der gefangenen Fische zu zerreißen drohten, waren die ihren meistens leer. Sie sahen bald ein, daß sie sich auf diese Weise keine Nahrungsvorräte schaffen konnten, höchstens brachten sie in ihre tägliche Speisekarte ein wenig Abwechslung. Aber selbst dieses bescheidene Resultat konnten sie höchst selten aufweisen und kamen oft mit ganz leeren Händen zurück.

Eines Tages, als sie wieder nach längerem Verweilen auf dem Wasser einen Mißerfolg zu verzeichnen hatten, begegneten sie die Wel-kiej, welche Halg und Karroly von ihrem gewöhnlichen Ankerplatz brachten; auf dem Deck der Schaluppe lagen, schön in Reihen geordnet, etwa zwanzig Fische, einige unter ihnen von außergewöhnlicher Größe. Dieser Anblick erweckte den Neid der weniger begünstigten Fischer.[195]

»He, ihr Indianer!« rief sie einer der Arbeiter an, die das Fischerboot bemannten.

Karroly ließ sie herankommen.

»Was wollt ihr? fragte er, als sie sich der Wel-kiej genähert hatten.

– Schämt ihr euch nicht, eine derartige reiche Ladung für euch selbst zu behalten, während so viele arme Teufel fast am Hungertuch nagen müssen?« fragte scherzend derselbe Arbeiter.

Karroly lachte. Er war zu lange Zeit mit den altruistischen Ideen des Kaw-djer bekannt, um um die richtige Antwort verlegen zu sein. Was ihm gehörte, darauf hatten auch andere ein Recht. Wenn man im Überflusse lebte, war es ganz natürlich, den Ärmeren, Mangel Leidenden abzutreten, das schien ihm selbstverständlich.

»Fang' auf! sagte er.

– Wirf nur herüber!«

Die Hälfte der erbeuteten Fische flog aus der Wel-kiej durch die Luft in das kleine Boot.

»Danke, Kamerad!« riefen die erfreuten Arbeiter einstimmig und legten sich wieder in die Ruder.

Obwohl Halg seinen Feind Sirk in dem Boote er kannt hatte, widersetzte er sich nicht diesem Akte der Großmut seines Vaters. Sirk war ja nicht allein und dann soll man niemandem eine berechtigte Bitte verweigern, auch dem Feinde nicht. Der Schüler des Kaw-djer machte den Lehren seines Meisters alle Ehre, wie man sieht.

Während ein Teil der Kolonisten auf diese Weise die Zeit zunutze machte, lebten andere in völligem Nichtstun. Bei einigen schien dieses Sichgehenlassen ganz normal. Was hätten Fritz Groß und John Rame machen sollen; der erstere war durch seinen übermäßigen Alkoholgenuß physisch ganz heruntergekommen, zum bloßen Tier erniedrigt und der andere verstand vom wirklichen Leben so viel und so wenig als ein kleines Kind.

Für Kennedy und Sirdey hatten diese Entschuldigungen keine Geltung – und dennoch gehörten auch sie zu den unverbesserlichen Müßiggängern.

Auf ihre Erfahrungen vom letzten Winter bauend, waren sie auf der Insel Hoste geblieben in der Voraussetzung, auf Kosten anderer ein untätiges Leben zu führen, und sie wollten jetzt nicht enttäuscht sein. Bisher hatten sie auch alle Wünsche erfüllt gesehen. Mehr verlangten sie für den[196] Augenblick nicht und ließen die Tage sorglos verstreichen, ohne sich um die Zukunft zu sorgen.

Auch Dorick und Beauval hatten sich vollständiger Trägheit ergeben. Ihre früheren Beschäftigungen waren keine gute Vorbereitung gewesen für diese besonderen Verhältnisse und sie wußten nicht recht, wie ein und aus. Auf einer im Urzustand der Kultur stehenden Insel, inmitten einer rauhen, wilden Natur, waren die Kenntnisse des ehemaligen Advokaten und des Ex-Professors für Literatur und Geschichte ganz wertlos zu nennen.

Weder der eine noch der andere hatte die Ereignisse vorhersehen können, aber die Auswanderung des größten Teiles ihrer Gefährten hatte sie wie ein unerwarteter Schlag getroffen; diese hatte für sie die Wirkung einer Katastrophe und verwirrte ihre – übrigens ziemlich unklaren – Projekte. Durch diese Auswanderung ging Dorick seine nachgiebigste Kundschaft, Beauval das aufmerksamste Auditorium verloren, das heißt die Gesamtheit von Menschen, welche Politiker von Profession – wahrscheinlich ohne sich von dem Zynismus des Wortes Rechenschaft abzulegen – mit dem Namen »Wahlmaterie« bezeichnen.

Nach zwei Monaten der Entmutigung raffte sich Beauval auf. Wenn er es auch im richtigen Momente an Energie hatte fehlen lassen, wenn sich alles selbst gestaltet hatte, seiner Leitung entschlüpfte, sein Einfluß wankend geworden war, deshalb gab er seine Sache noch lange nicht verloren. Was nicht war, konnte die Zukunft bringen. Die Hostelianer hatten in ihrer Nachlässigkeit noch kein Oberhaupt gewählt, dieses Amt konnte er immer noch anstreben. Das wäre etwas für ihn gewesen!

Die geringe Anzahl der Wähler war kein Hindernis für den Erfolg. Im Gegenteil, in der dünngesäten Bevölkerung konnte man leichter zum Ziele gelangen. Um die Meinung der übrigen Kolonisten kümmerte man sich einfach nicht. Ohne allen Zusammenhang lebten sie auf der ganzen Insel verstreut; es war ganz ausgeschlossen, daß sie zu einem gemeinsamen Entschlusse kommen könnten. Sollten sie einmal später ins Lager zurückkehren, so würde das nur in kleinen Gruppen geschehen, und wenn diese dann eine Regierung in voller Tätigkeit antrafen, würden sie sich eben vor den Tatsachen beugen.

Diesen neuen Plan hatte Ferdinand Beauval ständig im Auge und drängte zu seiner Ausführung. Wenige Tage der genaueren Beobachtung[197] hatten ihm genügt, um sich klar darüber zu werden, daß die Zurückgebliebenen drei verschiedenen Strömungen folgten – abgerechnet die Neutralen, ganz Gleichgültigen. Mit Recht konnte er sich als Führer der einen Gruppe betrachten; die zweite gehorchte dem Einflusse Lewis Doricks und die dritten waren Parteigänger des Kaw-djer. Nach reiflichem Überlegen hatte er die drei Gruppen auf ungefähr gleiche Stärke abgeschätzt.

Auf dieser Grundlage baute Beauval seinen Feldzugsplan auf, seine Beredsamkeit hatte ihm bald ein halbes Dutzend neuer Anhänger geworben. Nun schritt er zu einer Scheinwahl. Zwei Wahlgänge waren notwendig – weil viele Wähler sich ihres Stimmrechtes enthalten hatten. Die große Anzahl dieser letzteren erklärte sich aus ihrer Unwissenheit und Unkenntnis der Wichtigkeit des Ereignisses, zu dem sie mithelfen sollten. Endlich hatte Beauval mehr als dreißig Stimmen für sich.

Nachdem er mit Hilfe dieses Taschenspielerstückchens gewählt war, nahm er seine Rolle ernst und sorgte sich nicht mehr um die Zukunft. Welchen Reiz hätte es dann, Staatsoberhaupt zu sein, wenn dieses nicht auf Kosten der Wähler leben könnte.

Aber andere Sorgen drückten ihn nieder. Der klare Menschenverstand sagte ihm, daß die Pflicht eines jeden Regenten im Regieren besteht. Damit hatte es aber seine Schwierigkeiten und es war jedenfalls nicht so leicht, als er bisher gemeint hatte.

Gewiß wäre Lewis Dorick an seiner Stelle weniger verlegen gewesen. Die kommunistische Schule, der er angehörte, ist einfach und verständlich in ihren Lehren. Es ist klar, daß ihr Motto: »Alles gemeinsam!« – welchen Gedanken man sich auch über die materiellen und moralischen Folgen machen möge – leicht anzuwenden wäre, wenn es durch die Aufstellung strenger Gesetze, die ohne große Mühe erdacht werden konnten, die richtige Unterstützung fände und die Beteiligten sich geduldig darein fügen würden. Vielleicht hätten die Hostelianer nicht einmal so schlecht daran getan, damit einen Versuch zu wagen. Sie waren von beschränkter Anzahl, von der übrigen Welt abgeschnitten, also war die Möglichkeit gegeben, unter diesen günstigen Bedingungen das Unternehmen zu einem erfreulichen Abschluß zu bringen, und vielleicht wäre es ihnen dank ihrer außergewöhnlichen Lage gelungen, durch die praktische Anwendung der kommunistischen Zauberformel, sich das zum Leben Notwendige zu schaffen und in vollkommener[198] Besitzgleichheit zu leben, das Problem der Nivellierung zur Durchführung zu bringen, und zwar nicht auf dem Wege des Emporhebens der Armen, sondern durch Herabdrücken des wirtschaftlich Stärkeren.

Zu seinem Unglück war Ferdinand Beauval kein Verfechter des Kommunismus, sondern des Kollektivismus, dessen Durchführung – wenn man dieselbe überhaupt ins Bereich der Möglichkeit stellt, da sie Übermenschliches fordert – einen noch feineren und verwickelteren Mechanismus verlangt.

Können diese Ideen jemals durchdringen? Niemand kann es sagen Wenn die sozialistische Bewegung, deren Strömungen in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts zu beobachten waren, nicht ohne Einfluß geblieben ist, wenn sie nur das günstige Resultat aufzuweisen hat, das allgemeine Mitleid erregt und die Aufmerksamkeit weiter Kreise auf die armen Schichten der Bevölkerung gelenkt, die Geister angeregt, Mittel und Wege ersonnen zu haben, der Not zu steuern, großmütige Entschlüsse zu zeitigen und den Beschluß von Gesetzen zu veranlassen, die nicht immer unbedingt zu verwerfen sind, so konnte dieses Resultat nur durch die strenge Aufrechterhaltung der Ordnung erlangt werden, die sie ja untergraben zu wollen vorgibt.

Wenn der Sozialismus auch auf dem Gebiete der leider so leichten Kritik der bestehenden Zustände Großes geleistet hat, so war er in der Ausarbeitung eines Reorganisationsplanes immer kraftlos gewesen. Alle jene, die sich darin versucht haben, haben Projekte ans Tageslicht gefördert, die von einer erstaunlichen Kindlichkeit der Auffassung sprechen.

Die unangenehme Seite der Stellung Ferdinand Beauvals lag gerade darin, daß er nichts zu kritisieren, nichts zu zerstören fand, nachdem auf der Insel Hoste nichts existierte und er sich der Notwendigkeit gegenüber sah, etwas zu schaffen!

Und dabei fehlten ihm alle Vorbilder.

Der Sozialismus ist keine Wissenschaft, die man aus Büchern lernt. Er bildet nicht ein abgeschlossenes Wissensmaterial. Seine Wirkungen sind zerstörender, nicht schöpferischer Natur. Beauval war nur auf seine Erfidingskraft angewiesen und kam bald zu der Überzeugung, daß es ungeheuer schwer ist, eine soziale Ordnung ins Leben zu rufen, und verstand mit einem Male, daß die Menschen – wenn sie sich in ihrem unsicheren Vorwärtstappen[199] während des ewigen Werdeganges zu gegenseitigen Verträgen herbeilassen, um das Leben angenehmer zu gestalten – eben nicht anders handeln können.

Dennoch schwebte ihm ein Leitfaden vor Augen. Es gibt keine sozialistische Schule, die nicht die Unterdrückung der Konkurrenz fordert, indem sie die Sozialisation aller Produkte verlangt. Das ist die gemeinsame Forderung aller sozialistischen Sekten und ganz besonders das Kredo der Kollektivisten. Beauval brauchte sich nur darnach zu richten. Aber wenn ein solcher Grundsatz auch seine Existenzberechtigung in einer seit alters her bestehenden Gesellschaft hat, wo der Erfolg von Jahrhunderten ungeheuere Mengen von Arbeitsprodukten angehäuft hat, so konnte er auf der Insel Hoste nicht in Betracht kommen. Die wirklichen Werkzeuge der Produktion waren die Arme und die Schaffenskraft der Kolonisten, wenn man nicht – indem man den Kollektivismus durch den reinen Kommunismus verdrängte – die Ackergeräte, die Wälder, Felder und Wiesen dazurechnen wollte.

Während er in seinem Inneren diese schweren Fragen erwog, hatte seine Wahl ernste Konsequenzen. Das schon halb verlassene Lager leerte sich zusehends, man floh es.

Harry Rhodes gab als erster das Zeichen zum Aufbruch. Die Lage der Verhältnisse schien ihm nicht sehr beruhigender Natur; am selben Tage, der für Beauval die Erfüllung der heißesten Wünsche brachte, zog er über den Fluß hinüber. Sein Haus wurde niedergerissen, die einzelnen Teile auf das linke Flußufer geschafft, wo es einige Maurer wieder zusammenfügten, wie sie es seinerzeit auch mit dem festeren, behaglicheren Heim des Kawdjer gemacht hatten.

Harry Rhodes unterschied sich von seinem Freunde darin, daß er die Arbeiter gebührend bezahlte und diese waren gleichzeitig über den unerwarteten Lohn erfreut und bestürzt, denn sie wußten nicht, was sie mit dem Gelde beginnen sollten.

Das Beispiel der Familie Rhodes fand Nachahmer. Nach und nach verließen Smith, Wright, Lawson, Fock, ferner die Zimmerleute Hobard und Charley ihre Wohnungen, um sich am anderen Flußufer ein neues Heim zu gründen. So bildete sich um das Haus des Kaw-djer ein neuer Ort, an dem Ufer, wo sich auch schon Hartlepool und die Matrosen niedergelassen hatten, ein Dorf, das drei Wochen nach der Unabhängigkeitserklärung der Insel einundzwanzig Einwohner zählte, darunter zwei Kinder, Dick und Sand, und zwei Frauen, Clary Rhodes und deren Mutter.


Ter Kaw-djer blickte hin... (S. 203.)
Ter Kaw-djer blickte hin... (S. 203.)

Das Leben in diesem werdenden Dorfe war ein sehr friedliches, nichts störte das allgemeine, gute Einvernehmen. Beauval mußte einmal herüberkommen, um die ersten Schatten in das stille Gluck zu werfen.

An diesem Tage hatte Halg ein ernstes Gespräch[200] mit dem Kaw-djer. In Harry Rhodes' Gegenwart bat er um Rat, wie er sich gegen einige Kolonisten des anderen Flußufers zu verhalten habe. Es handelte sich um[201] die ungeschickten Fischer, welche einmal an das gute Herz der beiden Feuerländer appelliert hatten. Das Ergebnis ihrer versteckten Bettelei schien sie so befriedigt zu haben, daß sie seither, in immer kleiner werdenden Zwischenräumen, ihr damaliges Vorgehen wiederholten, und jetzt ging kaum ein Tag vorüber, an dem Halg nicht einen Teil seiner Beute an Fischen in ihren Besitz übergehen sah. Sie glaubten wohl, daß sie sich jetzt überhaupt nicht mehr anzustrengen brauchten, da man die Güte hatte, für sie zu arbeiten. Sie blieben daher ruhig auf dem Lande und erwarteten die Rückkehr der Schaluppe ab, um ihr dann, als ob sie ein Recht darauf hätten, einen Teil des Tagesergebnisses abzuverlangen.

Halg fing an, sich über diese Unverfrorenheit, diesen Mangel an Ehrgefühl zu ärgern, um so mehr, als sein Feind Sirk auch zu dieser Bande von Müßiggängern gehörte. Doch er wollte erst den Kaw-djer um seine Meinung befragen, ehe er ihnen eine abschlägige Antwort gab. Als gehorsamer Jünger gedachte er sich der höheren Weisheit und Erfahrung seines Meisters zu fügen.

Er saß mit seinen beiden Freunden am Strande, das unendliche Meer vor Augen, und erzählte alle Vorkommnisse der letzten Zeit bis ins einzelne. Die Antwort des Kaw-djer war kurz und bündig.

»Betrachte den weiten Weltraum vor dir, Halg,« sagte er mit ungewohnter Weichheit in der Stimme; »er lehrt dich eine weitere Lebensauffassung! Welche Torheit! Du bist ein winziges Staubkorn, das sich im unendlichen Weltganzen verliert – und du willst dich wegen einiger armseliger Fische aufregen!... Die Menschen haben nur eine Pflicht, mein Sohn, die zur Notwendigkeit wird, wenn sie ausharren wollen und Sieger bleiben in ihrem Erdenwallen; und diese Pflicht ist: sich gegenseitig zu lieben und zu unterstützen, wie und wo sie nur können.

Diejenigen, deren Namen du erwähnt hast, waren pflichtvergessen; aber ist das ein Grund, es ihnen gleich zu tun? Es ist eine so unendlich einfache Regel: zuerst für das eigene Auskommen sorgen; dann aber, nachdem dieser Pflicht gegen sich selbst Genüge getan ist, hat man an die Nächsten zu denken; je mehr man beglücken kann, desto besser! Was kümmert es dich, wenn sie auf Abwege geraten? Es ist ihre Schuld und Schande, nicht die deine!«

Haig hatte ehrerbietig dieser Auseinandersetzung gelauscht. Vielleicht hatte er die Absicht, etwas darauf zu erwidern, als der Hund Zol,[202] der zu Füßen der drei Männer ausgestreckt lag, ein dumpfes Knurren hören ließ.

Fast gleichzeitig rief eine Stimme aus nächster Nähe:

»Kaw-djer!«...

Der Kaw-djer blickte hin.

»Herr Beauval, sagte er.

– Jawohl, ich selbst... Ich muß mit Ihnen sprechen, Kaw-djer.

– Ich bin bereit, Sie anzuhören.«

Aber Beauval sprach nicht gleich Er fühlte sich plötzlich sehr eingeschüchtert, obwohl er seine Rede sorgfältig einstudiert hatte. Aber als er nun vor dem Kaw-djer stand, in dieses ernste, unbewegliche Antlitz blickte, hatte er seine hochtrabenden Phrasen vergessen und war sich mit einem Male der Ungeheuerlichkeit, der unverzeihlichen Dummheit seines Vorgehens bewußt.

Während des Nachgrübelns über die Grundprinzipien der sozialistischen Lehre hatte Beauval plötzlich die Entdeckung gemacht, daß auf der Insel Hoste »Erwerbsmittel« existierten, auf die diese Lehre praktisch angewandt werden konnte. Die verschiedenen Fahrzeuge und vor allen anderen die Wel-kiej, waren dies nicht solche Erwerbsmittel? Das Gewehr des Kaw-djer, das vor ihm im Sande lag, war das kein »Erwerbsmittel«? Dieses einzig existierende Gewehr hatte das Begehren Beauvals wachgerufen. Welche Überlegenheit es seinem Besitzer verschaffte! Nichts war aber natürlicher, nichts gerechter, als dem Gouverneur der Insel zu dieser Überlegenheit zu verhelfen; demjenigen, welcher die gemeinsamen Interessen personifizierte – ihm selbst!

»Kaw-djer, sagte Beauval endlich, vielleicht wissen Sie – oder wissen Sie es auch nicht – daß ich vor einigen Tagen zum Gouverneur der Insel Hoste erwählt worden bin!«

Der Kaw-djer lächelte etwas spöttisch und antwortete nur durch eine nichtssagende Gebärde.

»Es erscheint mir nun als erste Pflicht, unter den gegenwärtigen Umständen darauf zu achten, diejenigen Vorteile, deren sich einzelne Glieder der Gesamtheit erfreuen, in den Dienst dieser Gesamtheit zu stellen.«

Beauval machte eine Kunstpause, er rechnete auf Beifallsäußerungen. Aber der Kaw-djer beharrte in seinem Schweigen, und so fuhr er fort:[203]

»Was Sie betrifft, Kaw-djer, so weiß ich Sie im Besitze – und nur Sie allein – eines Gewehres und einer Schaluppe. Dieses Gewehr ist die einzige Feuerwaffe, die die Kolonie ihr eigen nennt, die Schaluppe ist das einzige wirklich taugliche Fahrzeug auf der Insel, auf der man eine Reise von längerer Dauer gefahrlos unternehmen könnte.

– Und deshalb wollen Sie sich dieselbe aneignen, folgerte der Kawdjer aus den gehörten Worten.

– Ich verwahre mich gegen dieses Wort, rief Beauval pathetisch mit einer großartigen rhetorischen Geste. Als Bekenner des kollektivistischen Programmes beschränke ich mich darauf, es durchzuführen. Mein Vorgehen hat durchaus nichts mit einer Beraubung gemein! Es handelt sich um keine Konfiskation, sondern – und das ist ein großer Unterschied – es handelt sich nur um die Sozialisation von Erwerbsmitteln.

– Nun gut, holen Sie sich dieselben,« sagte ruhig der Kaw-djer.

Beauval trat ein paar Schritte zurück. Zol ließ ein unheilverkündendes Knurren hören.

»Soll ich diese Antwort so verstehen, daß Sie sich den Entscheidungen der gesetzmäßigen Autorität der Kolonie nicht fügen wollen?«

Dem Kaw-djer stieg die Röte des Zornes ins Gesicht und seine Augen schossen Blitze. Er nahm sein Gewehr auf und erhob sich. Und während er den Kolben hart auf den Boden setzte, sagte er finster:

»Jetzt habe ich genug von dieser Komödie. Meine Antwort kennen Sie: Holen Sie sich die Sachen!«

Durch die Haltung seines Herrn aufgeregt, zeigte Zol die scharfen Zähne. Beauval, ganz eingeschüchtert durch diese feindlichen Kundgebungen sowohl als durch den entschlossenen Ton und die herkulische Gestalt des Sprechenden, hielt es für besser, nicht weiter auf seinen Forderungen zu bestehen. Er trat vorsichtig den Rückzug an, murmelte verwirrtes Zeug vor sich hin, dessen kurzgefaßter Sinn war: er wolle diese Angelegenheit dem Rat unterbreiten, der dann über die zu treffenden Maßnahmen entscheiden werde.

Der Kaw-djer hatte ihm den Rücken gedreht, ohne ihm weiter Gehör zu schenken und seine Blicke schweiften über das weite Meer. Aber der Zwischenfall barg eine Lehre in sich und diese Lehre wollte Harry Rhodes hervorheben.[204]

»Wie denken Sie über das Vorgehen Beauvals? fragte er.

– Warum soll ich darüber nachdenken? antwortete der Kaw-djer. Was kümmern mich die Reden und Handlungen dieses Großsprechers?

– Dieser Großsprecher, bemerkte Harry Rhodes, ist aber gleichzeitig Gouverneur!

– Der sich selbst dazu gemacht hat! Es sind ja nicht einmal sechzig Kolonisten im Lager!

– Es genügt auch eine Stimme, wenn niemand anderer mehr hat!«

Der Kaw-djer zuckte die Schultern.

»Ich bitte Sie, mir die folgenden Worte zu verzeihen, sagte Harry Rhodes, aber empfinden Sie kein Bedauern, ich möchte fast sagen, keine Gewissensbisse?

– Ich...?

– Ja, Sie! Sie sind der einzige unter den Kolonisten, der eine vollkommene Landeskenntnis besitzt, die Sie sich in den langen Jahren Ihres Aufenthaltes auf dieser Insel erworben haben. Sie kennen alle Hilfsquellen und alle Gefahren. Sie allein besitzen Verstand, Energie und die nötige Autorität, die dieser gleichgültigen, halt- und willenlosen Bevölkerung imponieren könnte. Anstatt die wenigen zerstreuten Gutwilligen zu sammeln, haben Sie diese Unglücklichen sich ohne Plan und Bindeglied zerstreuen lassen. Ob Sie wollen oder nicht, Sie sind ein wenig verantwortlich für das Mißgeschick, das ihnen eventuell widerfährt.

– Verantwortlich!... wehrte sich der Kawdjer. Welche mir zufallende Pflicht hätte ich unerfüllt gelassen?

– Den Schutz, den der Starke dem Schwachen schuldet.

– Den habe ich Ihnen nicht verweigert... Habe ich nicht den »Jonathan« gerettet?... Kann auch nur ein einziger sich gegen mich erheben und mich beschuldigen, ihm Rat und Hilfe verweigert zu haben?

– Sie mußten noch mehr tun, sagte Harry Rhodes mit Festigkeit. Ob er will oder nicht, jeder geistig höher stehende Mann nimmt die Verantwortung für andere Schwachbeseelte auf sich. Sie hätten die Ereignisse selbst in die Hand nehmen müssen und sich nicht damit begnügen sollen, sie geschehen zu lassen. Sie mußten dieses Volk gegen sich selbst beschützen, es leiten!...

– Dann hätte ich ihm die Freiheit gestohlen! sagte bitter der Kaw-djer.[205]

– Warum nicht? erwiderte Harry Rhodes. Wenn sich auch die Guten durch Vernunftgründe überzeugen lassen, wird es immer Menschen geben, welche nur dem Zwange gehorchen werden, den Gesetzen, die ihre Handlungsweise regeln, oder der rohen Kraft.

– Niemals würde ich dazu meine Einwilligung geben, rief der Kaw-djer heftig, und nach einer Pause fügte er in ruhigerem Tone hinzu:

Wir wollen ein Ende machen. Lassen Sie es sich gesagt sein, mein Freund, daß ich der unversöhnliche Feind einer jeden Regierungsform bin, wie immer dieselbe beschaffen sein möge. Ich habe mein ganzes Leben dazu verwendet, dieses Problem zu ergründen und bin zu der Überzeugung gelangt, daß niemals der Fall eintreten kann, wo man berechtigt wäre, den freien Willen des Nächsten zu unterjochen. Alle Gesetze, Vorschriften wie Verbote, die im sogenannten Interesse der Gesamtheit erlassen werden und dabei das Individuum knechten, sind reiner Betrug! Das Einzelwesen soll sich im Gegenteil in voller Freiheit entwickeln, dann wird die Gesamtheit sich eines allgemeinen Glückes erfreuen, das sich aus dem Glücke so vieler einzelner zusammensetzt. Dieser Überzeugung, wel che mein Leben ausmacht und der ich – obwohl ich einst große Macht in Händen hatte – in der verderbten Gesellschaft der Alten Welt nicht Geltung verschaffen konnte, habe ich viel, sehr viel geopfert, mehr – und nicht unbegründet! – als die Mehrzahl der Menschheit hätte opfern können; und ich habe bis hierher auf den Magalhães-Archipel flüchten müssen, wollte ich ein freies Leben in freiem Lande führen! Meine Überzeugung hat sich seither nicht geändert. Ich weiß, daß auch die uneingeschränkte Freiheit ihre Nachteile hat, aber diese schwächen sich mit der Zeit ab und jedenfalls sind sie geringer, als die durch die Gesetze wachgerufenen Schäden der Gesellschaft, die die lächerliche Prätention haben, das Böse in der Welt unterdrücken zu wollen. Die Ereignisse dieser letzten Monate haben mich sehr traurig gestimmt – aber meine Anschauungen sind dieselben geblieben. Ich war, ich bin, ich werde immer zu denjenigen zu rechnen sein, welche man mit dem entehrenden Namen »Anarchisten« bezeichnet. Wie sie, führe ich das Motto: »Kein Gott! Kein Gebieter!« – Das Thema soll unter uns nicht mehr berührt werden, aber erwähnen mußte ich es!«

Wenn also auch die niederschmetternden Erfahrungen seinen Glauben erschüttert hatten, wollte der Kaw-djer es nicht eingestehen. Anstatt seine[206] Überzeugung aufzugeben, klammerte er sich an sie, so wie der Ertrinkende im Augenblicke höchster Not sich an einen Grashalm klammert, wenn jede andere Stütze fehlt, obwohl ihm die Gebrechlichkeit und Unzuverlässigkeit dieser einen bekannt ist.

Harry Rhodes hatte aufmerksam dieses Glaubensbekenntnis angehört, das in überzeugungsvollem Tone vorgebracht wurde, der allen Widerspruch ausschloß. Seine Erwiderung bestand nur in einem schweren Seufzer.

Quelle:
Jules Verne: Die Schiffbrüchigen des »Jonathan«. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band XCV–XCVII, Wien, Pest, Leipzig 1910, S. 176-185,187-207.
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