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[322] So gestaltete sich also der erste Tag der Rückreise. Das Leben an Bord gewann wieder seine gewohnte Regelmäßigkeit, die durch nichts unterbrochen wurde, als etwa durch ein besonderes Vorkommnis auf dem Meere, was bei gutem Wetter und günstigem Winde immerhin etwas seltenes ist.
Wie gewöhnlich wurde das Frühstück in der gemeinsamen Kajüte aufgetragen, wo sich alle, bedient von dem Steward, unter dem »Vorsitze« Pattersons zusammenfanden.
Wie gewöhnlich, ließ sich Harry Markel sein Essen in seine Kabine bringen.
Das erschien Will Mitz wieder etwas auffallend, weil es auf Handelsschiffen üblich ist, daß auch der Kapitän an der Tafel in der Hauptkajüte mit Platz nimmt.
Vergeblich versuchte Will Mitz mit John Carpenter oder einem anderen von der Mannschaft ein Gespräch anzuknüpfen. Er fand hier nichts von dem kameradschaftlichen Geiste, der sonst unter Seeleuten so leicht zum Ausdruck kommt.
Im Hinblick auf die Stellung, die er an Bord der »Elisa Warden« einnehmen sollte, hätte der Bootsmann des »Alert« ihn mindestens als seinesgleichen behandeln können.[322]
Nach beendigter Mahlzeit ging Will Mitz mit den jungen Leuten, die ihm so freundlich entgegengekommen waren, wieder auf das Deck hinauf.
Am Nachmittage fehlte es nicht an Zerstreuung. Da das Schiff bei dem jetzt schwachen Winde nur langsam dahinglitt, wurden vom Verdeck aus Angeln ausgeworfen, und die Passagiere überließen sich dem Vergnügen des Fischens, das auch recht einträglich ausfiel.
Zu den Eifrigsten, Tony Renault, Magnus Anders, Niels Harboe und Axel Wickborn, gesellte sich Will Mitz, der ein erfahrener und sehr geschickter Angler war.
Ihm war vom Seemannsberufe nichts fremd, und er entwickelte eine Geschicklichkeit und Kenntnis, die weder Harry Markel noch dem Bootsmann entgehen konnten.
Das Angeln wurde mehrere Stunden fortgesetzt, und man fing dabei ausgezeichnete, wohlschmeckende Bonite und sogar einen recht großen Stör, dessen bis zweihundert Pfund schwere Weibchen – die übrigens im Atlantischen und im Mittelländischen Meere ziemlich häufig vorkommen – reichlich eine Million Eier in sich tragen.
Die Angeln brachten auch mehrere Schellfische herauf, die den Schiffen in großen Schwärmen zu folgen pflegen, ferner sogenannte Syphias und Schwertfische von der Art der Espadons, und endlich einige Gymnoten (Zitteraale) mit langem, schlangenähnlichem Leibe, die häufiger in den Gewässern bei Amerika vorkommen.
Ehe Will Mitz es hindern konnte, hatte Patterson einen dieser Gymnoten kaum in die bloße Hand genommen, als ihn ein heftiger elektrischer Schlag schon auf das Verdeck hinstreckte, wobei er bis zum Kompaßhäuschen kollerte.
Alle sprangen hinzu, halfen ihm, sich zu erheben, doch es dauerte einige Zeit, bis er sich von dem Schreck erholt hatte.
»Es ist nicht ohne Gefahr, diese Tiere anzurühren, rief Will Mitz ihm zu.
– Das hab' ich – nur zu spät – zu meinem Leidwesen erfahren, antwortete Patterson, während er seine von dem Schlage gelähmten Arme wieder gelenkig zu machen sachte.
– O, erklärte Tony Renault, diese Entladungsschläge sollen sich aber gegen Rheumatismus sehr heilsam erweisen...
– Das paßt ja herrlich! Während ich von jeher an rheumatischen Beschwerden litt, werd' ich nun bis ans Ende meiner Tage davon kuriert sein!«[323]
Ein Vorfall, der das lebhafteste Interesse der Passagiere erweckte, war das Auftauchen von drei oder vier Walfischen.
Die Cetaceen sind nicht gerade häufig in der Nachbarschaft der Antillen, und diese (die Antillen) betrachtet auch kein Fischer als Fangplätze.
»Draußen, weit im Großen Ozeane, machen die Schiffe besonders Jagd auf sie, berichtete Will Mitz, entweder im Norden, in den weiten Buchten des britischen Amerika, wo die Wale Junge werfen, oder im Süden, an den Küsten Neuseelands.
– Sind Sie auch mit auf dem Walfischfang gewesen? fragte Louis Clodion.
– Ja, während einer Saison, an Bord des ›Wrangel‹ von Belfast, in der Nachbarschaft der Kurilen-Inseln und im Ochotskischen Meere. Da gehören aber geeignete Boote, Fangleinen, Harpunen und Harpuniere dazu. Es bringt auch zuweilen ernste Gefahren mit sich, wenn man von einem Wale allzuweit hinausgeschleppt wird, und dieser Fang hat schon viele Opfer gefordert.
– Ist er denn einträglich? fragte Niels Harboe.
– Ja und nein, antwortete Will Mitz. Geschicklichkeit ist wohl ganz gut dabei, etwas Glück aber noch besser, und gar nicht so selten verläuft eine Kampagne, ohne daß es gelungen war, auch nur einen Walfisch zu erbeuten.«
Die, die sich hier zeigten, tummelten sich übrigens in einer Entfernung von gut drei Meilen vom »Alert«, und zum Leidwesen der Passagiere war es ganz unmöglich, sich ihnen mehr zu nähern. Selbst wenn alle Segel gehißt worden wären, hätte der Dreimaster nicht schneller vorwärts kommen können. Die Wale schwammen so schnell in östlicher Richtung hinaus, daß auch die beste Pirogue sie kaum hätte einholen können.
Je mehr die Sonne zum Horizonte hinabsank, desto mehr flaute der Wind ab.
Im Westen standen dicke, blaugraue Wolkenmassen unbeweglich still. Sprang von dieser Seite her Wind auf, so konnte es nur eine nicht anhaltende Gewitterbö werden. Auf der entgegengesetzten Seite türmten sich aber ebenfalls dichte Dunstgebilde auf, die die Nacht sehr dunkel machen mußten.
Überhaupt wurde der Ausbruch eines Meteors mit Blitzen und Donnerschlägen immer wahrscheinlicher. Die Hitze war sehr stark, schwül und drückend, und die Atmosphäre reichlich mit Elektrizität gesättigt.
Als die Schnuren und Leinen noch draußen lagen, hatte Harry Markel eines der Boote müssen aufs Wasser setzen lassen, da einige der gefangenen Fische so schwer waren, daß man sie nicht unmittelbar an Bord hissen konnte.[324]
Da das Meer noch ruhig blieb, wurde das Boot nicht wieder herausgezogen. Harry Markel hatte aber offenbar noch besondere Gründe, es draußen zu lassen.
Der »Alert« trug jetzt alle seine Segel, um noch den geringsten Lufthauch auszunützen. Will Mitz meinte auch, der Kapitän werde, sobald sich nun Wind erhöbe, den Kurs wechseln und nach Nordosten steuern lassen. Schon den ganzen Tag hatte er vergeblich auf diesen Befehl gewartet, und er konnte sich unmöglich erklären, was Harry Markel eigentlich beabsichtigte.
Die Sonne verschwand hinter einer mächtigen Wolkenbank, die dicht genug war, deren letzte Strahlen zu verschlucken. Schnell kam nun die Nacht heran, denn in den benachbarten Breiten des Äquators ist die Dämmerung immer nur sehr kurz.
Daß Harry Markel alle Segel bis zum Tagesanbruch beibehalten würde, konnte Will Mitz nicht denken. Jeden Augenblick drohte ja ein Gewitter auszubrechen, und es ist doch bekannt, wie heftig und schnell sich diese in der hiesigen Gegend entwickeln.
Ein von einem solchen plötzlich überfallenes Schiff hat dann keine Zeit mehr, die Schoten fieren zu lassen und die Segel zu bergen. In wenigen Augenblicken kann es auf die Seite gelegt sein und muß die Masten kappen, um sich wieder aufzurichten.
Ein vorsichtiger Seemann wird sich einer solchen Gefahr niemals aussetzen, und bei nicht unbedingt sicherer Witterung ist es allemal vorzuziehen, nur Mars- und Bramsegel, sowie Brigg- und Klüversegel beizubehalten.
Als Harry Markel gegen sechs Uhr auf das Hinterkastell kam, wo Patterson und seine jungen Begleiter beieinander standen, befahl er, das Sonnenzelt einzurollen, wie das jeden Abend zu geschehen pflegte. Dann kommandierte er, nach einem prüfenden Blick auf den Himmel:
»Die Bram- und Oberbramsegel bergen!«
Diesen Befehl gab John Carpenter weiter, und sofort begann die Mannschaft ihn auszuführen.
Selbstverständlich kletterten ihrer Gewohnheit gemäß Tony Renault und Magnus Anders die Wanten des Großmastes mit hinan, und das mit einer Leichtigkeit und Gewandtheit, die bei dem Mentor immer ebensoviel Bewunderung wie Beängstigung, doch auch das Bedauern hervorrief, es den jungen Leuten nicht gleich tun zu können.[325]
Diesmal folgte ihnen Will Mitz, der ja an dergleichen gewöhnt war. Fast gleichzeitig erreichten die Drei die Raaen und gingen nun sofort daran, das große Bramsegel einzuziehen.
»Halten Sie sich gut fest, junge Herren, rief der Seemann ihnen zu. Das ist unerläßlich nötig, selbst wenn das Schiff nicht im geringsten rollt...
– Also Achtung, antwortete Tony Renault. Es würde doch den armen Patterson gar zu sehr schmerzen, wenn wir ins Meer fielen!«
Die Drei genügten, die Segel an die Raa zu binden, die nun am Großmast festgelegt wurde, nachdem das schon mit der Oberbramraa geschehen war.
Gleichzeitig führten die Matrosen dasselbe Manöver am Fockmast aus. Dann wurde auch das große und das äußere Klüversegel, sowie das Gaffeltoppsegel am Besanmast geborgen.
Das Schiff trug nun bloß noch seine Marssegel, das Brigg- und das kleine Klüversegel, die sich bei dem schwachen Winde kaum aufblähten.
Nur leicht von der nach Osten gerichteten Strömung unterstützt, kam der Dreimaster bis Sonnenaufgang voraussichtlich nur wenig vorwärts.
Harry Markel würde jedenfalls nicht überrascht werden, wenn ihn nun das Gewitter plötzlich überfiel.
In wenigen Augenblicken konnten dann das Focksegel eingebunden und die beiden Marssegel gerefft werden.
Als Will Mitz mit Tony Renault und Magnus Anders wieder auf das Deck heruntergekommen war, warf er einen Blick auf die Boussolennadel, die von der Lampe im Kompaßhäuschen schon beleuchtet wurde.
Seit dem Morgen war der »Alert« nun schon gegen fünfzig Seemeilen nach Südosten zu gesegelt, und der junge Seemann glaubte bestimmt, daß der Kapitän für die Nacht wohl einen anderen Kurs, und zwar nach Nordosten, einschlagen werde.
Harry Markel bemerkte recht wohl, daß sein Passagier etwas erstaunt schien, ihn den bisherigen Kurs noch immer einhalten zu sehen. An strenge Disziplin gewöhnt, hätte dieser sich aber nicht erlaubt, darüber eine Bemerkung zu machen.
Nachdem er sich, während Corty am Steuer stand, den Kompaß noch einmal angesehen hatte, betrachtete er prüfend den Himmel und setzte sich dann am Fuße des Großmastes nieder.[326]
Da näherte sich Corty, überzeugt, daß ihn niemand hören könne, dem Kapitän Markel und sagte:
»Mir scheint, der Mitz merkt es, daß wir auf falschem Kurse sind. Na, gleichviel: diese Nacht werden wir ja ihn und die anderen auf den›richtigen Kurs‹ bringen, und dann hindert ihn nichts, Liverpool schwimmend zu erreichen, wenn er trotz der Haifische Arme und Beine am Leibe behält!«
Der Elende hielt diese Bemerkung jedenfalls für sehr scherzhaft, denn er brach danach in helles Lachen aus, das Harry Markel aber durch einen Blick unterdrückte.
Eben jetzt trat noch John Carpenter an beide heran.
»Schleppen wir das große Boot noch weiter nach, Harry? fragte er.
– Jawohl, John, es kann uns von Nutzen sein...
– Wenn wir gezwungen wären, die Arbeit draußen zu vollenden!«
An diesem Abend wurde das Essen erst halb sieben Uhr aufgetragen. Auf der Tafel prangten einige der am Tage gefangenen Fische, die Ranyah Cogh recht schmackhaft zubereitet hatte.
Patterson erklärte, daß er nie etwas Köstlicheres gegessen hätte... vor allem lobte er die Boniten und gab der Hoffnung Ausdruck, daß die jungen Fischer während der Reise Gelegenheit haben würden, noch mehr von derselben Art zu erbeuten.
Nach dem Essen begaben sich alle wieder auf das Deck, wo sie die volle Dunkelheit abwarten wollten, ehe sie ihre Kabinen aufsuchten.
Die hinter der Wolkenbank verborgene Sonne war noch nicht unter den Horizont versunken. und vor einer guten Stunde konnte es kaum völlig finster sein.
In diesem Augenblicke glaubte Tony Renault draußen im Osten ein Segel zu erkennen, und fast gleichzeitig rief auch schon Will Mitz:
»Schiff backbord vorauf!«
Alle Blicke wandten sich in der angegebenen Richtung hin.
Ein großes Fahrzeug, das seine Mars- und seine Großsegel trug, tauchte vier Seemeilen draußen auf. Offenbar hatte es dort mehr Wind und segelte backstags auf den »Alert« zu.
Louis Clodion und Roger Hinsdale holten sofort ihre Fernrohre und beobachteten das Schiff, das sich ihnen, einen nordwestlichen Kurs einhaltend, näherte.[327]
»Verdammter Kasten! murrte John Carpenter, binnen einer Stunde wird er uns dicht an der Seite liegen!«
Corty und die übrigen hatten diese Worte des Bootsmannes gehört. Legte sich der Wind vollständig, so würden die beiden Schiffe die Nacht über in der Entfernung einer halben, vielleicht nur einer viertel Seemeile nebeneinander still liegen bleiben. Und wenn sich Harry Markel damals, nahe der Küste von Irland, beglückwünschen konnte, sich seiner Passagiere nicht sofort entledigt zu haben, so waren die Verhältnisse heute doch nicht mehr dieselben.
Jetzt war ja das Geld der Mistreß Kathlen Seymour an Bord, mit einem anderen Schiffe in der Nähe konnten die verbrecherischen Pläne aber doch kaum ausgeführt werden.
»Verdammt! wiederholte John Carpenter. Soll es uns denn niemals gelingen, die ganze, lästige Pension loszuwerden? Müssen wir wirklich noch die nächste Nacht abwarten?«
Das Schiff kam, die letzte Brise ausnützend, immer weiter auf den »Alert« zu. Bald mußte aber auch ihm der Wind gänzlich fehlen.
Es war ein großer Dreimaster, der nach einer der Antillen oder nach einem Hafen Mexikos bestimmt sein mochte.
Seine Nationalität war unmöglich zu erkennen, da er keine Flagge an der Gaffel führte. Es schien aber, seiner Bauart und Takelage nach, ein amerikanisches Fahrzeug zu sein.
»Schwer ist es offenbar nicht beladen, bemerkte Magnus Anders.
– Nein, gewiß nicht, bestätigte Will Mitz. Ich glaube eher, daß es nur mit Ballast fährt.«
Drei Viertelstunden später befand sich das Schiff vom »Alert« nur noch zwei Seemeilen entfernt.
Da die Strömung eine ihm günstige Richtung hatte, hoffte Harry Markel, daß es noch am »Alert« vorbeikommen werde. Hatte es sich zwischen ein und vier Uhr morgens nur fünf bis sechs Meilen von ihm entfernt, so konnte, selbst wenn es an Bord zu einem Kampfe kam, in dieser Entfernung doch kein Schrei mehr gehört werden.
Als eine halbe Stunde später die Dämmerung zu Ende war, ließ sich nicht der geringste Wind mehr spüren. Die beiden Fahrzeuge lagen, eine halbe Meile voneinander entfernt, vollkommen still.
Gegen neun Uhr rief dann Patterson, schon mit recht schläfriger Stimme:[328]
»Nun aber auf, liebe Freunde; denkt denn niemand daran, die Kabine aufzusuchen?
– O, es ist noch nicht spät, Herr Patterson, antwortete Roger Hinsdale.
– Und von neun Uhr abends bis sieben Uhr morgens zu schlafen, das ist zu viel, Herr Patterson, setzte Axel Wickborn hinzu.
– Und sie kämen da dick wie ein Klosterbruder nach Europa zurück, lieber Herr Patterson, erklärte Tony Renault, indem er mit den Armen einen Bogen um seinen Leib bildete.[329]
– Darum braucht sich niemand zu sorgen, erwiderte der Mentor, ich werde mich stets innerhalb der gebotenen Grenzen zwischen Magerkeit und Fettleibigkeit zu halten wissen.
– Herr Patterson, Sie kennen doch die Vorschrift, die von den Weisen des Altertums stammt?« ließ sich Louis Clodion vernehmen.
Und er begann die ersten Verse des bekannten Distichons aus der Schule von Salerno vorzutragen.
»Sex horas dormire sat est...
– Juvenique senique, fiel Hubert Perkins ein.
– Septem pigro... fuhr John Howard fort.
– Nulli concedimus octo!« schloß Roger Hinsdale.
Daß Herr Horatio Patterson sich geschmeichelt fühlte, dieses lateinische Citat nach und nach aus dem Munde der Preisträger hervorgehen zu sehen, bedarf wohl keiner besonderen Versicherung. Ihn wandelte aber doch der Schlaf schon zu sehr an und er antwortete:
»So bleibt noch hier, wenn's euch gefällt, die Abendluft einzuatmen. Ich aber... ich werde jener piger, ja sogar jener nullus sein und mich niederlegen.
– Gute Nacht, Herr Patterson!«
Der Mentor erhob sich und ging nach seiner Kabine hinunter. Nachdem er, um etwas frischere Luft einströmen zu lassen, das runde Fensterchen geöffnet und sich auf seinem Lager ausgestreckt hatte, fiel er bald in den Schlaf der Gerechten, doch kamen ihm vorher noch die Worte »Rosam... letorum... angelum« eigentlich unbewußt über die Lippen.
Louis Clodion und seine Kameraden verweilten noch eine Stunde in der freien Luft. Sie plauderten von der Fahrt nach den Antillen, von dem und jenem, das einen besonderen Eindruck auf sie gemacht hatte, und vergegenwärtigten sich, wenn sie erst zu ihren Familien zurückgekehrt wären, die Freude, alles zu erzählen, was sie getan, und alles, was sie seit ihrer Abreise gesehen hätten.
So wie Harry Markel ein weißes Licht am Stagfeile des Fockmastes hatte anbringen lassen, hatte auch der Kapitän des unbekannten Schiffes ein solches an dessen Vorderteile in die Höhe ziehen lassen.
Das ist, vorzüglich in dunkeln Nächten, sehr klug und weise, denn durch Strömungen und Gegenströmungen können sonst leicht Zusammenstöße hervorgerufen werden. Vom Vorderkastell aus sah man das blinkende Licht des anderen[330] Fahrzeuges, das, ohne seinen Platz zu ändern, auf der langen Dünung leicht hin und her schwankte.
Tony Renault nahm sich für heute fest vor, die von der Salerner Schule zugestandenen sex horas Schlaf nicht zu überschreiten. Vor fünf Uhr früh wollte er schon seine Kabine verlassen haben und auf das Deck gehen. Läge dann jenes Schiff noch seitwärts vom »Alert«, so sollte dieser seine Flagge hissen, um das andere Schiff zu veranlassen, ebenfalls seine Nationalität kund zu tun.
Gegen zehn Uhr waren dann alle Passagiere – Will Mitz ausgenommen, der noch auf dem Deck hin und her ging – friedlich eingeschlummert.
Allerlei Gedanken gingen dem jungen Seemanne durch den Kopf. Er dachte an Barbados, wohin er vor Ablauf von drei bis vier Jahren schwerlich wieder kommen würde, an seine Einschiffung auf der »Elisa Warden«, an die Stellung, die er darauf einnehmen sollte, und an die bevorstehende Reise mit diesem Schiffe, die ihn nach ihm noch unbekannten Meeren führen würde.
Dann dachte er an den »Alert«, auf dem er Passage genommen hatte, an die jungen Leute, die ihm so schnell ans Herz gewachsen waren und von denen ihn Tony Renault und Magnus Anders wegen ihrer Vorliebe für das Seewesen besonders interessierten.
Ferner trat ihm die Mannschaft des »Alert« und dieser Kapitän Paxton vor Augen, dessen Persönlichkeit auf ihn unwillkürlich abstoßend wirkte, sowie auch die Leute, die sich ihm gegenüber so zugeknöpft verhielten. Niemals hätte er sich von allen eine solche Vorstellung gemacht, und er fragte sich, ob der erste üble Eindruck auf ihn wohl noch einem besseren weichen werde.
Mit solchen Gedanken beschäftigt, ging Will Mitz vom Vorderkastell nach dem Deckhause hin und zurück. Längs der Schanzkleidung lagen mehrere Matrosen ausgestreckt, von denen die einen schliefen, die anderen sich noch mit gedämpfter Stimme unterhielten.
Harry Markel hatte sich, in der Überzeugung, daß diese Nacht nichts zu machen wäre, in seine Kabine zurückgezogen, nachdem er noch Auftrag gegeben hatte, ihn zu wecken, wenn sich etwa Wind erhöbe.
Auf dem Vorderkastell stehend, beobachteten John Carpenter und Wagah das Licht des Dreimasters, das langsam schwächer wurde, infolge eines leichten Nebels, der allmählich aufstieg.
Heute war Neumond; nach und nach erblaßten die Sterne in dem Nebel und rings umher herrschte die tiefste Finsternis.[331]
So kam es, daß das Schiff neben dem »Alert« bald überhaupt nicht mehr sichtbar war. Es lag aber noch an seiner Stelle. Entstand auf dem »Alert« Lärmen und Geschrei, so setzte es gewiß seine Boote aus und rettete vielleicht einige der dem Tode geweihten Opfer.
Das andere Schiff mochte wohl eine Besatzung von fünfundzwanzig bis dreißig Mann haben, so daß der Ausfall eines etwaigen Kampfes vorauszusehen war. Harry Markel tat also recht daran, zu warten. Er hatte ja gesagt: Was diese Nacht nicht geschieht, wird in einer andern geschehen. Je weiter sich der »Alert« von den Antillen nach Südosten zu entfernte, desto seltener mußte eine Begegnung mit Schiffen werden. Sprang freilich am nächsten Tage der Passatwind wieder auf, so mußte Harry Markel nach Nordosten steuern lassen, weil das Gegenteil Will Mitz sonst zu verdächtig erschienen wäre.
Während John Carpenter und Wagah auf dem Vorderkastell so miteinander sprachen, plauderten auch noch zwei der Leute an Backbord in ihrer Nähe.
Das waren Corty und Ranyah Cogh. Man sah diese überhaupt oft beisammen, denn Corty spazierte immer um die Kambüse herum, um ein gutes Stück zu erwischen, das der Koch für ihn zurückgelegt hatte.
Dabei sprachen beide jetzt in derselben Weise, wie zweifellos auch ihre Kameraden, die es nicht erwarten konnten, endlich die unbeschränkten Herren des »Alert« zu werden.
»Entschieden, Corty, sagte Cogh, Harry ist gar zu vorsichtig.
– Mag sein, Cogh, vielleicht hat er aber doch damit recht. Könnte man sicher sein, sie in ihren Kabinen schlafend zu überfallen, so würden sie abgetan werden, ehe sie einen Schrei ausstoßen könnten...
– Ach was: das Messer fest an die Kehle gesetzt, das hindert einen schon, noch um Hilfe zu rufen.
– Gewiß, Ranyah; doch es ist nicht ausgeschlossen, daß sie sich wehren, und kann sich das verwünschte Schiff da drüben uns im Nebel nicht noch mehr genähert haben? Gelänge es nur einem unserer Passagiere, ins Meer zu springen und das Schiff zu erreichen, so schickte dessen Kapitän gewiß sofort einige zwanzig Mann an Bord des »Alert«. Da wären wir nicht zahlreich genug, diesen zu widerstehen und wir würden, unten im Frachtraum eingesperrt, erst nach den Antillen und dann nach England gebracht werden. Diesmal hielte man uns dann gewiß im Gefängnis fest, und was uns dann bevorsteht, Ranyah, das weißt du ja allein![332]
– Da fahre der Teufel drein, Corty! Erst so viel Glück gehabt, und nun das Pech, daß uns jenes Schiff in die Quere kommt! Dazu noch die vermaledeite Windstille! Und wenn ich bedenke, daß es nur einer Stunde frischer Brise bedürfte, uns fünf bis sechs Meilen hinauszutreiben!
– Das geschieht vielleicht noch vor Tagesanbruch, erwiderte Corty. Auf jeden Fall wollen wir Will Mitz im Auge behalten, der scheint mir nicht der Kerl dazu zu sein, sich überraschen zu lassen.
– Den überlaßt nur mir, erklärte Ranyah Cogh, ob in seiner Kabine oder auf dem Deck, gleichviel wo er sein mag... Ein herzhafter Stich, so zwischen die Schultern hinein, da wird er's wohl bleiben lassen, sich erst noch umzudrehen, und dann... rasch mit ihm über Bord!
– Ging er nicht eben noch auf dem Verdeck umher? fragte Corty.
– Ja... wahrhaftig... ich sehe ihn aber nicht mehr... er müßte denn auf dem Vorderkastell sein...
– Nein, Ranyah, da steht nur John Carpenter mit dem Steward, und auch die kommen jetzt herunter.
– Dann wird Will Mitz die Hauptkajüte aufgesucht haben, antwortete Ranyah Cogh. Wenn jenes verwünschte Fahrzeug nicht in der Nähe läge... jetzt wäre der richtige Augenblick... nach wenigen Minuten hätten wir keinen Passagier mehr an Bord.
– Da aber einmal nichts zu machen ist, schloß Corty, wollen wir auch schlafen gehen.«
Beide begaben sich nach dem Volkslogis, während zwei Mann am Bug auf Wache blieben.
Will Mitz, der sich unter dem Vorderkastell befand, wo ihn niemand bemerken konnte, hatte dieses Gespräch mit angehört. Jetzt wußte er alles... wußte, in welche Hände das Schiff gefallen war und daß dessen Führer der berüchtigte Harry Markel war. Er hatte gehört, daß die Schurken die Passagiere ins Meer werfen wollten, und daß diese Schandtat schon ausgeübt worden wäre, wenn nicht jener Dreimaster, von der Windstille zurückgehalten, zu nahe beim »Alert« gelegen hätte.[333]
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