11. Deutschland

[177] An Friedrich Leopold Graf zu Stolberg.


In der Nacht vom 4. zum 5. Dezember 1772.


Was flogst du, Stolz des Deutschen, zur Sternenhöh',

Und blickest lächelnd nieder auf alles Volk,

Vom Aufgang bis zum Niedergange,

Welchem du König' und Feldherrn sandtest?
[177]

Hörst du der Sklavenkette Gerassel nicht,

Die uns der Franke (Fluch dir, o Mönch, der ihn

Den Großen pries!) um unsern Nacken

Warf, als, mit triefendem Stahl der Herrschsucht,


Er, Gottes Sache lügend, ein frommes Volk

Samt seinen Priestern schlachtet', und Wittekind,

Statt Wodans unsichtbarer Gottheit,

Wurmigen Götzen Geruch zu streun zwang?


Nicht deutsches Herzens; Vater der Knechte dort,

Thuiskons Abart! kroch er zum stolzen Stuhl

Des Pfaffen Roms, und schenkt', o Hermann,

Deine Cherusker dem Bann des Wütrichs!


Nicht deutsches Herzens; Erbe des Julischen

Tyrannenthrones, gab er zur Armengift

Den Freiheitssang altdeutscher Tugend,

Welchem die Adler in Winfeld sanken!


Jetzt starb die Freiheit unter Despotenfuß;

Vernunft und Tugend floh vor dem Geierblick

Der feisten Mönch'; entmannte Harfen

Frönten dem Wahn und dem goldnen Laster!


O weine, Stolberg! Weine! Sie rasselt noch

Des Franken Kette! Wenige mochte nur,

Von Gott zum Heiland ausgerüstet,

Luther dem schimpflichen Joch entreißen!
[178]

Ruf' nicht dem Britten, daß er in strahlender

Urväter Heimat spähe der Tugend Sitz!

Still trau'rt ein kleiner Rest des Samens,

Welchen der Nachen des Angeln führte!


Nach Wollust schnaubt der lodernde Jüngling jetzt;

Der Mann nach Gold; in lauer Gebüsche Nacht

Lustwandeln freche Mädchenchöre,

Schmachtend in Galliens reichsten Tönen.


O dichtet ihnen, Sänger Germanias,

Ein neues Buhllied! Singet den Horchenden

Des Rosenbetts geheime Zauber,

Oder die taumelnden Lustgelage!


Ein lautes Händeklatschen erwartet euch! –

Ihr wollt nicht? Weiht der Tugend das ernste Spiel? –

Ha! flieht, und sucht im fernen Norden

Eurem verkannten Gesange Hörer!


Vertilgt auf ewig seist du, o Schauernacht,

Da ich Jehovahs Dienste die Harfe schwur!

Vertilgt, ihr Thränen, so ich einsam

An den unsterblichen Malen weinte!


Der, mit des Seraphs Stimme, Messias, dich

Den Söhnen Teuts sang; siehe, den lohnt der Frost

Des ungeschlachten Volks, den lohnen

Hämische Winke des stummen Neides!


Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 49, Stuttgart [o.J.], S. 177-179.
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