Erstes Kapitel.
Hobart-Town.

[218] Tasmanien, 1642 von dem Holländer Abel Tasman entdeckt, trank 1772 das Blut des Franzosen Marion, wurde 1784 von Cook, 1793 von Entrecasteaux besucht und endlich von einem gewissen Baß, einem Arzte der australischen Kolonie, als Insel erkannt. Anfänglich führte es den Namen Van Diemensland, zu Ehren des Statthalters von Batavia, der Hauptstadt des Kolonialgebietes der Niederlande im äußersten Osten.

Als dann englische Einwanderer 1804 seinen Hauptort Hobart-Town gründeten, ging es in den Besitz Großbritanniens über.

Nachdem die Insel politisch zuerst Neusüdwales, einer der Provinzen des südlichen Australiens, angegliedert gewesen war – von dem es übrigens nur durch die hundertfünfzig (englische) Meilen breite Baßstraße getrennt ist – löste sich Van Diemensland später von diesem ab und hat seit dieser Zeit, wie die meisten überseeischen Besitzungen Englands, unter der Oberhoheit der Krone seine Unabhängigkeit zu wahren gewußt.

Es bildet eine fast dreieckige Insel, die vom 43. Grade südlicher Breite und vom 147. Grade östlicher Länge von Greenwich durchschnitten wird. Die Insel ist ziemlich groß, denn sie mißt ungefähr hundertfünfundsiebzig Meilen (280 km) bei fünfzig Meilen (80 km), sie ist auch recht fruchtbar, denn man erntet hier alle Erzeugnisse der gemäßigten Zone in reicher Menge. In neun Kreise geteilt, hat sie zwei Hauptorte, Hobart-Town und Lawncestou (früher Port Dalrymple), den einen an der nördlichen, den anderen an der südlichen Küste und beide verbunden durch eine vortreffliche Landstraße, die einst von australischen Strafgefangenen erbaut worden war.

Tatsächlich waren Deportierte die ersten Bewohner Tasmaniens, wo bald sehr umfängliche Strafanstalten entstanden, darunter die von Port-Arthur. Jetzt ist es, dank dem kolonisatorischen Geschick Großbritanniens, eine Heimstätte freier Menschen, wo die Zivilisation tiefe Wurzeln da geschlagen hat, während früher hier die schlimmste Wildheit herrschte.[219]

Übrigens ist die eingeborne Bevölkerung vollständig verschwunden. Im Jahre 1884 konnte man als ethnologische Merkwürdigkeit den letzten Tasmanier, richtiger die letzte Tasmanierin, eine alte Frau vom Lande, zeigen. Von jenen geistig beschränkten und wilden, auf der untersten Stufe der Menschheit stehenden Negern ist kein einziger Vertreter mehr vorhanden, und dasselbe Schicksal wartet ohne Zweifel ihrer Stammesgenossen in Australien unter der mächtigen Hand Großbritanniens.

Hobart-Town liegt neun Meilen (14∙6 km) von der Mündung des Flusses Derwent und im Hintergrunde der kleinen Bai Sullivan-Cove. Es ist regelmäßig, vielleicht gar zu regelmäßig angelegt, nach dem Vorbilde amerikanischer Städte, deren Straßen sich alle rechtwinkelig schneiden; seine Umgebungen sind aber höchst malerisch mit ihren tiefen Tälern und ihren dichten, von hohen Bergen überragten Wäldern. Daneben bezeugen die auffallende Zerrissenheit des Ufers um die Storm-Bai, die vielen Landspitzen der Insel Coqueville und die merkwürdigen Einschnitte in die Halbinsel Tasman die Gewalt der tellurischen Kräfte in der plutonischen Bildungszeit.

Der Hafen von Hobart-Town ist gegen die Seewinde sehr gut geschützt; überall hat er hinreichende Tiefe und bietet auf einer Reede sichere Ankerplätze. Er wird durch eine lange Mole verteidigt, die die Wogen ebenso unschädlich macht, wie ein Wellenbrecher, und der »James-Cook« fand hier seinen gewohnten Platz gegenüber dem Kontor des Hawkinsschen Hauses.

Hobart-Town zählt nur fünf- bis sechsundzwanzigtausend Einwohner. In der kleinen Welt von Reedern, Händlern und Schiffsagenten, die in der ausschließlich handeltreibenden Stadt die erste Rolle spielen, sind alle miteinander bekannt. Hat sich die Neigung zu wissenschaftlichen, künstlerischen und literarischen Studien in der lebhaften Stadt auch recht anerkennenswert entwickelt, so kommt dem Handel doch die größte Bedeutung zu.

Der Boden Tasmaniens ist von erstaunlicher Fruchtbarkeit, die Wälder hier mit den allerverschiedensten Baumarten sind sozusagen unerschöpflich. Seiner geographischen Lage nach der Spaniens auf der nördlichen Halbkugel entsprechend, liefert das Land Getreide, Kaffee, Tee, Zucker, Tabak, Faserstoffe, Wolle, Baumwolle, Wein und Bier. In allen Teilen der Insel steht die Viehzucht in Blüte, und an Obst jeder Art gibt es einen solchen Überfluß, daß man sagen könnte: Tasmanien würde hinreichen, die ganze übrige Welt mit Fruchtkonserven zu versorgen.[220]

Hawkins nahm, wie der Leser weiß, unter den Großhändlern von Hobart-Town eine sehr geachtete Stellung ein. Sein Haus, dem auch Gibson als Teilhaber und als Kapitän für die Große Küstenfahrt angehört hatte, erfreute sich der Achtung und Teilnahme der weitesten Kreise. Das Unglück, das die Firma betroffen hatte, mußte also einen schmerzlichen Widerhall finden. Noch bevor der »James-Cook« seine Haltetaue ans Land gebracht hatte, wußte auch schon die ganze Stadt, daß sich an Bord ein Unglück zugetragen haben müsse.

Gleich beim ersten Auftauchen der Brigg im Eingange zum Sullivan-Cove hatte ein Kontorgehilfe Frau Hawkins davon benachrichtigt. In Begleitung ihrer Freundin, der Frau Gibson, war die Dame sofort nach dem Hafen geeilt. Beide wollten zur Stelle sein, wenn der »James-Cook« am Kai festmachte.

Einzelne, hier bereits anwesende Leute beklagten schon das Erscheinen der beiden Damen. Hier war keine Täuschung möglich: statt am Ende der Gaffel, wehte die britische Flagge in Schau, d. h. in der Mitte der Trisse.

Mehrere Seeleute, die auf dem Molo standen, sprachen eben über den ungewohnten Anblick.

»Da hat sich ein Unfall ereignet!

– Wahrscheinlich ist während der Fahrt ein Matrose umgekommen...

– Ohne Zweifel ist ein Mann im Meere begraben worden.

– Wenn nicht gar der Kapitän selbst!

– Hatte der ›James-Cook‹ auch Passagiere an Bord?

– Jawohl... nach dem, was man gehört hat, wird er in Wellington Herrn Hawkins und den jungen Gibson aufgenommen haben.

– Sollte man wegen eines Mannes von der Besatzung die Flagge in Schau führen?

– Gewiß. Warum denn nicht?«...

Frau Hawkins und Frau Gibson waren mit den seemännischen Gewohnheiten nicht so bekannt, daß ihnen gleich aufgefallen wäre, was die Leute am Hafen verwunderte. Jedermann hütete sich auch, sie darauf aufmerksam zu machen, schon aus Besorgnis, sie vielleicht unnötigerweise zu beunruhigen.

Als die Brigg aber am Kai lag und Frau Gibson in dem Kapitän, der die letzten Manöver leitete, nicht ihren Gatten erkannte, als sie ihren Sohn nicht herbeieilen sah, sie in die Arme zu schließen, und als sie diesen vielmehr mit erschlafften Gesichtszügen auf dem Hinterdeck sitzen sah, während er kaum wagte, einen Blick auf seine Mutter zu richten, und als sie noch neben dem jungen[221] Manne auch Hawkins schmerzgebeugt stehen sah, da entrang sich ihr unwillkürlich der Ausruf:

»Harry!... Wo ist Harry?«

Eine Minute später war Nat Gibson an ihrer Seite, preßte sie an sein Herz und erstickte sie tief seufzend mit seinen Küssen. Da vernahm sie denn das entsetzliche Unglück, das sie getroffen hatte. Mit kaum verständlicher Stimme flüsterte die Ärmste noch einige Worte und wäre dann zusammengebrochen, wenn Hawkins sie nicht gehalten hätte.

»Tot! sagte der Reeder.

– Tote wiederholte Frau Hawkins erschüttert.

– Tot... ermordet!«

Man ließ einen Wagen kommen, in den die bewußtlose Frau Gibson neben Frau Hawkins gelegt wurde. Hawkins und Nat Gibson nahmen den Frauen gegenüber Platz. Der Wagen fuhr um den Hafen herum und dann nach dem Hause, wohin der Sohn zurückkehrte, das aber der Vater nie wieder betreten sollte. Die unglückliche Witwe wurde nach ihrem Zimmer gebracht, ohne daß sie bis dahin das Bewußtsein wieder erlangte. Eine volle Stunde verging noch, ehe sie auf das Schluchzen ihres Sohnes mit ihren Tränen antworten konnte.

Die traurige Neuigkeit verbreitete sich mit Blitzesschnelle in der ganzen Stadt. Überall erregte sie die größte Bestürzung, so innig war die Teilnahme an dem Geschick der angesehenen Familie Gibson. Es gibt auch kaum etwas Ergreifenderes, als die Rückkehr eines Schiffes in den Heimathafen, das seinen Kapitän nicht wieder mitbringt.

Vor dem Weggange von der Brigg hatte der Reeder den älteren Kip noch ersucht, seine Obliegenheiten während des Ausladens und bis zur Abrüstung des »James-Cook« beizubehalten. Das konnte nur wenige Tage beanspruchen, und die beiden Brüder sollten so lange an Bord wohnen bleiben. Sie waren deswegen ja nicht behindert, ein nach Europa bestimmtes Schiff zu suchen, und Hawkins wollte sie überdies über die bevorstehenden Abfahrten auf dem Laufenden halten.

Karl und Pieter Kip nahmen gern den Vorschlag des Reeders an, der sie auch am nächsten Tage in die Geschäftsverbindungen seines Hauses aufzunehmen gedachte.

Karl Kips erste Sorge war es nun, den Hafenkapitän holen zu lassen, um wegen Flig Balts und dessen Genossen die nötigen Maßregeln zu ergreifen.[222]

In kurzer Zeit erschien der Offizier, und nachdem er gehört hatte, daß unter den uns bekannten Umständen eine Meuterei an Bord ausgebrochen war, fragte er zunächst:

»Der Bootsmann liegt in Eisen?

– Nebst zwei Matrosen, die in Dunedin angemustert worden waren, antwortete Karl Kip.

– Und die übrigen Leute?...

– Bis auf drei oder vier, die ich sofort ablohnen werde, kann ich mich auf sie verlassen.

– Gut, mein Herr, sagte der Offizier, ich werde Ihnen einige Konstabler schicken, und die Meuterer sollen in das Hafengefängnis gebracht werden.«

Eine Viertelstunde später trafen die Polizisten ein, die sich auf dem Verdeck neben der Luke aufstellten.

Flig Balt, Len Cannon und Kyle wurden nun aus dem Raume herausgeholt und aufs Deck geführt.

Mit aufeinander gepreßten Zähnen und ohne ein Wort zu äußern, begnügte sich der Bootsmann, Karl Kip einen haßerfüllten und rachedrohenden Blick zuzuschleudern. Der hitzigere Len Cannon drohte ihm mit der Faust und überschüttete ihn mit einer solchen Flut von Beleidigungen, daß einer der Konstabler ihn knebeln mußte.

Inzwischen erhob sich der hinter dem Gangspill kauernde Vin Mod ohne bemerkt zu werden, bis zum Ohre Flig Balts und flüsterte diesem so, daß es niemand hören konnte, einige Worte zu.

»Noch ist nicht alles zu Ende!... Haltet euch nach unserer Verabredung... man wird die Papiere und das Geld finden...«

Offenbar hatte sich Vin Mod, trotz der seit der Einsperrung des Bootsmannes getroffenen Vorsichtsmaßregeln, mit diesem in Verbindung setzen können. Dabei war ein Plan verabredet worden, nach dem Flig Balt sich richten sollte. Er antwortete auch auf die Einflüsterungen seines Kumpans mit einem zusagenden Zeichen.

Als die Konstabler sich anschickten, die drei Gefangenen abzuführen, entstand in der aus Sexton, Bryce und dem Koche Koa bestehenden Gruppe ein unwilliges Gemurmel. Die Burschen wurden zwar sofort zum Schweigen gebracht, doch fehlte nicht viel daran, daß Karl Kip die beiden Neuangeworbenen ihren Spießgesellen nachgeschickt hätte.[223]

Flig Balt, Len Cannon und Kyle wurden nun nach dem Kai befördert und verfolgt von einer sie bedrohenden Menge in das Hafengefängnis abgeführt, wo sie bis zu ihrem Erscheinen vor dem Seegerichte in Hast bleiben sollten.

Gleich nach diesem unerquicklichen Vorgange ließ Karl Kip die übrigen Verdächtigen, Vin Mod, Sexton, Bryce und den Koch zu sich rufen. Ohne weitere Erklärungen gab er ihnen den Abschied mit dem ausdrücklichen Verbote, das Schiff, aus welchem Grunde es auch sei, je wieder zu betreten. Sie sollten sich nur nach dem Kontore des Reeders begeben, wo dieser mit ihnen abrechnen werde.

Vin Mod fügte sich dieser Anordnung, die ihm ohne Zweifel gelegen kam. Er begab sich nach dem Volkslogis und erschien mit seinem Seemannssacke wieder auf dem Deck. Bezüglich Sextons und Bryces erinnert sich der Leser, unter welchen Umständen diese in Dunedin angetreten waren, um nach den Vorfällen in den »Three-Magpies« der Polizei zu entfliehen... sie trugen, was sie besaßen, auf dem Leibe.

»Kommt mit!« rief Vin Mod ihnen zu.

Sie folgten dem Matrosen, der sie erst nach dem Kontore des Reeders und dann zu einem ihm bekannten Schlafbaas führte, wo alle drei Quartier nahmen.

Mit Hobbes, Wickley, Burnes und Jim hatte Karl Kip nun nichts mehr zu fürchten. Diese wackeren Leute genügten für die Arbeiten an Bord. Nach Löschung seiner Fracht sollte der »James-Cook« zeitweilig abgetakelt werden.

Welche Nacht Nat Gibson neben seiner Mutter verbrachte, das kann man sich wohl ausmalen. Frau Hawkins hatte die unglückliche Freundin nicht verlassen wollen und widmete dieser die zärtlichste Pflege, während sie ihr tröstend zusprach. Man hatte ihr den ganzen tiefschmerzlichen Vorfall erzählen, hatte ihr mitteilen müssen, unter welchen Umständen der unglückliche Kapitän getötet worden war, ohne daß man eine Spur des Mörders hatte verfolgen können. Sie wollte genau wissen, an welcher Stelle des kleinen Friedhofs von Kerawara ihr geliebter Gatte ruhte, auch verlangte sie die Photographien zu sehen, die Hawkins aufgenommen hatte, und man mußte, wenn auch ungern, ihrem Verlangen willfahren. Und als sie das treue Bild des Kapitäns, seine von der Klinge des Dolches in der Herzgegend durchbohrte Brust und seine weit offenen Augen erblickte, die auf sie gerichtet schienen, da verfiel sie in einen so heftigen Weinkrampf, daß man sie diese gar nicht endenwollende Nacht sorgsamst überwachen mußte.[224]

Am nächsten Morgen wurde ein Arzt gerufen, und seine Anordnungen brachten der Frau Gibson wenigstens einige Beruhigung, doch welch trauriges Leben erwartete sie nun in dem seines Oberhauptes beraubten Hause.

Langsam verstrichen einige Tage. Unter der Leitung Karl Kips war die Löschung der Fracht der Brigg beendigt worden.


»Haltet euch nach unserer Verabredung...« (S. 223.)
»Haltet euch nach unserer Verabredung...« (S. 223.)

Die dreihundert Tonnen Koprah und die Kisten mit Perlmutter lagen in den Schuppen des Kontors. Die Matrosen waren nur noch beschäftigt, das Fahrzeug abzurüsten, die Raaen von den Masten niederzuholen, die Trissen und das übrige laufende Gut zu verstauen, und eine gründliche Reinigung des Frachtraumes, des Volkslogis und des Deckhauses, sowie des Decks selbst zu besorgen. Der »James-Cook« sollte vor Ablauf mehrerer Monate nicht wieder in See gehen; als die Mannschaft dann ihren Sold erhalten hatte, bugsierte man das Schiff nach dem Hintergrunde des Hafens, wo es unter Aufsicht eines Wächters liegen blieb.

Die Gebrüder Kip mußten nun eine Wohnung in der Stadt beziehen. Natürlich blieben sie mit dem Reeder in täglicher Verbindung, und wiederholt nahmen sie an der Tafel der Frau Hawkins Platz, die die Zuneigung ihres Gatten für die beiden Holländer teilte und nicht müde wurde, ihnen ihre warme Teilnahme zu bezeugen.

Frau Gibson empfing keinen Menschen. Davon machte sie nur ein- oder zweimal eine Ausnahme bezüglich der beiden Brüder, die ihr gegenüber die zarteste Zurückhaltung wahrten. Nat Gibson begab sich mehrmals an Bord und konnte sich hier den Danksagungen des Reeders nur rückhaltlos anschließen.

Am 7. Januar, noch ehe Karl und Pieter Kip das Schiff verlassen hatten, knüpfte er mit ihnen ein Gespräch über ihre derzeitige Lage an, um ihnen einige Vorschläge zu machen.

»Lieber Herr Kip, begann er, sich an den älteren Bruder wendend, mit höchster Anerkennung gedenke ich Ihrer Ergebenheit und Ihres Eifers bei den unglücklichen Verhältnissen, in denen sich unser Schiff befunden hat. Wir verdanken Ihnen dessen Rettung und die seiner Insassen. Ohne Sie wär' es wahrscheinlich bei dem Sturme im Korallenmeer elend zu Grunde gegangen.

– Es gereicht mir zur großen Genugtuung, Herr Hawkins, wenn ich mich einigermaßen habe nützlich machen können...

– Und ich bin Ihnen dafür dankbar verbunden, versicherte der Reeder. Hätte der »James-Cook« schon in der nächsten Zeit wieder abfahren sollen, so würde ich Sie ersucht haben, dessen Führung auch weiter zu behalten.[227]

– Sie sind zu gütig, Herr Hawkins, und ich fühle mich durch Ihre Worte sehr geehrt. Einen solchen Vorschlag würde ich auch ohne Zögern angenommen haben, wenn uns, meinen Bruder und mich, nicht wichtige und höchst dringliche Angelegenheiten nötigten, so schnell wie möglich heimzukehren.

– Ja, so ist es, Herr Hawkins, setzte Pieter Kip hinzu, wir müssen schleunigst ein Schiff zu finden suchen, das nach Europa abgeht.

– Das begreif' ich, meine Herren, antwortete Hawkins, die Trennung von Ihnen, vielleicht auf Nimmerwiedersehen, wird uns aber schwer genug werden.

– O... wer weiß? meinte Karl Kip. Warum sollten sich, nach Ordnung unserer Angelegenheiten in Groningen, die unsere Anwesenheit dort unumgänglich notwendig macht, warum sollten sich nicht später angenehme Handelsverbindungen zwischen unseren beiden Häusern entwickeln?

– Ich wünsche es dringend, erklärte der Reeder, und werde mich glücklich schätzen, wenn es sich erst verwirklicht...

– Und wir nicht minder, fiel Karl Kip ein. Was mich betrifft, werde ich einen Reedereianteil zu erwerben suchen, sobald unsere Liquidation beendet ist, und dann wär' es ja möglich, daß ich auch noch einmal nach Hobart-Town käme.

– Wo man Sie stets als Freund empfangen wird, versicherte Hawkins in herzlichstem Tone. Es versteht sich von selbst, meine Herren, daß meine Kasse zu Ihrer Verfügung steht. Sie haben Ihr gesamtes Besitztum beim Schiffbruche der ›Wilhelmina‹ eingebüßt, und alles, was Sie in Hobart-Town irgend nötig haben... o, keinen Widerspruch... wir rechnen später miteinander ab, nicht wahr?

– Wir danken Ihnen für so viel Wohlwollen, Herr Hawkins, antwortete Karl Kip, ich hoffe aber wir werden davon keinen Gebrauch zu machen haben. Vielleicht finde ich Gelegenheit, auf dem Schiffe, das uns nach Europa bringen soll, als Obersteuermann anzutreten, und dann würde mein Sold ausreichen, die Fahrt meines Bruders zu bezahlen.

– Ganz gut und schön, Herr Kip; wenn sich eine solche Gelegenheit aber nicht bietet, so erinnern Sie sich daran, daß ich zu Ihrer Verfügung stehe.«

Die beiden Brüder antworteten nur durch einen warmen Händedruck.

»Auf jeden Fall, nahm der Reeder wieder das Wort, schulde ich Ihnen, Herr Karl Kip, noch Ihr Kapitänshonorar für den letzten Teil der Fahrt des »James-Cook« und eine Ablehnung Ihrerseits lass' ich auf keinen Fall gelten.[228]

– Nun gut, Herr Hawkins, erwiderte Karl Kip, wir können dagegen aber auch den Empfang nicht vergessen, der uns von Ihnen zu teil geworden ist. Sie haben sich zwei Schiffbrüchigen gegenüber als warmherziger Mann erwiesen, und wir bleiben, was auch kommen möge, Ihre Schuldner!«

Hawkins versprach noch, sich um eine Fahrgelegenheit für die beiden Brüder zu bemühen. Er werde sie über das Auslaufen geeigneter Schiffe unterrichten und sich für die Anstellung Karl Kips als Obersteuermann verwenden, was es ihnen ja ermöglichen mußte, nach Europa heimzukehren, ohne – da sie es so wünschten – deshalb jemand anders in Anspruch zu nehmen.

Hierauf trennten sich der Reeder und die Gebrüder Kip, nachdem sie einander noch ihre Ergebenheit und Dankbarkeit in warmen Worten versichert hatten.

Karl und Pieter Kip suchten nun nach einem bescheidenen Hotel, wo sie bis zur Abreise von Hobart-Town wohnen könnten. Das gab ihnen Gelegenheit, diese Stadt eingehender zu besichtigen, nach der der ältere der Brüder bei seinen weiten Seefahrten noch niemals gekommen war.

Unzweifelhaft verdient die Hauptstadt Tasmaniens die Bewunderung der Touristen. Sie ist eine der hübschesten Städte des britischen Australiens. Ihre Straßen sind breit, lustig, gut unterhalten und mit kühlen Schatten spendenden Bäumen geschmückt, und ihre, wenn auch nur kleinen Häuser bieten einen angenehmen Anblick. An grünen, öffentlichen Plätzen fehlt es hier nicht, und dazu kommt noch ein herrlicher, vierhundert Hektar großer Park, östlich vom Mount Wellington, dessen schneeige Gipfel sich dicht daneben in den Wolken verlieren.

Bei ihren Spaziergängen begegneten Karl und Pieter Kip auch wiederholt einigen Matrosen vom »James-Cook«, unter anderen Vin Mod und Bryce. Suchten die auch wieder auf einem Schiffe Stellung oder wollten sie eine Zeitlang auf dem Lande bleiben? Jedenfalls schien es, als ob gerade die beiden genannten sich nicht von einander trennen könnten, denn stets sah man sie zusammen durch die Straßen schlendern. Karl und Pieter Kip hatten aber nicht bemerkt, daß die beiden ihnen unausgesetzt bei ihrer Aufsuchung eines Unterkommens nachfolgten.

Offenbar interessierte diese Frage die beiden Matrosen nicht wenig, und die Gebrüder Kip hätten daran gar nicht zweifeln können, wenn sie die Worte gehört hätten, die zwischen jenen wiederholt gewechselt wurden.[229]

»Sie kommen aber auch niemals damit zu Ende... scheinen sehr anspruchsvoll in der Wahl eines Hotels zu sein, meinte Vin Mod.

– Und haben doch nichts oder nur blutwenig in der Tasche, bemerkte Bryce.

– Wenigstens wenn nicht der Kerl von Reeder – den der Kuckuck holen möge – sie ihnen frisch gefüllt...

– Oder ihnen nicht gar angeboten hat, in seinem Hause zu wohnen, fiel Bryce ein.

– Nein, davon ist keine Rede! rief Vin Mod. Ich wäre lieber erbötig, für sie, wo es immer sei, ein hübsches Zimmer mit zehn Schilling täglich zu bezahlen!«

Aus diesem Zwiegespäch Vin Mods und Bryces geht zweierlei hervor: erstens, daß ihnen viel daran lag, zu wissen, wo die Gebrüder Kip nach der Abtakelung der Brigg wohnen würden, und zweitens, daß es ihre Pläne arg durchkreuzen würde, wenn Hawkins ihnen Unterkunft in seinem eigenen Hause anböte.

Ihre Pläne?... Welche?... Offenbar hatten sie gegen Karl und Pieter Kip einen Schurkenstreich im Sinne, zu dessen Ausführung es nötig war, bei den Brüdern einzudringen.

War das im Notfalle möglich, wenn diese in einem Hotel wohnten, so erschien es kaum möglich, wenn Hawkins sie in seinem Hause aufnahm und sie bis zur Abreise daselbst blieben.

Das war also der Grund ihrer unausgesetzten Beobachtung der beiden Brüder, wobei sie sich kaum darum bekümmerten, gesehen zu werden oder nicht. Am 8. Januar sollten sie endlich ihre Wißbegier befriedigt sehen.

Am Morgen dieses Tages begleitete der Matrose Burnes, beladen mit dem vom Wrack der »Wilhelmina« geretteten Reisesack, der alle Habseligkeiten Karl und Pieter Kips enthielt, die beiden Holländer nach einer Straße in der Nähe des Hafens.

Hier hatten diese, nicht in einem Hotel, sondern in einem sehr bescheidenen, doch sauber aussehenden Gasthofe ein einziges Zimmer im ersten Stockwerke als Wohnung gewählt.

Vin Mod konnte sich gleich danach darüber Gewißheit verschaffen, und als er mit Bryce, der ihn auf dem Kai erwartete, wieder zusammentraf, sagte er:

»Fleet street, Gasthof zum Great Old Man... nun haben wir sie!«[230]

Quelle:
Jules Verne: Die Gebrüder Kip. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LXXXI–LXXXII, Wien, Pest, Leipzig 1903, S. 218-225,227-231.
Lizenz:
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