Zweites Kapitel.
An den Quellen der Donau.

[16] War Ilia Brusch wohl von Ruhmsucht geleitet gewesen, als er seinen im »Treffpunkt der Fischer« versammelten Kollegen seinen Plan, mit der Angel in der Hand die Donau hinunterzufahren, verkündigte? Wenn er[16] solchen Ruhm erstrebt hatte, so war ihm das geglückt. Die Presse hatte sich der Angelegenheit bemächtigt, und alle Zeitungen des Donaugebietes ohne Ausnahme hatten eine Abbildung des Wettbewerbes von Sigmaringen mit mehr oder weniger ausführlichem Text gebracht, der aber immer hinreichte die Eigenliebe des Siegers angenehm zu kitzeln, dessen Name schon auf dem Wege war, überall populär zu werden.

Schon am nächsten Tage, am 6. August, enthielt die Wiener »Neue Freie Presse« folgenden Artikel:[17]

»Der letzte Angelwettstreit des Donaubundes hat gestern in Sigmaringen mit einem richtigen Theatercoup geendet, dessen Held ein Ungar mit dem bis gestern unbekannten und heute fast schon berühmten Namen Ilia Brusch gewesen ist.

Was hat denn, fragen Sie, Ilia Brusch getan, einen so plötzlichen Ruhm zu verdienen?

Vor allem ist es diesem geschickten Mann gelungen, die beiden ersten Preise, den für die meisten gefangenen Fische und den für den schwersten, auf sich zu vereinigen, indem er seine Mitbewerber weit hinter sich ließ, ein Ereignis, das seit dem Bestehen der Wettstreite dieser Art noch niemals beobachtet worden ist.


Der wunderliche Einfall erregte bei den andern Anwesenden großes Aufsehen. (S. 22.)
Der wunderliche Einfall erregte bei den andern Anwesenden großes Aufsehen. (S. 22.)

Das war ja nicht übel, doch es kommt noch besser.

Wenn man eine solche Lorbeerernte eingeheimst, einen so glänzenden Sieg davongetragen hat, scheint es doch, sollte man das Recht haben, eine verdiente Ruhe zu genießen. Das ist aber nicht die Ansicht dieses erstaunlichen Ungars, der sich vorbereitet, noch mehr Erstaunen zu erwecken.

Wenn wir recht unterrichtet sind – und man kennt ja die Zuverlässigkeit unsres Nachrichtendienstes – hatte Ilia Brusch seinen Kollegen angekündigt, die ganze Donau von ihrer Quelle im Großherzogtum Baden an bis zu ihrer Mündung am Schwarzen Meer, d. h. etwa eine Strecke von dreitausend Kilometern, mit der Angel in der Hand hinunterzufahren.

Wir werden unsre Leser bezüglich der Vorfälle bei diesem originellen Unternehmen auf dem Laufenden erhalten.

Nächsten Donnerstag den 10. August wird Ilia Brusch dazu aufbrechen. Wünschen wir ihm glückliche Reise, doch wir wollen auch wünschen, daß dieser schreckliche Fischersmann das Getier, das die Fluten der Donau bevölkert, nicht etwa bis zum letzten Vertreter ausrotte.«

So sprach sich die »Neue Freie Presse« Wiens aus. Der »Pester Lloyd« von Budapest zeigte sich nicht minder warm interessiert, ebenso wie die serbische »Srbské Noviné« von Belgrad und der »Românul« von Bukarest, in denen die betreffende Notiz zu einem längern Artikel ausgesponnen war.

Diese Druckerzeugnisse waren höchst geeignet, die Aufmerksamkeit auf Ilia Brusch hinzulenken, und wenn es zutrifft, daß die Presse der Widerschein der öffentlichen Meinung ist, so konnte dieser erwarten, ein mit der[18] weitern Fortsetzung seiner Fahrt immer nur zunehmendes Interesse zu erregen.

In den bedeutenderen an seinem Wasserwege gelegnen Städten konnte er ja überdies darauf rechnen, Mitglieder des Donaubundes zu treffen, die es als eine Pflicht betrachten würden, zum Ruhme ihres Kollegen beizutragen, und im Notfall konnte er bei diesen wohl auch auf Beistand und Hilfe rechnen.

Von jetzt an bekamen die Besprechungen der Presse eine besondre Wichtigkeit für die Angelfischer. In den Augen dieser Professionellen gewann das Unternehmen Ilia Bruschs eine ungeheure Bedeutung, und viele Bündler, die durch den eben abgeschlossenen Wettbewerb nach Sigmaringen gelockt worden waren, verweilten jetzt hier noch länger, um der Abfahrt des ersten Siegers des Donaubundes beizuwohnen.

Wenn sich einer nicht über die Verlängerung ihres Aufenthaltes zu beklagen hatte, war es entschieden der Wirt im »Treffpunkt der Fischer«. Am Nachmittag des 8. August, zwei Tage vor dem von Brusch für den Antritt seiner originellen Fahrt bestimmten Termine, führten noch mehr als dreißig trinkfeste Männer ein lustiges Leben im Saale des Gasthauses, dessen Kasse sich bei der Fähigkeit dieser auserlesenen Kunden, viel zu verzehren, ganz unerwarteter Einnahmen erfreute.

Doch trotz der Nähe des Ereignisses, das diese Neugierigen in der Hauptstadt von Hohenzollern zurückgehalten hatte unterhielt man sich am Abend des 8. August im »Treffpunkt der Fischer« nicht von dem Helden des Tages. Eine andre und für die Uferbewohner des großen Stromes noch wichtigere Angelegenheit bildete den Gegenstand des allgemeinen Gesprächs und erregte nicht wenig alle Anwesenden.

Diese Aufregung war nicht etwa übertrieben, sondern durch verbürgte, sehr ernste Vorkommnisse völlig gerechtfertigt.

Seit mehreren Monaten wurden die Ufergebiete der Donau von ununterbrochenen Räubereien heimgesucht. Die verwüsteten Gehöfte, die geplünderten Schlösser und ausgeraubten Villen waren gar nicht mehr zu zählen, und mehrere Personen hatten ihren Widerstand gegen die unergreifbaren Verbrecher auch schon mit dem Leben bezahlt.

Ohne Zweifel konnte eine so lange Reihe von Schandtaten nicht von einigen vereinzelt operierenden Burschen ausgeführt werden; sicherlich[19] hatte man es hier mit einer wohlorganisierten und, nach den vielen Überfällen zu urteilen, recht zahlreichen Bande zu tun.

Seltsamerweise operierte diese Bande aber nur in der unmittelbaren Nähe der Donau. Jenseits eines Streifens von zwei Kilometern Breite an jedem Ufer konnte man ihr auch nicht ein einziges Verbrechen mit Wahrscheinlichkeit anrechnen. Der Schauplatz ihrer Tätigkeit schien aber nur bezüglich seiner Breite beschränkt zu sein, denn das österreichische, ungarische, serbische und rumänische Ufergelände wurde in gleicher Weise von den Banditen belästigt, die man niemals auf frischer Tat abfassen konnte.

Hatten sie eine Schandtat ausgeführt, so verschwanden sie bis zum nächsten Verbrechen, das vielleicht hunderte von Kilometern von dem letzten entfernt begangen wurde. In der Zwischenzeit war jede Spur von ihnen verschwunden. Sie schienen sich ebenso verflüchtigt zu haben, wie die oft recht umfangreichen Gegenstände, die ihre Beute bildeten.

Die in Frage kommenden Regierungen hatten allmählich aufgehört, sich über ihre fortwährenden Mißerfolge zu erregen, da für diese wegen mangelnder Zusammenwirkung der polizeilichen Kräfte keine einzelne haftbar zu machen war. Über die Angelegenheit hatte sich endlich ein diplomatischer Meinungsaustausch entwickelt, und diese Verhandlungen endigten, wie die Morgenzeitungen vom 8. August mitteilten, mit der Errichtung einer internationalen Polizeitruppe, die unter einem einzigen Chef längs des ganzen Laufes der Donau tätig sein sollte. Die Wahl dieses Chefs hatte freilich Schwierigkeiten verursacht, endlich aber hatten sich die Stimmen auf einen weit bekannten und erfolgreichen ungarischen Geheimpolizisten Namens Karl Dragoch vereinigt.

Karl Dragoch war in der Tat ein hervorragender Polizist, und die ihm anvertraute schwierige Aufgabe hätte gewiß keinem Würdigern zufallen können. Fünfundvierzig Jahre alt, war er ein Mann von Mittelgröße, etwas mager, und mit Geistesgaben mehr ausgestattet als mit besondrer Körperkraft. Immerhin war er imstande, die Anstrengungen, die sein Beruf mit sich brachte, zu ertragen, und an Mut, der Gefahr ins Gesicht zu sehen, fehlte es ihm auch nicht. Eigentlich wohnte er in Budapest meist befand er sich aber, mit einer Takt erfordernden Nachforschung beschäftigt, irgendwo unterwegs. Seine gründliche Kenntnis aller Sprachen Südost-Europas,[20] einschließlich der deutschen, der rumänischen, serbischen, bulgarischen und türkischen Sprache, seiner Muttersprache, des Ungarischen, nicht zu erwähnen, ließ ihn nie und nirgends in Verlegenheit kommen, und in seiner Eigenschaft als Junggeselle brauchte er nicht zu befürchten, daß Familiensorgen seine Bewegungsfreiheit beschränken könnten.

Seine Ernennung machte überall einen guten Eindruck. Die Allgemeinheit billigte sie mit Einstimmigkeit. Im großen Saale des »Treffpunktes der Fischer« wurde sie mit besondrer Genugtuung aufgenommen.

»Eine bessre Wahl hätte man nicht treffen können, erklärte in dem Augenblicke, wo im Gasthause die Lampen angezündet wurden, Herr Ivetozar, der zweite Preisträger in der Gewichtskonkurrenz bei dem eben beendigten Wettkampf. Ich kenne Dragoch. Das ist ein ganzer Mann.

– Und ein äußerst gewandter obendrein, fügte der Präsident Miklesko hinzu.

– So wollen wir nur wünschen, bemerkte ein Kroate mit dem schwer aussprechbaren Namen Sarb, daß es ihm gelinge, die Ufer des Stromes zu säubern. Das Leben da war wirklich fast unerträglich geworden!

– Nun, Karl Dragoch kann sich hierbei die Zähne ausbeißen, meinte Weber, den Kopf schüttelnd. Erst müssen wir ihn am Werke sehen.

– Am Werke! rief Ivetozar; das ist er gewiß schon. Verlassen Sie sich darauf.

– Ja, sicherlich! stimmte ihm Miklesko zu. Karl Dragoch ist nicht der Mann dazu, seine Zeit zu verlieren. Wenn seine Ernennung, wie die Zeitungen berichten, vor vier Tagen erfolgt, ist er jetzt wenigstens schon drei Tage unterwegs.

– Wo will er aber seine Tätigkeit anfangen? fragte ein gewisser Piscea, ein Rumäne mit einem für einen Angler besonders passenden Namen. Ich muß gestehen, ich käme in Verlegenheit, wenn ich an seiner Stelle wäre, und...

– Deswegen hat man Ihnen diese auch nicht übertragen, fiel ein Serbe scherzend ein. Glauben Sie nur getrost, daß Dragoch deshalb nicht in Verlegenheit kommt. Seinen Plan kann man natürlich nicht kennen. Vielleicht hat er sich nach Belgrad begeben, vielleicht ist er in Budapest geblieben... wenn ers nicht etwa gar vorgezogen hat, hierher nach Sigmaringen zu kommen, so daß er sich vielleicht unter uns im, Treffpunkt der Fischer' befindet!«[21]

Diese Vermutung erregte allgemeine Heiterkeit.

»Unter uns! rief Herr Weber. Sie suchen uns da eine derbe Nase aufzuheften, Michael Michaelowitsch. Was hätte er denn hier zu suchen, hier, wo man seit Menschengedenken nicht das geringste Verbrechen zu beklagen gehabt hat?

– Oho, entgegnete Michael Michaelowitsch, könnte er nicht der Abfahrt Ilia Bruschs haben beiwohnen wollen? Das interessiert den Mann doch vielleicht... wenn Ilia Brusch und Karl Dragoch nicht gar einunddieselbe Person sind.

– Was? Einunddieselbe Person? rief man von allen Seiten. Wie kommen Sie darauf?

– Sapperment, das wäre stark! Unter der Haut des Preisträgers würde niemand den Polizisten ahnen, der so die Donau in aller Freiheit inspizieren könnte!«

Der wunderliche Einfall erregte bei den andern Anwesenden großes Aufsehen. Dieser Michael Michaelowitsch! Nur der konnte doch auf solche Gedanken kommen.

Michael Michaelowitsch versteifte sich jedoch nicht auf seine erste Vermutung.

»Wenigstens wenn... begann er, eine Wendung gebrauchend, die ihm vertraut zu sein schien.

– Wenigstens wenn?

– Wenigstens wenn Karl Dragoch nicht einen andern Grund gehabt hat, hierher zu kommen, fuhr er fort, indem er ohne weitres zu einer andern kaum weniger phantastischen Hypothese überging.

– Welchen Grund?

– Nehmen Sie zum Beispiel an, der Plan, die Donau mit der Angel in der Hand hinunterzufahren, wäre ihm verdächtig erschienen.

– Verdächtig!... Warum verdächtig?

– Alle Wetter, es wäre ja nicht dumm, auch nicht von einem geriebenen Gauner, sich unter der Maske eines Fischers, und obendrein eines so viel genannten Fischers, zu verstecken. Eine solche Berühmtheit wiegt alle Inkognitos der Welt auf. Da könnte einer bequem hundertmal einen Schlag ausführen, wenn er in der Zwischenzeit immer friedlich angelt.[22]

– Das Angeln muß man aber verstehen, warf der Präsident Miklesko absprechenden Tones ein, und das ist ein Privileg, das nur ehrlichen, anständigen Leuten vorbehalten ist.«

Diese vielleicht etwas zu gewagte Bemerkung wurde von den leidenschaftlichen Anglern mit einem maßlosen Beifallsrufen begrüßt. Michael Michaelowitsch nahm mit bemerkenswertem Takt davon den ihm zukommenden Anteil in Anspruch.

»Auf die Gesundheit unsres Präsidenten! rief er, sein Glas erhebend.

– Auf die Gesundheit unsres Präsidenten! wiederholten die andern und leerten ihre Gläser wie ein Mann.

– Auf die Gesundheit des Herrn Präsidenten! rief noch ein allein an einem Tische sitzender Gast, der seit einigen Minuten ein lebhaftes Interesse an den rings um ihn gewechselten Reden zu nehmen schien.

Den Vorsitzenden berührte die liebenswürdige Aufmerksamkeit des Unbekannten offenbar angenehm, und wie zum Danke trank er ihm mit einer leicht zu verstehenden Handbewegung zu. Der vereinsamte Trinker, der durch diese höfliche Geste das Eis hinreichend gebrochen glaubte, hielt sich daraufhin für berechtigt, der ehrbaren Gesellschaft gegenüber auch mit den von ihm gewonnenen Eindrücken nicht zurückzuhalten.

»Vortrefflich gesprochen! sagte er. Ja, der Angelfischfang ist nur ein Vergnügen für ehrenwerte Leute!

– Und haben wir hier das Vergnügen, mit einem Bundeskameraden zu sprechen? fragte Miklesko, auf den Unbekannten zutretend.

– O nein, antwortete dieser bescheiden, höchstens mit einem Amateur, der sich über hervorragende Leistung herzlich freut, doch nicht den Ehrgeiz hat, sie nachzuahmen.

– Desto bedauerlicher, Herr... Herr...

– Jäger.

– Desto bedauerlicher, Herr Jäger, denn ich muß daraus schließen, daß wir niemals die Ehre haben werden, Sie zu den Mitgliedern des Donaubundes zählen zu dürfen.

– O, wer weiß? antwortete Herr Jäger. Ich könnte mich doch vielleicht entschließen, die Schnur selbst in die Hand zu nehmen, und von dem Tage an werd' ich auch zu Ihrer Vereinigung gehören, vorausgesetzt, daß ich die Bedingungen erfülle, wovon Sie die Aufnahme abhängig machen.[23]

– Daran zweifeln Sie nur nicht, versicherte eiligst Miklesko in der Hoffnung, einen neuen Anhänger des Bundes zu gewinnen. In dieser Beziehung bestehen nur vier, sehr einfache Bedingungen. Die erste und wichtigste ist die Entrichtung eines geringen jährlichen Beitrags.

– Das versteht sich, erklärte Herr Jäger lächelnd.

– Die zweite ist die, den Fischfang zu lieben, die dritte, ein angenehmer Gesellschafter zu sein, und diese dritte betrachte ich jetzt bereits als erfüllt.

– Zu liebenswürdig! sagte Jäger dankend.

– Was die vierte betrifft, besteht sie einzig und allein in der Einzeichnung des Namens und der Adresse in die Mitgliederlisten der Gesellschaft. Ihren Namen kenne ich ja schon, wenn ich nun noch Ihre Adresse erführe...

– Wien, Leipziger Straße 43.

– Für zwanzig Kronen jährlich wären Sie nun ein fertiger Donaubündler.«

Die beiden Herren singen herzlich an zu lachen

»Andre Förmlichkeiten kommen nicht in Frage?

– Keine einzige.

– Muß man seine Person nicht durch amtliche Papiere ausweisen?

– Ich bitte Sie, Herr Jäger, erwiderte Miklesko, dessen bedarfs für das Angeln nicht.

– Das ist ja richtig, stimmte Jäger ein, und es ist übrigens auch nicht von Bedeutung. Im Donaubunde kennen doch alle einander persönlich.

– O nein, im Gegenteil, belehrte ihn Miklesko. Bedenken Sie nur, einige unsrer Mitglieder wohnen hier in Sigmaringen, andre wieder an der Küste des Schwarzen Meeres; das bedingt doch sozusagen eine Nachbarschaft mit Hindernissen.

– Ja freilich!

– Nehmen Sie zum Beispiel unsern merkwürdigen Preisträger vom letzten Wettkampf...


Ilia Brusch grüßte ein letztes Mal. (S. 31.)
Ilia Brusch grüßte ein letztes Mal. (S. 31.)

– Ilia Brusch?

– Ganz recht. Nun sehen Sie, den kennt keiner von uns.

– Unmöglich![24]

– Und doch ist es so, versicherte Miklesko; freilich gehört er dem Bunde erst seit vierzehn Tagen an. Für alle Mitglieder war Ilia Brusch eine Überraschung, nein, noch mehr, eine wirkliche Neuentdeckung.

– Was man so im Turfjargon einen Outsider nennt.

– Ganz richtig.

– Und aus welchem Lande stammt dieser Outsider?

– Er ist ein Ungar.

– Also wie Sie, denn Sie, Herr Präsident sind, wie ich glaube, auch Ungar.

– Ungarisches Vollblut, Herr Jäger, Ungar aus Budapest.

– Und Ilia Brusch?

– Ist aus Szalka gebürtig.

– Szalka? Wo und was ist das?

– Ein Marktflecken, wenn Sie wollen, eine kleine Stadt am rechten Ufer des Ipoly, eines Flusses, der sich ein paar Meilen oberhalb Budapest in die Donau ergießt.

– Da werden Sie, Herr Miklesko, ihm also leicht einen Besuch als Nachbar abstatten können, meinte Jäger lächelnd.

– Jedenfalls aber nicht vor Verlauf von zwei oder drei Monaten, antwortete im gleichen Tone der Vorsitzende des Donaubundes: diese Zeit wird er wohl zu seiner Fahrt brauchen.

– Außer wenn er sie überhaupt nicht ausführt!« warf der drollige Serbe ein, der ohne Umstände in das Gespräch der beiden Herren eingriff.

Jetzt kamen auch noch andre Fischer näher heran. Die Herren Jäger und Miklesko wurden zum Mittelpunkte einer kleinen Gruppe.

»Was wollen Sie damit sagen? fragte Miklesko. Sie haben eine lebhafte Phantasie, Michael Michaelowitsch.

– O, es war nur ein Scherz, bester Herr Präsident, erklärte der lustige Serbe. Doch wenn Ilia Brusch Ihrer Ansicht nach weder ein Polizist, noch ein Übeltäter sein kann, warum könnte er da nicht ein Spaßvogel sein, der uns an der Nase umherführt?«

Miklesko faßte die Sache weit ernster auf.

»Sie sind wohl etwas gehässiger Natur, Michael Michaelowitsch, erwiderte er. Das kann Ihnen früher oder später noch einmal recht schlecht bekommen. Auf mich hat Ilia Brusch den Eindruck eines braven und[27] gewissenhaften Mannes gemacht. Übrigens ist er Mitglied des Donau »bundes... das sagt genug.

– Bravo!« ertönte es von allen Seiten.

Ohne wegen der ihm erteilten Lektion irgend wie verlegen zu erscheinen, ergriff Michael Michaelowitsch mit bewundernswerter Geistesgegenwart diese neue Gelegenheit, einen Toast auszubringen.

»Wenn es sich so verhält, rief er, seinen Humpen ergreifend, dann einen Schluck auf das Wohlergehen Ilia Bruschs!

– Auf das Wohlergehen Ilia Bruschs!« antwortete der Chor, ohne Jäger auszunehmen, wie aus einem Munde, denn auch... Jäger trank sein Glas gewissenhaft bis zum letzten Tropfen aus.

Der letzte merkwürdige Einfall Michael Michaelowitschs war jedoch vielleicht nicht ebenso unsinnig wie die frühern. Nach der etwas prahlerischen Verkündigung seines Planes war Ilia Brusch noch nicht wieder zum Vorschein gekommen; ebensowenig hatte jemand von ihm reden hören. War es nicht auffallend, daß er sich so verborgen hielt, und konnte man nicht mit Recht vermuten, daß er seinen zu leichtgläubigen Kollegen nur hätte etwas weismachen wollen? Hierüber klar zu werden, das konnte ja in jedem Falle nicht lange dauern: binnen sechsunddreißig Stunden mußten die Bündler wissen, woran sie bezüglich dieser Sache waren.

Die, die sich hierfür interessierten, brauchten sich nur wenige Meilen von Sigmaringen stromaufwärts zu begeben. Dort würden sie sicherlich Ilia Brusch finden, wenn der ein ebenso ehrenhafter Mann war, wie ihn der Vorsitzende Miklesko in gutem Glauben hinstellte.

Immerhin konnte hier noch eine Schwierigkeit auftauchen: War denn die Lage der richtigen Quelle des großen Stromes genau festgestellt? Herrschte über diesen Punkt nicht noch eine gewisse Unsicherheit, da auch die besten Karten die betreffende Stelle nicht zweifellos angaben? Und wenn man sich bemühte, Ilia Brusch an einer solchen zu treffen, konnte der da nicht recht gut gerade an einer andern sein?

Zweifelhaft ist es ja keineswegs, daß die Donau, der Ister der Alten, im Großherzogtum Baden entspringt. Die Geographen erklären sogar, diese Stelle läge unter 6 Minuten östlicher Länge und 37 Grad 48 Minuten nördlicher Breite. Dieser Lagenbestimmung fehlt aber – ihre Richtigkeit angenommen – neben der Zahl der Bogenminuten die Zahl der Sekunden;[28] die Lage der Stelle ist damit also nur ungenau angegeben. Hier handelte es sich aber doch darum, die Schnur genau an dem Punkte auszuwerfen, von dem aus der erste Tropfen Donauwasser nach dem Schwarzen Meere zu rinnen beginnt.

Nach einer Sage, die lange Zeit das Ansehen einer geographischen Tatsache genoß, sollte die Donau inmitten eines Gartens entspringen, und zwar aus dem der Fürsten von Fürstenberg. Ihre Wiege wäre danach ein Marmorbecken, aus dem sehr viele Touristen ihre Becher und Feldflaschen gefüllt haben. Sollte man nun Ilia Brusch am Morgen des 10. August am Rande dieses unerschöpflichen Wasserbeckens erwarten?

Nein, dort ist nicht die richtige Stelle, die authentische Quelle des großen Stromes. Man weiß jetzt, daß er aus der Vereinigung zweier Bäche, der Brege und der Brigach, entsteht, die sich aus der Höhe von achthundertfünfundsiebzig Metern durch den Schwarzwald ergießen. Ihre Wässer vereinigen sich dann bei Donaueschingen, wenige Meilen oberhalb Sigmaringens und fließen von hier unter dem gemeinschaftlichen Namen Donau weiter.

Wenn einer der beiden Bäche mehr als der andre verdiente, als die eigentliche Ursprungswasserader betrachtet zu werden, so wäre es die Brege, deren Länge die des andern Bachs um siebenunddreißig Kilometer übertrifft und die im Breisgau entspringt.

Die bestunterrichteten Neugierigen hatten sich aber ohne Zweifel gesagt, daß der Abfahrtsplatz Ilia Bruschs – wenn dieser überhaupt abfuhr – Donaueschingen sein werde, denn dorthin hatten sie sich, die meisten Zugehörigen des Donaubundes, in Gesellschaft des Präsidenten Miklesko begeben.

Vom Morgen des 10. August an »bezogen sie die Wache« am Ufer der Brege, nahe dem Zusammenfluß der beiden Bäche... Die Stunden verrannen jedoch, ohne daß der erwartete Held des Tages sich sehen ließ.

»Er wird überhaupt nicht kommen, sagte der eine.

– Ihm kam's nur darauf an, uns zu foppen, meinte ein andrer.

– Und wir werden bald als dumme Tröpfe dastehen!« setzte Michael Michaelowitsch im Gefühl seines Triumphes hinzu.

Nur der Präsident Miklesko verharrte dabei, Ilia Brusch in Schutz zu nehmen.[29]

»Nein, erklärte er kategorisch, ich werde nun und nimmer zugeben, daß ein Mitglied des Donaubundes den Gedanken gehabt haben könne, seine Kollegen zu foppen. Ilia Brusch wird durch irgend etwas aufgehalten worden sein. Nur Geduld, wir werden ihn schon bald erscheinen sehen.«

Miklesko sollte recht behalten, sich so vertrauensvoll zu zeigen. Kurz vor neun Uhr hörte man Ausrufe aus einer Gruppe, die am Zusammenflusse der Brege und der Brigach stand.

»Da... da ist er!... Da ist er!«

Etwa zweihundert Schritt entfernt tauchte hinter einer Landspitze plötzlich ein von einem Ruder getriebenes Boot auf, das längs des hohen Uferrandes außerhalb der Strömung dahinglitt. Geleitet wurde es von einem einzelnen, auf dem Hinterteil stehenden Mann.

Und das war derselbe, der wenige Tage vorher am Wettbewerb des Donaubundes beteiligt gewesen war, der Gewinner der zwei ersten Preise, der Ungar Ilia Brusch.

Als das Boot die Stelle des Zusammenflusses erreicht hatte, hielt es an, und ein kleiner Wurfanker fesselte es ans Ufer. Ilia Brusch stieg aus, und alle Neugierigen strömten um ihn zusammen. Jedenfalls erwartete er nicht, hier eine so große Versammlung anzutreffen, denn er schien etwas verlegen zu sein.

Der Präsident Miklesko trat an ihn heran und bot ihm die Hand, die Ilia Brusch, nachdem er seine Ottermütze gelüstet hatte, mit Ehrerbietung ergriff.

»Ilia Brusch, redete ihn Miklesko mit seiner Stellung entsprechender Würde an, ich schätze mich glücklich, den großen Preisträger unsres letzten Wettkampfs zu begrüßen.«

Der große Preisträger verneigte sich als Ausdruck seines Dankes, und der Präsident fuhr fort:

»Daraus, daß wir Sie an den Quellen unsres internationalen Stromes sehen, schließen wir, daß Sie den Plan zur Ausführung bringen wollen, diesen mit der Angel in der Hand bis zu seiner Mündung hinunterzufahren.

– Das ist meine Absicht, Herr Präsident, antwortete Ilia Brusch.

– Und heute wollen Sie die weite Talfahrt antreten?

– Am heutigen Tage, Herr Präsident.[30]

– Auf welche Weise denken Sie sich dahin zu bewegen?

– Ich werde mich von der Strömung weitertragen lassen.

– In diesem kleinen Boote?

– Jawohl, in diesem Boote.

– Ohne jemals am Lande anzulegen?

– O doch, während der Nacht.

– Sie wissen auch wohl, daß es sich um dreitausend Kilometer handelt?

– Nun, bei fünfzig Kilometer im Tagesdurchschnitt sind die etwa in zwei Monaten zurückzulegen.

– Dann also: Glückliche Reise, Ilia Brusch!

– Vielen, vielen Dank, Herr Präsident!«

Ilia Brusch grüßte ein letztes Mal und stieg nun in sein Fahrzeug, während die Neugierigen sich herandrängten, seine Abfahrt zu beobachten.

Er holte seine Angelschnur hervor, versah sie mit Köder und legte sie auf eine Bootbank. Dann holte er den kleinen Anker ein, stieß das Boot mit einem Riemen kräftig vom Lande ab und setzte sich am Hinterteile nieder, von wo er seine Schnur auswarf.

Einen Augenblick später zog er sie schon wieder ein. Eine Barbe zappelte am Haken. Das erschien als eine gute Vorbedeutung, und als er um die Landspitze bog, da brach die ganze Gesellschaft in begeisterte Hochrufe aus auf den Preisträger des internationalen Donaubundes.

Quelle:
Jules Verne: Der Pilot von der Donau. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band XCIV, Wien, Pest, Leipzig 1909, S. 16-25,27-31.
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