VI.

[189] Auf die Entfernung einer halben Kertse nur ein leuchtender Punkt. Das ist die Lampe des Sterbenden – vielleicht des Todten. Ja, dort erhebt sich das Haus des Kringelbäckers; die Alte hat mit dem Finger danach hingewiesen; ein Irrthum ist nicht möglich.

Inmitten der pfeifenden Frritts und der durch das Getöse des Sturmes klatschenden Flaccs stolpert und quält sich der Doctor weiter.

Immer deutlicher tritt das inmitten offenen Landes gelegene Haus aus der Dunkelheit hervor.

Es ist merkwürdig zu sehen, wie sehr es dem des Doctors, dem Sechs-Vier-Hause in Luktrop, ähnelt; dieselbe Anordnung der Fenster und der Fronte, sogar dieselbe kleine Bogenthür.

Der Doctor Trifulgas beeilt sich, so gut es das Wetter zuläßt. Die Thür steht angelehnt; er braucht sie nur aufzustoßen. Er stößt sie auf, tritt ein und der Wind wirst sie ungeschlacht hinter ihm zu.

Draußen heult der Hund Hurzof und ist dann zeitweilig wieder still, wie der Cantor, wenn die Litanei gesungen wird.

Sonderbar! Man möchte sagen, Doctor Trifulgas sei in sein eigenes Haus zurückgekommen. Verirrt hatte er sich aber jedenfalls nicht, hatte keinen Weg im Bogen gemacht. Er befindet sich bestimmt im Karnin-Thale, nicht in Luktrop. Und doch – hier ist ganz derselbe niedrige, gewölbte Corridor, dieselbe hölzerne Wendeltreppe mit dicker, vom vielen Anfassen abgenützter Leitstange.

Er geht hinauf, kommt nach einem Absatze, steht dann vor der Thür, durch welche, ganz wie im Sechs-Vier-Hause, unten ein Lichtschein hindurchdringt.[189]

Ist es eine Sinnestäuschung? In dem schwachen Lichtschein erkennt er sein Zimmer wieder, zur Rechten das gelbe Canapé, zur Linken die Birnbaumcommode, den eisenbeschlagenen Geldkasten, in den er die hundertzwanzig Fretzers zu versenken gedachte. Da ist auch sein Lehnstuhl mit den lederüberzogenen Kopflehnen, der Tisch mit den gedrechselten Füßen und darauf, neben der schon halb erlöschenden Lampe, das dicke Buch, von dem man die Seite 197 aufgeschlagen sieht.

»Was hab' ich denn?« knurrt er.

Was er hat? Er hat Furcht. Seine Pupille ist erweitert, sein Körper zusammengezogen, wie verkleinert. Ein eisiger Schweiß durchkältet ihm die Haut, über welche eisige Schauer laufen.

Aber so eile doch! Aus Mangel an Oel wird die Lampe erlöschen... Der Sterbende auch!

Ja, das ist das Bett – sein Bett mit Säulen, mit Baldachin, und ebenso breit wie lang – geschlossen mit großblumigen Vorhängen. Ist es denkbar, daß es das Siechenbett eines armseligen Kringelbäckers wäre?

Mit zitternder Hand ergreift Doctor Trifulgas die Vorhänge – er zieht sie zurück und blickt hinein...

Den Kopf außerhalb der Pfühle, liegt der Sterbende unbeweglich, als hätte er eben den letzten Athem ausgehaucht.

Der Doctor bückt sich über ihn...

Ah, welcher Aufschrei, dem draußen das unheimliche Gebell des Hundes antwortet.

Der Sterbende... Das ist nicht der Kringelbäcker Vort Kartif... Das ist ja der Doctor Trifulgas!... Er ist es, der einen Schlaganfall erlitten... er, er selbst! Eine Gehirn-Apoplexie mit plötzlicher Ansammlung wässeriger Flüssigkeiten in den Gehirnhöhlen und mit Lähmung des Körpers auf der, dem Sitze der Verletzung entgegensetzten Seite.

Ja, er ist es, der nun selbst im Sterben liegt!

Der Doctor Trifulgas ist wie von Sinnen; er fühlt sich verloren. Die Zufälle des Kranken mehren sich von Minute zu Minute. Nicht allein die willkürlichen Bewegungen werden weiter und weiter gelähmt, auch der Herzschlag und die Athmung fangen schon an auszusetzen. Und doch hat er noch nicht völlig das Bewußtsein eingebüßt.

Was thun? Die Blutmenge durch einen Aderlaß vermindern? Der Doctor Trifulgas ist todt, wenn er zauderte...[190]

Jener Zeit ließ man noch fleißig zur Ader, und ganz wie heute heilten die Aerzte von einem Schlaganfalle alle Diejenigen, welche nicht daran sterben.

Der Doctor Trifulgas ergriff sein Besteck, holte die Lancette heraus und öffnete eine Vene seines zweiten Ichs... In seinem Arme fließt kein Blut mehr. Er frottirt ihm energisch die Brust... Die Bewegung der seinigen hört dafür auf. Er wärmt ihm die Füße mit heißen Steinen... die seinen werden dabei eiskalt.

Da erhebt sich sein Doppelgänger noch einmal, dreht sich ein wenig um und fängt an zu röcheln...

Der Doctor Trifulgas stirbt trotz aller Hilfsmittel, die ihm die Wissenschaft liefern kann, unter seinen eigenen Händen

Frritt!... Flacc...

Quelle:
Jules Verne: Frritt-Flacc! In: Ein Lotterie-Los. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LI, Wien, Pest, Leipzig 1888, S. 181–191, S. 189-191.
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