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[31] Auf der kanadischen Pacificbahn können Vergnügungs- und Handelsreisende Auswandrer und nach Klondike gehende Goldsucher ohne Wagenwechsel, ohne die Dominion oder Britisch-Kolumbien zu verlassen, von Montreal nach Vancouver gelangen. Hier in der Hauptstadt Kolumbiens eingetroffen, haben sie verschiedne Wege, zu Lande, zur See oder auf Strömen, zur Auswahl und können da auch die verschiednen Beförderungsarten – Schiffe, Reitpferde, Wagen nebst einem Stück Fußwanderung – für einen großen Teil der Strecke kombinieren.
Nachdem nun die Reise beschlossen war, konnte Summy Skim alle Vorbereitungen dazu, die Besorgung aller Bedürfnisse für die Fahrt, die Wahl der Wege usw., seinem Vetter Ben Raddle überlassen. Das war ja recht eigentlich die Sache dieses ehrgeizigen, aber intelligenten Ingenieurs, des einzigen Anstifters dieses Unternehmens, dem dafür alle Verantwortlichkeit zufiel und der sie auch auf sich nahm.[31]
Vor allem andern erklärte Ben Raddle, daß die Abreise nicht verzögert werden dürfe. Es war besonders wichtig, daß die Erben Josias Lacostes zu Anfang des Sommers in Klondike waren, des Sommers, der diese hochnördlichen Landstriche, die schon an den Polarkreis grenzen, nur wenige Monate etwas erwärmt.
Als er die Zusammenstellung der auch für den Bezirk des Yukon gültigen kanadischen Berg- und Grubengesetze studierte, hatte er nämlich in deren neuntem Artikel folgendes gelesen:
»Jeder Claim fällt wieder dem Staate anheim, der in der schönen Jahreszeit nicht binnen fünfzehnmal vierundzwanzig Stunden in Bearbeitung genommen worden ist, wenn der Kommissar, der auch zu entscheiden hat, von wann an die schöne Jahreszeit zu rechnen ist, keine besondre Erlaubnis zum spätern Betriebsanfange erteilt hat.«
Die schöne Jahreszeit tritt aber, wenn sie nicht einmal vorzeitig beginnt, mit der zweiten Hälfte des Mai ein. Kam es dann binnen vierzehn Tagen nicht zu einer Bearbeitung des Claims Nummer 129, so fiel das Besitztum Josias Lacostes an die Dominion zurück und höchstwahrscheinlich verfehlte das amerikanische Syndikat nicht, der Behörde die Überschreiung der gesetzlichen Frist für den Arbeitsbeginn an dem Claim mitzuteilen, dessen Besitz sie zu erwerben trachtete.
»Du begreifst, Summy, erklärte Ben Raddle, daß wir uns da von keinem den Rang ablaufen lassen dürfen.
– Ich begreife alles, Ben, was du von mir begriffen zu sehen wünschest.
– Um so mehr, setzte der Ingenieur dazu, weil ich vollkommen recht habe.
– Das bezweifle ich ja gar nicht, Ben. Übrigens habe ich nichts dagegen, Montreal so bald wie möglich zu verlassen, damit wir desto früher wieder heimkehren.
– O, wir bleiben in Klondike nicht länger als nötig.
– Ganz meine Meinung, Ben. Wann soll es denn fortgehen?
– Am 2. April, erklärte Ben Raddle; nach zehn Tagen.«
Die Arme gekreuzt und den Kopf gesenkt, hatte Summy Skim stark Lust, »Was?.... So bald?« zu rufen. Er schwieg aber; darüber zu klagen, hätte doch nichts genützt.
Übrigens war es von Ben Raddle sehr richtig, als letzten Termin zur Abreise den 2. April bestimmt zu haben. Sein Kursbuch vor Augen, machte er sich zahllose Bemerkungen mit einer Menge Zahlen und mit solchen wußte er ja meisterhaft umzuspringen.
»Nach Klondike zu kommen, haben wir nicht einmal die Wahl zwischen zwei Wegen, sagte er, denn es gibt dahin nur einen einzigen. In Zukunft gelangt man nach dem Yukon vielleicht über Edmonton und das Fort Saint John und auch auf dem Peace River weiter, der im Nordosten Kolumbiens den Bezirk von Cassiar durchströmt....[35]
– Ah, eine sehr wildreiche Gegend, habe ich sagen gehört, unterbrach ihn Summy Skim, der gleich von den Freuden der Jagd träumte. Ja, warum schlagen wir diesen Weg nicht ein?
– Weil wir da von Edmonton aus vierzehnhundert Kilometer weit durch eine kaum bekannte Gegend über Land fahren müßten.
– So, so. Und welchen Weg hast du dann im Auge?
– Natürlich den über Vancouver. Hier hast du die genauen Zahlen, aus denen sich die Länge der Reisestrecke ergibt: von Montreal nach Vancouver sind's viertausendsechshundertfünfundsiebzig Kilometer und von da nach Dawson City noch zweitausendvierhundertneunundachtzig.
– Das wäre zusammen, murmelte Summy, der zu addieren begann: fünf und neun ist vierzehn, ich behalte eins im Kopfe, acht und acht gibt sechzehn, eins im Kopfe, sieben und vier sind elf, nochmals eins im Kopfe, und fünf und zwei macht sieben, also siebentausendeinhundertvierundsechzig Kilometer.
– Ganz richtig, Summy.
– Na, Ben, wenn wir dann ebensoviele Kilogramm Gold mit nach Hause bringen, wie wir Kilometer zurückgelegt haben werden....
– Das ergäbe – nach der Taxe von zweitausenddreihundertvierzig Francs das Kilogramm – sechzehn Millionen siebenhundertdreiundsechzigtausendsiebenhundertundsechzig Francs.
– Na na, murmelte Summy Skim, wenn wir nur die siebenhundertsechzig Francs mit nach Hause bringen!
– Was sagtest du, Summy?
– Ach, nichts, mein lieber Ben, gar nichts.
– Über eine solche Summe würde ich mich gar nicht wundern, fuhr Ben Raddle fort. Der Geograph John Minn behauptet ja, daß Alaska mehr Gold liefern werde als Kalifornien, dessen Ausbeute allein im Jahre achtzehnhunderteinundsechzig vierhundertfünf Millionen betragen hat. Warum sollte nun Klondike zu dem auf fünfundzwanzig Milliarden Francs geschätzten Goldvorrat der Erde nicht sein gutes Teil beitragen?
– Das kommt mir sehr wahrscheinlich vor, stimmte ihm Summy klugerweise bei. Zunächst heißt es aber, an die nötigen Reisevorbereitungen denken, lieber Ben. Da hinaus nach jenen seltsamen Ländern zieht man doch nicht mit einem Hemd zum Wechseln und zwei Paar Socken.[36]
– Darum ängstige dich nicht, Summy laß das nur meine Sorge sein. Du wirst in Montreal nur in den Bahnzug ein- und in Vancouver daraus auszusteigen haben. Unsre Reisebedürfnisse sind ja auch nicht dieselben wie die eines Auswandrers, der, wenn er auf gut Glück in ein fernes Land pilgert, eine Last der verschiedensten Dinge mitschleppen muß. Was wir brauchen, das ist schon vorhanden, das findet sich auf dem Claim unsers Onkels. Wir haben nur für die Beförderung unsrer Personen zu sorgen.
– Nun, das ist doch auch etwas! rief Summy Skim, die sind doch der Mühe wert, einige Vorsichtsmaßregeln zu treffen.... vor allem gegen die Kälte.... brrr.... mir ist's schon zu Mute, als wäre ich bis auf die Knochen zu Eis erstarrt!
– Ach, Torheit, Summy. Wenn wir in Dawson City eintreffen, ist ja die schöne Jahreszeit bestens im Gange.
– Mag sein, doch später folgt ihr auch die schlechte.
– Beruhige dich nur, tröstete ihn Ben Raddle. Auch im Winter wirst du keine Not leiden. Passende Bekleidung.... gute Ernährung.... ich sage dir, du kommst fetter nach Hause zurück, als du's bei der Abreise warst.
– Na, das verlange ich gar nicht, protestierte Summy Skim, der sich nun einmal in sein Schicksal ergeben hatte. Das sage ich dir: wenn ich auch nur um zwei Pfund zunehmen sollte, da ist's mein Ende!
– Scherze nur, Summy, scherze, so viel du willst, doch habe Vertrauen.
– Ja ja, ohne Vertrauen geht's gar nicht. Es ist also ausgemacht, daß wir am 2. April als El Doradosucher aufbrechen?
– Ja, die Zwischenzeit genügt mir für alle Vorbereitungen.
– Gut, Ben; da ich nun aber noch zehn Tage frei habe, werde ich sie auf dem Lande zubringen.
– Ganz nach Belieben, Herr Vetter, antwortete Ben Raddle, ich meine nur, gar so schön wird's in Green-Valley noch nicht sein.«
Summy Skim hätte darauf entgegnen können, daß die Witterung dort jedenfalls besser als die in Klondike sein würde. Er unterdrückte das aber und begnügte sich mit der Versicherung, es werde ihm ein großes Vergnügen gewähren, noch ein paar Tage unter seinen Pächtern zu weilen, seine Felder, auch wenn Schnee darauf läge, und die schönen, von Rauhfrost glitzernden Wälder wiederzusehen, die eisbedeckten Flüsse und das Schollentreiben im Sankt Lorenzo zu betrachten. Bei tüchtiger Kälte böte sich einem Jäger dann auch[37] Gelegenheit, ein gutes Stück Haar- oder Federwild zu erlegen, ohne von dem Raubzeug zu reden, von den Bären, Pumas und andern, die sich dort gelegentlich umhertreiben. Es sah fast aus, als wollte Summy Skim von allem Lebenden in jener Gegend Abschied nehmen.
»Du solltest mich eigentlich begleiten, Ben, sagte er.
– Meinst du wirklich? antwortete der Ingenieur. Wer befaßt sich denn dann mit unsren Reisevorbereitungen?«
Schon am nächsten Tage saß Summy Skim auf der Eisenbahn. Am Bahnhofe von Green-Valley fand er ein Geschirr mit einem Paar kräftiger Pferde und am Nachmittage traf er auf seiner Besitzung ein. Wie immer, zeigte er sich sehr erkenntlich für den herzlichen Empfang, den man ihm hier bereitete; doch als die Pächter und die Arbeitsleute die Veranlassung zu dem vorzeitigen Besuch erfuhren, als sie hörten, daß der Gutsherr diesen Sommer nicht bei ihnen zubringen werde, gaben sie unverhohlen dem Kummer Ausdruck, den ihnen diese Nachricht machte.
»Ja, liebe Freunde, sagte Summy Skim, Ben Raddle und ich, wir gehen nach dem Teufelslande, nach Klondike, das so fern von hier ist, daß man allein zwei Monate braucht, dahin zu kommen, und natürlich ebensolange zur Rückkehr.
– Und das alles, um ein paar Goldklümpchen aufzulesen! äußerte, die Achseln zuckend, einer der Bauersleute.
– Wenn man überhaupt solche Dinger findet, setzte ein alter Philosoph hinzu, der den Kopf in wenig ermunternder Weise schhüttelte.
– Ihr lieben Leute, fuhr Summy Skim fort, das ist einmal so wie ein Fieber, schon mehr eine Epidemie, die von Zeit zu Zeit über die Erde hinzieht und ihre Opfer fordert.
– Warum muß aber gerade unser Herr mit da hinausgehen?« fragte die älteste Pächtersfrau.
Summy Skim erklärte den Leuten nun, daß er und sein Vetter infolge des Ablebens ihres Onkels Josias Lacoste einen Claim geerbt hätten, und er setzte ihnen auseinander, warum Ben Raddle ihre Anwesenheit in Klondike für notwendig hielte.
»Ja ja, sagte der Alte, wir haben auch davon gehört, was dort an der Grenze der Dominion vorgeht, auch von dem Elend so vieler armer Teufel, die den Strapazen der Reise und der Arbeit erliegen. Es ist aber doch ausgeschlossen,[38] Herr Summy, daß Sie etwa in jenem Lande des Schreckens blieben; Sie kehren doch wohl nach dem Verkauf Ihres Schlammhausens wieder zurück?
– Darauf könnt ihr euch verlassen, liebe Freunde. Fünf bis sechs Monate werden aber immerhin vergehen und dann ist die schöne Jahreszeit vorbei. Ich werde leider einen ganzen Sommer verlieren.
– Ja, und nach einem verlornen Sommer ist der Winter um so trauriger,« sagte eine alte Frau, die, sich bekreuzigend, noch hinzufügte:
»Gott nehme Sie, unsern guten Herrn, in seinen mächtigen Schutz!«
Nach einwöchigem Aufenthalt in Green-Valley glaubte Summy Skim, es wäre doch nun Zeit, zu Ben Raddle zurückzukehren. Es war ein rührender Auftritt, als er von all den braven Leuten Abschied nahm. Und wenn er sich dazu vorstellte, daß in wenigen Wochen die Aprilsonne über Green-Valley aufsteigen, daß durch die Schneedecke das erste Frühlingsgrün hervorsprossen würde und daß er dann, wenn diese verwünschte Reise nicht wäre, wie alle Jahre hierherkäme, im laubumrankten Pavillon zu wohnen, bis die erste Winterkälte fühlbar würde! In den verflossenen acht Tagen hatte er immer heimlich auf das Eintreffen eines Briefes von Ben Raddle gehofft, der ihm melden sollte, daß sie von ihrem Vorhaben abstehen könnten... vergeblich... es war kein Brief gekommen, nichts hatte sich geändert, am vorausbestimmten Tage sollte die Abreise erfolgen. Summy Skim mußte sich wohl oder übel zum Bahnhofe fahren lassen und am Morgen des 31. März stand er seinem schrecklichen Vetter wieder Auge in Auge gegenüber.
»Nun, nichts Neues? begann er, indem er sich vor diesem wie ein Fragezeichen aufpflanzte.
– Gar nichts, Summy, außer daß unsre Vorbereitungen beendet sind.
– Du hast also alles besorgt?
– Alles, bis auf Lebensmittel, die wir unterwegs genug finden, antwortete Ben Raddle. Ich habe eigentlich nur unsre Bekleidung vervollständigt. Waffen?.... Du hast ja die deinigen, ich die meinigen, zwei gute Gewehre, die wir zu gebrauchen gewöhnt sind, und auch die vollständige Ausrüstung zur Jagd. Da es aber nicht möglich ist, da draußen unsre Garderobe zu erneuern, siehst du hier, was davon jeder von uns mitnehmen soll: Flanellhemden, wollene Westen und Unterbeinkleider, dicke Trikotjacken, je einen Cordanzug, Beinkleider aus starkem Tuche und solche aus Leinwand, blaue Leinenblusen, eine pelzgefütterte Lederweste, eine wasserdichte Seemannskleidung mit Kapuze, einen[39] Kautschukmantel je sechs Paar große Socken über den Strümpfen zu tragen, Fausthandschuhe aus Pelz und aus Leder, stark benagelte Jagdstiefel, Mocassins, Schneeschuhe, Taschentücher, Servietten...
– He, halt! rief Summy Skim, die Arme zum Himmel erhebend, dazwischen, willst du denn in der Hauptstadt von Klondike ein Warenhaus eröffnen? Du hast ja Vorräte für zehn Jahre angeschafft!
– O nein, nur für zwei Jahre.
– Nur! wiederholte Summy. ›Nur‹... das ist ja schrecklich. Ich bitte dich, Ben, wir gehen doch einfach nach Dawson City, unsern Claim Nummer 129 zu verkaufen, um dann nach Montreal heimzukehren. Dazu braucht man zum Kuckuck doch keine zwei Jahre!
– Gewiß nicht, Summy, vorausgesetzt, daß man uns für den Claim so viel bietet, wie er unter Brüdern wert ist.
– Und wenn das nun keiner geben will?
– Dann wird sich das Weitere ja finden.«
Da es Summy Skim doch unmöglich gewesen wäre, eine andre Antwort zu erzwingen, schwieg er gelassen still.
Am Morgen des 2. April befanden sich die beiden Vettern auf dem Bahnhofe, wohin ihr Gepäck schon befördert worden war. Das war übrigens nicht von gar so großem Umfange, erst wenn die Prospektorausrüstung in Vancouver dazugekommen wäre, würde es zu einem wohl etwas lästigen impedimentum anschwellen.
Hätten sie sich vor der Abreise an die Kanadische Pacificbahngesellschaft gewendet, so würden sie gleich durchgehende Billetts für den Dampfer nach Skagway bekommen haben können. Ben Raddle hatte sich aber noch nicht schlüssig gemacht, welchen Weg sie nach Dawson City wählen sollten, ob den über See und dann stromaufwärts den Yukon von dessen Mündung bis zur Hauptstadt von Klondike oder den Landweg, der jenseits von Skagway über Berg und Ebene und über die Seen von Britisch Kolumbien dahin führt.
Sie waren also endlich abgefahren, die beiden ungleichen Vettern, der eine weggeschleppt von dem andern, jener voller Zuversicht, dieser in sein Schicksal ergeben, beide aber bequem untergebracht in einem vortrefflichen Wagen erster Klasse. Die nötige Behaglichkeit ist doch das wenigste, was man für eine Fahrt von mehr als viertausendsiebenhundert Kilometern verlangen kann, für eine Reise. die von Montreal bis Vancouver sechs volle Tage in Anspruch nimmt.[40]
Von Montreal aus bewegt sich der Zug zuerst durch den Teil der Dominion, der die so wechselreichen Gebiete des Ostens und des Zentrums enthält. Erst wenn er über die Gegend der großen Seen hinausgekommen ist, erreicht er eine dünner bevölkerte, zuweilen, vorzüglich mit der Annäherung an Kolumbien, eine fast öde, menschenleere Landschaft.
Das Wetter war heute schön, die Luft etwas bewegt und der Himmel von leichtem Dunste verschleiert. Das Thermometer schwankte um den Nullpunkt. Soweit das Auge reichte, schimmernd weiße Flächen, die binnen wenigen Wochen ein grünes Kleid tragen würden, wenn die Rios erst aus den Fesseln des Eises erlöst waren. Mächtigen Flügelschlags zogen große Vogelherden, immer dem Bahnzuge voran, nach Westen hinaus. Auf beiden Seiten der Strecke zeigten sich in der Schneeschicht die Fährten von Tieren bis hinaus an den fernen Horizont... leicht zu verfolgende Spuren, bei deren Anblick ein Jägerherz schneller schlagen mußte.
Jetzt war wohl auch von einer Art Jagd die Rede. Doch wenn es Jäger gab in dem nach Vancouver rollenden Zuge, so waren es nur Goldklümpchenjäger, und die Hunde, die sie mit sich führten, waren nicht abgerichtet, Rebhühner oder Hafen zu stellen, auch nicht Damwild oder Bären zu verfolgen. Nein, das war nur Zugvieh, bestimmt, in dem Teile Kolumbiens zwischen Skagway und dem Gebiete von Klondike die Schlitten über die erstarrte Oberfläche der Seen und Flüsse zu schleppen.
Das Goldfieber war jetzt im Grunde noch im ersten Stadium. Ununterbrochen trafen aber neue Meldungen ein von der Auffindung weiterer Goldlagerstätten am Eldorado, an der Bonanza, am Hunter, Bear und Gold Bottom sowie an allen Zuflüssen des Klondikestromes. Man sprach – oder faselte – von Claims, wo der Prospektor aus einer Siebschüssel bis fünfzehnhundert Francs Gold gewonnen hätte. Der Strom der Einwandrer wuchs denn auch mehr und mehr an. Sie stürzten sich jetzt über Klondike wie vorher über Australien, Kalifornien, über das Transvaal und die Transportgesellschaften erstickten fast unter dem Andrange. Die Insassen des heutigen Zuges, das waren keine Sendlinge von Gesellschaften oder Syndikaten, die von Großbanken Europas und Amerikas gegründet worden waren. Bei ihrer vortrefflichen Ausrüstung mit Werkzeugen, ihrem reichen Vorrat an passender Kleidung und der sichern Aussicht, auf Grund getroffener Abmachungen mit Lebensmitteln versorgt zu werden, brauchen solche der Zukunft nicht ängstlich entgegenzusehen. Nein, hier handelte[43] es sich um armes, aber habgieriges Volk, das, aller Unbill der Existenz preisgegeben, vielleicht durch das Gespenst der Not aus seiner Heimat vertrieben wurde, um Leute, die alles wagen können, weil sie nichts zu verlieren haben, und denen – wer wollte es leugnen? – die Hoffnung auf einen besondern Glücksfall mehr oder weniger den Kopf verdreht hat.
Inzwischen brauste der Zug der Trans-Kontinentalbahn mit Volldampf weiter hinaus. Summy Skim und Ben Raddle hatten sich dabei sicherlich nicht über Mangel an Komfort zu beklagen, stand ihnen doch ein Salonwagen zur Verfügung für die Zeit des Tages, ein Schlafwagen für die Nacht, ein Rauchsalon, wo sie ihre Zigarre ebenso ungeniert genießen konnten wie in den besten Cafés von Montreal; ferner lief im Zuge ein Speisewagen mit vorzüglicher Bewirtung und aufmerksamer Bedienung und es gab sogar einen Baderaum für die, die sich unterwegs durch ein Bad erquicken wollten. Alles das hinderte jedoch Summy Skim nicht, aufzuseufzen, wenn er an sein Landhäuschen in Green-Valley dachte.
Um vier Uhr hatte der Zug Ottawa, die Hauptstadt der Dominion, erreicht, die, auf einem Hügel liegend, die Umgebung beherrscht, eine prächtige Stadt, deren mehr oder weniger berechtigter Anspruch es ist, der Mittelpunkt der Welt zu sein.
Weiter draußen im Lande, nahe der Carlton-Jonction, hätte man ihre Rivalin, Toronto, die alte, jetzt entthronte Hauptstadt sehen können.
Immer nach Westen eilend, gelangte der Zug nach der Station Sudbury, wo die Bahnlinie sich teilt, in einer durch die Bearbeitung vieler Nickelgruben bereicherten Gegend. Unser Zug folgte dem nördlichen Zweige, der den Lac Superior umkreist und in Port-Arthur, in der Nähe des Fort William, mündet. In Heron-Bay, Schreiber und den andern an dem großen See gelegnen Stationen dauerte der Aufenthalt lange genug, daß die beiden Vettern sich, wenn es ihr Wunsch gewesen wäre, von der Bedeutung dieser Süßwasserhäfen hätten überzeugen können. Weiterhin kamen sie über Bonheur, Ignane und Eagle River, eine Gegend, die ihr Gedeihen einträglichen Bergwerken verdankt, nach der wichtigen und bedeutenden Stadt Winnipeg.
Hier würde unter andern Verhältnissen ein Aufenthalt von mehreren Stunden Summy Skim zu kurz erschienen sein, der von Winnipeg gern ein Andenken an seine Reise mitgenommen hätte. Wäre er nicht von Klondike sozusagen hypnotisiert gewesen, so hätte er ohne Zweifel gern einen bis zwei Tagegeopfert, die 40.000 Einwohner zählende Stadt und die Nachbarstädte des westlichen Kanada zu besuchen. Leider war das Summy Skim jetzt unmöglich. Der Zug nahm seine Insassen wieder auf, in der Hauptsache menschliche Kolli, die nicht zum Vergnügen reisten, sondern nur daran dachten, mit möglichster Beschleunigung und auf kürzestem Wege an ihr Ziel zu gelangen.
Vergeblich bemühte sich Ben Raddle, die Aufmerksamkeit des Besitzers von Green Valley zu erregen.
»Du bemerkst wohl gar nicht, Summy, redete er auf den Vetter ein, wie vorzüglich die ganze Gegend hier kultiviert ist.
– So?... Ach ja, lautete Summy Skims Antwort.
– Auch nicht, welch grenzenlose Grasflächen sie hat. Hier sollen Büffel noch zu Tausenden vorkommen. Ha, das wäre ein Jagdvergnügen, Summy!
– Ja freilich, meinte Summy Skim, der aber sehr gleichgültig blieb. Eins kann ich dir jedoch sagen, daß ich hier lieber sechs Monate oder sechs Jahre bliebe als in deinem Klondike sechs Wochen.
– Bah! Wenn es in der Umgebung von Dawson City auch keine Büffel gibt, entgegnete Ben Raddle lachend, so wirst du dich an den kanadischen Elentieren schadlos halten.«
Über Regina City stieg der Zug nach dem Crow New-Paß der Felsengebirge hinauf und rollte dann der Grenze von Britisch-Kolumbien zu, nachdem er einige Stunden in Calgary City still gelegen hatte.
Von dieser Stadt aus zweigt sich mit dem Endpunkt in Edmonton eine Linie ab, die zuweilen die Auswandrer nach Klondike wählen. Auf dem Wege über den Peace River und das Fort Saint John, ferner über Dease, Francis und Pelly Rivers verbindet dieser Schienenstrang, der durch den, vom cygenetischen Standpunkte beurteilt, berühmten Bezirk von Cassiar führt, den Nordosten Kolumbiens mit dem Yukon... ein richtiger Jägerpfad, dem Summy Skim gewiß gefolgt wäre, wenn er die Gegend zum Vergnügen aufgesucht hätte. Der Weg ist aber schwierig und lang; er nötigt den Reisenden auf der mehr als zweitausend Kilometer betragenden Strecke, sich wiederholt frisch zu verproviantieren. Wohl ist das Land hier recht reich an Gold, das man aus jedem Flußsande waschen kann; unglücklicherweise fehlt es ihm aber fast an allen Hilfsmitteln und ein Verkehr wird sich erst von dem Tage an entwickeln, wo die kanadische Regierung etwa von fünfzehn zu fünfzehn Lieues mit allem nötigen ausgerüstete Relais errichtet haben wird.[47]
Bei der Fahrt durch die Felsenberge hatten die Reisenden Gelegenheit, die stolz aufstrebenden Höhen mit ihrer Haube von ewigem Schnee zu bewundern. Inmitten dieser Eiswüsten herrscht das Schweigen des Kirchhofs, nur unterbrochen von dem Dröhnen und Schnauben der Lokomotive.
Je weiter der Zug nach Westen kam, durchmaß er Gegenden, die zwar nicht reich waren an fruchtbarem Boden, der bei seiner Jungfräulichkeit der Arbeit des Menschen den verdienten Lohn verspräche, nein, das waren hier die Gebiete des Kootaway, die Gold Fields des Cariboo, wo Gold zuerst gefunden wurde und noch heute gefunden wird, das hydrographische Netz, das Splitter und Stückchen des kostbaren Metalls mit hinabschwemmt. Da drängte sich einem unwillkürlich die Frage auf, warum die Prospektoren nicht diesem leichter erreichbaren Lande zugeströmt wären, statt daß sie die Beschwerden der langen Reise nach Klondike auf sich nahmen, der höhern Kosten, die diese verursachte, gar nicht zu erwähnen.
»Wahrhaftig, bemerkte Summy Skim, unser Onkel Josias hätte schon hier sein Glück versuchen sollen, dann wären wir doch jetzt an Ort und Stelle und über den Wert seiner Goldgrube in kürzester Zeit im klaren. Binnen achtundvierzig Stunden hätten wir das Loch zu Gelde gemacht und unsre Abwesenheit hätte dann nicht länger als vier Wochen gedauert.«
Summy Skim hatte ja ganz recht; es stand aber jedenfalls im Schicksalsbuch geschrieben, daß er bis zu der schrecklichen Gegend von Klondike hinausziehen und in dem schlammigen Sande des Forty Miles Creek umherwaten sollte.
Der Zug setzte wohl deshalb seinen Weg weiter fort, trug Summy Skim nur weiter weg von Montreal und Green-Valley, beförderte ihn nach der Seegrenze Kolumbiens und setzte ihn, ohne die geringste Störung während der Reise am 8. April nebst seinem Vetter Ben Raddle im Bahnhofe von Vancouver heil und gesund ab.[48]
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