Sechzehntes Kapitel.
Ex abysso resurgit.

[439] Daß die gedrückte Stimmung Ben Raddles längere Zeit anhalten sollte, war bei seinem Temperament nicht anzunehmen. Jetzt kamen aber auch noch Umstände hinzu, die eine spontane Reaktion nicht erst eintreten ließen.

Als die elektrischen Lampen in den Straßen von Dawson City aufflammten, meldete ein Diener zum zweiten Male einen Fremden an, der Herrn Summy Skim zu sprechen wünschte.

Der Besucher war kein andrer als Neluto, der jedoch nichts von Bedeutung mitzuteilen hatte. Er glaubte, Herrn Skim nur davon unterrichten zu müssen, daß Patrick und er in dem betreffenden Hause der Vorstadt kein Unterkommen finden könnten, da es verschlossen sei und Lorique es seit einem Monat verlassen hätte.

Daß Lorique nicht da wäre, konnte Ben Raddle nicht verwundern. Wahrscheinlich hatte der Werkführer eine gute Gelegenheit gefunden, wieder tätig zu sein, oder er betrieb zur Stunde wieder die Goldgräberei für Rechnung seines alten Herrn.

Das Erscheinen Nelutos genügte jedoch, den auf allen lastenden Bann zu brechen. Ben Raddle richtete sich auf, bereit zu schnellen Entschließungen, zu neuer, energischer Arbeit.

»Neluto! rief er in dem Augenblick, wo dieser nach Erledigung seiner Meldung sich zurückziehen wollte.

– Herr Raddle?

– Neluto, morgen brechen wir nach dem hundertneunundzwanzigsten Claim auf.[439]

– Nach Nummer 129! wiederholte der Indianer erstaunt.

– Ja. Das Verschlossensein des Hauses in der Vorstadt hat jetzt keine weitre Bedeutung, da du diese Nacht wirst auf den Schlaf verzichten müssen.«

Ben Raddle nahm eine Handvoll Banknoten vom Tische.

»Hier sind zweitausend Dollars, sagte er. Ich werde dir noch mehr, jedenfalls so viele geben, wie du brauchst. Spare also das Geld nicht, sondern sorge nur dafür, daß wir morgen ganz frühzeitig einen Wagen vor der Tür haben, worin wir alle zusammen Platz finden.

– Morgen früh! rief Neluto. Es ist aber schon Nacht, Herr Raddle!

– Bestehe auf deinem Verlangen, bitte, drohe den Leuten und streue die Dollars mit vollen Händen aus... das bleibt immer das beste Mittel. Im übrigen, schloß der Ingenieur, bringe die Sache in Ordnung, wie du willst, wenn der Wagen nur zur genannten Zeit bereit steht.«

Neluto seufzte hörbar.

»Na, versuchen will ich's, Herr Raddle,« sagte er noch im Verschwinden.

Der Indianer war kaum fortgegangen, als der Doktor Pilcox – Jane hatte ihm die Rückkehr der beiden Vettern gemeldet – wie immer eilig, aber lustig eintrat, die Herren unter lauter Beweisen freundschaftlicher Teilnahme zu begrüßen.

Als Arzt mußte er sich natürlich zuerst nach deren Gesundheit erkundigen.

»Sie befinden sich wohl? fragte er.

– Wie Sie sehen, antwortete Summy Skim.

– Und sind befriedigt?

– Das können Sie sich denken.

– Ja, das glaube ich gern, rief der Doktor. Eine so herrliche Reise!

– Da befinden Sie sich auf dem Holzwege. Befriedigt... zurückgekehrt zu sein!«

Der Doktor Pilcox wurde nun von den Erlebnissen auf der Fahrt unterrichtet. Man erzählte ihm von dem Auftauchen der Texaner und ihren feindlichen Angriffen, von der durch den Ingenieur herbeigeführten Eruption des Vulkans und wie so viele Mühe und Arbeit schließlich vergebens gewesen wäre, da die Pepiten des Golden Mount, mit Ausnahme einer einzigen, jetzt auf dem Grunde des Polarmeers lägen.


Der Wagen folgte dem Wege weiter. (S. 455.)
Der Wagen folgte dem Wege weiter. (S. 455.)

»Da haben wir's, sagte der Doktor, der Vulkan hat es nicht einmal verstanden, sich nach der richtigen Seite hin zu erbrechen. Wahrhaftig, da lohnte es sich ja gar nicht, ihm erst noch ein Emetikum beizubringen!«

Unter dem Emetikum verstand der Doktor die Ableitung des Rio Rubber, der seine Wassermassen in den Magen des Golden Mount ergossen hatte.

Als Trost konnte er nur, mit einigen Varianten medizinischer Natur, wiederholen, was schon Summy Skim zu Ben Raddle gesagt hatte.

»Da heißt's eben: Philosoph sein! Über die Philosophie als hygienisches, gesund erhaltendes Mittel geht doch nichts! Die Hygiene... ja, das ist die Gesundheit selbst, und die Gesundheit ist doch die kostbarste Pepite!«

Ben Raddle ließ den Doktor sich nicht verabschieden, ohne ihn wegen Edith Edgertons befragt zu haben. Er konnte von ihm aber nichts Näheres erfahren.

Der Doktor hatte Jane bereits alles gesagt, was er wußte, und das kam ja auf recht wenig hinaus.

Eines schönen Tages war Edith plötzlich davongegangen, nur mit dem Versprechen, vor dem Winter zurückgekehrt zu sein. Der Doktor hatte sich mit dieser Zusicherung begnügen müssen und Ben Raddle mußte wohl oder übel dasselbe tun.

Am nächsten Morgen, als kaum der Tag angebrochen war, hielt der Wagen vor dem Tore des Hotels. Neluto hatte sich selbst übertroffen. Mundvorräte, Waffen, Sack und Pack, nichts fehlte, ohne zu rechnen, daß das höchst bequeme Gefährt mit zwei tüchtigen Pferden bespannt war. In kurzer Zeit wurde die Fahrt angetreten.

Wenn das mit voller Hand ausgestreute Geld aber imstande gewesen war, die Transportmittel zur Stelle zu schaffen... die Zahl der Kilometer hatte es doch nicht verkleinern können. Im vergangenen Jahre hatte es dreier Tage bedurft, den Claim 129 zu erreichen, und nicht weniger erwies sich jetzt zur Überwindung derselben Entfernung nötig, die inzwischen sogar noch ein wenig gewachsen war.

Beim Fort Cudahy hatte man nämlich den Forty Miles Creek in der Nähe seiner Vereinigung mit dem Hauptstrome überschreiten müssen. Nach der Aussage mit dem Lande bekannter Leute war das rechte Ufer seit einem Monate in der Nähe der Grenze ganz unbefahrbar geworden. Daraufhin setzten die vier Reisenden über den Fluß und folgten dann seinem linken Ufer.[443]

Längs des ganzen Weges und vor allem in Fort Cudahy sprachen die Leute fast von nichts anderm, als von den Claims am Oberlauf des Forty Miles. Ihrer Rede nach waren da seit kurzem ganz außerordentliche Entdeckungen gemacht worden, Entdeckungen von so unermeßlich reichen Erzlagern, wie sie noch kein Goldgräber je gesehen hatte.

Vergebens kochte Ben Raddle vor Ungeduld, als er diese wunderbaren Berichte vernahm. Unbekümmert um sein Vorwärtsdrängen, taten die Pferde keinen Schritt mehr als vorher und erst eine Stunde nach zwölf Uhr mittags kam die Gesellschaft am 6. September an der Grenze an.

Das Land hier war gar nicht zu verkennen.

Auf dem größten Teile ihres Weges hatten die Reisenden keine irgendwie auffällige Veränderung bemerkt. Die Umgegend, die sie bis hierher nur vom rechten Ufer aus vor Augen gehabt hatten und die sie jetzt vom linken aus betrachteten, schien keine andern Veränderungen erlitten zu haben als solche, die aus der verschiednen Orientierung hervorgingen. Alles war an derselben Stelle wie vor der Katastrophe am 5. August.

Als sie aber bis zur Höhe des Claims 127b kamen, den Jane Edgerton früher am rechten Ufer bearbeitet hatte, und als der Wagen nach Überschreitung der Höhen, deren von Nordwest her verlaufende Kette, hier flußabwärts des Rio abbiegend, dessen linkes Ufer bildete, wieder den Abhang hinunterrollte, da lagen die Dinge anders. Statt zu ihren Füßen den auf Kosten des Claims 129 verbreiterten Fluß zu sehen, hatten sie jetzt eine große Landfläche vor sich, die auf beiden Seiten der Grenze etwa einen Kilometer weit hinausreichte und auf der es von Arbeitenden wimmelte.

Ein Wasserspiegel glänzte erst im Süden von diesem Stück festen Landes und schien bis zur nördlichen und südlichen Grenze des alten Claims 129 zu reichen, über den der abgelenkte Creek brausend hinwegflutete. Der Hügel, der vorher das Besitztum der beiden Vettern von dem Jane Edgertons trennte, bildete für den Strom kein Hindernis. Seine äußerste Spitze war verschwunden. An deren Stelle verlief der Fluß und an der Felsenbarre angelangt, die den Claim 127b ehemals in zwei Absätze schied, fiel er als mächtige Kaskade von der obern zur untern Stufe, um hundert Meter weiter in sein altes Bett einzuschwenken, das er bis zur Einmündung in den Yukon nicht wieder verließ.

Die eingetretenen Veränderungen schienen nur eine sehr beschränkte Bodenfläche betroffen zu haben, die aber nach beiden Seiten der Grenze hinausreichte,[444] ein Gebiet, wovon der Teil des Forty Miles Creek, der frühere Rand vom Claim des Onkels Josias, ziemlich genau die Mitte einnahm.

Der Wagen folgte, da- und dorthin von der geraden Linie abweichend, dem Wege weiter und seine Insassen betrachteten verwundert das merkwürdige Bild, das sich ihren Blicken hier darbot. War das wirklich der Claim 129? Die bearbeitete Fläche übertraf ja bei weitem die, die gewöhnlich für einen Claim abgegeben wurde. War das aber doch der Claim 129, dessen wunderbare Erträgnisse sie besser als jeder andre kannten, wem mochte er dann gehören und wie kam es, daß seine Ausbeute für das Guthaben Summy Skims und Ben Raddles eingeliefert worden war? Wer konnte das getan haben? Wer hatte die Arbeiter angeschafft und leitete hier deren Tätigkeit? Lauter Fragen, die sich den Ankommenden gebieterisch aufdrängten.

Mit der weitern Annäherung an den Fuß des Hügelabhangs wurde alles deutlicher sichtbar. Ben Raddle unterschied da vier in zwei Gruppen aufgestellte Rockers, die etwa dreihundert Meter voneinander entfernt waren und von einer Dampfpumpe am Fuße der jenseitigen Anhöhe gespeist wurden. Zweihundertfünfzig Werkleute, alle mit Aufhacken des Bodens oder mit Waschen der Schollen beschäftigt, arbeiteten so eifrig, daß sie das Eintreffen der kleinen Gesellschaft gar nicht zu bemerken schienen.

Nur einer von ihnen verließ seinen Arbeitsplatz, als der Wagen auf das Gebiet des Claims einlenkte, und fragte höflich, was die Besucher wünschten.

»Wir möchten Ihren Werkführer sprechen, antwortete Ben Raddle im Namen der übrigen.

– Wollen Sie mir gefälligst folgen, meine Herren,« sagte der Arbeiter.

Summy Skim, Ben Raddle und Jane Edgerton stiegen nun aus und gingen, von dem Manne geleitet, längs der Anhöhe am jetzigen Ufer des Forty Miles Creek hin.

Nach fünfzig Schritten blieb der Führer vor einem Häuschen stehen, das nahe am westlichen Abhange der Anhöhe lag, über die der Wagen eben gekommen war. Hier klopfte der Mann kräftig an die Tür.

Diese öffnete sich sofort. Auf der Schwelle erschien ein junges weibliches Wesen, das mit Ausrufen des freudigsten Erstaunens begrüßt wurde.

»Edith!« rief Jane, als sie diese erkannte und ihr in die Arme stürzte.

Während aber Edith Edgerton alle Liebkosungen ihrer Cousine erwiderte, richtete sich ihr Blick doch auf Ben Raddle, der ihr zuerst nähertrat.[445]

»Fräulein Edith! rief auch der Ingenieur im höchsten Erstaunen.

– Herr Raddle!« gab Edith in gleichem Tone zurück.

Jedem einigermaßen scharfsichtigen Beobachter wäre es zweifellos gewesen, daß der sonst so klare, ruhige Blick des jungen Mädchens jetzt etwas verändert erschien und daß ihr frisches Gesicht sich – o, nur wenig! – mit einer flüchtigen Röte bedeckt hatte. Das waren freilich nur oberflächliche Erscheinungen, die fast unbemerkt vorübergehen sollten und auch so vorübergingen.

Als man gegenseitig der Freude des Wiedersehens genügend Ausdruck gegeben und warme Händedrücke unter einem wirren Getöse – da alle auf einmal sprachen – gewechselt hatte, begann Ben Raddle:

»Aber wollen Sie wohl erklären, Fräulein...

– Sofort, unterbrach ihn Edith. Erst treten Sie jedoch gefälligst ein; ich glaube, es werden sich genug Sitze finden, alle gebührend aufzunehmen.«

Die Ankömmlinge betraten hierauf das Häuschen, das mit einem Möblement ausgestattet war, welches die Bezeichnung »spartanisch« mit Recht verdiente. Ein Koffer diente als Schrank; daneben sah man eine Matratze aus trocknem Gras und einen Tisch mit mehreren Stühlen... weiter hätte auch der Scharfsichtigste nichts entdecken können. Die dürftige Ausstattung glänzte aber in so vollendeter Sauberkeit, daß sie fast luxuriös aussah.

»Meine Erklärung wird sehr kurz ausfallen, sagte Edith, nachdem sich alle gesetzt hatten. Am vergangnen vierundzwanzigsten Juli erfuhr Lorique zufällig, daß der Forty Miles Creek der Schauplatz einer noch stärkeren Veränderung als der des vorigen Jahres gewesen wäre. Allgemein sagte man, daß die meisten, vorher überschwemmten Claims dabei wieder zutage getreten seien. Wie sich die Nachricht hiervon so schnell hatte verbreiten und binnen vierundzwanzig Stunden über eine Strecke hatte hinausdringen können, die man auch mit den schnellsten Beförderungsmitteln kaum in drei Tagen zurückzulegen vermag, das weiß ich nicht. Sie war gewiß von Mund zu Mund geflogen und hatte sich wie Öl auf dem Wasser überall hin verbreitet. Wenige Stunden, nachdem sie Lorique zu Ohren gekommen war, wußte in Dawson alle Welt davon ebensogut wie er.

– Und was tat darauf Lorique? fragte Ben Raddle.

– Er kam noch denselben Abend, antworte Edith, mich von der Neuigkeit zu unterrichten. Mein Entschluß war auf der Stelle gefaßt. Da die Herren Raddle und Skim abwesend waren, mußte sie doch jemand vertreten und das[446] tun, was sie getan hätten, wenn sie dagewesen wären. Ich konnte das um so leichter auf mich nehmen, da das Krankenhaus im Sommer so gut wie leer steht.

»Nachdem wir uns mit dem nötigen Gelde versorgt hatten, das durch eine Anweisung des Herrn Raddle Lorique zur Verfügung stand, fuhren wir beide gleich am nächsten Tage ganz früh ab und verhehlten aus Vorsicht allen das Ziel unsrer Reise.

– Seit dieser Zeit sind Sie hier?

– Ja, seit dem siebenundzwanzigsten Juli. Hier fanden wir die Dinge, wie Sie es sehen. Das allgemeine Gerede hatte die Wahrheit gesprochen, die Tatsachen nur, wie immer, etwas verdreht. Sie haben sich ja schon überzeugen können, daß die alten Claims eigentlich nirgends wieder aufgetaucht sind. Im Gegenteil: Zuerst infolge Aufsteigens des Grundes des Forty Miles Creek überflutet, ist das durch eine wiederholte Bodenerhebung noch in verstärktem Maße geschehen. Wir arbeiten jetzt eigentlich im Bette und auf dem Grunde des Forty Miles Creek, der, endgültig abgelenkt, nun einzig über die alten Claims hinwegströmt.

– Ja, in diesem Falle, bemerkte Ben Raddle, ist es mir um so unerklärlicher...

– Einen Augenblick Geduld, ersuchte ihn Edith, Sie werden sofort alles begreifen. Als wir hier eintrafen, war uns noch niemand zuvorgekommen. Wie Sie wissen, gewährt die Konzession für einen an einen Fluß grenzenden Claim auch die Berechtigung, den Wasserlauf am Rande auszubeuten. Der zutage getretne Teil des alten Creekbettes gehörte demnach rechtmäßig den Uferinhabern. Diese überall bekannten gesetzlichen Bestimmungen hatten jedenfalls bewirkt, daß niemand hierhergezogen war. Weniger skrupulös, ließen wir es unsre erste Sorge sein, unsre Grenzpfähle aufzurichten, und zwar längs einer Linie, die gleichzeitig die zu den Claims 127b und 129 östlich vom Claim 127 gehörigen Teile und westlich, an der andern Seite der Grenze, den Claim 131 einschloß. Hierauf untersuchten wir erst den bisher von jeder Ausbeutung verschonten Erdboden.

– Das Ergebnis dieser Untersuchung kenne ich bereits, fiel hier Ben Raddle ein. Es kann einem dabei schwindlig werden.

– Ich übergehe alle Einzelheiten, fuhr Edith Edgerton fort, und beschränke mich auf den Ausfall der schnellen Prüfung, die wir damals vornahmen. Da erkannten wir sofort, daß die ganze Fläche, die wenige Tage vorher noch vom[447] Wasser des Forty Miles Creek bedeckt gewesen war, erstaunliche, wenn auch ungleichmäßig verteilte Schätze barg. Wenn sich das Gold hier seit Jahrhunderten überall in dichter Masse niedergeschlagen hätte, wäre die Ablagerung unbedingt eine mehr gleichmäßige gewesen. Wir konnten sogleich erkennen – und die Ausbeutung hat das von der ersten Stunde an bestätigt – daß der übrigens große Gehalt des goldführenden Sandes sich von der Mitte bis zur Grenze der von unsern Pfählen umschlossenen Fläche allmählich verminderte. In der Mitte selbst, d. h. dem alten Claim 129 genau gegenüber, verstummten wir dagegen vor Erstaunen über das, was wir fanden. Was hier vorgegangen sein mochte, das zu sagen bin ich nicht imstande. Vielleicht hat eine Bodensenkung im Bette des Forty Miles Creek Wasserwirbel entstehen lassen, worin sich jahrhundertelang das mitgerissene Gold absetzen konnte; ich vermag das nicht zu entscheiden. Gewiß ist nur, daß wir an dieser Stelle fast reines Gold in einem Haufen fanden, der eine Ellipse von etwa fünfunddreißig Yards Länge und einundzwanzig Yards Breite bildete, deren Tiefe ich zwar für beträchtlich halte, die jedoch noch nicht weiter bekannt ist.«

Die Zuhörer Edith Edgertons lauschten wie traumumfangen der feenhaften Schilderung, die mehr an einen Roman als an die Wirklichkeit erinnerte. Sie hätten nicht sagen können, was sie am meisten verwunderte, ob diese Laune der Natur oder die Voraussicht und die Tatkraft derjenigen, die daraus so großen Nutzen zu ziehen verstanden hatte. Damit sollten sie aber noch nicht am Ende ihres Erstaunens sein.

»Angesichts einer solchen Entdeckung, berichtete Edith weiter, beeilte ich mich nach Möglichkeit, das Recht zu deren Ausbeutung bestätigen zu lassen. So wurde ein Claim auf den Namen des Herrn Raddle, ein zweiter auf den des Herrn Skim und je noch ein anderer auf den Namen meiner Cousine, ferner Loriques und auf meinen Namen eingetragen. Daß ich bei dem Gesuch um diese Konzessionen, zum großen Teile im Namen Abwesender, nicht einige kleine... Unkorrektheiten begangen haben könnte, wage ich nicht zu behaupten. In derlei Dingen ist es aber die Hauptsache, Erfolg zu erreichen.

– Ganz sicherlich! stimmte Ben Raddle ihr zu.

– Ich brauche wohl nicht hervorzuheben, daß ich keinen Augenblick die wirkliche Sachlage vergessen habe. Die Claims konnten nur mit Hilfe der Kapitalien des Herrn Summy Skim und des Herrn Ben Raddle in Arbeit genommen werden und natürlich sind sie auch deren Eigentum. Ich habe mich immer nurals ihren Beauftragten angesehen und habe nur demgemäß gehandelt. Jetzt ist alles in Ordnung; ich habe auch für den auf amerikanischem Gebiete gelegenen Claim das letzte gerichtliche Dokument erhalten.«


Hier herrschte eine allgemeine Tätigkeit. (S. 451.)
Hier herrschte eine allgemeine Tätigkeit. (S. 451.)

Bei diesen Worten war Edith schon nach dem Koffer gegangen, der in einer Ecke des Raumes stand. Daraus zog sie ein Bündel Papiere hervor.

»Hier sind die Besitztitel, sagte sie, und hier die Erklärung Loriques und die meinige, worin wir die wirklichen Eigentümer anerkennen und jedem Anspruch unserseits von vornherein entsagen. Dazu fehlt nur noch die gleichlautende Erklärung Janes, ich glaube aber dafür einstehen zu können, daß sie eine solche nicht verweigern wird.«

Als Antwort umarmte Jane nur ihre Cousine.

Ben Raddle war einfach erdrückt von der Bewunderung einer derartigen Hochsinnigkeit. »Kaum glaublich! Kaum glaublich!« murmelte er zwischen den Zähnen.

Edith erhob sich.

»Wollen Sie jetzt als Besitzer einen Rundgang über Ihr Eigentum antreten, fuhr sie fort, so werde ich Ihnen als Führer dienen; bei derselben Gelegenheit werden Sie auch Lorique Guten Tag sagen können.«

Alle verließen das kleine Haus und durchstreiften das Gebiet des Claims in jeder Richtung. Hier herrschte eine allgemeine Tätigkeit, für die der Ingenieur fast noch mehr Sinn hatte als für die eben gehörten diplomatischen Heldentaten.

Alles ging mit der Regelmäßigkeit eines Chronometers.

An jeder Seite der einen auf kanadischem und der andern auf amerikanischem Boden gelegenen Platzhälfte bewegte sich ein Rocker (eine Art Wiege), gespeist von einer kleinen, am neuen Ufer des Creek, fast gegenüber dem Mittelpunkte des Werkplatzes, stehenden Dampfpumpe, und auf beiden Seiten arbeiteten mit Schüssel oder mit Schöpflöffel eine große Anzahl Leute.

»Diese Pumpe hat mich nichts gekostet, erklärte Edith. Ich habe sie nach dem Zurückweichen des Wassers im alten Bett des Flusses gefunden. Wahrscheinlich gehörte sie zu einem stromaufwärts gelegenen und bei der vorjährigen Überschwemmung verlassenen Claim. Wie durch ein Wunder war daran nicht das mindeste zerbrochen; es genügte, sie zu säubern, sie aufzustellen und uns Kohle zu besorgen, was – in Parenthese gesagt – nicht gerade leicht war.«

Ben Raddle konnte nicht mehr an sich halten.[451]

»Werden Sie uns endlich auch mitteilen, rief er, wer alles das geleitet, die Arbeit organisiert und die nötigen Einrichtungen getroffen hat?

– Das bin ich gewesen, Herr Raddle, natürlich unter dem Beistande Loriques, antwortete Edith in einem Tone, der von Selbstüberschätzung ebenso fern war wie von unangebrachter Bescheidenheit.

– Sie?« rief der Ingenieur, der von diesem Augenblick tief in Gedanken versanken zu sein schien.

Edith fuhr in ihren Erklärungen fort. Sie führte ihre Begleiter bis zur letzten, auf alaskischem Gebiete gelegnen Konzession, die auf den Namen Loriques eingetragen war. Auf dem Claim, dessen offizieller Eigentümer er war, traf man auch den Werkführer, der von dem Wiedersehen mit Ben Raddle tief bewegt wurde. Ernsthaft nachsinnend, antwortete dieser aber auf die Ergebenheitsbezeigungen des treuen Dieners nur in etwas seltsamer, fast frostiger Weise.

Die Gesellschaft kam, jetzt mit Lorique, nach der Mitte des Arbeitsfeldes zurück.

»Das hier ist die allerergiebigste Fundstelle, sagte Edith.

– Wo wir jedesmal unsre tausend Dollars in der Schüssel haben,« setzte der Werkführer stolz hinzu.

Nachdem sie einigen Waschproben zugesehen hatten, die wirklich den angegebenen Betrag lieferten, begaben sich alle nach dem Wohnhäuschen zurück.

Als sie schon dessen Schwelle überschreiten wollten, hielt Ben Raddle, von einem plötzlichen Gedanken erfaßt, Edith durch einen Wink zurück.

»Sagten Sie nicht vorhin, fragte er, daß Sie Dawson am fünfundzwanzigsten Juli verlassen hätten?

– Jawohl, antwortete Edith.

– An welchem Tage war aber der Boden des Forty Miles Creek aufs neue und so hoch aufgestiegen?

– Am dreiundzwanzigsten Juli.

– Das wußt' ich doch! rief Ben Raddle. Unser Vulkan ist es, dem wir dieses Glück verdanken.

– Unser...? Welcher Vulkan?«

Ben Raddle schilderte ihr nun alle Erlebnisse während der Expedition zur Aufsuchung des Golden Mount. Als er seinen Bericht beendet hatte, zweifelte niemand mehr, daß die so tollkühn erzwungne Eruption die erste Ursache der Umwälzung gewesen sei, deren Schauplatz jener Teil Klondikes geworden war.[452]

Für alle lag es auf der Hand, daß die plutonische Erschütterung sich von einer Stelle zur andern fortgepflanzt und allmählich mit einer Reihe symmetrischer Hebungen und Senkungen des Erdbodens erschöpft habe. Hunderte von Kilometern weit deutete der lange Erdspalt genau die Richtung der unterirdischen Kraftäußerung an, die hier erstorben war. An der schon durch das frühere Erdbeben sozusagen aus den Fugen gerissenen Stelle hatte sie sich damit erschöpft, daß sie einen etwa fünfzig Meter breiten und einen Kilometer langen Landstreifen kaum zwei Meter hoch hob und durch eine den alten Claims des rechten Ufers entsprechende Bodensenkung ausglich.

Jane Edgerton war ganz besonders begeistert für diese Schlußfolgerungen, die ihrer Gewohnheit, das Leben anzusehen, so vollständig entsprachen. Nein, rege Tätigkeit war doch nun und nimmer nutzlos. Jene Reise lieferte dafür einen neuen Beweis. Wo sie vergeblich gekämpft zu haben glaubten, da hatte die Energie des Ingenieurs, hunderte von Kilometern entfernt, noch unerwartete Gegenwirkungen erzeugt und ihnen eine triumphähnliche Rückkehr verschafft.

Mit einem Lächeln dämpfte Edith die Begeisterung ihrer Cousine und wies darauf hin, daß jetzt noch die Buchführung bezüglich der Ausbeute zu prüfen wäre.

Als sich alle im Hause befanden, legte sie wirklich ihre Bücher vor und erklärte die Eintragungen darin so klar, daß es Ben Raddle die allergrößte Bewunderung abnötigte. Für die Aufstellung ihrer Kostpreise und Unkosten, für die Überwachung der Eingänge an Gold und dessen Versendung, ferner zur Sicherung gegen Diebstähle in einem Betriebe, wo diese ja ganz besonders zu befürchten sind, hatte sie mit gesundem, methodisch gebildetem Menschenverstande sehr einfache, doch sicher wirkende Leitsätze gefunden, die weder für einen Irrtum noch für einen Betrug Raum ließen.

»Erst diesen Morgen habe ich meine Arbeit beendigt, sagte sie zum Schlusse. Ich gedachte, wenn Sie nicht eingetroffen wären, nach Dawson zurückzukehren und eine Dublette der Bücher mitzunehmen. Lorique, der hier bleibt, wird bis zum Winter die weitre Ausbeutung leiten, die sich ja, wie Sie sehen, auch aus der Ferne sehr gut überwachen läßt.«

Nach diesen Worten verließ Ben Raddle das Häuschen. Er war dem Ersticken nahe. Das junge Mädchen hatte ihm eine Lektion erteilt, ihm aber nichts zu tun übrig gelassen. Alles »klappte«, sozusagen, bis auf den Punkt überm i, besser als er es selbst hätte ordnen und leiten können.[453]

Voller Unruhe folgte Summy Skim seinem Vetter. Warum hatte sich dieser so plötzlich entfernt? Sollte er zufällig unwohl geworden sein?

Nein, Ben Raddle war wohlauf. Den Blick auf den Horizont gerichtet, atmete er die freie Luft in tiefen Zügen ein wie einer, der sich von einer heftigen Gemütsbewegung erholen will.

»Aber, Ben, sagte Summy an ihn herantretend, nun bist du ja an deinem Ziele und doch wohl auch voll befriedigt. Du besitzest Millionen zu allerlei Unternehmungen. Desto mehr, weil ich dir selbstverständlich auch die meinigen abtrete, da ich mich um dergleichen nur so viel bekümmre!«

Summy schnipste dazu mit einem Fingernagel an seinen soliden Zähnen.

Ben Raddle ergriff den Arm seines Vetters.

»Was denkst du über Fräulein Edith? fragte er vertraulich.

– Ei, daß sie reizend, noch mehr als reizend ist, erklärte Summy mit Wärme.

– Nicht wahr? Doch damit ist nicht genug gesagt: Sie ist ein Wunder, Summy, ein wahres Wunder!« sagte Ben Raddle mit dem Ausdruck eines Träumenden.

Quelle:
Jules Verne: Der Goldvulkan. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LXXXIX–XC, Wien, Pest, Leipzig 1907, S. 439-441,443-449,451-454.
Lizenz:

Buchempfehlung

Auerbach, Berthold

Schwarzwälder Dorfgeschichten. Band 5-8

Schwarzwälder Dorfgeschichten. Band 5-8

Die zentralen Themen des zwischen 1842 und 1861 entstandenen Erzählzyklus sind auf anschauliche Konstellationen zugespitze Konflikte in der idyllischen Harmonie des einfachen Landlebens. Auerbachs Dorfgeschichten sind schon bei Erscheinen ein großer Erfolg und finden zahlreiche Nachahmungen.

554 Seiten, 24.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon