Zweites Kapitel.
Summy Skim wider Willen auf abenteuerlichem Pfade.

[17] In seinem Heim angelangt, beschäftigte sich Summy Skim mit den ihm zunächst liegenden Aufgaben und Pflichten. Er mußte den Bekannten der Familie Mitteilung machen, sich für die Trauer ausrüsten und die kirchlichen Feierlichkeiten bestellen, die in der Parochie bei Todesfällen Sitte waren.[17]

Was die Ordnung der seinen Onkel persönlich betreffenden Angelegenheiter anging, war es noch Zeit, darüber mit Herrn Snubbin eingehend zu sprechen wenn die beiden Vettern sich über ihre Entschließung geeinigt hatten und der Notar im Besitze der telegraphisch verlangten Unterlagen war, die es ihm ermöglichten, über die Hinterlassenschaft ein Verzeichnis aufzustellen.

Ben Raddle kam erst nach fünf Tagen, am 21. März, nach Montreal zurück, nachdem er sich einen Monat in New York aufgehalten hatte, wo zwischen ihm und mehreren andern Ingenieuren das Riesenprojekt einer Brücke beraten worden war, die, den Hudson überspannend, die Metropole mit New Jersey verbinden sollte.

Ben Raddle hing mit allen Fasern seines Herzens an dieser Arbeit, die ja geeignet war, einen Ingenieur zu begeistern. Die Errichtung der Brücke schien jedoch nicht so nahe bevorzustehen. Wohl sprach man davon in allen Journalen und studierte man die Sache auf dem Papier, mindestens vergingen aber voraussichtlich ein, vielleicht zwei Jahre, ehe es zur Ausführung der Arbeit kam. Daraufhin eben hatte sich Ben Raddle zur Heimreise entschlossen.

Sein Ausbleiben war Summy Skim recht lang vorgekommen. Wie oft bedauerte er, den Vetter nicht zu seinen Anschauungen bekehren, ihn nicht veranlassen zu können, ein friedliches, sorgenfreies Leben der jetzigen aufreibenden Existenz vorzuziehen. Die Geschichte mit der Hudsonbrücke steigerte nur noch seine Beunruhigung. Beteiligte sich Ben Raddle bei der Ausführung dieses Projektes, so fesselte ihn das vielleicht jahrelang an New York und er, Summy Skim, würde dann allein sein in dem gemeinschaftlichen Hause und allein auch in Green-Valley.

Gleich nach dem Eintreffen des Ingenieurs meldete sein Vetter ihm das in Dawson City erfolgte Ableben ihres Onkels Josias Lacoste, der als einziges Vermögen den Claim Nummer 129 am Ufer des Forty Miles Creek im Gebiete von Klondike hinterlassen hatte.

Bei dem letzten Namen, der jetzt eben in aller Munde war, spitzte der Ingenieur die Ohren. Wahrscheinlich vernahm er nicht mit der schönen Gemütsruhe Summy Skims die Mitteilung, in Zukunft Eigentümer eines goldführenden Erdenfleckchens zu sein. Wie er darüber dachte, das sprach er im ersten Augenblicke übrigens nicht aus.

Bei seiner Gewohnheit, sich all und jedes gründlich zu überlegen, wollte er das auch jetzt tun, bevor er sich über die Angelegenheit äußerte.[18]

Vierundzwanzig Stunden genügten ihm, das Für und Wider abzuwägen, und beim Frühstück am nächsten Morgen interpellierte er ohne Vorrede Summy Skim, den er tief in Gedanken versunken fand.

»He, Vetter, begann er, wie wär's denn, wenn wir ein wenig von Klondike sprächen?

– Ja, wenn sich's nur darum handelt, ein wenig....

– Na, ein wenig oder auch viel, lieber Summy.

– Gut, wie es dir gefällt, mein lieber Ben.

– Der Notar hat dir die Eigentumsdokumente betreffs des Claims Nummer 129 wohl noch nicht vorgewiesen?

– Nein, antwortete Summy Skim, ich hielt es auch für nutzlos, davon Kenntnis zu nehmen.

– Na ja, daran erkenn' ich meinen herzensguten Summy! rief Ben Raddle lachend.

– Wozu sollte es dienen? entgegnete ihm Summy Skim. Mir scheint gar kein Anlaß vorzuliegen, sich wegen dieser Sache Scherereien zu machen. Es ist doch höchst einfach: Entweder hat der Nachlaß einigen Wert, dann werden wir ihn so vorteilhaft wie möglich veräußern, hat er aber – und das halte ich für weit wahrscheinlicher – keinen solchen, nun, so bekümmern wir uns um die ganze Sache nicht weiter.

– Ja, ja, du hast recht, stimmte ihm Ben Raddle zu. Doch uns treibt ja nichts.... so ein Placer.... man weiß doch manchmal nicht.... Man hält ihn für wertlos, für erschöpft.... und siehe da, ein Spitzaxthieb beschert dir ein Vermögen.«

Bei diesen Worten gab es Summy Skim einen recht schmerzlichen Stich.

»Nun, lieber Ben, sagte er, wärmer werdend, das müssen doch die Leute dort, die, die gegenwärtig die berühmten Goldfundstätten von Klondike ausbeuten, am allerbesten wissen. Ist der Claim am Forty Miles Creek überhaupt etwas wert, dann, ich wiederhole es dir, dann versuchen wir, ihn zum günstigsten Preise an den Mann zu bringen. Wie ist aber anzunehmen, daß unser Onkel Lacoste die Welt gerade verlassen haben sollte, wo er vielleicht im nächsten Augenblicke hätte Millionär werden können?

– Darüber müssen wir erst Klarheit haben, antwortete Ben Raddle. Der Beruf des Prospektors ist reich an derartigen Überraschungen. Man kann doch jede Minute eine glückliche Ader entdecken, das soll nicht etwa heißen, die Aussicht[19] auf einen Zufall, sondern sie, die Goldader selbst, die an Pepiten Überfluß hat. Jedenfalls gibt es, das wirst du ja nicht bestreiten, doch nicht gar so wenige Goldsucher, die sich wahrlich nicht zu beklagen haben.

– Jawohl, antwortete Summy Skim, einen auf hundert, auf tausend, vielleicht auf hunderttausend, und was haben sie darum für Sorge und Mühe, ich möchte hinzufügen, für Elend in Kauf nehmen müssen!

– Ach, das sind billige Redensarten, Summy, sagte Ben Raddle, nichts als Redensarten! Ich gebe da nichts auf die Schreibereien der Blätter, nein, ich halte mich an Tatsachen, nur an Tatsachen.«

Summy Skim erkannte, ohne sich darüber zu wundern, wo sein Vetter hinaus wollte; darum schlug er nochmals das frühere Thema an und die ewige Diskussion darüber begann von neuem.

»Sage mir, lieber Vetter, genügt die Erbschaft, die wir nach dem Ableben unsrer Eltern gemacht haben, uns wirklich nicht? Sichert dieses Erbteil nicht unsre Unabhängigkeit, unser Wohlbefinden? Wenn ich so zu dir rede, geschieht es, weil ich bemerke, daß du der Sache mehr Gewicht beilegst, als sie verdient. Ich bitte dich, sind wir denn nicht vermögend genug?

– Nein, niemals genug, solange man noch vermögender werden kann.

– Wenigstens wenn man nicht schon gar zu reich ist, Ben, so reich wie gewisse Milliardäre, die ebensoviele Unannehmlichkeiten wie Millionen haben und denen es, ihre Schätze zusammenzuhalten, jetzt mehr Mühe kostet als früher deren Erwerbung.

– O, nur gemach, nur gemach! erwiderte Ben Raddle, die Philosophie ist ja eine recht schöne Sache, mißbrauchen sollte man sie aber doch nicht. Du brauchst für mich auch nicht zu sagen, was ich ja selbst nicht sage. Es fällt mir nicht ein, zu erwarten, daß das Gold aus dem Claim unsers Onkels tonnenweise hervorquillt; über die Verhältnisse möchte ich mich aber wenigstens unterrichten.

– Natürlich werden wir das tun, lieber Ben, das ist ja schon ausgemacht, und gebe nur der Himmel, daß wir, wenn uns die verlangte Aufklärung zuteil geworden ist, nicht einer verfahrenen Sachlage gegenüberstehen und aus Rücksicht für unsre Familie zu deren Ordnung einspringen müssen. In diesem Falle habe ich dem Notar Snubbin schon zugesagt....

– Ja ja, daran hast du ganz recht getan, Summy, unterbrach ihn Ben Raddle. Mir erscheint es nur überflüssig, schon eine solche Zwangslage ins Auge[20] zu fassen, denn in eine solche kommen wir wahrscheinlich doch nicht. Wären Gläubiger vorhanden, so hätten sie sich gewiß schon gemeldet. Laß uns lieber von Klondike sprechen. Du kannst mir wohl glauben, daß ich nicht erst etwas von jenen Erzlagern zu hören brauche. Obwohl sie erst seit kaum zwei Jahren ausgebeutet werden, habe ich doch alles gelesen, was über deren Bodenschätze veröffentlicht worden ist, und ich sage dir, Dinge, die auch die waschechteste Gleichgültigkeit aufrütteln müßten. Nach Australien, Kalifornien und Südafrika hätte man ja annehmen können, daß unsre Erdkugel keine weitern Placers enthielte. Da kommt der plumpe Zufall und läßt in jenem Teile Nordamerikas, nahe den Grenzen von Alaska und der Dominion, doch noch neue entdecken, ja es scheint sogar, als ob die nördlichen Gebiete Amerikas in dieser Hinsicht allen übrigen voranstünden. Goldminen finden sich nicht allein in Klondike, sondern auch in Ontario, auf Michipicoton und in Britisch-Kolumbien, wo schon große Gesellschaften entstanden sind, wie die War Eagle, Standard, Sullivan Grup, Alhabarka, die Ferm, das Syndicate, der Sans-Poel, Cariboo, der Trail, die Georgi-Reed und noch manche andre, deren Aktien alle hoch über Nennwert stehen, ohne von den Silber-, Kupfer- und Manganminen, den Eisen- und den Kohlengruben zu sprechen. Was insbesondre Klondike angeht, so denke, Vetter Summy, an die Ausdehnung dieses goldhaltigen Gebietes, das zweihundertfünfzig Meilen (400 km) Länge ungefähr bei vierzig Meilen (64 km) Breite aufweist, und das allein innerhalb der Dominion, ohne von den Goldlagern in Alaska zu reden. Ist dort der Tätigkeit des Menschen nicht ein ungeheures Feld eröffnet, das größte vielleicht, das es überhaupt auf Erden gibt? Wer weiß denn, ob die Ausbeute jener Gegenden einst nicht Millionen, nein, Milliarden wertet?«

Ben Raddle hätte über derlei Dinge noch lange sprechen können, Summy Skim hörte darauf doch nur mit halbem Ohr. Mit den Schultern zuckend, begnügte er sich zu erwidern:

»Ich bitte dich, Ben.... das liegt ja auf der Hand.... Du hast Fieber!

– Was?.... Ich hätte Fieber?

– Ja, das unselige Goldfieber wie so viele andre, ein Fieber, das leider kein dreitägiges ist und das man nicht mit schwefelsaurem Chinin heilen kann.

– O, sei nur ganz ruhig, mein lieber Summy, antwortete Ben Raddle lächelnd. mein Puls schlägt nicht schneller als gewöhnlich. Ich würde mir auch[21] Vorwürfe machen, deine kostbare Gesundheit dadurch zu gefährden, daß ich dich der Berührung mit einem Fieberkranken aussetzte.

– Ach, ich.... ich bin geimpft, erwiderte Summy Skim in gleichem Tone, ich sehe aber mit Schmerzen – das kann ich dir nicht verhehlen – dich in hohle Träumereien verlieren, die zu nichts Gutem führen und dich nur ins Unglück stürzen können....

– Woran erkennst du das? fiel ihm Ben Raddle ins Wort. Vorläufig ist doch nur davon die Rede, die Sachlage gründlich kennen zu lernen und dann daraus so viel wie möglich Nutzen zu ziehen. Du glaubst natürlich, unser Onkel habe mit seinen Spekulationen kein Glück gehabt. Freilich ist es möglich, daß der Claim am Forty Miles Creek ihm mehr Schlamm als Goldkörner geliefert hätte. Vielleicht fehlte es ihm aber an den zur Ausbeutung unentbehrlichen Hilfsmitteln, vielleicht ging er nicht so planmäßig vor, wie es ein andrer....

– Ein Ingenieur getan hätte, nicht wahr, Ben?

– Gewiß, ein Ingenieur....

– Zum Beispiel du selbst?

– Warum nicht? antwortete Ben Raddle. Übrigens handelt es sich um eine solche Frage gegenwärtig noch gar nicht; jetzt gilt's nur, Aufklärung zu erhalten, weiter nichts. Wissen wir erst, wie es sich mit dem Werte des Claims verhält, so werden wir ja sehen, was ferner zu tun ist.«

Das Gespräch wurde hiermit abgebrochen. Gegen die Vorschläge Ben Raddles ließ sich ja im ganzen nichts einwenden, es war doch so natürlich, sich vor jeder weitern Entscheidung von der Lage der Dinge Kenntnis zu verschaffen. Daß der Ingenieur ein ernster, verständiger und praktischer Mann sei, daran war überhaupt nicht zu zweifeln. Dennoch beunruhigte und betrübte es Summy nicht weniger, seinen Vetter sich mit einem solchen Eifer auf eine Beute stürzen zu sehen, die sich seinem ehrgeizigen Streben so unvermutet darbot. Ob es ihm – Summy – wohl gelingen würde, ihn im Zaume zu halten? Jedenfalls wollte er sich nicht von Ben Raddle trennen. Ihre Interessen blieben gemeinschaftlich, was auch kommen mochte. Insgeheim wetterte er aber doch gegen den unseligen Einfall des Onkels Josias, dem Glücke in Klondike nachzujagen, wo nur Elend und Not seiner harrten, und er hegte den dringenden Wunsch, die verlangten Mitteilungen möchten so ausfallen, daß keine Veranlassung vorläge, der Angelegenheit weiter Folge zu geben.[22]

Am Nachmittage begab sich Ben Raddle ins Bureau des Notars und nahm hier Einsicht in die Besitzdokumente, die er vollkommen in Ordnung fand. Auf einem in großem Maßstabe ausgeführten Plan war die Lage des Claims Nummer 129 deutlich zu erkennen. Er befand sich zweiundvierzig Kilometer weit vom Fort Cudahy, einer von der Hudsonbai-Kompagnie gegründeten Ortschaft am rechten Ufer des Forty Miles Creek, eines der zahllosen Zuflüsse des Yukon, dieses mächtigen Stromes, der nach Bewässerung der westlichen Gebietsteile der Dominion ganz Alaska durchfließt und dessen in seinem Oberlaufe englische Fluten weiter stromabwärts amerikanisch geworden sind, seit jenes ausgedehnte Gebiet von Rußland an die Vereinigten Staaten abgetreten worden war.

»Sie haben hier wohl eine merkwürdige Eigentümlichkeit nicht bemerkt, Herr Notar, sagte Ben Raddle nach Besichtigung der Plankarte. Der Forty Miles Creek schneidet, ehe er in den Yukon mündet, den als Grenzlinie zwischen der Dominion und Alaska angenommenen hundertvierzigsten Meridian und dieser Längengrad fällt genau mit der Westgrenze unsers Claims zusammen, der also mathematisch an der gemeinschaftlichen Grenze der beiden Länder liegt.

– Ja ja, das stimmt, bestätigte Snubbin.

– Und diese Lage, fuhr Ben Raddle nach weiterer Prüfung des Planes fort, erscheint mir auf den ersten Blick als keine schlechte. Es liegt kein Grund vor, anzunehmen, daß der Forty Miles Creek von der Natur weniger begünstigt sei als der Klondikefluß oder sein Nebenzweig, die Bonanza, oder auch als die unbedeutenderen Zuflüsse, die Viktoria, der Eldorado und wie die übrigen so ergiebigen Rios heißen, die von den Goldgräbern so gesucht sind.«

Ben Raddle verschlang buchstäblich mit dem Blicke die wunderbare Gegend, deren hydrographisches Netz das kostbare Metall in so großer Menge mit sich führt, das Metall, das nach der Taxe in Dawson City die Tonne zwei Millionen dreihundertzweiundvierzigtausend Francs (1,873.600 Mark) wert ist.

»Verzeihen Sie eine Frage, Herr Raddle, begann da der Notar. Darf ich annehmen, daß es Ihre Absicht ist, den Placer des seligen Herrn Josias Lacoste selbst zu bearbeiten?«

Ben Raddle antwortete mit einer ausweichenden Bewegung.

»Wenn nun Herr Skim.... fuhr Snubbin fort.


»Eine merkwürdige Eigentümlichkeit...« (S. 23.)
»Eine merkwürdige Eigentümlichkeit...« (S. 23.)

– Summy hat sich darüber noch nicht aussprechen können, erklärte Ben Raddle sehr bestimmt, und ich.... ich halte meine Meinung darüber zurück,[23] bis wir alle erforderliche Aufklärung über die Sachlage haben.... wenn dann eine persönliche Besichtigung nötig erschiene....

– Könnten Sie wirklich daran denken, die weite Reise nach Klondike zu unternehmen? fragte Snubbin, den Kopf zurückwerfend.


Der Jacques-Cartierplatz in Montreal. - Der Markitag.
Der Jacques-Cartierplatz in Montreal. - Der Markitag.

– Ja, warum denn nicht? Wie Summy auch darüber denken mag, meiner Ansicht nach ist die Sache doch einiger Bemühung wert. Einmal in Dawson City angekommen, würde man ja bald klar sehen lernen, und wenn sich's nur um den Verkauf des Claims, nur darum handelte, eine Schätzung seinesWertes zu gewinnen, meinen Sie, Herr Notar, nicht, daß es sich dazu empfähle, ihn aufgesucht zu haben?

– Erscheint Ihnen das wirklich so nötig? bemerkte Snubbin dazu.

– Gewiß, und wär's auch nur, um einen Käufer zu finden.«

Der Notar wollte eben antworten, er wurde daran aber durch den Eintritt eines Depeschenboten verhindert.

»O, wenn's nur das ist, sagte er nach der Entfaltung des Telegramms.... hier.... hier sehen Sie, was Ihnen die Beschwerden einer solchen Reise ersparen kann.«

Damit händigte der Notar seinem Klienten ein Telegramm ein, das aus der Zeit vor acht Tagen datiert und das nach seiner Beförderung von Dawson City nach Vancouver über die Telegraphenlinien der Dominion endlich in Montreal eingetroffen war.

Nach dem Wortlaute dieses Telegramms machte die Anglo-American Transportation and Trading Co. (Chicago-Dawson), ein amerikanisches Syndikat und bereits Besitzerin von sieben Claims, deren Bearbeitung ein gewisser Kapitän Healey leitete, für die Erwerbung des Claims Nummer 129 am Forty Miles Creek das feste Angebot von fünftausend Dollars, die sofort nach Eintreffen eines die Annahme dieses Gebotes zusagenden Telegramms nach Montreal abgesendet werden sollten.

Ben Raddle hatte die Depesche vor sich entfaltet und durchlas sie mit derselben Aufmerksamkeit wie vorher die Besitztitel.

»Nun, was sagen Sie dazu, Herr Raddle? fragte der Notar.

– Vorläufig gar nichts, antwortete der Ingenieur. Ist denn das ein angemessener Preis? Fünftausend Dollars für einen Claim in Klondike!

– Ich dächte, fünftausend Dollars wären eine ganz nette Summe.

– Es sind aber keine zehntausend, Herr Snubbin.

– Das ist freilich wahr. Ich vermute aber doch, daß Herr Skim....

– Summy wird stets meiner Ansicht sein, wenn ich sie mit guten Gründen unterstützen kann. Und wenn ich ihm auseinandersetze, daß diese Reise notwendig ist, wird er sie unternehmen, verlassen Sie sich darauf.

– Er?.... rief Snubbin, er, einer der glücklichsten, unabhängigsten Menschen, die je ein Notar in seiner Praxis angetroffen hat?

– Ja, wenn ich diesem Glücklichen, diesem Vorbilde von Unabhängigkeit aber beweise, daß er sein Glück, seine Unabhängigkeit noch verdoppeln kann....[27]

Übrigens, was wagen wir denn dabei?.... Die von jenem Syndikate gebotene Summe könnten mir doch allemal noch annehmen.«

Als Ben Raddle das Bureau verlassen hatte, schlug er, immer in Nachdenken darüber, welchen Entschluß er fassen sollte, den kürzesten Weg nach Hause ein. Vor der Wohnstätte in der Jacques-Cartierstraße angekommen, war er mit sich ins Reine gekommen und begab sich nun sofort nach der Wohnung seines Vetters.

»Nun, fragte dieser, hast du denn unsern Herrn Snubbin gesprochen?.... Gibt es etwas Neues?

– Etwas Neues, ja, Summy, und auch neue Nachrichten.

– Gute?

– Ganz vortreffliche.

– Hast du die Besitzdokumente durchgesehen?

– Wie sich's gebührt. Die waren in bester Ordnung. Wir sind mit Fug und Recht die Eigentümer des Claims Nummer 129.

– Na, das wird unser Vermögen auch arg vermehren, bemerkte Summy Skim lachend.

– Mehr, als du vielleicht denkst,« erklärte der Ingenieur ernst.

Damit überreichte Ben Raddle seinem Vetter die Depesche der Anglo-American Transportation and Trading Company.

»Das ist ja herrlich! rief dieser. Da wollen wir nicht zaudern. Laß uns den Claim dieser so kulanten Gesellschaft abtreten und das so schnell wie möglich!

– Warum denn für den Preis von fünftausend Dollars etwas abtreten, was möglicherweise viel mehr wert ist? erwiderte Ben Raddle.

– Ja, mein lieber Ben, ich dächte doch....

– Nein, nein, ich sage dir, so verfährt man in Geschäftsangelegenheiten nicht. Um eine Sache beurteilen zu können, muß man sie gesehen, mit den eignen zwei Augen gesehen haben.

– Du bestehst also noch immer darauf?

– Mehr als je. Bedenke doch, Summy: Wenn man uns dieses Kaufsanerbieten macht, geschieht das, weil man den Wert des Claims kennt und weil dieser Wert ein weit, weit höherer ist. Es fehlt ja nicht an andern käuflichen Placers längs der Rios oder in den Berggegenden von Klondike.

– Weißt du das so genau?[28]

– Und wenn eine Gesellschaft, fuhr Ben Raddle, unbeirrt durch diese Zwischenfrage, fort, die schon eine Anzahl Claims besitzt, gerade den unsrigen erwerben will, so hat sie nicht fünftausend Gründe, fünftausend Dollars dafür zu bieten, sondern zehn-, nein, hunderttausende.

– Nein nein, eine Million, zehn Millionen, hundert Milliarden, fuhr Summy ironisch fort. Wahrhaftig, Ben, du spielst nur so mit den Zahlen!

– Die Zahlen.... die Zahlen.... die bestimmen das Leben, mein Lieber, und mir scheint, du rechnest etwas zu wenig.

– Vielleicht weil du gar zu viel rechnest.

– Ich bitte dich, lieber Summy, ich spreche jetzt in vollem Ernste. Vorher zögerte ich noch wegen der Reise, seit dem Empfang dieser Depesche bin ich aber entschlossen, meine Antwort persönlich abzugeben.

– Was?.... Du willst wirklich nach Klondike reisen?

– Jawohl.

– Ohne noch nähere Mitteilungen abzuwarten?

– Ich werde mich schon an Ort und Stelle weiter unterrichten.

– Und mich willst du hier allein lassen?

– O nein, denn du wirst mich ja begleiten.

– Ich?

– Ja, du.

– Nimmermehr!

– O doch; die Sache geht ja uns beide an.

– Ich erteile dir die weitgehendste Vollmacht.

– Die nehme ich nicht an; ich bedarf deiner persönlichen Anwesenheit.

– Eine Reise von zweitausend Lieues?....

– Das nicht. Es sind ihrer ja nur zweitausendfünfhundert.

– Allgütiger Gott! Wie lange soll die wohl dauern?

– O, nur so lange wie nötig. Es könnte ja der Fall eintreten, daß unser Interesse es erforderte, nicht den Claim zu verkaufen, sondern ihn selbst auszubeuten.

– Auch das noch.... selbst ausbeuten? rief Summy ganz außer Fassung. Dann verginge darüber eingan zes Jahr....

– Oder auch zwei, wenn das angezeigt erscheint.

– Zwei Jahre! Zwei Jahre! wiederholte Summy Skim fast jammernd.

– Nun, was ist dabei? erwiderte Ben Raddle, wenn nun jeder Monat, jeder Tag, jede Stunde unser Vermögen vermehrte?[29]

– »Nein.... nein! Daraus wird nichts!« rief Summy Skim, der, sich zusammenduckend, in seinen Lehnstuhl niedersank wie einer, der entschlossen ist, nie wieder davon aufzustehen.

Er hatte es jedoch mit einem übermächtigen Gegner zu tun. Ben Raddle ließ ihn gewiß nicht aus seinen Fängen los, als bis er dem Vetter seine Zustimmung abgerungen hatte.

»Nun, was mich betrifft, Summy, schloß der Ingenieur, steht es fest, daß ich mich nach Dawson City begebe, und ich kann nicht glauben, daß du dich weigern solltest, mich zu begleiten. Du hast überhaupt hier viel zu lange still gesessen.... du mußt dir auch ein bißchen die Welt ansehen!

– O, entgegnete Summy, wenn ich dazu Lust verspürte, gäb' es in Amerika oder in Europa noch andre Gegenden zu besuchen. Jedenfalls würde ich den Anfang nicht damit machen, mich bis ins Herz jenes entsetzlichen Klondike zu verlaufen!

– Ach, das würdest du bezaubernd schön finden, wenn du dich erst überzeugt hättest, daß es mit Goldpulver bestreut und mit Goldklümpchen gepflastert ist.

– Ben, mein lieber Ben, flehte Summy Skim, du ängstigst mich, wahrhaftig, du erschreckst mich! Du willst dich da in eine Geschichte einlassen, die dir nur Gefahren und Enttäuschungen in Aussicht stellt.

– Das wird sich ja zeigen.

– Da ist zuerst dieser unselige Claim, der gewiß nicht so viel wert ist wie ein Gartenbeet mit Weißkohl drauf!

– So?.... Wie käme denn jene Gesellschaft dann dazu, uns mehrere tausend Dollars dafür zu bieten?

– Und wenn ich mir dann vorstelle, Ben, diesen lächerlichen Claim in einem Lande aufsuchen zu müssen, wo die Temperatur gelegentlich bis fünfzig Grad unter Null sinkt!

– O, da werden wir Feuer machen.«

Ben Raddle wußte auf alles eine Antwort. Die Angst seines Vetters rührte ihn nicht im mindesten.

»Aber Green-Valley, Ben; denkst du daran gar nicht?

– O, an Wild fehlt es nicht auf den Ebenen und an Fischen nicht in den Flüssen von Klondike. Du wirst da jagen und angeln in einem neuen Lande, das dir viele Überraschungen bereiten wird.[30]

– Aber unser Gesinde, unsre braven Landarbeiter, die uns doch erwarten, seufzte Summy Skim.

– Hätten die denn Ursache, unser Ausbleiben zu bedauern, wenn wir reich genug zurückgekehrt sind, ihnen andre Farmen zu errichten und den ganzen Bezirk anzukaufen?«

Summy Skim mußte sich am letzten Ende für besiegt erklären. Nein, allein konnte er seinen Vetter nun einmal nicht nach Klondike reisen lassen. Er würde ihn also begleiten, wär's auch nur, um ihn bald wieder zur Heimkehr zu veranlassen. Über die Telegraphenlinien der Dominion flog an demselben Tag eine Depesche an den Kapitän Healey, die dem Direktor der Anglo-American Transportation and Trading Company, Dawson City, Klondike, die demnächst erfolgende Abreise der Herren Ben Raddle und Summy Skim, der Eigentümer des Claims Nummer 129, anzeigte.

Quelle:
Jules Verne: Der Goldvulkan. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LXXXIX–XC, Wien, Pest, Leipzig 1907, S. 17-25,27-31.
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