Entzifferung der Keilschrift und assyriologische Studien bis zum Jahr 1810. – Das alte Iran und Avesta. – Die Triangulation Indiens und die hindostanischen Forschungen. – Die Erforschung und Messung der Himalayakette. – Die Halbinsel Arabien. – Syrien und Palästina. – Central-Asien und Alexander von Humboldt. – Pike an den Quellen des Mississippi, des Arkansas und des Rothen Flusses (Red River). – Die beiden Expeditionen des Major Long. – Schoolcraft an den Quellen des Mississippi. – Die Erforschung Neu-Mexikos. – Archäologische Reisen in Central-Amerika. – Naturgeschichtliche Untersuchungen in Brasilien. – Spix und Martius; Prinz Maximilian von Wied-Neuwied. – D'Orbigny und die amerikanische Menschenrace.
Sind die Entdeckungen, von denen wir im Folgenden sprechen, auch nicht eigentlich geographischer Natur, so haben sie doch ein so neues Licht über viele alte Kulturzustände verbreitet und das Gebiet der Geschichtskunde so sehr vergrößert, daß wir es uns nicht versagen können, derselben wenigstens kurz Erwähnung zu thun.
Die Erklärung der Keil-Inschriften und die Entzifferung der Hieroglyphen sind Erscheinungen von solcher Folgewichtigkeit und haben uns eine so große Menge bisher unbekannter oder entstellter Thatsachen aus den Meisterwerken der alten Geschichtsschreiber, Diodorus, Ctesias und Herodot, kennen gelehrt, daß es unmöglich ist, diese hochwissenschaftlichen Entdeckungen mit Stillschweigen zu übergehen.
An ihrer Hand machen wir Bekanntschaft mit einer neuen Welt, mit einer sehr vorgeschrittenen Civilisation, und erfahren von Sitten und Gebräuchen, die von den unseren grundverschieden sind. Wie interessant ist es nicht, die Erzählungen des Intendanten eines mächtigen Herrn oder des Gouverneurs einer Provinz in den Händen zu haben und auch Romane zu lesen wie »Setna« und wie die »beiden Brüder«, oder Märchen wie das von dem »auserwählten Prinzen!«
Wenn die großartigen Bauwerke des Alterthums, die prächtigen Tempel, die herrlichen Hypogäen, die schön bearbeiteten Obelisken für uns bisher nur Denkmäler einer verschwundenen Zeit waren, so erzählen sie uns jetzt, wo man die zahlreichen Inschriften derselben zu deuten versteht, von dem Leben der Herrscher, die sie errichteten, und von den Umständen, unter denen sie gegründet wurden.[191]
Wie viele Namen von Völkerschaften, deren die griechischen Historiker nicht erwähnen, welch' große Zahl untergegangener Städte, wie viel merkwürdige Thatsachen hinsichtlich des Kultus, der Kunst, Industrie, des täglichen Lebens, der politischen oder der kriegerischen Ereignisse offenbaren uns nicht die Hieroglyphen und Keil-Inschriften bis in alle Einzelheiten!
Und bezüglich dieser Völker, die wir bisher nur unvollkommen oder oberflächlich kannten, erlangen wir nun einen Einblick in ihr gewöhnliches Leben und eine Vorstellung von ihrer Literatur. Der Tag kann nicht mehr fern sein, an dem wir das Leben der Egypter im 18. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung ebenso gut kennen, wie das unserer Väter des 17. und 18. Jahrhunderts nach Christus.
Carsten Niebuhr hatte aus Persepolis Inschriften in unbekannten Schriftzeichen mitgebracht und dieselben zuerst genau und vollständig copirt. So viel Versuche, sie zu erklären, auch gemacht wurden, sie blieben doch alle erfolglos, bis es dem gelehrten hannover'schen Philologen Grotefend im Jahre 1802 durch eine glückliche Eingebung des Genies gelang, das Geheimniß, welches sie umgab, zu ergründen.
Wie eigenthümlicher Art und wie schwer zu deuten waren aber auch die Keilschriften! Man stelle sich eine Reihe von Nägeln oder spitzigen Pflöcken vor, welche in verschiedener Weise zusammengestellt, linienweise aneinander gereihte Gruppen bildeten. Welchen Werth besaßen diese Gruppen? Stellten sie Töne und articulirte Laute oder ganze Worte vor, wie die Buchstabengruppen unserer Alphabete? Hatten sie dieselbe ideographische Bedeutung wie die Charaktere der chinesischen Schrift? Welche Sprache war überhaupt unter ihnen verborgen? Das sind ebenso viele Fragen als Räthsel, welche der Lösung harrten. Man konnte wohl vermuthen, daß aus Persepolis stammende Inschriften in der Sprache der alten Perser abgefaßt seien; aber Rask, Bopp und Lassen hatten die iranischen Idiome noch nicht studirt und deren Verwandtschaft mit dem Sanskrit noch nicht nachgewiesen.
Es liegt unserem Thema zu fern, hier alle die geistreichen Deductionen, Vermuthungen und Versuche darzulegen, durch welche Grotefend dahin gelangte, in jenen eine alphabetische Schrift zu erkennen und gewisse Gruppen von Namen auszuscheiden, welche er für die des Xerxes und Darius hielt und wodurch er wiederum zur Kenntniß mehrerer Buchstaben kam, durch welche er andere Worte lesen und verstehen lernte. Jedenfalls war die Methode hiermit gefunden. Anderen blieb die Aufgabe, diese zu erweitern und zu vervollkommnen.[192] Mehr als dreißig Jahre verstrichen, bevor diese Studien bemerkbare Fortschritte machten. Der gelehrte Franzose Eugen Burnouf erst sollte sie um einen großen Schritt weiter fördern. Mit Benutzung seiner Kenntnisse des Sanskrit und des Zend gelang ihm der Beweis, daß jene persepolitanischen Inschriften in einem, in Bactrien herrschenden Dialect des Zend abgefaßt waren, den man noch im 6. Jahrhundert unserer Aera sprach und in welchem auch die Bücher Zoroaster's geschrieben sind.
Seine Denkschrift hierüber erschien im Jahre 1836. Gleichzeitig kam ein[193] deutscher Gelehrter, Lassen in Bonn, der auch seinerseits denselben Untersuchungen oblag, zu einem ganz entsprechenden Resultate.
Bald waren nun die Inschriften, welche man besaß, alle gelesen, das Alphabet erklärt bis auf eine kleine Anzahl von Zeichen, über deren Bedeutung noch keine völlige Uebereinstimmung herrschte.
Immerhin besaß man jetzt nur einen Grund, das eigentliche Gebäude war damit noch lange nicht errichtet. Man hatte nämlich gefunden, daß die persepolitanischen Inschriften sich in drei parallelen Reihen wiederholten. Sollte das auf einer dreifachen Wiedergabe derselben Inschrift in den drei Hauptidiomen des akhemenidschen Reiches, das heißt in persischer, medischer und assyrischer oder babylonischer Sprache beruhen? Diese Annahme hatte viel für sich; durch die Erklärung einer der Inschriften gewann man jedoch einen Vergleichungspunkt und konnte darauf weiter schließen, wie Champollion seiner Zeit bezüglich des Steines von Rosette, der in griechischer Mundart zweimal dasselbe in der Volks- und der Hieroglyphenschrift enthielt.
In jenen beiden anderen Inschriften erkannte man die assyro-chaldäische Sprache, welche, ebenso wie die hebräische, die himjaritische und die arabische, zu der semitischen Sprachenfamilie gehören, und ein drittes Idiom, das man das medische nannte und mit dem türkischen und tatarischen in Beziehung brachte. Mit der Weiterverfolgung dieser Untersuchungen würden wir indeß zu sehr in andere Gebiete übergreifen. Dieser Aufgabe widmeten sich, um nur die berühmtesten Namen zu nennen, der dänische Gelehrte Westergaard, die Deutschen W. v. Humboldt, Schlegel, Bopp, die Franzosen de Saulcy und Oppert, die Engländer Norris und Rawlinson. Wir kommen später hierauf noch einmal zurück.
Die Erforschung des Sanskrit, die Untersuchungen über die brahmanische Literatur, von denen später die Rede sein wird, hatten eine wissenschaftliche Regsamkeit erweckt, welche in gleichem Maße zunahm, wie die Studien an Klarheit und Tiefe gewannen. Ungeheuere, von den Orientalisten als Iran bezeichnete Ländergebiete, welche Persien, Afghanistan und Beludschistan umfaßten, waren lange Zeit, bevor Ninive und Babylon in der Geschichte auftraten, der Sitz einer vorgeschrittenen Civilisation gewesen, mit der der Name Zoroaster's als Eroberer, Gesetzgeber und Gründer einer neuen Religion eng verknüpft ist. Seine, zur Zeit der muselmanischen Eroberung verfolgten und aus ihrem alten Vaterlande, wo sie den alten Cultus treu bewahrten, vertriebenen Schüler flüchteten sich, unter dem Namen Parsis, nach dem nordwestlichen Indien.[194]
Gegen Ende des letzten Jahrhunderts hatte ein Franzose, Namens Anquetil-Duperron, nach Europa eine, in der Sprache Zoroaster's abgefaßte, genaue Abschrift der religiösen Bücher der Parsis mitgebracht. Er übersetzte dieselben auch, und sechzig Jahre hindurch schöpften alle Gelehrten aus dieser Quelle alle Kenntniß, die sie von der Religion und der Philologie in Iran besaßen. Diese Bücher sind bekannt unter dem Namen Zend-Avesta, ein Wort, das die Bezeichnung der Sprache, des Zend, mit Avesta, dem Titel des Werkes, verbindet.
Gegenüber den Fortschritten der Sanskritstudien bedurfte dieser Theil der Sprachwissenschaft jetzt einer Erneuerung und Behandlung nach den strengeren neueren Methoden. Der dänische Philosoph Rask, im Jahre 1826, und nach ihm Eugen Burnouf, gestützt auf seine tiefe Kenntniß des Sanskrit und mit Hilfe einer in letzter Zeit in Indien aufgefundenen Sanskritübersetzung, hatten zuerst das Studium des Zend von Neuem aufgenommen. Im Jahre 1834 veröffentlichte Burnouf das epochemachende Werk über die Yaena (ein religiöses Buch der Parsis). Die daraus hervorleuchtende Aehnlichkeit des archäischen Sanskrit und des Zend führten zu der Annahme eines gleichen Ursprungs beider Sprachen und bewiesen die Verwandtschaft, um nicht zu sagen die Einheit der Völker, welche sie redeten. Ursprünglich haben beide Völker dieselben Namen für ihre Gottheiten, dieselben Traditionen, ohne die Uebereinstimmung der Sitten zu erwähnen, ja sogar dieselbe Bezeichnung für sich selbst, da sie in allen Schriften Beide Arier genannt werden. Es ist wohl überflüssig, auf die Wichtigkeit dieser Entdeckung, welche über den so lange Zeit gänzlich unbekannten Ursprung unserer Geschichte ein unerwartetes Licht verbreitete, besonders aufmerksam zu machen.
Mit Ausgang des 18. Jahrhunderts, das heißt seit der Zeit, wo die Engländer in Indien dauernd Faß gefaßt hatten, wurde die physikalische Untersuchung des Landes mit Allem, was einigermaßen mit ihm in Verbindung stand, eifrig betrieben. Sie war der Ethnologie und den verwandten Wissenszweigen, welche ein sichereres Terrain und ruhigere Zeiten zum Gedeihen brauchen, naturgemäß vorangeeilt. Die Aufklärung in jener Hinsicht erschien ja auch für die Regierung, das heißt für die Verwaltung ebenso wie für die commercielle Ausbeutung, in erster Linie von Bedeutung. So hatte z. B. der Marquis von Wellesley, der damalige Gouverneur der Compagnie, in richtiger Erkennung des Werthes einer verläßlichen Karte der englischen Besitzungen, schon im Jahre 1801 den Brigadier der Infanterie, Wilhelm Lambton, mit der Aufnahme eines trigonometrischen, die Ost- und Westküste Indiens mit dem Observatorium in Madras verknüpfenden[195] Netzes beauftragt. Lambton beschränkte sich jedoch nicht auf diese Aufgabe, sondern bestimmte auch genau einen Meridianbogen zwischen dem Cap Comorin und dem Dorfe Takoor Kera, fünfzehn Meilen südöstlich von Ellichpoor. Die Amplitude dieses Bogens umfaßte also mehr als zwölf Grade. Mit Hilfe seiner wohlunterrichteten Officiere, unter denen der Oberst Everest einer besonderen Erwähnung verdient, hätte die indische Regierung schon im Jahre 1840 den Abschluß der Arbeiten ihrer Ingenieure erleben können, wenn die Annexionen weiterer Gebiete die Beendigung derselben nicht immer weiter verschoben hätten. Fast gleichzeitig erwachte auch ein reges Interesse für die Literatur Indiens.
In London erschien im Jahre 1776 zum ersten Male übersetzt der »Codex der Gentoos« (das heißt Hindus), ein Auszug aus den wichtigsten Gesetzbüchern der Eingebornen.
Neun Jahre später wurde von Sir William Jones in Calcutta die Asiatische Gesellschaft gegründet, deren regelmäßige Veröffentlichungen, die Asiatic Researches, alle wissenschaftlichen Forschungen über Indien enthielten.
Bald nachher, im Jahre 1789, gab Jones seine Uebersetzung des Dramas Sakuntala, jenes herrliche, gefühlvolle und zarte Musterstück der Hindu-Literatur heraus. Grammatiken und Wörterbücher des Sanskrit erschienen in rascher Folge. Im britischen Indien erwachte ein förmlicher Wetteifer, der gewiß auch nach Europa übergestrahlt wäre, wenn die Continentalsperre nicht die Einführung fremder Bücher verhindert hätte. Jener Zeit studirte ein gefangener Engländer, Hamilton, die orientalischen Manuscripte der Pariser Bibliothek und gab mit Friedrich Schlegel Anleitung zur Erlernung des Sanskrit, das man nun nicht mehr an Ort und Stelle zu studiren brauchte.
Schlegel hatte Lassen als Schüler; er widmete sich mit ihm dem Studium der Literatur und der Alterthümer Indiens, der kritischen Untersuchung, Veröffentlichung und Uebersetzung der Texte. Inzwischen beschäftigte er sich auch eifrig mit der Sprache, bearbeitete seine, Allen zugänglichen Grammatiken und gelangte zu der überraschenden, jetzt aber allgemein anerkannten Schlußfolgerung: der Verwandtschaft der indo-europäischen Sprachstämme.
Man überzeugte sich bald, daß die Vedas – jene in hohem Ansehen stehende und deshalb von Einschaltungen verschont gebliebene Gesetzessammlung – in einem alten und sehr reinen Idiom geschrieben waren, dem alle sprachlichen Neuerungen fremd waren und dessen durchgehende Aehnlichkeit mit dem Zend erkennen ließ, daß diese heiligen Bücher aus der Zeit vor der Trennung[196] der arianischen Familie in zwei Zweige herstammten. Darauf studirte man die zwei Epopöen der brahmanischen Epoche, welche auf die Zeit der Vedas folgte, den Mahabharata und den Ramayana, ebenso wie die Paranas. Die Gelehrten vermochten nun auch, Dank einer tieferen Kenntniß der Sprache und der Mythen des Landes, annähernd die Zeit der Entstehung jener Gedichte zu bestimmen, die unzähligen späteren Interpolationen zu bezeichnen, und auszuscheiden, was in diesen herrlichen Allegorien auf Geschichte und Geographie Bezug hatte.
Durch geduldige und gewissenhafte Forschungen gelangte man zu der Erkenntniß, daß die keltische, griechische, lateinische, germanische, slavische und persische Sprache alle ein und denselben Ursprung haben, deren gemeinschaftliche Mutter keine andere ist als das Sanskrit. Wenn die Sprache aber dieselbe ist, muß auch das Volk dasselbe sein. Man erklärt die Verschiedenheiten, welche die Idiome jetzt zeigen, durch successive Abzweigungen von dem Urvolk, für welche sich auch die Zeit annähernd feststellen läßt durch die größere oder geringere Verwandtschaft jener Sprachen mit dem Sanskrit oder durch die Natur der diesem entliehenen Wörter, welche an sich selbst, je nach dem Fortschritte der Civilisation, verschieden sein mußten.
Gleichzeitig gewann man eine klare und umfassende Vorstellung von der Lebensweise, welche die Väter der indo-europäischen Race geführt, und von den Veränderungen, welche diese durch die Civilisation allmählich erfuhr. Die Vedas zeigen uns, daß die selbe noch nicht überall in Indien Fuß gefaßt hatte, sondern vorzüglich auf das Pendjab und Kabulistan beschränkt blieb. Diese Gedichte schildern die Kämpfe gegen die Urbevölkerung von Hindostan, deren Widerstand um so hartnäckiger war, als die Sieger sie bei ihrer Kasteneintheilung in die unterste und verächtlichste verwiesen. Man erfährt aus den Vedas alle Einzelheiten des Hirten- und Patriarchenlebens der Arier, wird vertraut mit der stillen, wenig abwechslungsreichen Familienexistenz und fragt sich, ob der hitzige Wettstreit unserer Tage den unschuldigen Lebensgenuß, den der Mangel an Bedürfnissen unseren Vätern gewährte, aufzuwiegen vermag.
Begreiflicher Weise können wir nicht länger bei diesem Gegenstande verweilen; der Leser wird aus dem Wenigen, was wir hier darüber sagten, die hohe Bedeutung jener Studien für die Geschichte, Ethnographie und Linguistik erkennen. Wir verweisen wegen weiterer Aufschlüsse auf die Specialwerke der Orientalisten und auf die ausgezeichneten Handbücher der alten Geschichte von Robiou, Lenormant und Maspero. Alle Bereicherungen, welche die verschiedenen[197] Zweige der hier einschlägigen Wissenschaften bis zum Jahre 1820 erfuhren, wurden mit Sachkenntniß und Unparteilichkeit von Walter Hamilton zusammengefaßt in dessen großer Arbeit unter dem Titel: »Geographische, statistische und historische Beschreibung Hindostans und seiner Nachbarländer«. Es gehört dieselbe zu den literarischen Erscheinungen, welche, indem sie sozusagen eine Etappe der Wissenschaft markiren, den Grad ihrer zu gewisser Zeit erreichten Entwicklung zuverlässig kennzeichnen.
Neben dieser flüchtigen Andeutung der auf das intellectuelle und sociale Leben der Hindus bezüglichen Arbeiten, verdienen eine Erwähnung auch die Studien, welche die physikalische Kenntniß des Landes förderten.
Eines der überraschendsten Ergebnisse der Reise Webb's und Moorcroft's war die außerordentliche Höhe, welche die Genannten den Bergen des Himalaya zuschrieben. Nach Schätzung der Reisenden sollten diese mindestens die höchsten Spitzen der Anden erreichen. Oberst Colebrook's Berechnungen ergaben für die Bergkette zweiundzwanzigtausend Fuß, und auch diese Rechnung schien noch hinter der Wahrheit zurückzubleiben. Webb seinerseits hatte einen der bemerkenswerthesten Gipfel der Kette, den Jamunavatari, gemessen und für denselben eine Höhe von zwanzigtausend Fuß über dem Plateau, auf welchem er sich befand und das selbst die Ebene um fünftausend Fuß überragte, herausgefunden. Unbefriedigt von einer Messung, die er selbst nur für approximativ ansah, maß Webb später mit aller mathematischen Genauigkeit den Dhawalagiri oder »Weißen Berg« und fand, daß dessen höchster Gipfel siebenundzwanzigtausendfünfhundert Fuß (achttausendeinhundertvierundfünfzig Meter) emporstieg.
Was an der Himalaya-Kette am meisten in die Augen fällt, ist jene Aufeinanderfolge von Bergen, jene Reihe von Projectionen, welche eine immer die andere überragen. Das erweckt eine lebhaftere Vorstellung von ihrer Höhe, als der Anblick eines isolirten Kegels, der aus einer Ebene emporsteigt, um seinen schroffen Gipfel in den Wolken zu verbergen.
Webb's und Colebrook's Rechnungen wurden bald durch mathematische Beobachtungen des Oberst Crawford bestätigt, der acht der höchsten Gipfel des Himalaya gemessen hatte. Seiner Messung nach wäre der höchste unter ihnen der Chumulari, nahe den Grenzen von Bouthan und Thibet, dessen Spitze sich gegen dreißigtausend Fuß (achttausendachthundertdreiundachtzig Meter) über das Meer erheben soll. Obschon diese Resultate mit einander übereinstimmten und nicht wohl anzunehmen war, daß alle Beobachter sich gleichmäßig getäuscht hätten, erweckten[198] dieselben doch die Verwunderung der gelehrten Welt. Der Haupteinwurf, den man erhob, bestand darin, daß die Schneegrenze etwa dreizehntausend Fuß über dem Meere liegen müsse. Danach erschien es unmöglich, daß die Berge des Himalaya noch mit riesigen Fichtenwäldern bedeckt sein könnten, wie das doch alle Forscher anzuführen beliebten.
Und doch gab die Erfahrung der Theorie Unrecht. Bei Gelegenheit einer zweiten Reise stieg Webb bis zum Niti Gaut, dem höchsten Gebirgsrücken der Erde, hinauf, dessen Höhe er zu sechzehntausendachthundertvierzig Fuß bestimmte. Hier aber fand Webb nicht nur keinen Schnee, sondern auch die ihn noch um dreihundert Fuß übersteigenden Felsen zeigten während des Sommers davon nichts. Hier, wo auf den jähen Abhängen schon die Athmung schwierig wird, grünten vielmehr noch prächtige Wälder von Fichten, Cypressen, Cedern und Weiden.
»Webb, sagt Desborough Cooley, schreibt die auffallend hohe Lage der Grenze des ewigen Schnees in den Himalaya-Bergen der großen Erhebung des Bodens zu, von dem aus deren letzte Gipfel aufsteigen. Da die Hauptursache der Wärme unserer Atmosphäre in der Rückstrahlung von der Oberfläche der Erde zu suchen ist, so liegt es auf der Hand, daß die größere oder geringere Entfernung und die Ausdehnung umgebender Ebenen von größtem Einflusse auf die Temperatur eines hochgelegenen Punktes sein müsse. Diese Betrachtungen scheinen uns hinreichend die Einwürfe mancher Gelehrten bezüglich der Höhe der Himalaya-Berge zu widerlegen, welche also als die höchste Bergkette der ganzen Erde anzusehen sind.«
Hier ist noch eines Ausfluges nach den von Webb und Moorcroft schon besuchten Gegenden Erwähnung zu thun. Der betreffende Reisende, Fraser, besaß freilich weder die nöthigen Instrumente, noch hinreichende Kenntnisse, um die hohen Berggipfel zu messen, zwischen denen er hinzog; dafür war ihm ein lebhaftes Gefühl eigen und sein interessanter Bericht deshalb doppelt unterhaltend. Er besuchte die Quelle der Jumna, und obschon er sich in einer Höhe von fünfundzwanzigtausend Fuß befand, traf er doch überall auf Dörfer, welche malerisch an schneebedeckten Bergwänden hingen. Fraser begab sich auch nach Gangoutri, trotz des Widerspruchs seiner Führer, welche ihm den Weg als außerordentlich gefährlich schilderten, weil daselbst ein pestilenzialischer Wind wehe, der jeden sich dahin wagenden Reisenden der Sinne beraube. Der kühne Wanderer war entzückt über die Großartigkeit und Schönheit der Landschaften, welche er auffand[199] und fühlte sich durch wirklich künstlerische Genüsse belohnt für die deshalb ausgestandenen Strapazen.
»Die Himalaya-Kette, sagt Fraser, zeigt einen ganz eigenthümlichen Charakter, was jeder Reisende, der sie einmal gesehen, bezeugen wird. Sie ähnelt wirklich keiner anderen Bergkette, denn ihre Gipfel von phantastischer Form, ihre Nadeln von wunderbarer Höhe rufen, von hohem Standpunkte aus gesehen, bei dem Fremden, dessen Blicke sie auf sich ziehen, ein solches Erstaunen hervor, daß er sich von einem trügerischen Spiegelbilde getäuscht glaubt.«
Wir vertauschen nun die Ganges-Halbinsel mit der arabischen, um die Ergebnisse einiger interessanten Züge durch dieselbe zu verzeichnen. In erster Linie gehört da hierher die Reise des Kapitän Sadlier von der indischen Armee. Im August 1819 von dem Gouverneur von Bombay mit einer Mission an den gegen die Wahabiten kriegführenden Ibrahim Pascha betraut, durchzog dieser Officier die ganze Halbinsel von dem Hafen El Katif am Persischen Golf bis nach Yambo am Rothen Meere.
Der Bericht über diese merkwürdige Reise nach Arabien, welche bisher noch kein Europäer ausgeführt hatte, ist leider nicht besonders veröffentlicht worden, sondern in einem fast unauffindbaren Werke, den Transactions of the Literary Society of Bombay, vergraben geblieben.
Fast zur nämlichen Zeit, von 1821 bis 1826, ließ die englische Regierung durch die Schiffskapitäne Moresby und Haines hydrographische Arbeiten zum Zwecke einer vollständigen Aufnahme der Küsten von Arabien ausführen. Dieselben sollten zur Unterlage der ersten verläßlichen Karte dienen, welche bis dahin von jener Halbinsel mangelte.
Der Vollständigkeit wegen erwähnen wir hier noch die beiden Züge zweier französischer Naturforscher, Aucher Eloy's nach Oman, und Emil Botta's nach Yemen, sowie die Arbeiten eines französischen Consuls in Djedda, Fulgence Fresnel's, über die Idiome und Alterthümer Arabiens. Der Letztere, der seine Briefe über die Geschichte der Araber vor der Zeit des Islam im Jahre 1836 herausgab, war der Erste, der die himjaritische oder homeritische Sprache studirte und erkannte, daß dieselbe mit den alten hebräischen und syrischen Dialecten mehr Aehnlichkeiten aufwies als mit dem heutigen Arabischen.
Zu Anfang dieses Bandes schilderten wir Seetzen's und Burckhardt's Forschungen und archäologische und geschichtliche Studien in Syrien und Palästina. Hier haben wir nun noch Einiges über eine kleinere Reise nachzutragen, deren Ergebnisse vorzüglich die physikalische Geographie berühren. Es betrifft die Fahrt des bayrischen Naturforschers Heinrich Schubert.[200]
Ein strenger Katholik und begeisterter Gelehrter, fühlte Schubert sich von den melancholischen Landschaften des heiligen Landes mit seinen wunderbaren Legenden und von den sonnenbeglänzten Ufern des geheimnißvollen Nils mit dessen historischen Erinnerungen mächtig angezogen. In seinem Berichte findet man gleichzeitig die tiefen Eindrücke des Gläubigen und die wissenschaftliche Voreingenommenheit des Naturforschers wieder.
Im Jahre 1837 betrat Schubert, nachdem er Unter-Egypten und die Halbinsel Sinaï durchstreift, das heilige Land. Zwei Freunde, ein Arzt, Doctor Erdl, und ein Maler, Martin Bernatz, begleiteten den gelehrten bayrischen Reisenden.
In El Akabah am Rothen Meere gelandet, begab[201] sich die Gesellschaft mit einer kleinen, arabischen Karawane nach El Khalil, dem alten Hebron. Den Weg, den sie benutzten, hatte noch keines Europäers Fuß betreten. Es war das ein breites, flaches Thal, das am Todten Meere endigte und diesem früher als Ausläufer nach dem Rothen Meere gedient zu haben schien. Burckhardt und manche Andere, welche dasselbe nur einmal gesehen hatten, huldigten ganz derselben Ansicht und schrieben die Unterbrechung dieses Ausflusses einer Hebung des Bodens zu. Die von den Reisenden gemessenen Höhen sollten das Irrige dieser Hypothese erweisen.
Geht man nämlich von dem aelanischen Golf (das ist von Akabah) aus, so steigt der Weg zwei bis drei Tage lang bis zu einer Stelle, welche die Araber den »Sattel« nennen, und fällt von hier aus nach dem Todten Meere zu ab. Dieser Scheitelpunkt liegt gegen siebenhundert Meter über dem Meere. Das fand wenigstens im folgenden Jahre ein französischer Reisender, der Graf de Bertou, der dieselbe Gegend besuchte.
Auf dem Wege nach dem Asphaltsee hinunter nahmen Schubert und seine Gefährten wiederholte barometrische Messungen vor und waren nicht wenig erstaunt, als sie ihr Instrument plötzlich einundneunzig Fuß »unter« dem Rothen Meere und weiterhin immer eine tiefere Niveaulage des Landes anzeigen sahen.
Zuerst dachten sie bei dieser Wahrnehmung natürlich an einen Beobachtungsfehler, überzeugten sich aber doch bald von deren Richtigkeit und erkannten daraus, daß der Asphaltsee niemals habe nach dem Rothen Meere abfließen können, einfach deshalb, weil das Niveau des ersteren weit unter dem des letzteren liegt.
Diese Senkung des Todten Meeres ist noch auffallender, wenn man sich von Jerusalem nach Jericho begiebt. Dabei kommt man durch ein langes Thal mit starkem Gefälle, das wegen der bergigen Hochflächen von Judäa, Peräa und Haouran – die letzteren erheben sich bis zu dreitausend Fuß über den Meeresspiegel – noch bedeutender erscheint.
Der Anblick der Umgebung und die Angaben der Instrumente widersprachen aber so sehr den bisherigen landläufigen Anschauungen, daß Erdl und Schubert[202] den erhaltenen Resultaten immer noch mißtrauten und sie auf einen Fehler ihres Barometers und vielleicht eine unbemerkbare plötzliche Störung in der Atmosphäre bezogen. Während der Rückreise nach Jerusalem erreichte das Barometer indeß wieder dieselbe mittlere Höhe, welche es vor ihrer Abfahrt nach Jericho angegeben hatte. Man mußte also wohl oder übel annehmen, daß das Todte Meer sechshundert Fuß unter dem Mittelmeere liege, eine Zahl, welche spätere Beobachter noch als um die Hälfte zu klein nachgewiesen haben.
Offenbar war hiermit eine glückliche Berichtigung gewonnen, welche vorzüglich dadurch folgenreich werden sollte, daß sie die Aufmerksamkeit gelehrter Kreise einer Erscheinung zuwandte, deren thatsächliches Vorhandensein spätere Forschungen bald bestätigen sollte.
Gleichzeitig gewann nun auch die physikalische Erforschung des Beckens des Todten Meeres ebenso an Umfang wie an Gründlichkeit. Zwei amerikanischen Missionären, Edward Robinson und Eli Smith, verdankte die biblische Geographie 1838 eine ganz neue Anregung. Sie bildeten die Pionniere jener Phalanx von Reisenden, Naturforschern, Geschichtschreibern, Archäologen und Ingenieuren, welche, theils unter den Auspicien der englischen Gesellschaft, theils auch neben dieser, das Land der Patriarchen nach allen Seiten untersuchen, verläßliche Specialkarten desselben ausarbeiten und die mannigfachsten Entdeckungen machen sollte, die über jene alten Völkerschaften und einander ablösenden Besitzer des berühmten Landes am Ende des Mittelmeeres neues und helles Licht verbreiteten.
Aber nicht nur diese, durch die Erinnerungen, welche sie in jedem Christenherzen erweckt, so besonders interessante Gegend allein wurde das Studienziel der Gelehrten und Reisenden; ganz Kleinasien vielmehr sollte jetzt der Wißbegierde der gelehrten Welt die in seinem Schoße verborgenen Schätze offenbaren. Reisende durchstreiften dasselbe nach allen Richtungen. Parrot besuchte Armenien; Dubois de Montpéreux wanderte im Jahre 1839 durch den Kaukasus; Eichwald erforschte 1825 und 1826, die Ufer des Kaspischen Meeres; Alexander von Humboldt endlich vervollständigte, Dank der edlen Opferwilligkeit des russischen Kaisers Nikolaus, in Asien und im Uralgebirge seine allgemein physikalischen und geographischen Beobachtungen, die er so muthvoll in der Neuen Welt begonnen. In Begleitung des Mineralogen Gustav Rose, des Naturforschers Ehrenberg, der sich schon durch seine Reisen in Ober-Egypten und Nubien einen Namen gemacht hatte, ferner des Barons Helmersen, eines Genie-Officiers, durchzog Humboldt Sibirien, besuchte die Gold- und Platingruben des Ural und[203] erforschte die Steppen in der Umgebung des Kaspischen Meeres und der Altaï-Kette bis zur Grenze von China. Diese Gelehrten hatten die Arbeiten unter einander getheilt; Humboldt widmete sich den astronomischen, physikalischen, magnetischen und allgemein naturwissenschaftlichen Beobachtungen; Rose dagegen führte das Reise-Tagebuch, welches von 1837 bis 1842 zuerst in Deutschland veröffentlicht wurde.
Die wissenschaftlichen Ergebnisse dieser, übrigens ungemein schnellen Reise – in neun Monaten wurde dabei eine Wegstrecke von elftausendfünfhundert Meilen (gleich siebzehntausendfünfhundertsechsundzwanzig Kilometer) zurückgelegt – waren höchst beträchtlich.
In einer vorläufigen Broschüre, welche 1838 in Paris erschien, verbreitete sich Humboldt nur über die Klimatologie und Geologie Asiens; dieser fragmentarischen Arbeit folgte im Jahre 1843 aber das meisterhafte Hauptwerk unter dem Titel »Central-Asien«.
»Er hat in demselben, sagt La Roquette, die wichtigsten wissenschaftlichen Ergebnisse seiner asiatischen Reise systematisch geordnet niedergelegt und sich höchst geistvollen Untersuchungen über die Gestaltung des Landes und der Berge in der Tatarei gewidmet; vorzüglich behandelt er darin die weite Bodendepression, welche sich vom Norden Europas bis zum Centrum Asiens und bis jenseits des Kaspischen Meeres und des Aralsees hinzieht.«
Wir verlassen nun Asien, um uns den verschiedenen Expeditionen zuzuwenden, die in der Neuen Welt seit Anfang dieses Jahrhunderts einander folgten. Zur Zeit, als Lewis und Clarke das nördliche Amerika von den Vereinigten Staaten bis zum Stillen Ocean durchzogen, hatte ein junger Officier, der Lieutenant Zabulon Montgomery Pike, von der Regierung im Jahre 1807 den Auftrag erhalten, die Quellen des Mississippi zu erforschen. Er sollte dabei gleichzeitig mit den ihm begegnenden Indianern freundschaftliche Beziehungen anzuknüpfen suchen.
Von dem ersten Häuptlinge des mächtigen Sioux-Stammes wohlwollend empfangen und beschenkt mit einer Friedenspfeife – ein Talisman, der ihm den Schutz aller verwandten Stämme sicherte – ging Pike den Mississippi hinauf und kam am Chippeway und dem St. Peters-Strome, zwei bedeutenden Zuflüssen jener mächtigen Wasserader, vorüber. Stromaufwärts von der Mündung des letzteren aber, bis zu den Katarakten von Saint Antoine, fand er das Bett des Mississippi durch eine ununterbrochene Reihe von Wasserfällen und Stromschnellen[204] gesperrt. Unter dem fünfundvierzigsten Breitengrade angelangt, mußten Pike und seine Gefährten ihre Boote verlassen und die Reise mittelst Schlitten fortsetzen. Zur Unbill eines besonders strengen Winters gesellten sich bald die Qualen des Hungers. Nichts vermochte jedoch die unerschrockenen Forscher aufzuhalten, welche, indem sie unbeirrt dem bis auf dreihundert Ruthen verschmälerten Mississippi folgten, im Februar am Blutegel-See eintrafen, wo sie in einem Lager von Trappern und Pelzjägern aus Montreal mit größter Freude aufgenommen wurden.
Nachdem er noch den Rothe-Cedernsee besucht, kehrte Pike nach Port Louis zurück. Seine beschwerliche und gefahrenreiche Fahrt hatte nicht weniger als neun Monate gedauert und war, obwohl deren eigentliches Ziel unerreicht blieb, doch nicht ohne Früchte für die Wissenschaft.
Die Geschicklichkeit, Kaltblütigkeit und der Muth Pike's konnten nicht unbeachtet bleiben, und die Regierung betraute ihn, nach vorheriger Erhebung in den Majorsgrad, mit der Führung einer neuen Expedition.
Diesmal war ihm aufgegeben, die weiten Gebiete zwischen dem Mississippi und den Felsengebirgen zu erforschen und die Quellen des Arkansas und des Rothen Flusses aufzusuchen. Mit dreiundzwanzig Personen fuhr Pike den Arkansas hinauf, ein schöner Strom, der bis zu seinem Quellengebirge hin, das heißt über zweitausend Meilen weit, schiffbar ist, außer im Hochsommer, wo vielfache Sandbänke sein Bett erfüllen.
Während der langen Wasserfahrt brach inzwischen der Winter herein, Beschwerden aller Art, wie sie Pike schon bei seiner ersten Reise zu erdulden hatte, erneuerten sich nun in verdoppelter Strenge. Wild fand sich so wenig, daß die Gesellschaft einmal vier Tage lang der Nahrung gänzlich entbehren mußte. Mehreren erfroren die Füße, ein Unfall, der natürlich auch den gesund Gebliebenen noch weitere Hindernisse bereitete. Nachdem der Major die Quelle des Arkansas erreicht, wendete er sich nach Süden hinab, wo er auf einen schönen Wasserlauf traf, den er für den Rothen Fluß hielt.
Es war das jedoch der Rio del Norte, der in Colorado, einer damals spanischen Provinz, entspringt und in den Golf von Mexiko mündet.
Von den Schwierigkeiten her, welche Humboldt zu überwinden hatte, um die Erlaubniß zur Bereisung der spanischen Besitzungen zu erlangen, weiß man, mit wie scheelen Augen jenes Volk es ansah, wenn Fremdlinge dessen Gebiet betraten. Bald wurde Pike denn auch von einer Abtheilung spanischer Soldaten[205] umringt und sammt seinen Leuten nach Santa-Fé als Gefangener abgeführt. Der Anblick, den ihre zerrissenen Kleider und abgemagerten Gesichter boten, sprach nicht zu Gunsten der Amerikaner, welche die Spanier erst für Wilde hielten. Nach Aufklärung dieses Irrthums wurden Pike und seine Gefährten jedoch durch die inneren Provinzen nach Louisiana geschafft, wo sie am 1. Juli 1807 in Natchitotches eintrafen.
Der verfehlte Ausgang dieser Expedition lähmte zeitweilig den Eifer der Regierung, nicht aber den einzelner Personen, wie Kaufleute und Jäger, welche täglich mehr im Lande auftauchten. Viele drangen selbst Schritt für Schritt durch ganz Amerika, von Canada bis zum Pacifischen Ocean. Unter diesen einzelnen Reisenden verdient besonders Daniel Williams Harmon hervorgehoben zu werden, der, ein Theilhaber der Compagnie des Nordwestens, zwischen dem 47. und 58. Grad nördlicher Breite reisend, den Huron-, den Oberen-, den Regen-, Holz-, Manitoba-, Winnipeg-, Athabaska- und den Großen Bärensee besuchte und auch bis zum Pacifischen Ocean kam.
Die Pelzhändlergesellschaft von Astoria, eine Niederlassung an der Mündung des Columbia, leistete ebenfalls viel zur Erforschung der Felsengebirge.
Vier Mitglieder dieser Gesellschaft waren von Astoria in Juni 1812 aufgebrochen, den Columbia hinausgezogen, hatten die Felsengebirge überschritten und langten, nach Auffindung einer der Quellflüsse des Platte, auf dem sie bis zum Missouri durch ein, von Niemand vor ihnen besuchtes Gebiet hinabfuhren, am 30. Mai 1813 in St. Louis an.
Im Jahre 1811 war eine neue, aus sechzig Mann bestehende Expedition den Missouri hinauf bis zu den Ansiedelungen der Ricaras vorgedrungen, welche, nachdem sie die härtesten Entbehrungen erduldet und wegen Nahrungsmangels mehrere Leute verloren hatte, gegen Anfang 1812 Astoria erreichte.
Diese Reisen ergaben als Resultat nicht allein die topographische Erforschung des Landes; sie führten daneben auch zu ebenso merkwürdigen als unerwarteten Entdeckungen. So stieß man im Ohiothale von Illinois bis Mexiko auf Ruinen von befestigten Werken mit Wällen und Gräben, von denen manche ein Terrain von fünf bis sechs Acres einnahmen. Es ist ein schwieriges Problem, das noch immer seiner Lösung harrt, zu sagen, welchem Volke diese Arbeiten zuzuschreiben sind, die von einer, der der heutigen Indianer weit überlegenen Civilisation zeugen. Schon bedauern Historiker und Philologen in gleichem Maße das Verschwinden von Indianerstämmen, die bisher nur sehr oberflächliche Beachtung[206] fanden, wobei das Studium der Sprachen derselben gänzlich vernachlässigt wurde. Vielleicht hätte gerade die bessere Kenntniß dieser Idiome im Vergleich mit denen der Alten Welt über den Ursprung jener nomadisirenden Horden ein unerwartetes Licht verbreitet.
Gleichzeitig begann man damals das Studium der Flora und Geologie des Landes, ein Wissenszweig, der späteren Forschern noch so wunderbare Ueberraschungen bereiten sollte.
Für die Regierung der Vereinigten Staaten war es zu wichtig, die weiteren Gebiete zwischen diesen und dem Pacifischen Ocean schnell und verläßlich kennen zu lernen, als daß dieselbe mit der Entsendung einer neuen Expedition hätte längere Zeit zögern können.
So beauftragte der Staatssecretär des Krieges im Jahre 1819 den Major Long, das Land zwischen dem Mississippi und den Felsengebirgen zu bereisen, den Lauf des Missouri und seiner bedeutenderen Zuflüsse zu erforschen, durch astronomische Beobachtung die Lage der wichtigsten Punkte festzustellen, sich über die Indianerstämme des Landes zu unterrichten und Alles zu beschreiben, was das äußere Ansehen des Bodens oder die Erzeugnisse der drei Naturreiche Merkwürdiges bieten sollten.
Von Pittsburg am 5. Mai 1819 mit dem Dampfboote »Der Ingenieur des Westens« ausgehend, erreichte die Expedition am 30. desselben Monats die Vereinigung des Ohio mit dem Mississippi, den sie bis Saint Louis hinauffuhr.
Am 29. Juni wurde die Mündung des Missouri erreicht. Während des Juli durchstreifte Say, ein Theilnehmer der Expedition, mit geologischen Untersuchungen beschäftigt, das Land bis zum Fort Osage hin, wo ihn das Schiff erwartete. Major Long benutzte den Aufenthalt an dieser Stelle, um eine Abtheilung seiner Leute zur Besichtigung des Terrains zwischen dem Kansas und dem Plattestrom (Nebraska-river) auszusenden; dieses Detachement wurde aber angegriffen und beraubt und mußte, nach Verlust aller Pferde, unverrichteter Sache umkehren.
Nachdem an der Kuh-Insel eine Verstärkung von fünfzehn Mann Soldaten eingetroffen, gelangte die Gesellschaft am 19. September nach dem Fort Lisa, nahe den Council Bluffs, wo sie ihr Winterquartier aufschlug. Hier überfiel die Amerikaner der Scorbut, durch den sie, bei dem Mangel aller zweckmäßigen Heilmittel, hundert Mann, das heißt nahezu den dritten Theil ihrer Effectivstärke verloren.
Major Long, der sich inzwischen auf einem Boote nach Washington begeben hatte, brachte von da die Ordre mit, die Reise auf dem Missouri fortzusetzen, nach den Quellen des Plattestromes vorzudringen und auf dem Arkansas und dem Rothen Flusse nach dem Mississippi zu segeln.[207]
Am 6. Juni verließen die Forscher also das Cantonnement der Ingenieurs, wie sie ihr Winterquartier getauft hatten, und zogen über hundert Meilen im Thale des Platte hinab, ein Stück Land mit üppigen Wiesen und ungeheuren Heerden von Bisons und Damwild, die ihnen Nahrungsmittel im Ueberfluß lieferten.[208] Auf diese endlosen Prairien, deren Monotonie nicht ein einziger Hügel unterbricht, folgt eine Sandwüste, die sich gegen vierhundert Meilen weit in sanfter Steigung bis zu den Felsengebirgen hinzieht. Durchschnitten von steilen Klüften, von Cañons und Abgründen, in deren Tiefe unter magerem, vereinzeltem Buschwerk ein dürftiger Bach dahinmurmelt, erzeugt diese Einöde keine anderen Gewächse als Cacteen mit scharfen, gefährlichen Stacheln.[209]
Am 6. Juli hatte die Expedition den Fuß der Felsengebirge erreicht. Doctor James erstieg einen schroffen Gipfel derselben, den er nach seinem Namen nannte und der bis elftausendfünfhundert Fuß über das Meer emporragte.
»Von diesem Gipfel aus, schreibt der Botaniker, schweift der Blick nach Nord- und Südwesten zu über zahllose, schneebedeckte Berge, von denen die entferntesten bis zum Fuße weiß erscheinen. Unmittelbar uns zu Füßen und nach Westen hin lag das enge Thal des Arkansas, dessen Lauf wir nach Nordwesten zu über sechzig Meilen weit übersehen konnten. Den Nordabhang des Berges verhüllten ungeheure Massen von Eis und Schnee; nach Osten zu breitete sich die weite Ebene aus, welche in der Entfernung scheinbar höher und höher anstieg, bis sie am Horizonte mit dem Himmel in einer Linie verschmolz.«
Von hier aus trennte sich die Expedition nun in zwei Theile. Der eine sollte, unter Leitung des Major Long, die Quelle des Rothen Flusses aufsuchen, der andere, unter Führung des Kapitän Bell, den Arkansas bis zum Port Smith hinabziehen. Am 24. Juli gingen die beiden Detachements von einander. Das erstere hielt, getäuscht durch die Angaben einiger Kaskaias-Indianer und die Unzuverlässigkeit der Karten, den Canada für den Rothen Fluß und ward den Irrthum auch vor dessen Vereinigung mit dem Arkansas nicht gewahr. Diese Kaskaias nehmen unter den Wilden vielleicht die niedrigste Stufe ein; als geschickte Reiter verstehen sie sich aber vortrefflich darauf, mit dem Lasso die wilden »Mustangs«, das sind Pferde, welche von den durch die Spanier in Mexiko eingeführten herstammen, einzufangen.
Von dem zweiten Detachement entwichen vier Soldaten, die neben einer Menge werthvoller Gegenstände aller Art auch die Reise-Tagebücher Say's und des Lieutenant Swift mitnahmen.
Beide Abtheilungen litten übrigens furchtbar an Nahrungsmangel in den weiten Sandwüsten, wo die Flüsse nur salzig-schlammiges Wasser führen.
Die Expedition brachte nach Washington etwa sechzig Felle wilder Thiere, mehrere Tausend Insecten, darunter fünfhundert neue Arten, ein Herbarium mit vier- bis fünfhundert bisher unbekannten Pflanzen, viele Landschaftsbilder, und die Vorarbeiten zu einer Karte der durchreisten Gegenden mit heim.
Dem Major Long wurde im Jahre 1828 die Leitung einer neuen Expedition anvertraut. Mit dieser verließ er Philadelphia im April, begab sich nach dem Ohio und segelte durch den gleichnamigen Staat, durch Indiana und Illinois. Nach dem Mississippi gelangt, folgte er diesem bis zur Mündung des Saint[210] Pierre, den vor ihm schon Carver, nach ihm der Baron La Hontan besuchte. Long befuhr diesen bis zur Quelle, fand dabei den Travers-See auf, erreichte den Winnipeg-See, besichtigte den gleichnamigen Fluß, nahm den Holz- und den Regen-See in Augenschein und gelangte nach der Hochebene, welche die Wasserscheide zwischen der Hudson- und der Saint Laurent-Bai bildet. Endlich kam er über den Kalten See und den Hunde-Fluß nach dem Oberen See.
Obwohl canadische Waldläufer, Trapper und Jäger diese Gegenden schon lange durchstreift hatten, war es doch das erste Mal, daß eine officielle Expedition sie mit dem Zwecke, eine Karte derselben aufzunehmen, besuchte. Die Reisenden erstaunten über die Schönheit der von dem Winnipeg bewässerten Landschaften. Das durch Stromschnellen und pittoreske Wasserfälle häufig unterbrochene Bett dieses Flusses windet sich zwischen steilen, waldbedeckten Felsenmauern hin. Die wunderbaren Reize des Landes entzückten die Reisenden desto mehr, als sie bisher nur durch einförmige Ebenen und Savannen gezogen waren.
Die seit der Fahrt Montgomery Pike's aufgegebene Untersuchung des Mississippi wurde durch General Caß, den Gouverneur von Michigan, im Jahre 1820 wieder aufgenommen. Ende Mai von Detroit mit einem Gefolge von zwanzig früheren Waldläufern ausgehend, erreichte er, nach einem Besuche des Huron-, Oberen und Sandy-Sees, den Oberlauf des Mississippi. Hier mußte seine Mannschaft rasten, während er selbst die Erforschung des Stromes mittelst Bootes fortsetzte. Fünfhundert Meilen weit fand er eine zwar schnelle, aber ziemlich freie Strömung; von da aus aber füllten etwa zwölf Meilen weit ausgedehnte Stromschnellen das Bett bis zu dem Falle von Peckgama.
Oberhalb des letzteren wand sich der Strom in langsamerem Laufe durch endlose Savannen bis zum Blutegel-See hin. Nachdem er den Winnipeg-See erreicht, entdeckte Caß am 21. Juli auch noch einen bisher unbekannten See, der seinen Namen erhielt; bei seinen geringen Vorräthen an Lebensmitteln und Munition verzichtete er jedoch darauf, mit der wenigen Begleitmannschaft noch weiter vorzudringen. Man war zwar in die Nähe der Mississippiquelle gekommen, hatte diese selbst aber nicht erreicht. Der verbreitetsten Annahme nach entsprang der Strom aus einem kleinen, sechzig Meilen von dem Caß-See entfernt liegenden See, dem sogenannten Hirschkuh-See. Erst im Jahre 1832 aber, als General Caß Staatssecretär des Krieges war, nahm man die endliche Lösung dieses wichtigen Problems wieder in die Hand. Damals wurde die Leitung einer aus dreißig Personen bestehenden Expedition, darunter zehn Soldaten, ein mit den[211] hydrographischen Aufnahmen betrauter Officier, ein Arzt, ein Geolog, ein Dolmetscher und ein Missionär, dem Reisenden Schoolcraft übergeben, der im Vorjahre das Land der Chippeways, im Nordwesten des Oberen Sees, erforscht hatte.
Schoolcraft brach am 7. Juni 1832 von Sainte Marie auf, besuchte die am Oberen See siedelnden Stämme und segelte darauf in den Saint Louis ein. Bis zum Mississippi hatte Schoolcraft von hier aus noch fünfhundert Meilen zurückzulegen. Wegen vieler Stromschnellen und enger Schluchten nahm diese Fahrt zehn Tage in Anspruch. Am 3. Juli erreichte die Expedition die Factorei eines Kaufmanns, Namens Aitkin, am Ufer desselben Stromes, und feierte am folgenden Tag das Fest der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten.
Zwei Tage später befand sich Schoolcraft am Peckgama-Falle und lagerte daselbst neben der Eichen-Spitze. Der Fluß beschrieb hier viele Krümmungen in den Savannen; die Führer der Expedition schlugen je doch Fußstege ein, welche den Weg bedeutend abkürzten. Darauf fuhr Schoolcraft über den Crosse-(Krummstab-) und Winnipeg-See und erreichte am 10. Juli den Caß-See, über den vorher noch kein Reisender hinausgekommen war.
Eine Gesellschaft Chippeways führte die Reisenden nach ihrem Lager, das sie auf einer Insel des Sees hatten. Ueberzeugt von den friedlichen Gesinnungen der Wilden, ließ der Befehlshaber hier einen Theil seiner Begleiter zurück und reiste in Begleitung des Lieutenants Allen, des Doctor Houghton, eines Missionärs und mehrerer Wilden in einer Pirogue ab.
Die Fahrt ging über den Tascodiac- und den Travers-See. Ein wenig oberhalb des letzteren theilt sich der Mississippi in zwei Arme oder bildet eine Gabel. Der Wegweiser führte Schoolcraft auf dem östlichen weiter und über den Marquette-, den Lasalle- und den Kubbakunna-See nach der Einmündung der Naiwa, des Hauptzuflusses dieses Gabelzweiges, der aus einem See voller Schlangen mit kupferfarbenen Köpfen entspringt. Nachdem sie noch den kleinen Ufawa-See passirt, gelangte die Expedition nach dem Itasca-See, aus dem der itascanische oder westliche Zweig des Mississippi seinen Ursprung nimmt.
Der Itasca- oder Hirschkuh-See – wie ihn die Franzosen nannten – hat nur eine Ausdehnung von sieben bis acht Meilen und ist von Hügeln umgeben, welche dunkler Fichtenwald beschattet. Er soll, nach Schoolcraft, tausendfünfhundert Fuß über dem Meere liegen, doch ist auf diese und ähnliche Angaben nicht viel Werth zu legen, da sie nicht auf Messungen durch geeignete Instrumente beruhen. Auf dem Rückwege nach dem Caß-See folgte die Expedition dem westlichen[212] Flußarme und besichtigte die wichtigsten Nebenflüsse desselben. Schoolcraft selbst unterrichtete sich über die diese Gegenden bewohnenden Indianer, mit denen er Verträge abschloß.
Alles in Allem war das von der Regierung vorgeschriebene Ziel erreicht und der Mississippi hiermit von der Ausmündung in das Meer ab bis zu seiner Quelle erforscht. Die Expedition brachte vielfache, interessante Aufschlüsse über die Lebensweise. Sitten, Geschichte und Sprache der Eingebornen mit heim; auch die Naturwissenschaft wurde durch Auffindung vieler neuer oder wenig bekannter Species bereichert.
Die Thatenlust des amerikanischen Volkes begnügte sich aber nicht mit jenen officiellen Expeditionen. Durch die neu aufgeschlossenen Gegenden streiften bald zahlreiche Trapper, welche freilich zum größten Theil wegen Mangels an Vorbildung der Wissenschaft keine nennenswerthen Dienste leisteten. Eine Ausnahme hiervon macht Jacques Pattie, der einen Bericht seiner Erlebnisse und Fahrten in dem Gebiete zwischen Neu-Mexiko und Neu-Kalifornien veröffentlicht hat. Längs des Rio Gila bis zu dessen Mündung hinabziehend, besuchte Pattie zahlreiche, fast noch unbekannte Volksstämme, wie die Jotans, die Eiotaros, Papawars, Mokees, Yumas, Mohawas, die Nabahos u. a., mit denen man nur selten in Berührung gekommen war. An den Ufern des Rio Eiotario entdeckte er Ueberbleibsel von uralten Bauwerken, Mauerresten, Gräben und irdenen Geschirren, in den Berggegenden aber Kupfer-, Blei- und Silbergruben.
Ein merkwürdiges Reisetagebuch verdankt man auch dem Doctor Willard, der während seines dreijährigen Aufenthaltes in Neu-Mexiko den Rio del Norte von dessen Quelle bis zur Mündung besuchte.
Endlich erforschten der Kapitän Wyeth und sein Bruder im Jahre 1831 Oregon nebst den benachbarten Theilen der Felsengebirge.
Seit Humboldt's Reise nach Mexiko folgen sich die Forscher in Central-Amerika auf dem Fuße. Schon 1787 hatte Bernasconi die heute berühmten Ruinen von Palenque aufgefunden; Antonio Del Rio lieferte 1822 eine eingehende Beschreibung derselben, die er auch mit einigen Zeichnungen Friedrich Waldeck's, des späteren Erforschers dieser todten Stadt, schmückte.
Der Kapitän Wilhelm Dupaix und der Zeichner Castañeda hatten von 1805 bis 1807 drei Reisen nach Chiapa und Palenque ausgeführt. Die Ergebnisse ihrer Forschungen erschienen 1830 in einem prachtvollen Werke, zu welchem Augustine Aglio auf Kosten des Lord Kingsborough die Illustrationen lieferte.[213]
Von 1832 ab verweilte endlich Waldeck zwei volle Jahre in Palenque, stellte daselbst Nachgrabungen an, nahm die Aufrisse und Durchschnitte vorgefundener Baudenkmäler auf, bemühte sich, die noch unerklärten Hieroglyphen, welche jene bedecken, getreu wiederzugeben, und sammelte eine Menge vollkommen neuer Aufschlüsse sowohl im Gebiete der Naturwissenschaften, als auch bezüglich der Sitten der Ureinwohner.
Hier verdient auch noch der Oberst Don Juan Galindo, der Erforscher von Palenque, Utatlan, Copan und anderer, tief in den Tropenwäldern verborgener Städte, ehrenvolle Erwähnung.
Nach dem langandauernden Aufenthalte Humboldt's im äquinoctialen Amerika wurde der Aufschwung, den seine Forschungen dem Studium der Erdkunde verleihen zu sollen schienen, durch die Kämpfe zwischen den spanischen Kolonien und deren Hauptstadt auffallend gehemmt. Kaum bildeten sich aus dem Wirrwarr aber nur scheinbar beständigere Zustände heraus, als auch schon unerschrockene Reisende in jene bisher unbekannte Welt vordrangen, welche die ängstliche Eifersucht der Spanier der Erforschung durch die Gelehrten stets verschlossen hatte.
Naturforscher und Ingenieure durchstreifen Mittel- und Südamerika oder siedeln sich daselbst dauernd an. Von 1817 bis 1820 senden, nach vorhergehender Verständigung, die Regierungen von Oesterreich und Bayern eine wissenschaftliche Expedition nach Brasilien, deren Führung sie den Doctoren Spix und Martius anvertrauen, welche zahlreiche Aufschlüsse über die Pflanzenwelt, die Ethnographie, Statistik und Geographie jener so wenig bekannten Gebiete zu erlangen wissen und Martius schreibt über die Flora des Landes ein wahrhaft epochemachendes Werk, das, herausgegeben auf Kosten der österreichischen und bayerischen Regierungen, als Musterleistung in diesem Fache gilt.
Gleichzeitig bringen Special-Zeitschriften, wie Malte-Brun's Annales de voyages und das Bulletin de la Société de Géographie alle ihnen zugehenden Mittheilungen, vorzüglich über Brasilien und die Provinz Minas Geraës, zur öffentlichen Kenntniß.
In derselben Zeit widmete sich ferner ein hoher preußischer Officier, der Generalmajor Prinz von Wied-Neuwied, dem der Friede von 1815 hinlängliche Muße gewährte, dem Studium der Naturwissenschaften, der Geographie und der Geschichte. In Verbindung mit den Naturforschern Freireiß und Sellow unternahm er eine Forschungsreise nach dem Innern von Brasilien und beschäftigte[214] sich dabei hauptsächlich mit der Naturkunde und Zoologie des Landes. Die Resultate derselben sind niedergelegt in seiner »Reise nach Brasilien in den Jahren 1815–17«, sowie in den »Abbildungen zur Naturgeschichte Brasiliens« und den »Beiträgen zur Naturgeschichte von Brasilien«.
Einige Jahre später, 1836, erhielt Alcide d'Orbigny, ein zwar noch junger, aber schon berühmter Naturforscher, von der Akademie der Wissenschaften in Paris den Auftrag, eine naturwissenschaftliche Reise durch Südamerika zu unternehmen. Acht volle Jahre durchstreifte d'Orbigny in Folge dessen Brasilien, Uruguay, Argentina, Patagonien, Chile, Bolivia und Peru.
»Eine solche Reise, äußert sich Damour in seiner Rede bei Bestattung d'Orbigny's (1857), eine solche Reise durch viele, an Erzeugnissen, Klima, Bodenbeschaffenheit und Landessitten so verschiedene Ländergebiete bietet bei jedem Schritte neue Gefahren. Mit seiner kräftigen Constitution und seinem rastlosen Eifer überwand d'Orbigny zahllose Schwierigkeiten, welche wohl manchen anderen Reisenden bald zurückgeschreckt hätten. In den kalten Landstrichen Patagoniens angelangt, sah er sich sogar, inmitten der dort stets miteinander im Kriege liegenden Völkerschaften, gezwungen, unter dem Stamme, dessen Gastfreundschaft er genoß, am Kampfe theilzunehmen. Zum Glück neigte sich der Sieg auf die Seite, wo er stand, so daß er seinen Zug bald fortzusetzen vermochte.«
Die Ergebnisse so ausgedehnter Forschungen nahmen, um veröffentlichungsfähig zu werden, dreizehn Jahre mühevoller Arbeit in Anspruch. Dieses Werk, welches die Gebiete fast aller wissenschaftlichen Fächer berührt, läßt Alles weit hinter sich, was bisher über Südamerika publicirt worden ist. Geschichte, Archäologie. Zoologie und Botanik nehmen darin ihren Ehrenplatz ein; der weitaus wichtigste Theil des Werkes ist der (eigentlich im Anschluß an die anderen) erschienene »l'Homme américain« Der Reisende hat darin alle von ihm selbst gesammelten Unterlagen zusammengestellt und die ihm aus zweiter Hand zugehenden kritisch gesichtet, welche über den physiologischen Charakter, die Sitten, Sprachen und Religionen in Südamerika Aufschluß geben. Ein Werk von so anerkanntem Werthe dürfte genügen, den Namen dieses französischen Gelehrten zu verewigen, und gereicht auch der Nation, die ihn zu ihren Kindern zählt, zur hohen Ehre.
Ende des ersten Bandes.[215]
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