6. An Esmarch

[171] Oktober 1772.


Wie ein nahender Sturm hinter der Wolke, droht

Schon von ferne der Tag, welcher mit eh'rner Faust

Dich, mein redlicher E[smarch],

Meinen Armen entreißen wird!


Ach! dann schützt uns die Glut unserer Liebe nicht,

Nicht die selige Lust, welche wir kosteten,

Wenn vertraulich die Lenzflur

Aus dem Wirbel der Stadt uns rief;


Oder, wenn uns die Nacht bei dem dircëischen

Päan, oder beim Sang brittischer Barden fand,

Und beim holden Geflüster,

Wo sich Herzen begegneten!


Gestern sah ich ein Paar Tauben in jenem Ulm;

Sie umflügelten sich, kos'ten und schnäbelten:

Dennoch stürzte der Habicht

Auf das Weibchen – der Witwer girrt!


Zu der Küste zurück tapferer Angeln reißt

Dich das stäubende Rad: über ein kleines trau'rt

An der Warne dein Bester,

Und wohin ihn das Glück verweht!


Wenn du dort, an der Hand deiner Emilia,

Einst beim Schimmer des Monds Nachtigallstimmen horchst;

Dann sprich seufzend: Geliebte,

So geliebet, wie jetzt von dir,
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Horcht' ich vormals und Voß' Nachtigallstimmen oft!

Ach! jetzt höret er dich, Nachtigall, nicht! Jetzt trau'rt

An der Warne mein Bester,

Und wohin ihn das Glück verweht!


Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 49, Stuttgart [o.J.], S. 171-173.
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