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[120] Wie sehr sich die menschliche Natur von Illusionen beeinflussen läßt, weiß ja wohl jedermann. Zweifellos lag doch die Möglichkeit vor, daß der so eifrig gesuchte Apparat nicht mehr an derselben Stelle wäre... immer vorausgesetzt, daß es dieser gewesen war, den Wells am Nachmittag des 27. hatte auftauchen sehen. War seine Einrichtung zur Fortbewegung auf dreierlei Weise von einer Beschädigung getroffen und er verhindert worden, auf dem Wasser- oder dem Landwege das gewohnte Versteck aufzusuchen und im Hintergrunde der Bucht van Black-Rock anzulegen... was sollten wir dann davon denken, daß er jetzt schon nicht mehr hier lag? Doch nur, daß er nach Beendigung der notwendigsten Reparaturen wieder abgefahren sei, daß er vielleicht den Eriesee schon verlassen habe... Dennoch hatten wir, je mehr der Tag fortschritt, an solche so naheliegende Möglichkeiten nicht glauben wollen. Nein, wir bezweifelten gar nicht, weder daß es sich um die »Epouvante« handelte, noch daß diese noch am Fuße der Felsen verankert läge, wo Wells sich von ihrer Gegenwart überzeugt hatte.
Und nun: welche Enttäuschung, ich möchte lieber sagen, welche Verzweiflung! Unser ganzes Vorhaben zu nichts zerfallen!... Schwamm die »Epouvante« auch noch auf oder im Wasser des Sees, so stand es doch nicht in unserer Macht – ja, warum sich in dieser Beziehung einer Täuschung hingeben? – überhaupt nicht in menschlicher Macht, sie wieder zu entdecken und sie einzuholen und festzuhalten.
Wir – Wells und ich – standen da wie vor den Kopf geschlagen, während John Hart und Nab Walker, beide nicht weniger verwundert, sich suchend nach verschiedenen Punkten der Bucht hinwandten.
Unsere Maßnahmen waren ja so gut durchdacht gewesen und hatten eigentlich alle Aussicht auf Erfolg. Befanden sich die beiden von Wells beobachteten Männer bei unserem Eintreffen auf dem Strande, so konnten wir uns ihnen kriechend nähern, konnten sie überraschen und dingfest machen, ehe es ihnen möglich würde, wieder an Bord zu kommen. Waren sie aber gerade auf dem hinter den Felsen liegenden Schiffe, so wollten wir warten, bis sie ans Land gekommen wären, und dann mußte es uns ja ein Leichtes sein, ihnen[120] den Rückweg abzuschneiden. Da Wells am ersten wie am zweiten Tage nur zwei Männer gesehen hatte, lag die Wahrscheinlichkeit nahe, daß die »Epouvante« kein zahlreicheres Personal beherbergte.
Das waren unsere Gedanken gewesen, und in der schon geschilderten Weise waren wir zur Erreichung unseres Zweckes vorgegangen. Doch, welches Unglück, die »Epouvante« lag nicht mehr an der alten Stelle!
Am Ende des nach dem Vorlande führenden Weges stehend, wechselte ich mit Wells wenige Worte. Es bedurfte ja kaum der Sprache, uns gegenseitig[121] zu verstehen. Nach der ersten Enttäuschung loderte die reine Wut in uns auf, die Wut darüber, unsern Handstreich vereitelt zu sehen und uns sagen zu müssen, daß wir gar nicht in der Lage wären, die beabsichtigte Verfolgung fortzusetzen oder damit noch einmal zu beginnen.
So verging fast eine Stunde, ohne daß wir daran dachten, von der Stelle zu weichen. Emsig forschend, ließen wir die Blicke durch die Dunkelheit schweifen. Zuweilen blitzte, wie vom Meeresleuchten, ein Lichtschein an der Oberfläche des Sees auf, der aber bald wieder erlosch und uns damit jede schnell aufkeimende Hoffnung raubte. Manchmal glaubten wir auch, trotz der Finsternis, einen ungewissen Schattenriß, den eines Fahrzeuges, das näher herankäme, zu erkennen. Dann wieder entstand im Wasser ein leichter Wirbel, als ob sich in der Tiefe der Bucht etwas hin- und herbewegte.
Alle diese unbestimmten Anzeichen verschwanden aber fast augenblicklich wieder. Sie waren wohl nur auf eine Sinnestäuschung, auf unsere erhitzte Einbildungskraft zurückzuführen.
Eben kamen unsere Begleiter wieder an uns heran.
»Nun... nichts Neues? lautete meine erste Frage.
– Nichts, gar nichts, antwortete John Hart.
– Sie sind um die ganze Bucht herumgegangen?
– Ja, sagte Nab Walker, und wir haben dabei auch keine Spur mehr von dem Material vorgefunden, das Herr Wells gesehen hatte.
– Wir wollen dennoch hier noch länger warten«, erklärte ich, da ich mich noch nicht entschließen konnte, in das Wäldchen zurückzukehren.
Gerade in diesem Augenblicke wurde unsere Aufmerksamkeit durch eine gewisse Bewegung des Wassers erregt, die sich bis zum Fuße der Felsen fortpflanzte.
»Das klingt wie das Anschlagen von Wellen, meinte Wells.
– Ja wirklich, antwortete ich mit instinktiv verhaltener Stimme. Woher rührt das?... Der Wind hat sich ja vollständig gelegt. Geht da eine örtliche Störung auf der Oberfläche des Sees vor sich?
– Oder vielleicht unter dieser?« setzte Wells hinzu, der sich gleichzeitig tiefer bückte, um besser hören zu können.
Wir mußten uns tatsächlich fragen, ob hier nicht ein Fahrzeug, dessen Motor diese Bewegung hervorgerufen hätte, dem Hintergrunde der Bucht zusteuerte.[122]
Schweigend und regungslos bemühten wir uns, bei der tiefen Finsternis noch etwas sehen zu können, während eine leichte Brandung jetzt immer deutlicher an die Uferfelsen schlug.
Inzwischen hatten John Hart und Nab Walker rechts von uns deren Kamm erstiegen. Ich selbst beobachtete, bis zur Wasserfläche hinabgebeugt, die auffällige Bewegung, die bis jetzt nicht schwächer wurde. Im Gegenteil, sie nahm weiter zu, und schließlich wurde ich einen regelmäßigen Schlag gewahr, ähnlich dem, den eine sich drehende Schiffsschraube hervorbringt.
»Kein Zweifel, flüsterte mir Wells zu, der sich nach mir herabneigte, das ist ein Schiff, das näher hierherkommt.
– Gewiß, antwortete ich, wenigstens wenn im Eriesee keine Cetacier oder Haifische hausen.
– Nein, nein, es ist ein Schiff! wiederholte Wells. Steuert es aber auf den Hintergrund der Bucht zu oder will es weiter oben vor Anker gehen?
– Hier aber hatten Sie das uns interessierende Fahrzeug zweimal gesehen?
– Hier an dieser Stelle, Herr Strock.
– Nun, wenn das da draußen dasselbe ist – und es kann kaum ein anderes sein – so hat es doch keinerlei Ursache, nicht an den nämlichen Platz zurückzukehren.
– Da... sehen Sie da!« rief jetzt Wells und wies mit der Hand nach der Einfahrt zur Bucht.
Unsere Begleiter kamen von oben wieder zu uns. Alle vier am Rande des Vorlandes fast platt hingestreckt, starrten wir erwartungsvoll in der angegebenen Richtung hinaus.
Hier war nur unklar eine schwärzliche Masse zu unterscheiden, die sich in der Dunkelheit bewegte. Sie kam nur langsam näher und mochte sich jetzt von uns noch um eine Kabellänge im Nordosten entfernt befinden. Augenblicklich hörte man kaum etwas von der Bewegung ihrer Betriebsmaschine. Vielleicht hatte diese gestoppt und das Fahrzeug glitt nur nach dem Gesetz der Trägheit weiter.
Der Apparat sollte also, wie am vergangenen Tage, die Nacht über im Hintergrunde der Bucht liegen. Warum mochte er aber den Ankerplatz verlassen haben, nach dem er jetzt zurückkehrte?... Hatte er vielleicht neuere Havarien erlitten, die ihn hinderten, auf freiem Wasser zu bleiben?... Oder hatte er sich in die Notwendigkeit versetzt gesehen, schon einmal abzufahren, ehe die Ausbesserungen[123] daran beendigt waren?... Was zwang ihn wohl, die Stelle hier wiederum aufzusuchen?... Kurz, lag etwa eine gebieterische Ursache dafür vor, daß er, nach der Verwandlung zum Automobil, nicht hätte auf die Landstraßen von Ohio entweichen können?
Alle diese Fragen drängten sich mir ganz von selbst auf, und es liegt auf der Hand, daß mir deren Beantwortung doch unmöglich war.
Übrigens stimmten Wells und ich nach wie vor darin überein, daß diese Maschine die des angeblichen »Herrn der Welt« war, jene »Epouvante«, von der aus dieser den Brief datiert hatte, womit er die Anerbietungen des Staates zurückwies.
Den Wert einer wirklichen Gewißheit konnte diese Überzeugung immerhin nicht erreichen, obwohl sie uns als eine solche erschien.
Sei dem aber wie ihm wolle: jedenfalls kam das Fahrzeug immer näher heran, und sein Kapitän kannte offenbar die Fahrrinnen von Black-Rock ganz genau, da er sich bei voller Dunkelheit hierher wagte. An Bord brannte weder eine Laterne, noch drang von innen ein Lichtschein durch die runden Fensterchen der Seitenwände. Zuweilen hörte man ein Geräusch von der Maschine, die kaum mit halber Kraft arbeiten mochte. Das Anschlagen der Brandungswellen wurde vernehmbarer, und vor Verlauf einiger Minuten mußte das geheimnisvolle Fahrzeug »am Kai« liegen.
Wenn ich mich dieses in allen Häfen gebräuchlichen Ausdrucks bediene, so geschieht das nicht ohne Grund. Die Felswand am Ufer bildete hier eine Art fünf bis sechs Fuß über die Wasserfläche emporragender Mole, die sich als Anlegeplatz vortrefflich eignete.
»Wir wollen nicht hier bleiben, sagte Wells, der mich am Arme ergriff.
– Nein, gab ich zur Antwort, wir liefen hier ja Gefahr entdeckt zu werden. Also weiter auf dem Vorlande landeinwärts, dort wollen wir uns an geeigneter Stelle verstecken und das Weitere abwarten.
– Wir folgen Ihnen.«
Schon war keine Minute mehr zu verlieren. Die dunkle Masse näherte sich allmählich, und auf ihrem, das Wasser nur wenig überragenden Deck konnte man bereits den Schattenriß zweier Männer erkennen.
Ob nun wirklich nur diese zwei an Bord waren?
Wells und ich, John Hart und Nab Walker, wir zogen uns durch den Durchgang und dann längs der weiter rückwärts liegenden Felsen zurück. Hie[124] und da zeigten diese kleine Aushöhlungen. Hier verbargen wir uns, ich mit Wells in der einen und die beiden Polizisten in der andern.
Gingen die Männer von der »Epouvante« ans Land, so konnten sie uns nicht bemerken, während wir sie zu beobachten imstande waren; dann konnten wir je nach den Umständen handeln.
Ein Geräusch, das von der Seeseite herkam und einige in englischer Sprache gewechselte Worte verrieten, daß das Schiff angelegt hatte. Fast gleichzeitig wurde ein Haltetau nach der Stelle am Durchgange geworfen, die wir eben verlassen hatten.
Wells schlich sich ein Stück vor und konnte da sehen, daß das Tau von einem der Männer angeholt wurde, die ans Land gesprungen waren, und auch wir hörten bald, wie sich der Dregganker knirschend in den Sand bohrte.
Wenige Minuten später vernahm man deutlich Schritte auf dem Sande.
Zwei Männer, die durch die Lücke der Felsmauer kamen, begaben sich, einer hinter dem andern gehend und eine brennende Laterne mitführend, nach dem Saume des Gehölzes.
Was mochten sie dort vorhaben?... Bildete diese Bucht von Black-Rock vielleicht gar eine Art Heimathafen für die »Epouvante«, und hatte deren Kapitän hier etwa eine Niederlage von Proviant und Material? Hielt er die Örtlichkeit für so vereinsamt, so wenig besucht, daß er nicht mehr fürchtete, hier jemals entdeckt zu werden?
»Was nun? fragte Wells.
– Lassen Sie die beiden nur erst wieder zurückkehren, dann...«
Da wurde mir die Zunge durch eine Überraschung tatsächlich gelähmt.
Die Männer waren kaum dreißig Schritt von uns entfernt, als einer von ihnen sich plötzlich umdrehte und der Lichtschein der von ihm getragenen Laterne ihm voll ins Gesicht fiel.
Dieses Gesicht... ohne Zweifel war es das eines der Individuen, die mir vor meiner Wohnung in der Long-Street aufgelauert hatten. Nein, ich konnte mich nicht täuschen... ich erkannte den Mann ebenso bestimmt wieder, wie ihn meine alte Haushälterin wiedererkannt haben würde. Er war es, ganz sicher er, einer der Spione, deren Fährte ich nicht hatte wiederfinden können. Jetzt konnte es auch keinem Zweifel mehr unterliegen: Der Brief, den ich erhalten hatte, war von ihm gekommen, dieser Brief, der bezüglich der Handschrift mit dem andern, dem vom »Herrn der Welt«, vollkommen übereinstimmte. Wie der[125] zweite Brief, war also auch der meinige an Bord der »Epouvante« geschrieben worden. Freilich bezogen sich die darin enthaltenen Drohungen auf den Great-Eyry, und jetzt fragte ich mich noch einmal, welcher Zusammenhang wohl zwischen dem Great-Eyry und der »Epouvante« bestehen möge.
Mit wenigen Worten klärte ich Wells über den Zwischenfall und das diesem Vorhergehende auf.
»Das alles ist einfach unbegreiflich!« lautete seine Antwort.
Inzwischen waren die beiden Männer weiter nach dem kleinen Walde zugegangen und verschwanden bald hinter dessen Bäumen.
»Wenn sie nur unser Gespann nicht entdecken! murmelte Wells.
– Das ist kaum zu befürchten, wenn sie nicht tiefer in das Gehölz eindringen.
– Wenn sie es aber doch fänden?
– O, sie werden sich ja wieder einschiffen wollen, und dann ist es Zeit, ihnen den Weg zu verlegen.«
Von der Stelle des Sees her, wo das Schiff vertaut lag, war keinerlei Geräusch mehr zu hören. Ich schlüpfte aus der kleinen Höhle, eilte vorsichtig den Weg hinunter und begab mich nach der Stelle, wo der Anker sich in den Sand gesenkt hatte.
Da lag der »Apparat« – ich weiß nicht, wie ich das Ding, das Automobil, Schiff oder Unterseeboot anders bezeichnen soll – ruhig an dem ausgeworfenen Taue. An Bord war kein Licht, auf dem Verdeck und auf dem Uferfelsen kein Mensch. War die Gelegenheit nicht geradezu verführerisch, jetzt an Bord zu springen und da die Rückkehr der beiden Männer abzuwarten?
»Herr Strock!... Herr Strock!«
Wells war es, der mich rief.
Ich sprang eiligst zurück und verbarg mich neben ihm.
Vielleicht wäre es schon zu spät gewesen, sich des Schiffes zu bemächtigen, vielleicht wäre ein solcher Versuch auch gescheitert, wenn sich an Bord noch weitere Mannschaft befand.
Wie dem auch sei, jedenfalls erschien der, der die Laterne trug, mit seinem Begleiter wieder am Waldessaume und beide schritten dem Ufer zu. Offenbar hatten sie nichts Verdächtiges entdeckt. Der eine und der andere mit einem Pack beladen, gingen sie durch die Felsenlücke und blieben dann an der Uferwand stehen.[126]
Da ließ sich plötzlich die Stimme des einen vernehmen.
»Herr Kapitän?...
– Hier!« antwortete eine andere Stimme.
Wells neigte sich meinem Ohre zu und sagte:
»Das sind ihrer drei!
– Vielleicht vier, erwiderte ich, vielleicht gar fünf oder sechs!«
Die Sachlage veränderte sich etwas zu unserem Nachteile. Was hätten wir gegen eine zu zahlreiche Mannschaft ausrichten können? Jedenfalls wäre uns die geringste Unklugheit sehr teuer zu stehen gekommen. Würden die beiden Männer jetzt nach ihrer Rückkehr mit den beiden Packen aufs Schiff gehen, und würde dieses nach dem Loswerfen des Haltetaues die Bucht wieder verlassen oder bis zum Anbruch des Tages hier liegen bleiben? Wenn es aber davonfuhr, wird es für uns dann nicht verloren sein?... Wo sollten wir's dann wiederfinden?... Verließ es das Gewässer des Eriesees, so standen ihm die Landstraßen der Nachbarstaaten offen, oder auch der Lauf des Detroit-River, auf dem es nach dem Huronsee gelangen konnte. Würde es dann jemals wieder vorkommen, daß sein Erscheinen im Hintergrunde der Bucht von Black-Rock gemeldet wurde?
»Jetzt draufgegangen!... An Bord! flüsterte ich Wells zu. Hart, Walker, Sie und ich, wir sind vier Mann. Sie versehen sich keines Angriffes. Wir können sie überraschen.... Geht's wie's geht! wie viele Seeleute sagen.«
Ich wollte eben meine Begleiter heranrufen, als Wells mich wieder am Arme ergriff.
»Achtung! Horchen Sie auf!« sagte er.
Eben zog einer der Männer das Fahrzeug noch näher heran.
Da wurden zwischen dem Kapitän und seinen Leuten folgende Worte gewechselt:
»Ist da draußen alles in Ordnung?
– Alles, Herr Kapitän.
– Es müssen dann noch zwei Ballen vorhanden sein.
– Jawohl, zwei Ballen.
– Die würden also auf einmal an Bord der ›Epouvante‹ geschafft werden können?«
Die »Epouvante«!... Wir hatten also richtig den Apparat des »Herrn der Welt« vor uns![127]
»Bequem auf einmal, antwortete einer der Männer.
– Gut. Wir fahren morgen mit Sonnenaufgang wieder ab.«
Waren also wirklich nur drei Mann an Bord, nur drei, der Kapitän und seine beiden Leute?
Diese gingen nun voraussichtlich noch einmal nach dem Walde, die letzten Ballen zu holen. Zurückgekehrt, würden sie wieder aufs Schiff gehen, dort ihren Schlafraum aufsuchen und sich niederlegen. Wäre das nicht der geeignete Augenblick, sie zu überfallen, ehe sie an eine Gegenwehr denken konnten?
Da wir aus dem Munde des Kapitäns selbst gehört hatten, daß er vor Sonnenaufgang nicht abfahren werde, stimmten Wells und ich, dessen sicher, darin überein, die beiden Männer unbehelligt zurückkehren zu lassen, und uns der »Epouvante« erst zu bemächtigen, wenn alle in tiefem Schlafe lägen.
Warum der Kapitän aber am Tage vorher seinen Ankerplatz verlassen haben mochte, ohne die Verladung des gesamten Materials zu vollenden, was ihn doch genötigt hatte, nach der Bucht zurückzukehren, darüber fehlte es mir an jeder Erklärung. Jedenfalls war es für uns ein glücklicher Umstand, den wir auszunützen wissen würden.
Jetzt war es halb elf Uhr geworden. Eben wurden wieder Schritte auf dem Sande hörbar und sofort erschien auch der Mann mit der Laterne und sein Begleiter, die beide dem Walde zuschritten. Sobald sie hinter dessen Rande verschwunden waren, verständigte Wells unsere beiden Polizisten, während ich geräuschlos nach dem Durchgange im Gestein hinunterschlüpfte.
Die »Epouvante« lag wie vorher an einem Haltetau. So viel man von ihr erkennen konnte, hatte der längliche Apparat die Gestalt einer Spindel, jetzt aber keinen Schornstein, keine Masten und keine Takelage, ähnlich der Erscheinung, die er bei seinen Fahrten auf dem Meere bei Neuengland geboten hatte.
Wir verbargen uns in Winkeln und Aushöhlungen, nachdem wir unsere Revolver schußfertig gemacht hatten, da wir deren ja vielleicht bedurften.
Schon waren fünf Minuten verstrichen, seit die zwei Männer verschwunden waren, und jeden Augenblick erwarteten wir, sie mit ihren Ballen wieder auftauchen zu sehen. Hatten sie sich erst eingeschifft, so wollten wir den Zeitpunkt abwarten, an Bord zu springen, doch nicht vor Ablauf einer weiteren Stunde, wo dann der Kapitän und seine Leute jedenfalls fest eingeschlafen waren. Uns kam es ja vor allem darauf an, daß sie nicht Zeit gewannen, den Apparat nach dem Eriesee hinaus abzustoßen oder ihn gar tauchen zu lassen, denn dawären wir ja mit in die Tiefe hinuntergezogen worden. Wahrlich, noch nie in meinem Leben hatte ich eine solche Ungeduld empfunden!
Es schien so, als ob die beiden Leute im Walde zurückgehalten, als ob sie durch irgend etwas gehindert würden, ihn zu verlassen.
Plötzlich entstand da ein Geräusch von dem Hufschlag dahinjagender Pferde, wie von einer Galoppade längs des Waldesrandes.
Das war unser Gespann, das durch wer weiß was erschreckt von der Waldblöße weggelaufen war und wie toll nach dem Strande hinunterstürmte.
Fast gleichzeitig erschienen auch die zwei Männer, die jetzt aber so schnell liefen, wie es ihnen möglich war.
Ohne Zweifel hat die Gegenwart unserer Pferde ihnen einen Schreck eingejagt. Sie haben sich gesagt, daß im Walde Polizisten versteckt wären, daß man ihnen nachspüre, ihre Fährte verfolge und sie womöglich einfangen wolle.
Auch sie stürzten auf den Durchgang zu und würden, nach Aushebung des Ankers, natürlich an Bord springen. Dann verschwand die »Epouvante« mit Blitzesschnelle und unser Spiel war rettungslos verloren.
»Vorwärts!« rief ich.
Sofort stürmten wir nach dem Ufer, um den beiden den Rückzug abzuschneiden.
Sobald sie uns erblicken, werfen sie die Ballen weg und feuern mit ihren Revolvern, wobei sie John Hart, der am Beine getroffen wird, verwunden.
Jetzt geben auch wir Feuer, doch nicht mit gleichem Erfolge. Die Männer werden weder getroffen, noch in ihrem Laufe aufgehalten. Am Ende des Durchganges angelangt, sind sie auch, ohne sich um den Anker zu bekümmern, mit einigen Sätzen auf dem Deck der »Epouvante«.
Vorn auf diesem steht der Kapitän mit dem Revolver in der Hand, er feuert auf uns, und Wells wird von einer Kugel gestreift.
Nab Walker und ich, wir packen das Haltetau und zerren daran aus Leibeskräften. Das brauchte ja aber nur von Bord aus zerschnitten zu werden, dann konnte das Schiff sich in Bewegung setzen.
Plötzlich brach der Anker aus dem Sande los, einer der Arme erfaßte mich am Gürtel, und während Walker durch den Stoß zu Boden geschleudert wird, werde ich mit fortgezogen, ohne mich befreien zu können.
In diesem Augenblicke macht die von ihrem Motor angetriebene »Epouvante« fast einen richtigen Sprung und schießt mit voller Geschwindigkeit durch die Bucht von Black-Rock hinaus.[130]
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