Elftes Kapitel.
Port-Praslin.

[159] Der erste Besucher, der sich auf der Brigg einfand, war Herr Zieger, der Kaufmann von Neuirland, der mit dem Hause Hawkins in Geschäftsverbindung stand. Zieger, ein Mann in den besten Jahren, hatte in Port-Praslin sein Kontor schon seit zwölf Jahren errichtet, also lange bevor der Teilungsvertrag der Insel den Namen Neumecklenburg und der ganzen Gruppe den des Bismarck-Archipels gegeben hatte.

Das Verhältnis zwischen Hawkins und Zieger war stets ein vortreffliches gewesen, und es beschränkte sich auch nicht allein auf den Austausch von Waren zwischen Hobart-Town und Port-Praslin. Herr Zieger war schon mehrmals nach der Hauptstadt von Tasmanien gekommen, wo ihn der Reeder stets mit großer Freude aufnahm. Die Handelsherren bewahrten vor einander eine aufrichtige Hochachtung. Auch Nat Gibson war Herrn Zieger kein Fremder mehr, so wenig wie der Frau Zieger, die ihren Gatten auf seinen Reisen zu begleiten pflegte. Jetzt hofften auch alle, die Zeit des Aufenthaltes in Neuirland recht angenehm zu verbringen.[159]

Der Kapitän und Herr Zieger waren langjährige Bekannte und vertraute Freunde, die sich mit einem warmen Händedruck begrüßten, als wären sie erst gestern zusammen gewesen.

Herr Zieger, der sehr geläufig englisch sprach, sagte zu dem Reeder:

»Ich hoffe bestimmt, Herr Hawkins, daß Sie von der Gastfreundschaft Gebrauch machen, die meine Frau und ich Ihnen in unserem Hause in Wilhelmstaf bieten können.

– Sie meinen, daß wir den »James-Cook« verlassen sollen? antwortete der Reeder.

– Gewiß, Herr Hawkins!

– Doch nur unter der Voraussetzung, Herr Zieger, daß wir Ihnen nicht zur Last fallen...

– O, seien Sie überzeugt, in keiner Weise. Ihr Zimmer ist schon zurecht gemacht und für Gibson und seinen Sohn ist natürlich auch eines da.«

Die Einladung erfolgte in so warmem Tone, daß man sie unmöglich abweisen konnte. Hawkins, der auch nicht sehr gewöhnt war, in der beschränkten Kajüte eines Schiffes zu wohnen, wünschte ja nichts mehr, als seine Kabine gegen ein bequemes Zimmer der Villa Wilhelmstaf zu vertauschen.

Nat Gibson nahm die Einladung ebenfalls mit Freuden an, nur der Kapitän lehnte sie ab, wie er das bisher immer getan hatte.

»Wir werden uns ja jeden Tag sehen, sagte er. Meine Anwesenheit ist aber an Bord notwendig, und ich habe einmal den Grundsatz, mein Schiff, auch so lange es in einem Hafen liegt, nicht zu verlassen.

– Wie es Ihnen beliebt, Gibson, antwortete Herr Zieger, Sie werden aber jedenfalls des Morgens und des Abends mein Tischgast sein.

– Das recht gern, erklärte Gibson. Schon heute werd' ich mit Hawkins und meinem Sohne Ihrer Gattin einen Besuch abstatten und an Ihrem Familienfrühstück mit Vergnügen teilnehmen.«

Hierauf erfolgte noch die Vorstellung der beiden Schiffbrüchigen, deren Geschichte der Reeder mit kurzen Worten erzählte. Herr Zieger begrüßte die Gebrüder Kip in teilnehmendster Weise und sprach den Wunsch aus, sie so oft wie möglich in Wilhelmstaf empfangen zu können. Konnte er ihnen auch kein Zimmer anbieten, so würden sie doch in Port-Praslin einen ihnen zusagenden Gasthof finden, den sie, wenn sie es wünschten, bis zur Wiederabfahrt des »James-Cook« beziehen könnten.[160]

»Unsere Mittel, erwiderte darauf Pieter Kip, sind sehr beschränkt oder eigentlich ganz erschöpft. Alles, was wir besaßen, haben wir bei dem traurigen Schiffbruche eingebüßt, und da Herr Hawkins so gütig war, uns als Passagiere aufzunehmen, ist es wohl besser, wir bleiben hier an Bord.

– Betrachten Sie sich hier als zu Hause, liebe Freunde, erklärte der Reeder. Die Brigg ist ja noch immer auf der Reise.


Deutsches Konsulat in Apia.
Deutsches Konsulat in Apia.

Die Missionshäuser von Maloa auf Upolu (Samoa-Insel).
Die Missionshäuser von Maloa auf Upolu (Samoa-Insel).

Die Missionshäuser von Maloa auf Upolu (Samoa-Insel).


Ja, wenn Sie Bedarf haben, bin ich gern erbötig, Ihnen Kleidungsstücke, Leibwäsche und dergleichen zur Verfügung zu stellen.

– Und ich nicht minder, meine Herren, sagte Herr Zieger.

– Wir danken Ihnen herzlich, versicherte Karl Kip. Sobald wir in Holland zurück sind, wird es unsere erste Aufgabe sein, Ihnen die...

– O, davon ist nicht die Rede, unterbrach ihn Hawkins, das wird sich schon später finden; jetzt brauchen Sie sich darüber keine Gedanken zu machen.«

Gibson fragte nun den Geschäftsfreund, wie lange die Brigg wohl seiner Meinung nach in Port-Praslin werde liegen bleiben müssen, um ihre Fracht zu löschen und neue einzunehmen.

»Etwa drei Wochen, sagte Zieger, wenn eine Woche zur Löschung Ihrer Fracht ausreicht, die ich in der Kolonie schon vorteilhaft unterbringen werde.

– Gewiß... eine Woche ist dazu genug, versicherte Gibson, und wenn dann unsere dreihundert Tonnen Koprah bereit liegen...

– Hundertfünfzig Tonnen davon hab' ich schon in meinem Lagerhause, erklärte Zieger; die anderen hundertfünfzig werden Sie in Kerawara verladen müssen.

– Jawohl... einverstanden, erwiderte der Kapitän, die Fahrt dahin ist ja sehr kurz. Wir gehen zuerst nach Kerawara, und dann kehrt der »James-Cook« nach Port-Praslin zurück, seine Fracht zu vervollständigen.

– Die Kisten mit Perlmutter stehen schon bereit, lieber Gibson, sagte Zieger; Sie werden deshalb also keine Verzögerung erfahren.

– Es ist wirklich ein Vergnügen, mit Ihrem Hause zu arbeiten, Herr Zieger, setzte Hawkins hinzu. Ich sehe schon, wir werden mit einem dreiwöchigen Aufenthalte auskommen.

– Heute haben wir den 20. November, sagte Gibson, Havarien sind an der Brigg nicht auszubessern, am 14. Dezember würde sie also fertig sein, wieder abzusegeln.[163]

– Und in diesem Zeitraume, Herr Hawkins, könnten Sie die Umgebungen von Port-Praslin besuchen, die das wirklich wert sind. Außerdem werden meine Frau und ich unser Bestes tun, Ihnen den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen.«

Hawkins, die Gebrüder Kip und Nat Gibson gingen nun ans Land. Der Kapitän blieb vorläufig pflichtgemäß zurück, sollte mit den übrigen aber zur Frühstücksstunde in Wilhelmstaf wieder zusammentreffen.

Wie Gibson vermutet hatte, lag jetzt kein Schiff in Port-Praslin vor Anker, und vor Neujahr wurde auch kein weiteres erwartet. Außer verschiedenen Booten der Faktoreien und zahlreichen Piroguen von Eingebornen war im Hafen nichts zu sehen. Die deutschen Schiffe suchten mit Vorliebe den Hauptort des Kolonialgebietes an der Insel, Kerawara, auf, die im Süden der früheren Insel York, des jetzigen Neulauenburg liegt.

Port-Praslin ist übrigens tiefer im Innern seiner Bai auch recht gut geschützt und bietet größeren Fahrzeugen sehr guten Ankergrund. Die Wassertiefe ist überall die gleiche; zwischen Birara und Tombara erreicht sie sogar vierzehnhundert Meter. Die Brigg hatte mit dreißig Faden Kette vor Anker gehen können. Der Meeresboden, der aus madreporischem, mit Muschelresten vermengtem Sande besteht, ermöglicht ein festes Haften des Ankers.

Port-Praslin zählte in jener Zeit nur etwa hundert Ansiedler, meist solche deutscher Abstammung und daneben einige eingewanderte Engländer. Ihre Wohnstätten lagen zerstreut in dem erquickenden Schatten des Ufergeländes im Osten und Westen des Hafens.

Das Haus des Herrn Zieger befand sich etwa eine Seemeile von der Küste auf sanft ansteigendem Terrain; Kontor und Magazine bildeten dagegen eine unregelmäßige Gebäudegruppe im Hintergrunde des Hafens, wo auch andere Kaufleute ihre Schreibstuben und Faktoreien errichtet hatten.

Die Eingebornen Neuirlands führen dieselbe Lebensweise wie die Koloniebevölkerung. Ihre Dörfer bestehen aus Haufen von Hütten, die in der Mehrzahl auf Stämmen, also über der Erde freistehend, erbaut sind. Sie kommen gern nach Port-Praslin und zu den Agenten, die im deutschen Melanesien die Staatsgewalt vertreten. Als Hawkins und seine Begleiter ans Land fuhren, begegneten sie auch schon mehreren dieser Eingebornen.

Obwohl diese wenig arbeitsamer Natur sind und die meisten den Tag mit Nichtstun hinbringen, erliegen sie doch zuweilen dem Verlangen, einige Piaster[164] zu verdienen. Nicht selten bieten sie sich dann zum Löschen und Beladen der Schiffe an. Man beschäftigt sie im allgemeinen gern, denn wenn man sie nur scharf beaufsichtigt, da die Leute gern kleine Diebstähle begehen, geben sie zu Klagen keinen Anlaß.

Der Neuirländer ist nicht gerade groß; er mißt im Durchschnitt nur fünf Fuß und zwei Zoll. Seine Haut ist braun, nicht schwarz wie die des Negers. Der Unterleib tritt etwas hervor und die Glieder sind dünn und schlank. Das wollige Haar läßt der Eingeborne zu zierlichen Locken gewunden über die Schultern hinabfallen, eine Haartracht, die in zivilisierten Ländern nur beim weiblichen Geschlechte vorkommt. Ferner zeigen die Urbewohner eine abgeflachte Stirn, ziemlich platte Nase und einen breiten Mund mit Zähnen, die durch den Mißbrauch von Betel meist verdorben sind. In der Zwischenwand und in den Flügeln der Nase, die ebenso wie die Ohren durchlöchert sind, stecken kleine Stäbchen, woran Tierzähne oder auch Blumen und nicht selten sogar kleine Gebrauchsgegenstände hängen. Die Kleidung besteht gewöhnlich nur aus Stoffschürzen, die seit einigen Jahren die früher getragene Schürze aus Rindengewebe verdrängt haben. Wie zur Vervollständigung der Kleidung bemalen sich die Leute verschiedene Stellen des Körpers. Mit Ocker, der in Kokosöl verrieben ist, färben sie sich die Wangen, die Stirn, die Nasenspitze, das Kinn, die Schultern, die Brust und den Leib. Nur wenige sind tätowiert, und diese Tätowierungen sind dann nicht durch Einstiche hergestellt, sondern mittels Steinkanten und scharfrandigen Muscheln eingeschnitten. All dieser »Schmuck« verhüllt aber noch nicht die Lepra, an der sie vielfach leiden, trotz der öligen Einreibungen, die sie dagegen anwenden, und auch nicht die Narben der Wunden, die sie in häufigen Kämpfen, besonders mit ihren Nachbarn auf Birara, davongetragen haben.

Daß die Eingebornen dieser Inselgruppe Menschenfresser gewesen wären, unterliegt kaum einem Zweifel... vielleicht sind sie es gelegentlich auch jetzt noch. Wie dem auch sei, jedenfalls ist die abscheuliche Sitte der Menschenfresserei jetzt stark eingeschränkt, dank den Missionaren, die sich auf der Insel Roon, im Südwesten von Neupommern, niedergelassen haben.

Die auf dem Kai stehenden Eingebornen gehörten dem stärkeren Geschlecht an. Keine Frau, kein Kind befand sich darunter. Diese kann man fast nur in den Dörfern und auf dem Lande zu sehen bekommen, wo die Neuirländerinnen die Feldarbeit verrichten; in die Nähe der Faktoreien wagen sie sich dagegen nur sehr selten.[165]

»Wir werden einige Ausflüge ins Innere unternehmen, sagte Zieger, das wird Ihnen Gelegenheit geben, diese Völkerschaften genauer zu betrachten.

– Ich bin mit Vergnügen dabei, versicherte Hawkins.

– Zunächst aber, setzte Zieger hinzu, drängt es mich, Sie meiner Frau vorzustellen, denn sie dürfte uns schon erwarten.

– Wir folgen Ihnen,« antwortete der Reeder.

Der Weg, der erst am Ufer hin nach Wilhelmstaf führte, war reichlich beschattet. Die weiter im Innern terrassenartig emporsteigenden Anpflanzungen reichten herunter bis zur Linie der Brandung an den äußersten Felsen der Buchten. Zur Rechten stiegen dichte Waldmassen bis zum Kamme der Bergkette des Landes empor, der noch von zwei oder drei Gipfeln der Lanutberge überragt wird. Zwang irgend ein Hindernis, ein Rio oder ein Stück sumpfigen Bodens, vom Ufer abzuweichen, so wendete man sich unter die Bäume, wo – allerdings wenig betretene – Fußsteige dahinliefen. Hier gediehen in Menge Arecapalmen, Pandanusbäume, Barringtonias und Bananen-Feigenbäume. Ein Netz von Lianen, die zuweilen hochgelb wie Gold aussahen, umstrickte die Stämme, wand sich um die Aste und kletterte bis zu den Wipfeln hinaus. Daneben mußte man sich auch vor sehr spitzigen Dornen in acht nehmen.

»Seien Sie vorsichtig, ermahnte deshalb Zieger seine Gäste, ich empfehle es Ihnen dringend, wenn Sie nicht halb nackt bei meinem Hause ankommen wollen, und das ist selbst bei uns auf Neumecklenburg noch nicht Sitte.«

Ihrer Verschiedenheit und ihres prächtigen Aussehens wegen fordern die Baumarten der neuirländischen Wälder unbedingt die Bewunderung des Beschauers heraus. So weit der Blick reichte, erhoben sich hier Hibisken, deren Blätter an die der Linde erinnern, Palmen, mit leicht gewundenen Girlanden umschlungen, Calophyllums, deren Stamm im Umfange oft dreißig Fuß mißt, ferner Rotangs, Pfefferbäume, Cycaspalmen mit schnurgeradem Schafte, aus dem die Eingebornen das Mark zur Herstellung von einer Art Brot benutzen, halb in Wasser stehende Lobelien, Pancratiums mit Zweigen, die wie mit Korallen verziert aussehen und zwischen deren Blättern Skarabäen nisten, unter denen man aber keine Vögel, sondern eine Art Muscheln zu verstehen hat.

Das ganze Waldgebiet zeigte wirklich Riesenverhältnisse in seinen Kokos- und Sagopalmen, den Brot- und Muskatbäumen, Latanen, den Arekapalmen, deren Endknospe sich wie die des Palmenkohls spaltet und ebenso gut eßbar ist wie dieser. Daneben gab es hier Überfluß an strauchartigen Gewächsen, an[166] Farn mit seinen Blättern, parasitischen Epidendrons und Inokarpen, die hier größer werden als auf allen anderen Inseln des Großen Ozeans, und deren über der Erde sich ausbreitende Wurzeln Naturhütten bilden, worin fünf bis sechs Personen Platz finden.

Zuweilen traf man auch auf Lichtungen mit einem Rahmen mächtiger Gebüsche und bewässert von klaren Rios. Diese Flächen werden schon angebaut, und zwar mit Zuckerrohr, süßen Pataten, mit sorgsam gepflegten Tarosen. Hier sah man auch schon eingeborne Frauen bei ihrer Arbeit.

Von Raubtieren oder anderen gefährlichen Vierfüßlern war hier ebensowenig zu befürchten, wie von giftigen Reptilien. Die Tierwelt blieb an Reichhaltigkeit überhaupt gegenüber der Pflanzenwelt zurück. Sie beschränkte sich meist auf wilde Schweine, die harmloser waren als ihre europäischen Verwandten und von denen viele gezüchtet wurden, ferner auf Hunde, in tombarischer Sprache »Pulls« genannt, auf Kuskus, Beutelratten, Eidechsen und auf eine Menge Ratten von sehr kleiner Art. Daneben zeigten sich noch Termiten, jene weißen Ameisen, die ihr schwammähnliches Nest an Baumzweigen hängend erbauen, zwischen denen sich häufig gleich einem Netze die schimmernden Webfäden einer Unmasse purpurroter und azurblauer Spinnen ausspannen.

»Höre ich da nicht Hunde? sah Nat Gibson sich veranlaßt zu fragen, als ein fernes Gebell einen Augenblick an sein Ohr schlug.

– Nein, entgegnete Zieger, das sind keine Hunde, die bellen, sondern Vögel, die da schreien.

– Vögel? wiederholte Hawkins, erstaunt über diese Antwort.

– Jawohl, erklärte Zieger, jene Laute rühren von einem Raben her, der nur im Bismarck-Archipel vorkommt.«

Nat Gibson und Hawkins hatten sich ebenso getäuscht wie Bougainville, als er zum ersten Male in die neuirländischen Wälder eindrang. Jener Rabe ahmt das Hundegebell auch wirklich zum Verwechseln ähnlich nach.

Im übrigen zählt die Ornithologie dieser Inseln zahlreiche und merkwürdige Vertreter, Handlanger, »Mains«, wie die Eingebornen sich ausdrücken.

Überall hüpfen und flattern hier Loris, eine Art scharlachroter Papageien, neben Papus umher, die eine ebenso heisere und rauhe Stimme haben wie die Papuas, ferner Papageien verschiedener Art, Nikobarentauben, Krähen mit weißem Flaum und schwarzem Gefieder, die die Eingebornen »Cocos« nennen, Lucals, metallisch grüne Gimpel, und eine Art Holztauben mit rötlichgrauem Kopf und[167] Halse und goldiggrünem Rücken mit kupferfarbenen Reflexen, deren Fleisch sehr schmackhaft sein soll.

Kamen Zieger und seine Begleiter dem Ufer näher, so schwirrten ganze Schwärme von Vögeln davon in die Höhe: Stare und Schwalben, Tauchervögel verschiedener Art, darunter der Alcyon, dem die Eingebornen den Namen »Kiu-kiu« gegeben haben und dessen Kopf und Rücken braungrün, Flügel und sechs Zoll langer Schwanz aquamarinfarbig aussehen; dazwischen flatterten olivengrüne und gelbgeschwänzte Zuckerfresser, Raupenfresser, graue Strandläufer, Fliegenschnäpper, in melanesischer Bezeichnung »Conice, Tenuri, Kine und Rukine«. Und während Schildkröten auf dem Strande hinkrochen, bewegten sich zweifach kahnförmige Krokodile und Flossenhaie in den Wasserstraßen zwischen dem Ufergestein, und Seeadler mit fast unbeweglich ausgebreiteten Flügeln schwebten darüber in der Luft.

Der Strand selbst, der je nach dem Stande der übrigens unbeträchtlichen Flut mehr oder weniger weit frei lag, hätte dem Konchyologen große Schätze geliefert, denn darauf fanden sich Krustaceen und Mollusken in großer Auswahl: Krebse, große Garnelen, Krabben, Paquren, Ocypoden, Kegelschnecken, Schwämme, Madreporen, Röhren- und Scheibenkorallen, Kreisel- und Dreifingerschnecken, Hippopen, Porzellan- und Eimuscheln, Halionden, Stachel- und Schüsselschnecken, Austern, Miesmuscheln, und von Zoophyten verschiedene Hoiolurien, Aktinien, Salpas, Meduren und merkwürdige Akalephen.

Die Muscheltiere aber, die die Aufmerksamkeit Hawkins und Nat Gibsons besonders erregten, waren die Skarabäen, die sich unter die immer feuchten Blätter des Pancratiums am Rande der Buchten zurückziehen, ferner die Bulinen nebst den Schnirkelschnecken, die auch unter Gezweig Zuflucht zu suchen pflegen, und die Mondflußmuscheln, von denen man nicht selten ziemlich weit von jedem Wasserlaufe einzelne an den Zweigen der höchsten Pandanen findet.

Beim Erblicken einer dieser Wandermuscheln, über die Zieger mehrfach Aufklärung gegeben hatte, sagte Nat Gibson zu dem Geschäftsfreunde:

»Ich glaube doch gehört zu haben, daß es auch einen Fisch geben soll, der den Mondmuscheln bei ihren Wanderungen nachfolgt, und den die beiden Herren Kip, wenn ich nicht irre, auch auf der Insel Norfolk angetroffen haben...

– Ah, Sie haben den Springer-Blenny im Sinne, fiel Zieger ein.

– Ganz recht, diesen meint er..., bestätigte Hawkins.[168]

– Nun, erklärte Zieger, der fehlt hier ebenfalls nicht, und Sie werden in der Bai von Port-Praslin auch noch Amphibien beobachten können, die im Salz- und im Süßwasser leben, auf dem Ufergelände wie eine Beutelratte umherspringen und wie Insekten auf Bäume klettern.«


Jim nahm den Dolch auf und untersuchte seine gezähnte Klinge. (S. 173.)
Jim nahm den Dolch auf und untersuchte seine gezähnte Klinge. (S. 173.)

Jetzt tauchte die Wohnstätte des Herrn Zieger nahe der Ecke eines kleinen Hochwaldes auf, eine Art Villa, aus Holz errichtet, in der Mitte einer geräumigen Einhegung von lebenden Hecken, worin Orangen- und Kokosbäume, Bananen und manche andere Baumarten aufragten. Beschattet von den hohen Wipfeln[169] lag das freundliche Wilhelmstaf, ein Bauwerk, das nur aus einem Erdgeschosse und ziemlich steilen, geteerten Dache bestand. Ein solches Dach ist hier notwendig wegen der häufigen, starken Regengüsse, die das Klima des so nahe am Äquator liegenden Archipels so erträglich machen.

Frau Zieger war eine Dame von ungefähr vierzig Jahren und wie ihr Gatte von deutscher Herkunft. Sobald sich die Tür der Einzäunung öffnete, eilte sie ihren Gästen freudig entgegen.

»Ah, Herr Hawkins! rief sie, dem Reeder die Hand bietend, wie freu' ich mich, Sie hier zu sehen!

– Und ich nicht minder, verehrte Frau, antwortete Hawkins, sie auf beide Wangen küssend. Ihre letzte Reise nach Hobart-Town liegt schon vier Jahre zurück...

– Vier und ein halbes Jahr, Herr Hawkins!

– Mag sein, erwiderte der Reeder lächelnd, doch wenn seitdem auch schon noch sechs Monate mehr verflossen, finde ich Sie noch immer so aussehend wie früher.

– Das könnt' ich von Nat Gibson nicht sagen, bemerkte Frau Zieger. Er hat sich sehr zu seinem Vorteil verändert und aus dem jungen Burschen ist ein junger Mann geworden...

– Der Sie um die Erlaubnis bittet, es Herrn Hawkins gleich zu tun, antwortete Nat Gibson und gab ihr einen Kuß auf die Wange.

– Und Ihr Vater?... fragte Frau Zieger.

– Der ist vorläufig an Bord zurückgeblieben, sagte Hawkins, er wird aber nicht verfehlen, zum Frühstück hier einzutreffen.«

Das Ziegersche Ehepaar hatte keine Kinder. Beide bewohnten ihre Villa Wilhelmstaf nur allein mit ihren Dienern und einer Haushälterin, ebenfalls einer Deutschen; in einem Nebenhause war eine Kolonistenfamilie untergebracht. Das zur Besitzung gehörige Land wurde mit Hilfe eingeborner Frauen sorgfältig angebaut. Die Felder mit Zuckerrohr, Bataten, Taros und Yamswurzeln hatten eine Ausdehnung von einer (englischen) Quadratmeile.

Vor dem Wohnhause breitete sich eine Fläche seinen Rasens mit Kasuarinen- und Lalaniengruppen aus, durchschnitten von einem schmalen Wasserarme, der aus einem Rio in der Nachbarschaft abgeleitet war. Hinter den ebenfalls reichlich beschatteten Wirtschaftsgebäuden befand sich noch ein Geflügelhof und eine große Volière, diese belebt von den schönsten Vogelarten der Inselgruppe, jener[170] bevölkert von vielen Tauben und der Haushuhnart, die die Eingebornen onomatopoetisch wegen ihrer gurrenden Kehllaute »Cog« genannt haben.

Selbstverständlich fanden Hawkins und seine Begleiter im Salon der Villa mancherlei Erfrischungen bereit.

Karl und Pieter Kip waren der Frau Zieger vorgestellt worden, die mit teilnahmsvollem Interesse hörte, unter welchen Umständen die beiden Brüder an Bord des »James-Cook« gekommen waren. Die vortreffliche Dame stellte beiden sofort alles zur Verfügung, was dem einen oder dem anderen nützlich sein könnte, und erntete auch den wärmsten Dank für die zuvorkommende Aufnahme.

Hawkins und Nat Gibson suchten die für sie bestimmten Zimmer auf, die nur mit einfachen Möbeln deutschen Fabrikats, doch ebenso bequem ausgestattet waren, wie der Salon und das Eßzimmer. Frau Zieger entschuldigte sich noch, die beiden Holländer nicht ebenfalls in ihrem Hause aufnehmen zu können, es war jedoch, wie der Leser weiß, schon abgemacht worden, daß diese, ihrem eigenen Wunsche entsprechend, ihre Kabine auf der Brigg nicht verlassen sollten.

Kurz vor Mittag kam auch Gibson, begleitet von dem Matrosen Burnes. Dieser brachte verschiedene Gegenstände, Geschenke des Reeders für Frau Zieger, z. B. Kleiderstoff, Leinen und auch ein sehr hübsches Armband, das der Empfängerin viel Vergnügen machte. Natürlich wurde auch der Kapitän mit offenen Armen aufgenommen.

Man setzte sich zu Tische, und die Gäste, die sich alle eines guten Appetits erfreuten, taten dem Frühstück alle Ehre an. Die Hauptgerichte hatte der Geflügelhof und die Bai von Port-Praslin geliefert. Von Gemüsen und Zuspeisen gab es: Palmenkohl, Ignamen, süße Bataten und Laka, das köstliche Erzeugnis aus den Inokarpen; von Früchten: Bananen, Orangen, Kokosnüsse, die eben erst aus der Schale kamen. Gegorene Getränke brauchten nur aus dem guten Keller geholt zu werden, der mit deutschen und französischen Weinen gefüllt war, von denen alle Neumecklenburg anlaufenden Schiffe immer einen Teil als Frachtgut mitbrachten.

Der Frau Zieger wurde manch aufrichtiges Lob gespendet für ihren ausgezeichneten Tisch, der sich mit den besten in Hobart-Town messen konnte, und die liebenswürdige Wirtin schien dafür recht erkenntlich zu sein.

»Ein einziges Gericht freilich bin ich nicht imstande Ihnen vorzusetzen, meine Herren, sagte Frau Zieger, weil es hierzulande überhaupt nicht zubereitet wird.[171]

– Und das wäre?... erkundigte sich Hawkins.

– Eine Pastete aus Sago, Kokosnuß und... Menschengehirn...

– Und das wäre ein gutes Essen?

– Die Königin der Pasteten!

– Haben Sie sie denn gekostet? fragte Hawkins lachend.

– Nein... niemals, und ich werde auch nie Gelegenheit haben, sie zu bereiten.

– Nun ja, da haben wir's! rief der Kapitän. Das kommt davon, daß man dem Kannibalismus ein Ende macht!

– Wie Sie sagen, lieber Gibson!« antwortete Zieger.

Der Kapitän mußte sofort nach Beendigung des Frühstücks an Bord zurückkehren. Er liebte es nicht, längere Zeit abwesend zu bleiben, obgleich er zu seinem Bootsmanne volles Vertrauen hatte. Er fürchtete aber immer, durch neue Desertionen nochmals in Verlegenheit zu kommen, denn auf die in Dunedin angeworbenen Matrosen glaubte er sich nicht verlassen zu können.

Wirklich kam diese Frage auch am nämlichen Tage durch Len Cannon und seine Kameraden Flig Balt und Vin Mod gegenüber wieder zum Gespräch. Die ersteren äußerten, wie schon früher, die Absicht, das Schiff nun zu verlassen. Vergebens bot Vin Mod unter Anspielung auf das gewohnte »sich hängen lassen« all seine Beredsamkeit auf... es gelang ihm nicht, sie umzustimmen. Die Starrköpfe bestanden darauf, von der Brigg zu verschwinden.

»Nun, sagte er endlich nach Erschöpfung aller sonstigen Gegengründe, gefällt euch das Schiff etwa nicht?

– O, doch, versicherte Len Cannon, von dem Augenblick an, wo es einen Kapitän hätte...

– Und wenn der jetzige Kapitän nun verschwände?...

– Ach, das ist schon zum zwanzigsten Male, daß du uns dies alte Lied vorsingst! erwiderte der Matrose Kyle. Jetzt sitzen wir schon hier in Port-Praslin, und in drei Wochen geht's zurück nach Hobart-Town...

– Wohin wir eben nicht mitgehen wollen, fiel Bryce ein.

– Kurz und gut, erklärte Sexton, heute Abend machen wir uns davon.

– Wartet nur noch ein paar Tage, mischte Flig Balt sich jetzt ein, höchstens bis zur Abfahrt der Brigg. Wer weiß, was sich bis dahin ereignen kann.

– Und bedenkt auch, fügte Vin Mod hinzu, desertieren... nun ja, das ist ja ganz gut, doch was soll hier aus euch werden?«...[172]

In diesem Augenblicke trat der Schiffsjunge Jim, dem solche Unterredungen des Bootsmannes mit den neuen Leuten immer etwas verdächtig vorkamen, näher an die Gruppe heran. Flig Balt konnte das nicht entgehen.

»Was hast du hier zu schaffen, Junge? rief er Jim zu.

– Ich... ich wollte ein wenig frühstücken...

– Das wirst du später tun.

– Und ich glaube bestimmt, daß die Kabine der beiden Kips noch nicht in Ordnung gebracht ist, setzte Vin Mod hinzu. Du wirst auch noch einmal am Galgen enden, unnützer Bengel.

– Hinunter in die Kajüte! befahl der Bootsmann. Besorge deine Arbeit!«

Vin Mod sah dem abgehenden Schiffsjungen nach und machte Flig Balt ein Zeichen, das dieser jedenfalls verstand. Darauf ging das Gespräch weiter.

Jim hatte sich ohne Widerrede nach dem Hinterdeck begeben und betrat, da ihm die Reinhaltung und Ordnung der Kabinen oblag, die der Gebrüder Kip.

Der erste Gegenstand, der ihm hier ins Auge fiel, war ein malaiischer Dolch, den er auf einer der Lagerstätten fand und bisher noch niemals gesehen hatte.

Es war das die Waffe, die Vin Mod vom Wrack der »Wilhelmina« gestohlen hatte und von der die Brüder nicht ahnten, daß sie sich in dessen Besitz befand.

War der Kriß nun mit Absicht hierher gelegt worden, daß der Schiffsjunge ihn gar nicht übersehen konnte?

Jim nahm den Dolch auf, untersuchte seine gezähnte Klinge und den mit Kupfernägeln verzierten Griff, dann legte er ihn auf das Tischchen der Kabine. Er dachte bei der ganzen Sache nur, daß einer der Brüder diesen Kriß neben anderen Gegenständen vom Wrack mitgenommen haben werde, und ohne auf seinen Fund besonderes Gewicht zu legen, verrichtete er ruhig seine Arbeit.

Flig Balt, Vin Mod und die anderen setzten inzwischen ihr Gespräch fort, doch so, daß weder Wickley noch Hobbes – die der Bootsmann in die Takelage hinaufgeschickt hatte – etwas davon hören konnten. Burnes hatte, wie wir wissen, Gibson nach der Villa Wilhelmstaf begleitet.

Len Cannon beharrte bei seinem Entschlusse, Vin Mod sachte ihn davon abzubringen. Wenigstens während des Aufenthaltes der Brigg würde es ihm und seinen Kameraden ja an nichts fehlen... dann wäre es doch immer noch Zeit, davonzulaufen. Vielleicht bot sich auch eine Gelegenheit bei der Überfahrt[173] des »James-Cook« nach Kerawara, wo die weitere Fracht eingenommen werden sollte... Es war ja möglich, daß weder Hawkins noch Nat Gibson die kurze Reise mitmachten... bezüglich der Gebrüder Kip wäre das auch unsicher... nun... und dann...

Kurz, Len Cannon, Kyle, Sexton und Bryce stimmten endlich zu, bis zu dem Tage, wo die Brigg nach Hobart-Town absegeln sollte, noch auszuharren.

Flig Balt und Vin Mod standen nach diesem Erfolge ihres Zuredens allein beieinander.

»Das hat Mühe genug gekostet, sagte der eine.

– Ja... aber weiter sind wir damit immer noch nicht, meinte der andere.

– Nur Geduld, schloß Vin Mod das Zwiegespräch mit dem Tone eines Mannes, dessen Entschluß unverrückbar feststeht, nur Geduld, und wenn der Kapitän Balt sich später einen Bootsmann erwählt, hoffe ich bestimmt, daß er dabei seinen Freund Vin Mod nicht vergessen wird!«

Quelle:
Jules Verne: Die Gebrüder Kip. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LXXXI–LXXXII, Wien, Pest, Leipzig 1903, S. 159-161,163-174.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Gebrüder Kip
Die Gebrüder Kip
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